I.

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In einer Zeit, in der Geschichten mehr Warnung als Unterhaltung waren, lebten zwei Frauen. Die Existenz der einen war Tod, die der anderen menschliche Gelüste. Auf den ersten Blick mochten diese nichts gemein haben, aber sie erforderten beide Verführung und die Betroffenen kamen nicht immer mit dem Leben davon.

Doch ihre gemeinsame Geschichte soll für sich sprechen und euch allen eine Warnung sein: Gebt acht, auf wen ihr euch einlasst!


Das Bharat-Viertel war Manon immer rückständig vorgekommen, einfach, weil hier niemand etwas von Automobilen oder Straßen gehört zu haben schien. Stattdessen nestelten sich viele Flussarme zu einem verzweigten Netz zusammen, dass die Bewohner und Bewohnerinnen mit Barken und Booten erschlossen. Würde ihr jetziger Geliebter nicht als Bootsführer auf einem dieser Boote arbeiten, wäre sie nicht hier. Sie fand es viel zu langweilig, neue Erfindungen nicht zu benutzen und könnte sich ein Leben ohne ihr Automobil nicht vorstellen. Im Franko-Viertel gelangte man ohne die motorisierten Gefährte nirgends hin. Ihr Heimatsviertel lebte und atmete Fortschritt.

Aber sie war nicht hier, um die Rückständigkeit der anderen zu bedauern. Sie war hier, weil es Zeit war, den Schlüssel zu übergeben. Ein wichtiger Übergangsritus im Leben eines jeden Blaubarts. Egal, wie oft sie es schon getan hatte, es blieb immer ein aufregender Schritt. Auch wenn sie viel mehr den Moment erwartete, wenn ihre Geliebten, den Schlüssel tatsächlich benutzten. Denn das war ihr Moment der Wahrheit, in dem sich herausstellte, ob ihr Fluch endlich gebrochen würde oder sie weiter morden müsste.

Schwäne schnatterten, trugen Manons Gedanken von ihren düsteren Erinnerungen zu der Gegenwart. Am Ufer der Brücke, die die Blaubart gerade überquerte, lag eine Barke verankert und eine junge Frau in einem sonnengelben Sari beugte sich über die Reling, um einem vorbeiziehenden Schwan zu winken. Dieser ignorierte sie und glitt hoheitsvoll an ihr vorbei, während ein anderer ihm mit aufgerissenem Schnabel folgte. Sie lächelte und Manons Herz tat einen Satz. Ihr Atem stockte. Eine schönere Frau hatte sie noch nicht gesehen. Große, dunkle Augen in einem runden Gesicht sahen den Schwänen mit einer Neugier nach, die Manon neu war. Die bronzene Haut glänzte im Kontrast zu dem gelben Tuch, das ihre Haare verbarg. Die Frau richtete sich auf, bemerkte Manon, die sie anstarrte und winkte.

„Geschichten sagen, Schwäne halten viel Weisheit in sich und wer ihre Köpfe streichelt, erkennt die Wahrheit hinter allem." Das war so ein absurder Nonsens, dass Manon nicht anders konnte, als zu lachen. Ihre Schwäne zu Hause taten nichts anderes als Chaos zu stiften, wenn sie sich langweilten. Was immer der Fall war. Doch die junge Frau klang so überzeugt davon, es war erfrischend. Ihrem Blick nach zu urteilen – verkniffene Lippen und leerer Ausdruck – schätzte sie es nicht, ausgelacht zu werden.

Manon trat weg vom Brückengeländer und näher zu der Barke, als sie fragte: „Und wie viele Geschichten erzählen von den verlorenen Fingern, die Opfer von Schwanenbissen wurden?" Sie streckte der Frau ihre Hand hin, dass sie ihr auf die Barke helfe. Doch die Frau starrte ihre Hand nur an. Manon winkte einmal, doch sie verstand immer noch nicht.

„Darf ich auf das Boot?", fragte die Blaubart, ihre Ungeduld kaum verdeckt in ihrer Stimme.

„Seit wann nehmen Blaubärte die Dienste der Vishakanya in Anspruch?"

Manon ließ ihre Hand fallen. War das wirklich eines der berühmtberüchtigten Boote der Giftmaiden? Ihr Geliebter hatte ihr zwar berichtet, sie würden von Booten aus arbeiten, doch sie hatte nicht erwartet, so schnell welchen über den Weg zu laufen. So schönen noch dazu. Ehrlich gesagt wusste sie kaum etwas über die Vishakanya, außer, dass sie Verführerinnen waren, Geschichten spannen, um ihre Kundschaften zu verzaubern und dass ihre Berührung giftig war. Jetzt machte es mehr Sinn, warum die Frau ihre Hand nicht genommen hatte. Manon strich sich über ihren Bart und kletterte an Bord.

„Tue ich nicht, aber du hast mich einfach verzaubert. Deswegen musste ich dir näherkommen", säuselte Manon. Sie benutzte ihr bestes Verführungslächeln. Doch die Vishakanya schaute sie nur weiterhin ausdruckslos an. Schwieriges Publikum. Die Blaubart strich ihren Bart und Locken glatt. Die Berührung prickelte in ihren Fingerkuppen, als würde ihr Bart sich aufladen. Vorbereiten, Lebensenergie zu nehmen. Dabei war sie nur aufgeregt.

„Manon Bleu-Villon", stellte sie sich vor und streckte ihre Hand aus. Die namenlose Frau schaute die Hand wieder verständnislos an. Richtig. Manon ballte ihre Finger zur Faust und legte diese an ihre Wange. „Ich dachte, die giftige Berührung wäre nur eine Geschichte."

„Alle Geschichten sind wahr", erwiderte die Vishakanya, legte die Handflächen aneinander und verneigte sich leicht. Hätte Manon das auch tun sollen? Begrüßte man sich hier so?

Sie ignorierte die inneren Fragen und konzentrierte sich auf das Gesagte, zwinkerte. „Dann nennen wir es Gerüchte ..." 

Der Ausdruck auf dem Gesicht der Vishakanya änderte sich nicht und Manon fragte sich schon, was sie falsch machte. So eingerostet konnte sie doch nicht sein oder wirkte ihr Charme nicht, weil die Frau selbst verführte? Doch sicher hing nicht das Leben der Giftmaid davon ab. Die Blaubart hatte immer gedacht, die Verzweiflung brachte das gewisse Etwas in ihre Süßholzraspelei. Doch in dem Moment verklärten sich die Augen der Vishakanya ganz leicht und ihre Mundwinkel hoben sich minimal, als wäre sie bezaubert. Manon grinste in sich hinein.

„Vorurteile", hauchte die Vishakanya. Manon hatte schon vergessen, worüber sie gesprochen hatten. Eine Stimme sagte ihr, dass es nicht wichtig war. Das Einzige, das noch nicht geklärt war: „Mit welchem Namen darf ich dich ansprechen? Du kennst meinen, da ist es nur gerecht, dass ich deinen erfahre."

„Esha al-Basu." Wenn sie es aussprach, hatte das so eine schöne Melodie. Fast so schön wie das Wimmern von Manons Geliebten kurz vor dem Todesstoß, nur erfrischender. Manon fuhr sich erneut über den Bart und er knisterte erwartungsvoll, als wüsste er etwas über diese Esha al-Basu, das sie noch nicht erkannte. Ihr Potenzial vielleicht? Ihr Potenzial, ebenjenes Wunder zu sein, auf das Manon seit ihrer Verfluchung wartete? Ebenjene Geliebte zu sein, die ihren Körperkeller sähe und nicht würde sterben müssen. Als Manon in Eshas dunkle Augen schaute, verlor sie sich in ihren Tiefen und der Hoffnung, das könnte wahr sein.

Deswegen fragte sie: „Das mag jetzt plötzlich kommen, aber magst du mit zu mir in mein Schloss?"

Eshas Augen wurden noch größer und sie blinzelte zweimal. Sie schluckte und nickte. „Mit dem größten Vergnügen!"

(1029 Wörter)

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