8 - Die Tochter des Landrats

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Als der Streifenwagen sich in der Blechlawine auf dem Stadtring-Süd eingereiht hatte, fragte sich Rose, was wohl so wichtig sein konnte, dass man ihn so dringend von einem Tatort abberufen musste. Außer, dass Lechner dahintersteckte, war bislang nichts aus dem Streifenpolizisten herauszubekommen gewesen. Ein Notfall konnte es nicht sein, da sie sonst das Blaulicht eingeschaltet hätten. Die Sonderrechte wären bei diesem Stau allerdings wirklich sehr nützlich gewesen. Rose sah aus dem Fenster und beobachtete die anderen Autofahrer, die genervt hupten oder gelangweilt vor sich hin starrten. Es war nicht mehr weit bis ins Steinbachtal - im Grunde mussten sie nur noch über die Konrad-Adenauer-Brücke, doch bei dieser Verkehrslage würde das noch eine ganze Weile dauern. Er hasste es, im Stau zu stehen. Dann fühlte er sich immer so, als würde er in einer Falle feststecken.

„Und was will Lechner so Dringendes von mir?", fragte er.

„Er hat nicht viel gesagt. Eigentlich hat er nur eindringlich verlangt, dass ich Sie in der Nürnberger Straße aufsammle und in die Dirk-Nowitzki-Straße bringe. Ich konnte nur noch aufschnappen, dass es wohl einen Vorfall gegeben haben muss, in dem ein Politiker verwickelt sein soll."

„Einen Mord?"

„Nein, ich glaube nicht. Zumindest ist mir darüber nichts bekannt. Ich denke eher an einen Einbruch."

„Ein Einbruch? Was hat Lechner damit zu schaffen? Er leitet das Morddezernat!"

Der Polizist blickte beschämt aus der Frontscheibe. Er wusste keine Antwort.

Rose schnaufte genervt laut auf. Mit was wollte sein Vorgesetzter ihn nun schon wieder drangsalieren? Konnte er ihn nicht einfach in Ruhe seinen Job machen lasse, ohne ihn in irgendwelche politischen Intrigen zu verwickeln?

Eine Viertelstunde später hielt der Streifenwagen vor einem Mehrfamilienhaus in einer ruhigen Wohngegend, wie sie typisch für das Steinbachtal war. Das Steinbachtal war eine der begehrtesten Wohnlagen in der Stadt. Rose verstand nicht genau wieso das eigentlich so war, denn die meisten Straßen lagen an einem Hang, der nach Osten ausgerichtet war, wodurch die Häuser so gut wie gar keine Abendsonne abbekamen, doch wahrscheinlich war es der kurze Weg in die Natur, der die Reichen und Schönen, die sich von der Hektik und dem Lärm der Innenstadt abgrenzen wollten, dazu bewegte hier zu leben. Die Häuser waren groß und gepflegt, die Gärten waren grün und blühend, die Straßen sauber und - zumindest für gewöhnlich - sicher. Mehrere Polizeiautos hatten sich bereits eingefunden und ein eigens dafür abgestellter Beamte hatte große Mühe, die schaulustigen Anwohner, die so ein Polizeiaufgebot in ihrer Nachbarschaft abseits eines Spieltages der Kickers noch nie erlebt haben dürften, im Schach zu halten.

Dieser grüßte Rose mit einem Nicken als er aus dem Wagen stieg. „Einfach durch die Tür und nach oben", wies er Rose an.

Mit einer Mischung aus Neugier und Anspannung ging Rose durch die Haustür in das Treppenhaus, in dem bereits Stimmengewirr aus dem oberen Stockwerk zu vernehmen war. Es hallte auf den kalten Steinfliesen der Treppe wider und klang hallend, sodass das Gesagte kaum zu verstehen war. Er hörte eine weibliche Stimme, die schluchzend und verzweifelt klang. Er hörte noch andere Stimmen, die fragend und mitleidig klangen. Er spürte, dass hier etwas Schlimmes passiert sein musste. Was genau würde er schon bald erfahren.

Eilig nahm Rose gleich zwei Stufen auf einmal und trat durch eine Wohnungstür.

In der modern eingerichteten Wohnungen waren mehrere Personen anwesend. Einige Polizisten untersuchten gerade Fenster und Türen auf mögliche Einbruchspuren. Er durchquerte den Flur und gelangte in das Wohnzimmer, wo ihm eine junge Frau auffiel, die mit einer Rettungsdecke um die Schultern und einer Tasse Kaffee auf einem cremefarbenen Ledersofa saß. Sie war blond und hübsch, aber ihr Gesicht war blass und verängstigt. Sie hatte Tränen in den Augen und zitterte am ganzen Körper. In der Mitte des Wohnzimmers erkannte er Lechner im Gespräch mit einem Mann, der ihm ebenfalls bekannt vorkam. Nach einem kurzen Augenblick des Überlegens wusste Rose ihn auch zuzuordnen: Es war Eberhard Schöne, Landrat des Landkreises Würzburg. Rose kannte ihn als einen einflussreichen Politiker, der für seine konservativen und populistischen Ansichten bekannt war. Er war oft in den regionalen Medien präsent, wo er sich zu verschiedenen Themen äußerte. Er galt als umstritten und polarisierend. Durch seinen ganz eigenen Stil der Politik, hatte er viele Anhänger, aber auch viele Kritiker.

In den Augen seiner Anhänger war er ein Verteidiger alter Werte, ein Politiker, der sich nicht scheute, gegen den Strom zu schwimmen und die Interessen des Landkreises über alles zu stellen. Sie sahen in ihm einen Führer, der mit fester Hand regierte und die Geschicke des Landkreises lenkte. Seine Reden waren voller Pathos und appellierten an das Gefühl der Zusammengehörigkeit und des Stolzes auf die Heimat.

Seine Kritiker hingegen warfen ihm vor, seine Macht zu missbrauchen und seine Position auszunutzen, um persönliche Ziele zu verfolgen. Sie beschuldigten ihn der Engstirnigkeit und des Populismus, der die Menschen spaltete statt sie zu vereinen. In ihren Augen war er ein Machtmensch, der seine Autorität nutzte, um Kritik zu unterdrücken und seine eigene Agenda durchzusetzen. Böse Zungen - sogar aus seiner eigenen Partei - behaupteten, er würde viel zu oft Emotionen anstatt Offenheit und Sachlichkeit walten lassen und nicht selten sein Amt so auslegen, wie es ein absolutistischer Herrscher getan hätte. Der Landkreis Würzburg war sein Reich und keiner seiner Untertanen würde dies je wagen zu bestreiten. Lechner hatte freundschaftlich seinen Arm um ihn gelegt und redete beruhigend auf ihn ein.

„Eberhard, ich sage dir, wir finden den Kerl! Deiner Tochter wird nichts passieren!"

„Ich nehme dich beim Wort, Bernd! Es ist eine Schande, dass so ein Verbrechen hier überhaupt bei hellem Tag versucht wird und noch dazu in dieser eigentlich guten Wohngegend!" Tränen und ein hochroter Kopf zeichneten den Landrat, den Rose sonst nur von Fotos aus der Zeitung kannte, in denen er stets ein übertriebenes Grinsen aufgelegt hatte.

Lechner blickte kurz von Schöne auf und traf Roses Blick. Dann wandte er sich wieder dem Politiker zu. „Zum Schutz deiner Tochter stelle ich meinen besten Mann ab!", versprach Lechner seinem Freund, „Rose, kommen Sie mal her!"

„Was gibt es denn? Ich komme gerade direkt von einem Tatort!"

„Vor wenigen Stunden wurde in diese Wohnung eingebrochen und ein Einzeltäter hat versucht, die hier alleinlebende Janine Schöne entweder zu entführen oder ihr Gewalt anzutun. Da sie die Tochter meines guten Freundes Eberhard Schöne ist und mir ihre Sicherheit daher ein ganz besonderes Anliegen ist, beauftrage ich Sie mit sofortiger Wirkung mit dem Personenschutz von Frau Schöne. Sorgen Sie dafür, dass ihr kein Haar gekrümmt wird. Am besten, Sie schaffen Sie erstmal ganz weg, irgendwohin in Sicherheit!"

Na toll, ich darf das Kindermädchen spielen, dachte sich Rose. Er würde viel lieber seine Ermittlungen weiterführen, aber er wusste, dass etwas, das sich Lechner in den Kopf gesetzt hatte, nicht mehr zu ändern war. Er wollte es dennoch versuchen: „Aber was ist mit meinen derzeitigen Ermittlungen? Es haben sich kürzlich jede Menge Entwicklungen ergeben..."

Umgehend wurde er vom Kriminaldirektor unterbrochen: „Machen Sie sich darüber keinen Kopf. Die Ermittlungen werden von Böhme und Engelhardt fortgeführt. Ihre Aufgabe ist nun voll und ganz die Sicherheit von Frau Schöne."

Böhm zusammen mit Engelhardt! Rose war schockiert von dieser Idee seines Vorgesetzten, die er gerne als aberwitzig bezeichnet hätte, doch war ihm klar, dass eine Diskussion vor einem einflussreichen Mann wie dem Landrat kein gutes Licht auf die Kriminalpolizei werfen würde, was ungeahnte Folgen haben konnte.

„Ich werde sehen, was ich tun kann", antwortete er schlicht und diplomatisch. Eine Diskussion wäre in diesem Augenblick unangebracht und ohnehin nicht zielführend gewesen.

Lechner schien diese Antwort nicht ganz zu gefallen, aber er akzeptierte sie.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro