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Wie ein riesiger Milchkeks hängt der Vollmond über den Tannenwipfeln. Scharfe Schatten wohin Paule auch sieht. Er linst hinauf zu den Fensterlöchern der alten Wegwarte. Ist da nicht jemand und glotzt zu ihm herunter, der Killerpapa oder eins seiner armen Gören? Ein leichter Wind kommt auf und heult um die bröckeligen Mauerreste. Schaurig!

Vorn an der Wegkreuzung entdeckt Paule zwei Schatten. Der eine lang und dünn, der andere kartoffelig mit Streichholzbeinen. Rotze und Knackfloh. Aber wo ist Romeo? Pippi machen?

„Ey, ihr Straßenköter!" Paule ringt sich ein Lachen ab. Rotze und Knackfloh heben ergeben die Hände zum Gruß und sabbeln irgendwas von endlich, schon lange gewartet, nicht schlimm, Hauptsache bist da und so weiter.

„Wo ist Romeo, der Schleicher?"

Knackfloh kratzt sich mit der einen Hand hinterm Ohr, mit der anderen popelt er in der Nase. Rotze hat irgendwas wahnsinnig spannendes an der Wegwartenruine entdeckt. Paule gibt beiden eine heftige Kopfnuss. Das kennen sie schon. Ist sowas wie ne Umarmung bei Paule. Rotze und Knackfloh grinsen blöde. 

„Und?"

Knackfloh kriegt heute Abend scheinbar gar nichts hin, Rotze bastelt sich ein paar Wortfetzen zusammen.

„Kommt nicht."

Paule glaubt, nicht recht verstanden zu haben.

„Was radebrechst du da?"

„Er kommt nicht."

Paule verschlägt es die Sprache. Das hier ist doch keine Einladung zum Ringelreihen, das hier ist ein Marschbefehl. Paule macht ne Ansage und die drei Kriecher haben zu parieren. Er denkt an Sascha und dessen supercoole Tipps. Einer davon: In Stresssituationen tief durchatmen, still bis zehn zählen. Wenn Paule das schafft, kriegt er immer einen von den leckeren Schokokeksen. Hier ist aber heute Abend kein Sascha und hier gibts auch keine Schokokekse, also weshalb springt Paule den beiden Saftsäcken nicht gleich auf den Buckel und zeigt ihnen, was ein wütender Chefwolf ist? Ratzfatz, schlabberlatz. Die zwei Langweiler nerven ihn sowieso schon zu lange.

Saschas zweiter Tipp: Ruhe und Beharrlichkeit gehen stets vor Eile und Hast. Hatter Recht der Sascha, denkt Paule. Mit dem Kopf durch die Wand funktioniert nicht. Klappt ja nicht mal zu Hause oder in der Schule, wie soll denn das als Herrscher über Dunkelfurt funktionieren? Paule ist stolz auf seine schlauen Gedanken, trotz eines verdrehten Körpers und dem ganzen Verwandlungsstress und Vaters Anzug, der ihm tierisch im Schritt kneift.

Er zählt bis fünf und fühlt sich schon viel ruhiger. Er zählt bis zehn und sieht seinen Kumpels in die blutunterlaufenen Augen, die dem Tod schon ins Antlitz geblickt haben.

Rotze sieht zum Steine erweichen blass um die Nase aus. Sein Gesicht flackert wie ein absaufender Kerzendocht.

„Hat gesagt, die Förstersache ist ihm zu heiß. Ist lieber zur Schwimmbadparty in Kleinwieselow gegangen. Irgendwas mit 'nem Mädchen, glaube ich. Hatte die Taschen voll mit No-Wer."

Rotze duckt sich beim Sprechen als würde er jeden Moment eins übergebraten kriegen. Und viel hat da ja auch nicht gefehlt. Die Schwimmbadpartys in Kleinwieselow sind legendär. Viele tolle Leute, die da alle eigentlich nicht hingehören. Kleinwieselow ist ein Menschenbad. Für Randexistenzen wie Paule, Romeo, Knackfloh oder Rotze ist der Ort tabu. Nicht mal Herr Franke, der Grottenolm mit den Riesenpranken, Paules Lehrer, darf da seine Quanten wässern. Am Eingang und rundherum am Zaun hängen Schilder. NICHTMENSCHEN BLEIBEN DRAUSSEN!

Einmal im Jahr jedoch, immer an einem anderen Tag, um die Polente zu verwirren, fallen sie dort ein, klettern über den Zaun, breiten ihre Badhandtücher aus und springen nackig ins Chlorwasser. Anschließend wird der Kiosk geplündert. Eis, Würstchen, Lollis, bunte Tüten so viel sie schlucken, kauen, fressen, auskotzen können.

Hinterher gleicht das Freibad einem Schlachtfeld, und wenn die Polente anrückt, dann sind die sogenannten  Randexistenzen längst über alle Berge.

Ja, eigentlich auch keine schlechte Abend-Unternehmung, denkt Paule, aber Saschas dritter Tipp hindert ihn an einer Planänderung: Wer A sagt, muss auch B sagen. Soll heißen, was du einmal begonnen hast, solltest du auch durchziehen. Also Abmarsch zum Forsthaus.

Stumm laufen sie nebeneinander her. Trotz des Mondes ist es hier im Wald extrem düster. Rotze versucht tatsächlich ein Lied zu pfeifen. Paule stößt ihm mit der Pranke in die Seite. Knackfloh will ein schlaues Gespräch beginnen.

„Warum hasten dein No-Wer nicht genommen, Paule?"

Nein, er will sich nicht erklären, weil es sowieso keinen Zweck hat. Knackfloh wird es nicht verstehen. Wird nicht verstehen, dass er strikt dagegen ist, gegen sein Naturell zu handeln, dass er für die Natürlichkeit des Werwolfs einsteht und so weiter und so fort. Bevor er irgendwas antworten muss, oder doch noch was dummes tut, sieht er goldenes Licht zwischen den Baumstämmen schimmern und verlangsamt seine Schritte. Knackfloh und Rotze machen sich ganz klein und verstecken sich hinter Paules breitem Kreuz.

„Digger, deine Jacke ist ja vollkommen im Arsch!"
Rotze ist bollestolz, dass er den klaffenden Riss in Paules Anzugjacke entdeckt hat, aus dem das Wolfsfell nach draußen drängt.

Paule zischt ihn an.
„Piepegal, Alter. Weißt doch, nur die inneren Werte zählen! Und jetzt, Augen geradeaus, da vorn ist das Forsthaus, da schlummern unsere süßen Zuckerpüppchen in ihren butterweichen Himmelbetten und träumen von einem gut aussehenden schnippischnappi Sahnewolf."

Einmal mehr fragt sich Paule, weshalb er diese Vollhonks eigentlich mitgeschleppt hat. Die Mädelinskis nehmen doch sofort Reißaus, wenn sie Rotze und Knackfloh erblicken, weil sie glauben, das Ende der Welt wäre gekommen.

Noch ein paar Schritte. Vorsichtig. Ganz leise. Über die umgestürzten Kiefern, an den schleimigen Leucht-Baumpilzen vorbei.

„Rotze! Pfoten weg!"

Rotze zuckt zusammen, stopft sich aber doch irgendwas ins Maul und kaut genüsslich.

Jetzt sieht Paule schon mehr von dem, was da vorn auf der lauschigen Lichtung abgeht.

Revierförster Udo Schigulla ist nicht blöd. Heute Nacht ist Vollmond. Eine Extremsituation für den Wächter des Waldes. Er weiß sich und die Seinen offenbar zu schützen. Flutlichtmasten rund ums Grundstück, Elektrozaun, drei Meter hoch, fiese Stacheldrahtrollen als Sahnehäubchen oben drauf. Finster dreinblickende Kerle in schlammfarbenen Uniformen patrouillieren mit sabbernden Höllenhunden. Immer wenn sie an dem offen stehenden Fenster im zweiten Obergeschoss der Förstervilla vorbeistapfen, legen sie die Hand an die Mütze und rufen:
"Geruhsame Nacht, holde Förstermaid!"

Oder ist das bloß der zunehmend stärker blasende Südwind, der die Baumwipfel zum Rauschen bringt und so seltsam quasselig in Paules Ohren säuselt? Vielleicht ruft auch nur einer von den Möchtegernsoldaten und die anderen halten die Klappe und Paule denkt nur, dass sie alle der Förstertochter den Hof machen wollen. Ach, Paule weiß so gar nicht mehr, was er denken soll. Er denkt ja an sich schon wenig nach über das, was jeden Tag an ihm vorbeirauscht, aber heute Nacht in diesem fiebrigen Wald mit diesem merkwürdig verzauberten Licht, mit dem schnaufenden Rotze und dem müffelnden Knackfloh hinter sich, alle beide keine Hilfe, der wunderschönen Förstertochter zum Greifen nah, wünscht Paule sich plötzlich Sascha herbei, der ihm einen knispelheißen Tipp ins Fellohr flüstert, damit er den nächsten Schritt machen kann, damit er einen Weg an den Wachen und den Kötern vorbei, einen Weg hinein ins Haus, ins Zimmer seiner holden Maid findet.

Aus lauter Nervosität und Nichtwissenwastun fingert Paule sein Fake-Handy aus der Tasche und drückt es sich ans Ohr.

„Sach ma, seit wann telefonierst du denn mit 'm Stück Holz ...?"

Paule spürt Knackflohs fauligen Atem im Nacken und dreht sich von ihm weg, doch nur um Schwung zu holen. Dann holt er weit aus und schmettert Knackfloh seine stahlharte Rechte auf die Riechwurzel. Der Tritt auf einen trockenen Ast wäre nicht lauter ausgefallen. Knackfloh schreit auf. Damit hat er nicht gerechnet. Hat gedacht, der Paule macht heute Nacht einen auf friedlich, doch dessen grimmiges Outfit hätte ihn warnen müssen.

Schnodder, dickes Blut und anderes Zeug laufen ihm übers Gesicht. Und genau das ist immer der Mist, wenn er seine Kumpels vermöbelt. Spätestens dreißig Sekunden später tun sie ihm wahnsinnig Leid und er würde am liebsten die Zeit zurückdrehen, wenn das denn ginge, oder alle Ärztinnen Dunkelfurts herbeirufen, damit sie fleißig kleben, nähen, tackern, narkotisieren, amputieren können.

Paule hat es übertrieben. Den Schlag hätte er sich dringend verkneifen müssen, denn die Wachen am Forsthaus sind auf sie aufmerksam geworden. Brüllend und mit angelegten Gewehren laufen sie zum Waldrand.

„Wer da? Trollt euch oder wir schießen scharf! Unsere Silberkugeln werden euch nicht schmecken!"

Oha, denkt Paule. Die rechnen schon mit Wer-Wesen. Der Förster hat nicht nur bildschöne Töchter, er scheint auch stinkereich zu sein. Paule weiß, was Silberkugeln kosten. Etwa dreißig Pinunzen das Stück. Weiß er von den Kobolden. Die kennen sich mit sowas aus.

Eine der Wachen lacht sehr heiser. Es klingt ungesund. Wahrscheinlich ein starker Raucher. Er bölstert sich die Lunge aus dem Leib. Dann ein Schuss und ein weit entferntes Aufstöhnen. Paule dreht sich um. Rotze ist nicht mehr da. Verdammt, warum bleibt der Vogel nicht bei ihm? Läuft weg und riskiert 'n Loch im Kopf.

Knackfloh hat die Fatzen dicke. Er pesst sich die Pranke aufs Gesicht und macht sich im Laufschritt auf den Rückweg.

„Sehn uns morgen in der Schule."

Ein weiterer Schuss knallt durchs Unterholz. Zitternde, wankende Schatten. Irgendwo da hinten bei den entwurzelten Bäumen geht jemand zu Boden. Und jetzt entdeckt Paule die Lücke. Seine Chance ist da! Rechts und links keine einzige Wache mehr, auch die Hunde sind spurlos verschwunden. Die Tür im Hochsicherheitszaun steht offen. Ein warmes Licht breitet seine Arme aus und ruft Paule etwas zu.

Er versteht. Er versteht sehr gut.

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