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Paule ist morgens der einzige in der Familie, der aufsteht. Oma ist meist schon mitten in der Nacht unterwegs, versucht die schlafenden Ziegen zu füttern, die schlummernde Kuh zu melken oder verbrennt oben am Waldrand Müll. Paule hat ihr schon zig Mal gesagt, dass das nicht geht, doch sie will nicht hören oder kann nicht hören oder beides. Tiere brauchen auch ihre Ruhe sonst wird das Fleisch zäh und die Milch bleibt wässerig. Auf seine Mutter braucht er nicht zu bauen, die ist komplett dem Fusel verfallen, weiß der Geier, wo sie den herbekommt, wahrscheinlich klaut sie ihn unten bei Roddenmeiers Sparmarkt oder sie hat bei bei Heinis Blubberbar wieder ihre Möpse gezeigt und dafür ein paar Flaschen gratis gekriegt.

Alles sehr traurig, findet Paule, doch nicht so traurig wie bei Rotze. Nicht umsonst ist der so fett. Der futtert aus Frust. Lecker Essen regt das Hirn dazu an, Glückshormone auszuschütten. Daran kann ein Körper sich gewöhnen und schwupp ist es um einen geschehen. Auch diese Superfakts hat er von Sascha. Der Klugscheißer mit seinem Pferdeschwanz weiß eine Menge, bildet sich auch eine Menge darauf ein und schüttet seine Klugheit Paule in Kübeln vor die Füße. Manchmal bückt sich Paule und hebt ein bisschen davon auf. Manchmal. Manchmal auch nicht.

Rotze jedenfalls hat gar keine Eltern, jedenfalls keine, die er kennt. Seine Mutter hat ihn irgendwo im Wald in einem Heidelbeergebüsch geboren und ihn dort liegengelassen. Arme Sau! Der Holzfäller Jan Spilleke hat ihn gefunden und mit nach Hause genommen. Da war die Freude groß, die Spillekes hatten nämlich keine Kinder, weshalb auch immer. Rotze bekam einen Namen. Robert. Robert Spilleke. Es fehlte ihm an nichts. Er bekam ein eigenes Zimmer, hatte einen Hund, einen Silver Reziefer, Spezialmischung, ne Menge Spielzeug, Roller, Fahrrad, Baumbude und ne eigene Axt zum Feuerholz machen. Mit sechs Jahren jedoch war die Party zuende, denn mit sechs beginnen sich die Werkinder zu verwandeln. Beim ersten Vollmond biss Robert seiner Mutter ins Bein, knabberte seinem Vater das Ohrläppchen ab, band den Hund draußen am Holzschuppen fest und warf mit der Axt nach ihm. Zum Glück traf Rotze nicht. Robert Rotze kam ins Heim. Das war ein riesiger Vertrauensbruch hoch drei, weg von den Bezugspersonen, andere Ungebung und so weiter, das bekam ihm schlecht. Schon nach vier Wochen musste er das Heim wechseln, weil sie mit ihm nicht klarkamen. Rotze wohnt bis heute im Kinderheim auf der Traudelhöhe, zwanzig Minuten braucht er mit dem Fahrrad bis zur Schule, im Winter auch schon mal das doppelte an Zeit, ständig kommt er zu spät.

Schon wieder diese weichen Gedanken. Weg mit euch, ganz weit weg! Loch buddeln, Gedanken rein, Spritt drüber, anzünden, zuschaufeln und ein dichter Zaun drumherum. Paule will hart sein, muss hart sein. Ein echter Anführer ist skrupellos, unbestechlich, ein Fels in der Brandung, die dickste Eiche im Wald. Trüddelige Weicheier-Phantasien sind ihm fremd.

An den Dreckspuren in der Küche und im Flur sieht Paule, dass Oma Canusa heute Nacht wieder auf Achse war. Er legt das Ohr an ihre Tür. Seit sie auf den Händen läuft, klingt Omas Schnarchen wie ein röchelndes Mofa. Das kann auf Dauer nicht gesund sein. Wenn er den Kobolden das nächste Mal einen Verkaufsbesuch abstattet, muss er sie nach einem praktischen Hilfsgerät, einer speziellen Apparatur fragen, die Oma in ihrer prekären Situation auf die Sprünge hilft. Kobolde verfügen über Dinge, die einem normalen Dunkelfurter nicht mal im Traum einfallen.

Paule zieht sich Hose und T-Shirt über, springt in seine Sneakers, greift sich noch eine verbogene Scheibe Toast und eine dunkelbraune Banane vom Tisch und macht sich auf den Weg zur Schule. Der Nebel hängt heute Morgen ziemlich tief im Tal. Paule friert. Er muss an den Trip von gestern Nacht denken, an die rosa Zuckerwolke mit den Wahnsinns-Blitzen und der Feuerkraft eines ganzen Werwolf-Bataillons. Viel Ahnung hat Paule vom Soldatenkram nicht, doch er denkt an Oma Canusas olle Kamellen, die sie abends am Tonnenfeuer im Garten erzählt, in denen es von starken Werkerlen, unbesiegbaren Mitgliedern der Schwarzrock-Sippe nur so wimmelt, obwohl doch in der Schlacht um Dunkelfurt damals alles den Bach runtergegangen ist.

Ein bisschen neugierig ist Paule schon, wie es Rotze geht, was Knackfloh macht und wie blöde Romeo aus der Wäsche guckt, wenn Paule ihn gleich am Schlafittchen packt, von wegen nicht mit zum Försterhaus kommen und stattdessen zur Poolparty schleichen.

Der Verkehr auf der Autobahn über seinem Kopf rauscht wie ein Wildbach voller Altmetall. Wasser tropft von der Brücke. Das alte Backsteinrelikt aus dem vorigen Jahrhundert macht heute Morgen einen besonders gruseligen Eindruck. Die hohen Bögen, das klatschnasse Mauerwerk, das Echo, welches Paule bei jedem Schritt von allen Seiten um die Ohren springt.
Er ist heute nicht hundertprozentig auf der Höhe, die letzte Nacht hat ihn unerwartet heftig mitgenommen. Eine Förstertochter-Fantasie, die sich als Luna entpuppte, eine tätowierte Kampfgöttin aus der elften Klasse, die ihn und die er zu allem Überfluss auch noch kannte. Dann die Falterköttel-Pillen und der Rauschflug über Dunkelfurt. Heftig, heftig.

Paule fühlt sich unwohl, ein sehr seltener Zustand. Hektisch blickt er sich um. Im Schatten der Brücke, steht da jemand? Manchmal wartet Rotze mit seinem verrosteten Fahrrad hier auf ihn, heute jedoch nicht. Paule blickt nach oben. Die Nebelschwaden dort oben, leuchten die nicht zuckerrosa, stülpen sie nicht kleine Ärmchen aus, die fuchtelnd nach ihm greifen wollen? Paule blinzelt. Der Spuk ist verschwunden.

Was ist heute los mit ihm? Es hat noch nicht einmal geklingelt und die Integrative ist bereits in Sichtweite. Er ist so früh dran, wie schon lange nicht mehr. Da unten am Schultor lungert Romeo rum und pafft eine seiner Selbstgedrehten, die er liebevoll
Dunkelfurzer nennt. Eigentlich genau Paules Humor, doch in Romeos Gegenwart lacht er nicht darüber. Den Gefallen will er ihm nicht tun.
Romeo ist nicht allein. An ihm lehnt
eine schlanke Gestalt und bläst ebenfalls ihren Qualm in den quisseligen Morgennebel.

Der Tag hat noch nicht mal richtig begonnen und Paule ist schon geladen wie 'n Waffenschrank. Da helfen auch Saschas Super-Tipps nicht mehr. Romeo hat nicht pariert und er fängt schon wieder an, mit diesen widerlichen Blauwolf-Mädels  rumzumachen. Wann kapiert er endlich, dass das nicht zusammen geht und niemals zusammengehen wird: die Oberloser von drüben aus der Konservenfabrik und die Super-Heros von der Autobahnsiedlung.
Komm her Romeo und lass dir die Visage verschönern!

Paule seufzt. Die Muckis und die strammen, sprungbereiten Beine sind leider Vergangenheit, sie kehren erst in einem Monat zurück. Während Paule auf Romeo und seine Blauwolf-Tussi zustratzt, muss er an Vaters Anzug denken, den er gestern Nacht demoliert hat. Wäre Vater noch zu Hause und entdeckte er das Disaster, das gäbe eine schöne Schlachteplatte. Hose runter, Arsch versohlen wäre nur die Vorspeise, als nächstes kämen Holzlatte, Gürtel und Fahrradkette. So viele Jahre danach, hier auf der Anhöhe, Nebel in der Frühlingssonne, die Schule in Sicht, fühlt Paule noch immer die Hilflosigkeit, die Wut, gleichzeitig das Verständnis für den Vater, der doch sicherlich Gründe hatte, seinen Sohn zu vermöbeln.

Paule muss ein starker Werwolf werden, der stärkste von allen und Vaters Prügel waren die Bewährungsprobe. Wenn er diese bestanden hat, dann kann ihm nichts und niemand jemals wieder etwas anhaben, da ist er sich hundertprozentig sicher.

Wie gut ihm dieser Groll in der Brust tut. Genau der richtige Overload, um Romeo endgültig klar zu machen, woher der Wind in diesem Tal weht. Völlig egal, dass es Paule gestern ganz gut in den Kram passte, allein zum Försterhaus zu tingeln, völlig egal. Es geht ums Prinzip. Nichts weiter. Romeo akzeptiert Paules Autorität nicht und dafür muss er bestraft werden. Ist Paule doch egal, wenn Romeo hinterher gar nichts mehr hört und gar nichts mehr sieht, nur noch auf allen Vieren rumkriechen kann. Aktion, Reaktion. So einfach ist das. Prima Nebeneffekt: Romeo wird endgültig unattraktiv für die Blauwolf-Mietzen.

Paule sprintet auf Romeo zu. Der sieht ihn rechtzeitig, wirft seine halbaufgerauchte Dunkelfurz weg und macht sich aus dem Staub. Die Schulglocke läutet. Romeo hat Paule nicht zu fassen gekriegt, also packt er seine Freundin und schüttelt sie völlig planlos. Ihre blonden Haare mit den blauen Spitzen schwingen hin und her wie die Lappen eines Wischmobs. Paule will irgendwas Gemeines mit dem Mädchen anstellen, weiß aber nicht genau was, außerdem stehen noch so viele Mitschüler auf dem Schulhof herum, er spürt, wie ihn irgendwas davon abhält, zu kratzen, zu klatschen, zu boxen. Komisch, hat ihm früher doch auch nichts ausgemacht, doch irgendeine unsichtbare Kraft hält seine Arme zurück. Er lässt das Blauwolf-Mädchen los und sieht hinüber zum Gebäudeeingang. Paule rechnet mit Saschas strafendem Blick, doch heute ist es nicht Sascha, der ihn mit seinen heraustretenden Glotzern fixiert. Es ist Luna mit ihren wundervollen hellblauen Augen, die seine Knie in Wackelpeter und seine Wut auf Romeo plus Freundin in reines, sonnendurchflutetes Nichts auflöst.

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