schlechtes Gewissen °🎲° Di. 1.12.2020

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Der Kneipenwirt da drüben, der war so nett in den letzten Tagen. Und er hat mir angeboten, mir das Spiel beizubringen. Ich hoffe, dieser Patrick ist jetzt nicht sauer auf mich, weil ich sein Angebot nicht angenommen habe, das Spiel zu lernen. Denn auch wenn ich jetzt grade mal Geld verdiene – das wird nicht reichen, um durch den Winter zu kommen. Ich würde wirklich gerne da mitspielen und ab und zu gewinnen, damit ich umsonst essen kann und unser Geld länger reicht. Das ist echt blöd gelaufen gestern.

Ich wollte schnell zu Seokie nach Hause und ihm die Fleischtasche bringen. Der hatte schon wieder seit dem Morgen nichts zu essen. Mein Magen hat ja auch geknurrt, aber ich kann doch den Kleinen nicht verhungern lassen. In der Schule kann er nämlich auch nur manchmal was abstauben.

Und dann hat mir am Ende von unserer Schicht Hansoo mein Geld für die erste Woche gegeben. Das wird ja alles wochenweise auf sein Konto überwiesen. Aber auch, wenn wir uns echt gut verstehen und super zusammen arbeiten, hab ich immer noch Angst gehabt, dass er mich bescheißt am Ende. Jetzt hatte ich plötzlich 175.000 Won (131,-€) in der Hand. Einfach so. Soviel Geld auf einem Haufen hab ich noch nie besessen.

Damit ich nicht übermütig werde sondern erstmal genau überlege und alles durchrechne, bin ich gerannt, so schnell ich konnte. Unterwegs bin ich noch in einen Outdoorladen geflitzt und habe einen ganz billigen Auslaufmodell-Gaskocher und eine Kartusche gekauft. Der nächste Supermarkt war dann meiner. Wasser, Tütensuppen, Käse, Milch, Nudeln. Ich hab alles nach Hause getragen und vor lauter Glück das Gewicht nicht gespürt. Das war ein Fest für meinen Seokie!

Ich mache mir echt Sorgen um ihn. Er muss in der Schule so viel lügen. Er muss „zu Hause" haha .... immer frieren. Er kriegt nicht immer was zu essen. Und jetzt bin ich auch noch jeden Tag stundenlang weg, auch am Wochenende, und muss ihn immer alleine lassen. Er hat schnell gelernt, den Gaskocher zu bedienen, und macht sich dann heute ab und zu heißes Wasser oder eine Tütensuppe. Aber toll ist das nicht, eher gefährlich, auch wenn er wirklich gut aufpasst.
Naja – wenn die drei Wochen rum sind, hab ich wieder mehr Zeit, als mir lieb ist ...

Und heute Morgen ist er doch tatsächlich satt zur Schule gegangen. Ich bin so dankbar! Ich hab ausnahmsweise auch mal was gegessen. Bei den Temperaturen halte ich den Tag sonst nicht durch. Ich werde jedenfalls trotzdem zu Patrick gehen und schauen, ob er sauer ist oder mich doch reinlässt. Alleine die Wärme in der Kneipe tut mir so gut.

Hansoo wartet wie immer schon auf mich. Seine Antwort auf meine Frage war ganz simpel. Er hatte in der Schule so richtig was ausgefressen und war darum für drei Wochen suspendiert. Den Brief an die Eltern hat er abgefangen. Damit seine Eltern das auch so nicht mitkriegen, geht er jeden Morgen aus dem Haus, und dann hat er diesen Job gefunden und beschlossen, die Zeit zu nutzen. Sein Freund scheint übrigens nicht wirklich ein toller Freund zu sein. Er hat seit dem Tag nicht mehr mit Hansoo gesprochen.

Die beiden Typen, die uns mittags ablösen, um bis 21.00 Uhr weiter Flyer zu verteilen, sind auch ganz nett, aber etwas älter. Sonst dürften sie nicht in den Abend rein arbeiten. Trotzdem merke ich, wie das Straßenkinderleben mich misstrauisch gemacht hat, wie ich überall Gefahr wittere und so wenig wie möglich über mich preis gebe. Hansoo musste ich einweihen, sonst wäre der Deal geplatzt. Aber ich weiß nicht, ob ich jemals wieder jemand ganz vertrauen kann.

Wir gehen rein, begrüßen den wortkargen Lagerarbeiter, schnappen uns die Taschen und genug Flyer und gehen an die Arbeit. Heute weht ein schneidender Wind. Deshalb haben die Leute heute weniger Geduld und wollen ihre Hände nicht aus den Taschen nehmen, um den Zettel anzunehmen. Mit eiskalten Zehen, roter Nase und meinem gewinnendsten Lächeln schaffe ich es wenigstens bei ein paar Leuten, ihnen einen Flyer aufzuschwatzen.

Um halb Eins bin ich so durchgefroren, dass ich nicht mehr sprechen und nicht mehr lächeln kann. Ich mache Pause, winke Hansoo zu, damit er Bescheid weiß, und wende mich der Kneipe zu.
Hoffentlich ...
Ich sehe den Mann in seinem Schankraum, wie er grade anfängt, die Stühle runterzustellen. Ich gebe mir einen Ruck und klopfe an die Scheibe. Er schaut auf und lächelt.
Boah, danke!
Er macht mir die Tür auf und zieht mich sofort rein.

„Guten Tag. Ich dachte, ich könnte zum Dank wieder mit hel..."
Er schüttelt den Kopf.
„'Zum Dank' kannst du dir sonstwo hin schreiben. Du bist total durchgefroren und wirst dich darum jetzt direkt da in den Sessel an der Heizung setzen. Ich bring dir gleich was Warmes."
Mit diesen Worten zeigt er auf einen kleinen Sessel, der da gestern noch nicht gestanden hat, und verschwindet in der Küche. Kurz darauf kommt er mit einer Kanne Tee und einem warmen Essen für mich zurück. Dann holt er sich sein Essen und setzt sich einfach neben mich. Eine Weile essen wir schweigend. Ich habe meine Schuhe ausgezogen und die Füße auf die Heizung gestellt.

„Ich ... finde doch, dass ich mich bedanken muss. Dass ich mich hier aufwärmen darf, ist ein riesiges Geschenk. Dass ich obendrein sogar noch was zu essen kriege, ist überhaupt nicht selbstverständlich. Und dass Sie nicht sauer sind, nachdem ich gestern einfach weggerannt bin, macht mich echt froh."
„Schmeckts?"

Na, das ist ja eine Antwort! Nicht ...
„Ja, total gut. Das ist echt großzügig von Ihnen. Ich möchte wirklich gerne zum Dank dafür helfen."
„Red keinen Stuss, Jimin. Ich weiß ja selbst nicht warum. Aber ich mag dich. Du hast eine ganz tolle Art, auf die Leute zuzugehen. Ich habe noch nie gesehen, dass eilige Menschen glücklich lächeln, wenn sie wegen Werbung aufgehalten werden. Aber ich sehe eben auch, dass du stundenlang frierst. Und dass du jeden Tag die selben Klamotten anhast. Du bra..."

„... ich muss gehen. Danke!"
Scheiße, der kuckt zu gut hin. Ich muss hier raus!
Aber leider ist er schneller an der Tür als ich, weil ich ja noch meine Schuhe anziehen muss.
„Warte, Jimin. Ich sage kein Wort mehr, und ich verspreche dir, dass ich keine Fragen stelle. Hab bitte keine Angst vor mir. Du machst diesen Job auch für mich, und ich fü..."
„Bitte, nehmen Sie mir den Job nicht weg. Ich brauche das Geld! Bitte!!!"
Panik steigt in mir hoch. Er blockiert noch immer die Tür. Ich habe so Angst, dass sie mich erwischen und mir Minseok wegnehmen.
„Bitte, Sir. Ich ..."
Er hält mir meine Tasche mit Flyern hin und macht einen Schritt zur Seite.
„Ich will dir nichts Böses. Komm doch bitte nachher, damit ich dir das Spiel beibringen kann. Ich hab auf dich gewartet. Gestern."
„Kann nicht!"

So schnell war ich glaube ich noch nie aus einer Tür raus. Ich hab Hansoo gefragt, ob wir die Straßenseite tauschen können. Der hat sich zwar gewundert, hat aber mit mir getauscht. So kann der Mann mich nicht mehr so gut beobachten, und ich komme nicht mehr so leicht in Versuchung, da rein zu gehen. Und wenn mir noch so kalt ist und ich noch so Hunger habe – das glaubt der doch selbst nicht, dass ich ihm jetzt Zeit gebe, eine Falle für mich vorzubereiten. Wenn ich nicht nach Hause komme, ist Seokie auch nachts alleine.
Das darf nicht passieren. Er ist doch erst neun!!!

Irgendwie hat sich der Himmel gegen mich verschworen. Oder der Kneipenwirt. Um 15.00 Uhr ist unsere Schicht zu Ende, und ich gehe, so schnell ich kann, durch den Lieferanteneingang ins warme Lager. Ich spüre meine Füße und Hände kaum noch und wärme mich noch einen Moment lang auf, bevor ich den Heimweg antrete. Hansoo geht schon los, denn er muss ja jetzt immer nachmittags versuchen, den Schulstoff irgendwie reinzukriegen.

Als ich dann schließlich auch auf die Straße trete, schaue ich direkt – in die Augen von Patrick. Er versperrt mir nicht den Weg. Ich hätte also die Chance abzuhauen. Aber ich bin wie erstarrt und höre auf zu atmen.
„Jimin, könntest du mir bitte wenigstens ein bisschen vertrauen?"
Ich schüttele heftig den Kopf.
„Was muss ich tun, damit du mir wieder traust?"
Ich schüttele wieder den Kopf, obwohl das in Worten mit Sicherheit grammatikalisch ziemlicher Unsinn wäre bei dieser Frage. Patrick seufzt.
„O.K."
Er holt ein Schlüsselbund raus, macht einen Schlüssel ab.
„Komm bitte mit mir rüber, halte soviel Abstand, wie du für dein Sicherheitsbedürfnis brauchst, und schau mir einfach zu."
Zum dritten Mal schüttele ich den Kopf und rühre mich immernoch nicht von der Stelle.
„Du bist echt ein sturer Bock!"
Keine Ahnung, warum. Aber bei der verzweifelten Ansage muss ich lächeln und verliere dadurch meine Schutzstarre.
„Komm."

Immer noch überlässt er es mir. Das beeindruckt mich schon, könnte aber auch eine Finte sein. Er dreht sich um und geht einfach zurück über die Straße auf seine Kneipe zu. Ich folge ihm mit großem Sicherheitsabstand und sehe mich intensiv um, damit mich nicht jemand überraschen kann. Patrick geht an seine Kneipentür.
„Pass auf. Ich zeige dir jetzt, dass dieser Schlüssel zu dieser Tür passt. Dann bekommst du den Schlüssel. Ich gehe hinter meinen Tresen, und dann kannst du dich direkt neben die Tür setzen. Du hättest sogar genug Zeit, mich einzuschließen."

Jetzt schüttele ich den Kopf vor lauter Staunen.
Was will der Mann von mir???
„Na gut."
Ich nehme den Schlüssel aus seiner Hand an und folge ihm in die Kneipe. Schnell sondiere ich das Terrain und alle Türen, die irgendwo hinführen. Patrick geht hinter seinen Tresen und legt seine Hände auf den Tresen, damit ich sie sehen kann.
„Schaffst du es, mir mehr als anderthalb Sätze lang zuzuhören, ohne immer die entscheidenden Teile vom Wort abzuschneiden?"

Wie macht der das?
Jetzt muss ich grinsen.
„Schießen Sie los!"

„Ich möchte, dass du weißt, wie ich darauf gekommen bin. Und dass du mir zuhörst bis zum Ende."
Zum ersten Mal heute nicke ich doch tatsächlich.
„Wie gesagt. Du bist ein besonderer Mensch. Aber du bist unglaublich vorsichtig und misstrauisch. Ein Jugendlicher ist nicht ohne Grund so auf der Hut wie du. Und weißt du was? Es ist mir scheißegal. Ich bin Ire, ich bin in diesem Land gestrandet, weil die Kohle alle war. Mir hing der Magen in den Kniekehlen, als ich in diese Kneipe gestolpert bin und der damalige Wirt mich einfach bei sich aufgenommen hat. Und das ist auch der Grund, warum ich vorhin, ohne bisher darüber nachgedacht zu haben, plötzlich wusste, ..."

Ich schmeiße den Schlüssel auf den nächsten Tisch und ziehe die Tür auf.
Der kapiert eindeutig viel zu viel. Schade um den Job, aber ich muss hier leider ganz weg.

„Jimin. Bevor du wegläufst ..."
Ich bremse noch einmal ab. Ich mag ihn ja auch.

Eine Chance kriegt er noch.
„Bitte hör den Satz diesmal zu Ende an. Du machst diesen Job für die Gewerbegemeinschaft. Ich bin ein Teil davon. Du bekommst einen Hungerlohn dafür, dass du deine Gesundheit riskierst, damit diese Halsabschneider um mich drumrum noch ein bisschen mehr Kohle scheffeln können. Ich fühle mich für dich verantwortlich! Klingt es so falsch und gefährlich, wenn ich versuche, dir zu helfen?"

Tief Luft holen, Jimin.
Ich war mir noch nie in dem ganzen beschissenen dreiviertel Jahr auf der Straße sooo unsicher, ob mich da grade einer um den Finger wickeln will oder es vielleicht doch ehrlich mit mir meint. Ich lasse die Tür wieder zufallen und bleibe mit dem Rücken zu Patrick stehen. Es ist gespenstisch still im Raum.

„Darf ich dir noch was sagen?"
Ich glaube, das habe ich eben schon entschieden ...
„Den langfristigen Wetterprognosen zufolge soll dieser Winter der kälteste seit zwanzig Jahren werden. Und wenn du tatsächlich, wie auch immer deine Lebensumstände sein mögen, für einen kleinen Bruder zuständig bist, dann vertraust du mir besser, denn ich meine es wirklich ehrlich. Du bist viel zu jung, um diese Verantwortung tragen zu können. ... Und viel zu ernst für dein Alter. ... Bitte komm morgen wieder."

Ich nicke zur Bestätigung, bevor ich aus der Kneipe und nach Hause eile. In meinem Kopf formen sich Bilder von einem erfrorenen Minseok auf der ollen Rückbank in „unserem" Transporter.

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1.12.2020    -    13.1.2021

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