Warming up °💖° Di. 1.12.2020

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Jimin ist vor zwei Stunden hier zur Tür rausgerannt, aber ich schüttele immer noch innerlich den Kopf. Das war reine Intuition. Ich hab so gut ins Schwarze getroffen, dass ich den armen Kerl total erschreckt hab. Ein minderjähriger Straßenjunge mit einem kleinen Bruder. Er scheint sich wer weiß wie lange ziemlich gut geschlagen zu haben. Aber das war kein Scherz – dieser Winter wird ihnen den Garaus machen.

Ich hab mich so einsam gefühlt gestern Abend. In der letzten Zeit. Eigentlich – seit Jeongkwan tot ist. Ich hab ihn beerdigt, die Kneipe umgemodelt, meinen Aufenthalt legalisiert, besser koreanisch gelernt, weiter die Kneipe umgemodelt. Und mich immer ein bisschen einsam gefühlt. Vielleicht ist es das. Er hat mich damals von der Straße geholt. Und jetzt schlägt mein Herz für Jimin. Der Junge ist goldrichtig. Er und sein Bruder haben besseres verdient.
Aber er ist eine verdammt harte Nuss. Die muss ich erstmal knacken ...

Viel habe ich nach dem Gespräch heute Nachmittag nicht mehr gebacken gekriegt. Ich habe die Kneipe so umgestellt, dass ich direkt am Fenster Platz für vier kleine Spieltische hatte. Darauf habe ich die Spiele aufgebaut, die ich extra jetzt gekauft habe.

Um 18.00 Uhr schließe ich die Tür auf und genieße die tägliche Routine. Immer dieselben Leute, immer dieselben Getränke, immer dieselben Sprüche. Ich lasse meinen Blick durch die ungewöhnlich gut besuchte Kneipe schweifen. Heute sind auch ein paar fremde Gesichter drunter.
Und der Schnösel.
Kurz vor 19.00 Uhr läute ich die Glocke. Meine Stammgäste wissen schon, dass ich jetzt was zu allen sagen will, und halten ihre Klappe. Alle anderen merken das und machen es ihnen einfach nach.
„Leute, heute startet das Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Turnier. Darf ich alle, die mitspielen wollen, zum Fenster bitten?"

Sieben Leute setzen sich an zwei der Spieltische – und zwanzig Leute stellen sich drumrum. Auch der Schnösel steht.
Kapier ich nicht. Oder ... doch. Kapier ich.
„Ich freue mich, dass ihr heute miteinander spielen wollt. Ich erkläre einfach mal für alle die Regeln, damit auch die Zuschauer verstehen, was gleich hier passiert."
Es wird sehr still in der Kneipe, während ich die Spielregeln erkläre und ein paar Beispiele auf dem einen Spielbrett vorführe. Dann einigen sich die Spieler auf die Farben der Figuren und fangen an. Schnell zeigt sich, dass das Spiel den meisten nicht geläufig ist. Sie würfeln einfach und laufen drauflos. Bald gibt es viel Gelächter oder Geschimpfe, wenn jemand rausgeworfen wird. Es macht offensichtlich allen Spaß und läuft gut.

Ich gehe wieder hinter meinen Tresen und werfe nur ab und zu einen Blick zum Fenster. Die Spieler selbst kann ich lange gar nicht sehen, weil so viele drumrum stehen. Aber nach einer Weile lichtet sich der Kreis der Neugierigen. Die Leute wollen doch lieber im Sitzen was trinken oder Billard spielen. Da sehe ich, dass auch draußen vor dem Fenster ein paar Leute stehen und zuschauen.
Na, dass die nicht festfrieren!
Lange bleiben die Zuschauer draußen nicht, es ist einfach zu kalt. Aber die allgemeine Neugierde ist geweckt. Der Schnösel steht so, dass er einen guten Blick auf beide Tische hat. In der Hand hat er sein Guinness, seine Augen sind auf die Bretter geheftet.
Ich versteh den Typ echt nicht.
Allmählich macht er mich neugierig.

Nach einer halben Stunde zeichnet sich am Vierer-Tisch bereits der Sieger ab, weil die drei anderen nicht gut zusammenarbeiten. Am anderen Tisch gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die drei Kontrahenten schenken sich nichts, die Pöppel fliegen nur so im hohen Bogen raus. Aber gleichzeitig haben die Leute einen riesigen Spaß dabei, unterhalten sich gut und lachen viel. Weil die drei Leute bei aller guten Laune so konzentriert spielen und jedes Schlupfloch ausnutzen, dauert es eine ganze Weile, bis auch hier ein Sieger feststeht. Und das war wirklich ziemlich knapp. Aber die beiden anderen gönnen dem Sieger seinen Triumpf und sein hart erkämpftes Essen. Und der lädt seine Mitspieler ein, mit ihm zu teilen. Das gefällt mir.

Misi nimmt von den Siegern die Bestellungen auf, und mein Koch legt sich ins Zeug. Bald können die Leute ihren Gewinn genießen. Der Schnösel hat sein Bier ausgetrunken und ist schon verschwunden. Und ich weiß immer noch nicht, wo ich das Gesicht einsortieren soll. Seine Kleidung wird auch jeden Tag schlichter und unauffälliger. Ich kann erkennen, dass es alles Markenware ist, aber auf den ersten Blick unterscheidet er sich nicht mehr von den anderen hier.
Und das ist wahrscheinlich auch Zweck der Übung ...

Mit der Sperrstunde verlassen die letzten Gäste meinen Pub. Heute war so viel los, dass ich tatsächlich mal richtig müde bin. Ich kann noch überhaupt nicht einschätzen, ob die Spieler- und Zuschauerzahlen eher runtergehen werden, weil es irgendwann langweilig wird. Oder ob die raufgehen werden, weil die Zuschauer sich nach und nach auch an die Tische trauen werden. Ich muss jedenfalls morgen mal die Vorräte checken und überschlagen, ob ich mehr bestellen muss, damit ich im Zweifelsfalle schnell reagieren kann.

Ich mache den Tresen clean, packe die Billardkugeln und die Dartpfeile weg, schließe die Vordertür ab und schalte auf Nachtbeleuchtung um. Wieder wandert mein Blick zurück in den dämmerdunklen Raum. Dann gehe ich nachdenklich nach oben. Aber statt ins Bett zu gehen, stehe ich im Dunklen am Fenster, schaue raus auf die stille, verschneite Straße und sehe den Schneeflocken beim Tanzen zu.

Ich bin jetzt vierzehn Jahre hier. Ich habe vierzehn Jahre lang nicht daran gezweifelt, dass das hier mein Platz ist. Ich habe mir ein schönes Leben aufgebaut, verdiene gut – es läuft.
Aber irgendwie ... Quatsch, irgendwie. Ich weiß genau, warum ...
Das Gespräch mit Jimin, seine Angst, seine Not, sein Misstrauen, seine viel zu große Verantwortung – das hat mit einem Mal meine selbstzufriedene Mauer eingerissen, hat meine damalige Situation und meine heutige Einsamkeit wieder hervorgelockt.
Wie hat mein Vater damals gesagt? „Junge, komm nach Hause. Du kannst doch nicht deinen Lebenssinn darin sehen, für den Rest deines Lebens für chinesische Gartenzwerge Guinness zu zapfen!"

Boah, war ICH sauer! Diese Abfälligkeit war typisch für ihn.
Chinesische Gartenzwerge.
Der Mann war so ein Ignorant. Und ich hatte keine andere Möglichkeit gesehen, seiner Ignoranz und Arroganz und Herrschernatur zu entkommen als ... tja, als hier zu bleiben.

Ich bin in der gesamten Zeit nur noch einmal in Irland gewesen – zu seiner Beerdigung. Er hat mein Erbe aufs Pflichtteil herabgesetzt und den Rest meiner Schwester Nancy vermacht. Ich war gar nicht böse drum. Ich musste keine Verpflichtungen in der Firma übernehmen, meine Schwester hat mir meine Anteile mit einer großzügigen Summe abgekauft, um diese Ungerechtigkeit wieder gut zu machen. Sie hat auch Mummy „geerbt", und ich bin wieder abgeflogen. Nancy hat mich sogar schon zweimal besucht hier, denn wir verstehen uns wie eh und je richtig gut.

Aber jetzt nagt ein finsteres Loch in der Seele an meiner Zufriedenheit. War das alles? Will ich wie Jeongkwan für immer alleine in diesem Haus sitzen und irgendwann einsam sterben?
Naja – Jeongkwan ist wenigstens nicht einsam gestorben, denn er hatte mich ja von der Straße aufgelesen. Er war ein unglaublich genügsamer, zufriedener Mann. Er hatte einen leisen, verschmitzten Humor, eine große, tolerante und liebenswerte Seele und war mit seinem Schicksal völlig im Reinen.
Warum gelingt mir das nicht?

Warum gelingt mir das nicht, Jeongkwan? Ich vermisse deinen leisen, weisen Rat, deine Herzensgüte und deine Geduld. Rate mir, alter Mann. Was ist los mit mir?
Sein Gesicht taucht auf vor meinem inneren Auge, und seine leise Stimme flüstert mir in Gedanken die Antwort zu. Es war das letzte, was er mir sagen konnte vor seinem Tod.
„Du bist ein geselliger Mensch, Patrick. Du brauchst das Gewusel in der Kneipe. Aber auch sonst ... Bleib nicht allein in dem Haus. Finde Menschen, die zu dir passen und mit dir dort leben wollen. Du brauchst nicht nur einen Job. Du brauchst eine Aufgabe."

Ich habe das sieben Jahre lang ignoriert. Ich hatte ja immer viel zu tun. Aber jetzt taucht alles wieder auf. Ja, er hat recht gehabt. Nur – was ist meine Aufgabe? ... Sind Jimin und sein Bruder meine Aufgabe? Wie kann ich ohne koreanischen Pass auf zwei minderjährige, wer weiß wie auf der Straße gelandete Jungs legal aufpassen? Am Geld mangelt es nicht. Aber an den Gesetzen vielleicht.

Es wird sich rächen morgen Abend. Aber statt ins Bett zu gehen, schlappe ich wieder runter in die Kneipe, gehe in mein Büro und mache mich an die Bestelllisten. Kerzen verbrauchen sich ja immer gleich, egal, wie viele Leute an einem Abend da sind. Aber Servietten und Grundnahrungsmittel könnte ich mir schon ein bisschen auf Halde legen. Es ist 4.00 Uhr in der Früh, als ich mich schließlich doch in mein Bett aufmache. Nur, um da sofort wieder über meine „Aufgabe" nachzugrübeln. Der Schlaf will einfach nicht kommen.

Resigniert schalte ich meinen Wecker aus.
Verrutscht morgen halt alles ein „bisschen" nach hinten ...

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1.12.2020

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