19 - Christian Weiß

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Der Himmel über Fulda war an diesem Morgen von einem gleichmäßigen Grau bedeckt, als sich eine Trauergemeinde auf dem alten Friedhof versammelte. Die kühle Luft war still, als wäre sie selbst in Trauer erstarrt. Die Aussegnungshalle, ein schlichtes Gebäude aus dunklem Stein, stand würdevoll inmitten der alten Grabsteine und mächtigen Bäume, deren Blätter ein sanftes Rauschen von sich gaben.

Die Menschen, die sich hier eingefunden hatten, bildeten eine mittelgroße Gruppe, die sich respektvoll um die offene Tür der Halle verteilte. Manche standen allein, die Köpfe gesenkt, andere hielten sich an den Händen, suchten Trost in der Berührung. Rose stand mit Janine ganz am Rand, hielt sich ganz bewusst im Hintergrund und wahrte eine Distanz zu den anderen Trauernden. Sein Körper schmerzte vom Sitzen während der langen Fahrt. Aus der Menschentraube in schwarz stach er mit seinem dunkelblauen Sakko hervor, etwas dunkleres hatte seine Reisegarderobe leider nicht hergegeben. Janine hingegen hatte ein schwarzes Kleid, das perfekt an ihr saß, aus einem ihrer Koffer gezaubert.

Direkt vor dem hölzernen Sarg stand eine Frau - offensichtlich die Witwe, die sich sichtbar schwer tat die Fassung zu bewahren. An ihren Händen hielt sie zwei Kinder: Ein Mädchen und einen Jungen. Seine Beobachtung traf Rose wie einen Schlag. Er hatte nicht gewusst, dass Christian Weiß eine Familie mit solch kleinen Kindern hinterlassen hatte.

Vor den Hinterbliebenen, direkt neben dem Sarg stand der Pfarrer, ein Mann mit sanften Augen und einer ruhigen Ausstrahlung, der die Trauerrede hielt. Seine Stimme war klar und tröstend, als er von dem Leben sprach, das nun vorüber war, und von den Erinnerungen, die bleiben würden. Er sprach von der Vergänglichkeit des Lebens und der Hoffnung, die über den Tod hinausreicht.

„Wir sind heute hier versammelt," begann er, „um Abschied zu nehmen von Christian Weiß, einem geliebten Ehemann, Vater, Freund und Mitglied unserer Gemeinschaft. Christian hat uns unerwartet verlassen, doch die Spuren seines Lebens, seiner Liebe und seiner Taten bleiben bei uns. Christian war ein Mann voller Lebensfreude und Leidenschaft. Seine Liebe zum Motorradfahren war für uns alle spürbar. Es war mehr als ein Hobby für ihn – es war ein Ausdruck seiner Freiheit und Unabhängigkeit. Auf der Straße, mit dem Wind im Gesicht, fand er Frieden und Glück. Diese Momente der Freiheit, die er so genoss, werden wir in unseren Herzen bewahren."

Die Worte des Pfarrers schienen die Herzen der Anwesenden zu erreichen, einige nickten zustimmend, andere wischten sich eine stille Träne aus dem Augenwinkel. Es war ein Moment des Innehaltens, ein Moment, in dem die Welt außerhalb des Friedhofs nicht zu existieren schien.

„Als aktives Mitglied unserer Kirchengemeinde hat Christian seine Zeit und Energie großzügig gegeben", fuhr der Geistliche fort, „Er war immer bereit, zu helfen, zu unterstützen und seinen Beitrag zu leisten. Sein Glaube war tief und aufrichtig, und er lebte ihn durch Taten der Nächstenliebe und des Mitgefühls. Für seine Familie war Christian ein Fels in der Brandung. Seine Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern war unerschütterlich. Er war ein liebevoller Ehemann, ein fürsorglicher Vater – ein Held für seine Kinder. Die Lücke, die er hinterlässt, ist groß, doch die Liebe, die er gab, wird ewig Bestand haben. Wir trauern heute um einen Menschen, der uns viel bedeutet hat. Wir trauern um die gemeinsamen Momente, die nun Erinnerungen sind. Aber wir sind auch dankbar. Dankbar für die Zeit, die wir mit Christian teilen durften. Dankbar für die Lektionen, die er uns durch sein Leben gelehrt hat.

Lasst uns in dieser Stunde zusammenstehen, uns gegenseitig stützen und Trost finden in der Gemeinschaft. Lasst uns die Erinnerung an Christian Weiß ehren, indem wir die Werte leben, die er uns vorgelebt hat: Liebe, Leidenschaft und Gemeinschaft. Jeder von uns trägt ein Bild von ihm in seinem Herzen, ein Bild, das uns auch in dunklen Zeiten Licht spenden kann."

Als die Rede endete, senkte sich eine tiefe Stille über die Versammlung. Nur das leise Knistern der Blätter und das ferne Läuten einer Kirchenglocke durchbrachen die Stille. Die Trauergemeinde verharrte einen Moment lang in dieser Stille, bevor sie sich langsam in Bewegung setzte, um dem Sarg den letzten Weg zu bereiten.

Der Friedhof in Fulda, an diesem bewölkten Tag, wurde zu einem Ort des Abschieds, aber auch zu einem Ort der Erinnerung und der Hoffnung – ein stilles Zeugnis der Zyklen des Lebens.

An Christian Weiß' letzten Ruhestätte angekommen, wurde der Sarg langsam in das Grab hinabgelassen.

Der Pfarrer ergriff erneut das Wort: „Christian Weiß engagierte sich in der Kirchengemeinde und verhalf einem Gospel-Chor zu einigen Auftritten während unserer Gottesdienste. Ruthie hier überbringt die große Anteilnahme des Chors und hat angeboten einen Blues zu Christians Gedenken darzubieten."

Der Pfarrer zeigte auf eine farbige Frau, die elegante Trauerkleidung trug. Ihr Haar hatte sie zu Dreadlocks geflochten. Mit einer eingängigen Stimme, die bei allen Anwesenden Gänsehaut hervorrief, begann sie zu singen.

Oh Lord remember me
Oh Lord remember me
When these chains get broken, set my body free
Oh Lord remember me

Days get long, I call your name
Days get long, I call your name
Days get long, can't see right from wrong
Oh Lord, I call your name

Guide me on to do your will
Guide me on to do your will
When trouble move me, keep me standing still
Guide me on to do your will

Oh Lord remember me
Oh Lord remember me
When chains get broken, set my spirit free
Oh Lord remember me

When these chains get broken, set my spirit free
Oh Lord remember me

Als sie ihr Lied beendet hatte, warf Ruthie eine Rose in das Grab hinab. Ein paar Trauergäste weinten, andere klatschten verhalten.

„Wir gedenken Christian Weiß. Möge er in Frieden ruhen. Amen."

Nacheinander gingen die Trauernden nun zum Grab, hielten inne, nahmen Abschied. Manche warfen Blumen hinab oder legten Grabgestecke ab, während andere mit einer Schaufel Erde in das Grab gaben.

Rose machte keine Anstalten, zum Grab zu gehen. Er stand wie angewurzelt da.

„Entschuldigen Sie, kannten Sie Herrn Weiß gut?" fragte eine Frau Rose. Er hatte nicht gemerkt, dass sie so nah neben ihm und Janine stand.

Er nickte langsam. „Nunja, Christian war ein Kindheitsfreund von mir. Wir haben einiges durchgemacht. Aber wie das Leben so spielt, haben wir uns über die Jahre aus den Augen verloren."

Die Ärztin lächelte sanft. „Das tut mir leid. Aber ich möchte Ihnen etwas sagen, das vielleicht ein kleiner Trost sein kann." Sie machte eine kurze Pause, als würde sie nach den richtigen Worten suchen. „Ich war die Notärztin, die als erstes zum Unfallort kam, als es passiert war. Christian war Organspender. Und durch seinen Tod hat er sechs Menschenleben gerettet."

Rose hob überrascht den Blick. „Sechs Menschen?"

„Ja," fuhr sie fort, „sein Herz hat ein kleines Mädchen bekommen, das ohne dieses Geschenk den Tag nicht überlebt hätte. Den kleineren Teil seiner Leber erhielt ein Kleinkind, und der größere Teil ging an jemanden, der in etwa so alt war wie er. Eine seiner Nieren gab Hoffnung an ein Kind, und die andere an einen Patienten Anfang 40. Mit seiner Lunge konnte das Leben eines 60-Jährigen gerettet werden."

Er stand da, überwältigt von der Tragweite dieser Worte. „Das ist... das ist unglaublich."

„Ja," sagte sie, „es ist wunderschön und zugleich zutiefst traurig. Diese Menschen, denen er das Leben gerettet hat, werden ihn sicher niemals vergessen. Christian lebt in ihnen weiter."

Ein Lächeln, bitter und süß zugleich, umspielte seine Lippen. „Dieser Gedanke hat etwas sehr tröstliches."

„Ja, allerdings. Kommen Sie noch mit zum Leichenschmaus?"

„Ich denke nicht..."

„Kommen Sie ruhig mit. Es ist nicht weit. Das Gasthaus liegt direkt neben dem Friedhof."

*📱*

Rose saß zusammen mit Janine etwas abseits in der Ecke des Saals, der für den Leichenschmaus hergerichtet worden war und genehmigte sich ein Häppchen. Die Stimmung war gedämpft, die Gespräche leise, während die Trauergäste sich an den Tischen versammelten. Rose hatte sich erneut bewusst im Hintergrund gehalten, beobachtete die Szenerie aus der Distanz, das leise Klirren von Geschirr und das gelegentliche Lachen, das trotz der Trauer durch den Raum hallte.

Plötzlich näherte sich der kleiner Junge, den die Witwe an der Hand gehalten hatte. Mit großen Augen blickte er neugierig umher. Rose schätzte Christians Sohn auf etwa vier Jahre. Er schien die Schwere des Anlasses nicht ganz zu erfassen, seine kindliche Unbefangenheit bildete einen starken Kontrast zur sonst so ernsten Atmosphäre. Der Junge kam direkt auf Rose und Janine zu.

„Hallo," sagte das Kind mit einer klaren, jungen Stimme, die Rose aus seinen Gedanken riss.

„Hallo", antwortete Rose, überrascht von der direkten Ansprache des Kindes.

„Ich heiße Maximilian. Wie heißt du?" fragte der Junge mit einem unschuldigen Lächeln.

Maximilian. Das konnte kein Zufall sein. Christian hatte seinen Sohn nach ihm benannt, trotz dass sie sich eigentlich kaum gekannt hatten.

Rose schluckte, spürte, wie ihm der Atem stockte. „Ich... ich heiße auch Maximilian," erwiderte er schließlich, die Bedeutung des Moments erfassend.

„Das ist ein schöner Name", sagte der kleine Maximilian fröhlich. „Mein Papa hat gesagt, das ist ein starker Name."

Rose nickte, ein warmes Gefühl breitete sich in seiner Brust aus, trotz der Traurigkeit, die den Tag überschattete. „Ja, das ist es. Ein sehr schöner Name. Es gab sogar Könige, die so hießen."

Der Junge blickte Rose mit seinen großen, fragenden Augen an. „Bist du ein Freund von meinem Papa?"

Rose musste kurz innehalten, bevor er antwortete. „Ja, ich war ein Freund deines Papas. Wir haben uns vor langer Zeit gekannt."

Maximilian schien zufrieden mit dieser Antwort und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Papa hat viele Freunde," sagte er stolz. „Jetzt habe ich auch einen Freund, der Maximilian heißt."

Rose fühlte, wie ihm die Worte des Jungen nahegingen. In diesem kleinen Jungen lebte ein Teil von Christian weiter, und Rose fühlte eine unerwartete Verbindung zu ihm. „Ja," sagte Rose leise, „jetzt hast du einen Freund, der genauso heißt wie du."

Rose merkte, wie Janine schluchzte.

Der Junge nickte und lief dann durch den Saal zurück zu seiner Mutter, die ihn mit offenen Armen empfing. Rose beobachtete sie einen Moment, dann wandte er sich dem Fenster zu, blickte hinaus auf den Friedhof.

„Ich glaube, ich möchte doch noch einmal zum Grab gehen", sagte er.

„Soll ich mitkommen, oder möchtest du alleine sein?", fragte Janine mitfühlend.

„Ich muss das alleine tun. Ich brauche nicht lange."

Rose stand auf und verließ den Saal. Wieder zurück auf dem Friedhof, knirschte der Kies unter seinen schwarzen Herrenschuhen, als er sich seinen Weg zwischen den Grabsteinen bahnte. Der Friedhof lag nun ganz still da, nur das ferne Geräusch des Verkehrs erinnerte daran, dass das Leben außerhalb dieser Mauern weiterging.

Alleine am Grab, fühlte Rose sich in der Lage seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Mit einem tiefen Seufzer beugte er sich vor zum Grab und flüsterte: „Es tut mir so leid, kleiner Bruder. Ich wollte dich immer beschützen, dir das Leben ermöglichen, das du verdient hast. Aber jetzt ist es so unerwartet schnell vorbei, und dabei wollte ich dir noch so viel sagen. Du hattest scheinbar ein wunderbares Leben und noch etliche glückliche Jahre vor dir. Es bricht mir das verdammte Herz, dass sie dir verwehrt bleiben."

Die Stille, die auf seine Worte folgte, war erdrückend. Rose fühlte, wie die Trauer ihn zu erdrücken drohte, als plötzlich eine Stimme hinter ihm die Stille durchbrach.

„Für meinen Mann waren Sie stets wie ein Held. Er hat so viel von Ihnen erzählt. Er wäre sehr dankbar gewesen, wenn er wüsste, dass Sie heute hergekommen sind."

Rose drehte sich um und sah in das Gesicht der Witwe, deren Augen voller Tränen standen. „Ein Held? Ich? Nein! Er kannte mich ja kaum. Sie müssen wissen, ich bin ziemlich kaputt und voller Fehler, manchmal nur eine Hülle, eine Erinnerung an eine Person, die ich vielleicht früher einmal hätte werden sollen. Mein Leben ist ziemlich im Arsch, müssen Sie wissen. Das Leben eines Helden, sieht definitiv anders aus."

„Sie haben ihn vor einem schlimmen Schicksal bewahrt," sagte sie sanft.

„Damit er nicht auch so wird wie ich. Damit zumindest er die Chance hat auf ein normales Leben. Es war das Mindestmaß an Zivilcourage, das man aufbringen sollte. Seither versinke ich in Selbstmitleid und den ewigen Versuchen der Verdrängung in der Hoffnung, mit allem abschließen zu können. Ihr Mann dagegen ist ein Held! Ich hörte, er hat sechs Menschen das Leben verlängert! SECHS! Auch Kindern, das ist wirklich bemerkenswert!"

„So lebt er weiter, in unseren Erinnerungen und in diesen sechs Menschen", erwiderte sie. Rose umarmte sie lange. Nach einer Weile lockerte er die Umarmung und ließ Frau Weiß alleine am Grab zurück. Als er wieder zum Gasthaus ging, hallten die Worte der Witwe in ihm nach. Sie machten ihm klar, dass er Christian mehr bedeutet hatte, als er angenommen hatte, und er bereute es noch mehr, dass er nicht eher den Kontakt zu ihm gesucht hatte. Nur ein einziges Gespräch, hätte er mit ihm führen wollen. Jetzt war es dafür zu spät.

Rose ging, die Worte der Witwe im Ohr, und spürte, wie eine Veränderung in ihm vorging. Er wollte nicht mehr der Mensch sein, der in Selbstmitleid versinkt. Sein Leben, so wie es bisher stattgefunden hatte, führte nirgendwohin. Er wollte ein Held sein, so wie Christian Weiß. Er wollte ein freudiges Leben anstreben, vielleicht sogar mit einer Familie. Mit einem neuen Entschluss im Herzen verließ Rose den Friedhof, bereit, sein Leben zu ändern und dem Beispiel seines verlorenen Freundes zu folgen.

Als er wieder in den Saal eintrat, suchten seine Augen nach Janine. Sie war nicht an ihrem Tisch sitzen geblieben. Natürlich nicht. Sie war ein kontaktfreudiger Mensch und würde sich alleine nur langweilen. Rose durchquerte den Raum erneut, doch er konnte sie nirgends finden. Er fragte andere Trauergäste, doch niemand wusste, wo die blonde Frau abgeblieben war.

Rose wurde nervös. Er ging wieder hinaus und blickte sich suchend um. Er sah Christians Kinder miteinander spielen. Er ging auf die beiden zu.

„Da ist ja mein Freund Maximilian."

„Schau mal, Julia! Das ist mein neuer Freund. Wir haben den selben Namen", erklärte der Kleine seiner Schwester, die beeindruckt zu Rose hochsah.

Rose ging in die Hocke um auf Augenhöhe mit den Kindern zu kommen.

„Sagt mal, habt ihr die Frau gesehen, mit der ich hier bin?"

Das Mädchen schüttelte den Kopf, doch der kleine Maximilian dachte nach. „Ja", antwortete er schließlich, „sie ist in ein Auto gestiegen."

„Bist du ganz sicher?"

„Ja."

„Was war das für ein Auto?"

„Es war eins ohne Fenster hinten."

„Meinst du einen Lieferwagen?"

„Ja."

„War da noch jemand bei ihr?"

„Ja, ein Mann."

„Wie sah er aus?"

„Ganz normal."

Rose wandte sich an das Mädchen: „Hast du das auch gesehen?"

Das Mädchen schüttelte schüchtern den Kopf.

„Und ist sie ganz normal eingestiegen, oder fandest du etwas komisch?"

Der Junge überlegte angestrengt.

„Die Frau sah müde aus. Bestimmt fährt sie der Mann mit dem Auto nach Hause, damit sie schlafen kann."

Rose stockte der Atem. Panik kam in ihm auf und seine Hände begannen zu zittern, doch er wollte vor den Kindern nicht komplett durchdrehen, so wie er es in diesem Moment am liebsten getan hätte.

„Ist die Frau deine Freundin?", wollte der Bub nun wissen.

Rose hielt einen Moment inne. „Ich wünschte, sie wäre es."

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro