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„Sach ma, wo willst du denn noch hin?"
Paules Mutter streckt ihren struppigen Kopf aus der Schlafkammer. Ihre verquollenen Augen glühen blassgelb, die Ohren haben eine spitze Form angenommen. In der Hand hält sie eine Flasche Billigfusel. Mariacron.

„Und wie siehste eigentlich aus? Wie 'n Clown auf Abschiedstour! Ist das etwa der Anzug von dein Vadder?"
Sie rülpst.

Paule springt in seine Stiefel und will schon zur Tür raus. Mutter lässt nicht locker.
„Haste denn dein No-Wer genommen?"
Ne, hat Paule nicht genommen. Nicht heute, nicht letzten Monat und davor auch nicht. Er kriegt davon immer Ausschlag am Hals, das mögen die Mädels nicht und er erst recht nicht. Außerdem schmeckt das Zeug grauenvoll. Ein Mix aus Kirscharoma und Kernseife. Wer sich das ausgedacht hat. Wahrscheinlich so ein Regierungsheini aus der Hauptstadt. Paule kann sich schon denken, dass da irgendwer richtig gutes Geld verdient. Alle Wermenschen in Dunkelfurt müssen dieses Zeug schlucken. Ein Mal im Monat kommt ein Umschlag und alle paar Monate so ein kleingewachsener Kontrollfutzi von der Stadtverwaltung, zusammen mit zwei schwerbewaffneten Schränken von der Polente.

Paule verkauft das No-Wer an die Kobolde aus Dämmertann. Viel kriegt er dafür nicht. Zehn Pinunzen pro Lieferung, manchmal auch Naturalien, komische Gerätschaften, deren Funktion er nicht kennt oder bunte Tinkturen in kleinen Fläschchen, die er nicht zu trinken wagt. Weshalb die Kobolde so scharf auf das No-Wer sind weiß er nicht. Von Nachbar Kratzpelz hat Paule gehört, dass sie ihre Kinder damit füttern, weil sie glauben, dass ihre Plagen dadurch irgendwelche Superkräfte entwickeln. Bescheuert. Die Kobolde sind kleine verwachsene Wichte, die Paule höchstens bis zum Knie reichen.

Paule sieht es nicht ein, sich das Wersein verbieten zu lassen. Er macht was er will. Und heute will er wild sein. Er weiß, wenn sein Vater noch da wäre, der würde ihn am Schlawittchen packen und zurück in seine Kammer treten. Würde Oma nicht so verwachsen und schief sein, sie würde Paule die Hammelbeine langziehen. Bei Vollmond auf die Walz, sich unter die Dunkelfurter mischen, das geht gar nicht!

Eigentlich ist es völlig egal, was Paule seiner Mutter erklärt, sie kriegt sowieso nichts mehr mit. Trotzdem redet er mit ihr. Seine Mutter tut ihm nämlich leid bis es kracht. Und schließlich hat sie ihn auf diese verdammte Welt gepresst.

„Ich laufe nochma um die Siedlung, sehe nach dem rechten! War 'n komischer Tag heute, alle irgendwie bescheuert in der Schule und überhaupt! Spackos soweit das Auge reicht."

Die Schlafzimmertür knallt. Mutter ist gegangen ohne Paule zuzuhören. Macht ihn irgendwie traurig. Kann doch nicht sein, dass der pferdeschwanzige Sascha der einzige Typ weit und breit ist, der sich für ihn interessiert, der ihm zuhört, ihm in die Augen guckt und so weiter. Wenn Sascha ein Mädchen wäre, okay, dann wäre das was anderes, aber so.

Paule guckt auf sein haariges Handgelenk, das vor einer Stunde noch nackig war wie ein Babypopo, will die Zeit wissen, obwohl da gar keine Uhr ist. ne Uhr, wer hat hier im Viertel schon ne Uhr? Viel zu kostspielig. Auf dem Schulklo hat Paule mal eine Handyhülle gefunden. In Vaters Werkstatt hat er sich ein Stück Holz geschnappt und es so lange mit Schmirgelpapier bearbeitet, bis es wie so ein tragbares, cooles Telefon aussah. Vorne ein Stück Glasscheibe rein, schwarz angemalt und zack, fertig war das gute Stück. Interessiert doch eh keine Sau, ob das Ding funktioniert oder nicht. Hauptsache er kann sich was ans Ohr pressen, was so aussieht wie n' Telefon. Die Handhaltung hat Paule schon ganz gut drauf, den geknickten Hals auch, die nach oben verdrehten Augen oder den konzentrierten Blick auf den Boden während er frei erfundenes Zeug sabbelt, mit Leuten quatscht, die es nie gegeben hat und wohl auch nie geben wird.

Obwohl niemand mehr da ist, für den er eine Nummer abziehen muss, übt er schon mal für später, wenn er den bildhübschen Förstertöchtern gegenübersteht. Paule stellt sich vor den milchigen Flurspiegel. Er findet, dass er heute Abend ziemlich klasse aussieht.

„Oh, oh, da vibriert aber mächtig was in meiner Hose!"

Griff in die Arschtasche, Handy raus, das Ding lässig ans Ohr gepresst, die Förstertöchter fest im Blick. Anzügliches Grinsen. Die weißen Eckzähne blitzen.

„Ja Mann, habe ich doch gesagt. Hast wohl gedacht ich spinn rum! Gleich drei von denen. Hier vor meinen Äuglein. Eine hübscher als die andere. Ja Mann. Alle drei im Dirndl. Blonde Zöpfe, ordentlich Holz vor der ..., ja Mann, klar. Morgen in der Schule erzähl ich mehr, ja Mann!"

Druck auf die Glasscheibe, Holzhandy zurück in die Arschtasche. Klappt schon ganz gut. Doch eigentlich braucht Paule keine Übung, da ist er sich sicher. Wird ein Selbstläufer heute Abend.

Jetzt aber los, Romeo, Knackfloh und Rotze warten nicht ewig, und ein bisschen moralischen Beistand braucht er schon. Raus aus der Hütte, den schlammigen Pfad hinunter, an der Bahnböschung nach rechts den steinigen Hang hoch. Paule spürt beim Rennen seine Muskeln wachsen, der Anzug spannt tierisch. Fellborsten kratzen von innen, die Stiefel passen kaum noch, auch wenn sie ihm drei Nummern zu groß sind. Er greift sich ins Gesicht, das von einer fingerdicken Haarschicht bedeckt ist.

Noch über die Kuppe, an der Felsgruppe vorbei zum Waldrand, wo die Ruine der ehemaligen Wegwarte ihr trauriges, schauriges Dasein pflegt. Ein Vater soll hier vor hundert Jahren seine ganze Familie ausgelöscht und sich dann selbst gerichtet haben, erzählt man sich in Dunkelfurt. Fünf Kinder, eine schwangere Frau. Drei der Kinder spuken noch immer hier herum. Weshalb nur die drei und warum nicht die anderen beiden auch noch, weshalb nicht die Frau konnte nicht mal Sascha erklären. Paule hat die zerfledderten Kindergeister schon mal hier rumkriechen sehen und sie jammern hören. Ist aber schon lange her. Da war seine Oma Canusa noch okay und sein Vater noch nicht verschwunden.

Heute jedenfalls hat Paule keinen Bammel, heute fühlt er sich megastark. Bäume könnte er ausreißen.

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