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Der Fahrtwind fegt mir fast den Tabak vom Blättchen. Vielleicht nicht nur fast, vielleicht auch wirklich. Es ist scheiße dunkel und ich werd bestimmt jeden Moment auf die Fresse fliegen, weil die Rolle meines Longboards an einem Stein hängen bleibt. 'ne Stirnlampe wäre geil, hab ich aber nicht.

Alles betoniert,

alles grau in grau,

alles total scheiße,

interessiert echt keine Sau", klingt Fertig (Mit euch und eurer Welt) von Alarmsignal unterlegt von kraftvoller Gitarre und schnell gespieltem Schlagzeug aus der Bluetooth-Box, die Flor in der Jackentasche hat. Auf Inlinern fährt sie vor mir den vor wenigen Jahren betonierten Fahrradweg der Route Industriekultur hinauf. Die Senior*innen-Unterkunft neben dem alten Förderturm haben wir bereits hinters uns gelassen. Wir fahren über ein paar Brücken, um ein paar Kurven und unter ein paar Brücken durch. Viel mehr ist in der Dunkelheit nicht zu sehen, denn hier auf dem Radweg sind Laternen Mangelware.

Die Geister die sie riefen,

werden sie jetzt nicht mehr los.

Staat der Massengräber,

Hügel bahnen unseren Weg", hallt Im Gleichschritt Arsch von Alarmsignal von den Wänden der Unterführung wider, als wir hintereinander hindurchrollen. Außer uns ist niemand mehr unterwegs.

Flor wirft immer mal wieder einen Blick zurück und schaut an mir vorbei in die Dunkelheit.

„Eigentlich ist das voll scheiße", sagt sie und lässt sich zurückfallen, sodass wir nebeneinander fahren.

„Was?", frage ich, während sie die Musik leiser macht.

„Dass es einen Unterschied für mein Gefühl macht, dass du ein Mann bist."

„Inwiefern?"

„Insofern, dass wir auf einem dunklen Weg unterwegs sind und ich allein hier niemals langfahren würde. Und auch mit einer anderen Frau wäre es noch etwas anderes irgendwie."

„Ja, das ist wirklich scheiße. Dass weiblich gelesene Menschen in ständiger verfickter Angst leben, nur weil ein paar Männer denken, die Welt und die Menschen darauf gehören ihnen."

„Schön gesagt."

„Und dann heißt es immer: Mütter, passt auf eure Töchter auf. Aber mal ehrlich: Eltern, erzieht eure verfickten Söhne, und Gesellschaft, hör auf Männern Freikarten für beschissenes Verhalten zu geben und die Schuld bei den Opfern zu suchen."

Flor nickt und wirft mir ein Lächeln zu. „Ich wünschte, alle Menschen würden so denken. Dann wär die Welt schöner."

Das Problem sind nicht allein die Männer, sondern alle Menschen, die die diskriminierenden Strukturen unterstützen, in denen wir zu leben gezwungen sind. Und nicht allein nicht-männliche Personen leiden darunter, sondern alle. Patriarchat (und ja, das gibt es noch, und ja, es ist offensichtlich immer noch ein Problem) bedeutet Väterherrschaft – und gewiss nicht jeder Mann ist ein Vater. Es gibt ein paar, die in ihrem Rollenbild aufgehen und Macht ausüben, gegen alles, was irgendwie weiblich ist. Und natürlich haben auch nicht-weibliche Personen weibliche Attribute. Wir hacken nicht alle Holz und erfreuen uns an unseren unterdrückten Gefühlen, und unterdrücken unsere Partner*innen gleich mit. Für die allermeisten männlich gelesenen Personen ist das Patriarchat auch scheiße. Und auch die Alphas unter uns sind bestimmt nicht glücklich, wenn sie mal ehrlich in sich hineinhorchen.


Ich bin ein paar Mal vom Board gestolpert, aber hingefallen bin ich nicht. Unsere Fahrt endet am Rhein-Herne-Kanal im Nordsternpark, einem meiner Lieblingsorte. Im Sommer wird hier geschwommen und in den Wellen der Schwerlastschiffe gebadet. Die große Brücke ist der Sprungturm und hinter den glitschigen Ufersteinen beginnt die Liegewiese. Manchmal gibt es Live-Musik vom Amphitheater, auf das man von unserer Kanalseite aus einen super Blick hat.

KAPITAL(IS)MUS STERBEN, steht auf einer leeren Werbetafel.

Wir legen unsere Boards auf die abschüssige Wiese und benutzen sie als Hocker. Das Wasser rauscht leise in der Nacht und die Dunkelheit wird ein Stück den Kanal rauf von kleinen blauen Lichtern unterbrochen, die wahrscheinlich zu den Angeln einiger Mitternachtsangler*innen gehören. Ansonsten ist es so dunkel, wie es in einer Metropole sein kann. Der Himmel leuchtet immer, angestrahlt von all den Lichtern der Stadt. Die Sterne blinken sacht im Lichtsmog.

„Ich wüsste, welches Haus wir besetzen können", mischt sich Flors Stimme unter die Geräusche der nachtaktiven Tiere, die ich nicht zuordnen kann.

„Welches?" Ich schaue sie an. Ihre Gesichtszüge erkenne ich in dem Licht der Großstadt, das zuerst vom Himmel und dann vom Wasser reflektiert wird.

„Das ehemalige Haus der Begegnung. Innenstadt, Weberplatz. Das steht seit Jahren leer, dabei könnte man echt viel daraus machen."

Ich nicke langsam, während ich überlege, wo genau noch mal der Weberplatz ist. „In der Innenstadt wird es auf jeden Fall viel Widerstand geben." Vom Bürgermeister oder der Stadtverwaltung und den Cops.

„Dann kriegen es wenigstens genug Leute mit."

„Erstmal brauchen wir genug Leute, um das durchzuziehen." Ich bin nicht so gut vernetzt, wie ich gerne wäre. In meiner Heimat ist es schwer, in linke Strukturen aufgenommen zu werden. Angetrieben von ihrer Paranoia, die verständlich, aber auch ein wenig problematisch ist, geben sie Neuen keine Chance, sofern sie nicht jemanden kennen, den sie kennen und dem sie vertrauen. Und außerhalb von Konzerten und Festivals bin ich nicht sonderlich gut im Menschen kennenlernen. Ich hab auch kein Plenum, zu dem ich regelmäßig gehe, denn die, bei denen ich war, haben mir aus verschiedenen Gründen nicht zugesagt, und die, zu denen ich gerne würde, finde ich nicht. Bei Flor sieht das leider nicht so viel anders aus. Sie kennt viele Leute, aber nicht genug aus unserer Hood.

So ist das, wenn man in der Schule nicht beliebt war, und ohnehin immer das Gefühl hat, nirgends dazuzugehören. Nirgends reinzupassen. Wenn man nicht weiß, wie man vernünftig in seinem Umfeld sozialisiert, weil sich weder man selbst noch die anderen Leute anpassen wollen. Wenn man Zeit allein braucht und Unternehmungen oft zu anstrengend sind. Wenn man irgendwie nur Hobbys hat, bei denen man kaum Menschen kennenlernt, und eine fucking Pandemie die einzigen sozialen Ereignisse, die man genießen kann, verhindert.

Manchmal wünsche ich mir, anders zu sein. Aber eigentlich möchte ich nur, dass die Welt anders ist – denn nicht ich bin das Problem. Das Problem ist die Entfremdung, die gestohlene Zeit durch Lohnarbeit und Existenzangst, die unerfüllten Träume, die mit Fernsehsendungen gefüllt werden und der künstlich erzeugte Drang, besser als die anderen sein zu müssen und sich deshalb von ihnen fernzuhalten, statt ihnen nah zu kommen.

Ich bin nicht besser. Ich würde mich gern mit meinen Nachbar*innen anfreunden, aber ich bin nicht so offen und komme mir ständig so vor, als würde ich nur Unsinn reden. Weil ich das Gefühl haben, den sozialen Code nicht lesen zu können, bleibe ich für mich und trage bei zu dem Problem, unter dem ich wie so viele andere leide.

Ein Rebell zu sein ist schwer, wenn man es immer jedem recht machen will.

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