19. Never Felt This Way

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Axca beeindruckte ihn immer wieder aufs Neue.

Gebannt beobachtete Lance von der vordersten Reihe der Publikumssitze aus, wie die Neunzehnjährige dirigierte, als hätte sie es schon ihr Leben lang getan. Für ihre sonst so ruhige und gefasste Persönlichkeit war es beinahe schon, als hätte sie sich in einen anderen Menschen verwandelt - ihre gesamte Ausstrahlung hatte sich geändert.

Im Gegensatz zu Coran, der immer große, ausladende Bewegungen vollführte, schien bei ihr zwar alles klar umrissen und zackig aufeinander zu folgen, doch ihr Körper war dennoch immer in Aktion. Lance konnte nicht beurteilen, welche Leitung besser war, doch es war erstaunlich, was für eine Auswirkung ein anderer Dirigent auf ein Orchester haben konnte. Die Bogenführung der Streicher war weniger verträumt-ausladend, sondern nun ebenfalls klarer und mit mehr Kanten, was dem Ganzen eine ganz andere Art der Dramatik verlieh.

Es war, als würde Axca den Musikern nochmal etwas Disziplin in ihrem Spiel beibringen, Disziplin, die sie durch Corans Bewegungen vernachlässigt hatten.

Sie probten gerade den Teil F in der Orchesterpartitur, den Teil, der bei Lance ein Partnertanz mit Romelle war und wahrscheinlich so gut wie nur aus Contemporary bestand. Und auch, wenn sie nicht viel an der Vorstellung der Tänzer auszusetzten hatte, hatte die junge Komponistin die drei mit Adleraugen beobachtet und dann Coran gebeten, ihr für eine kurze Zeit das Proben mit den Musikern zu überlassen.

Der rothaarige Leiter des Projektes hatte zwar leicht erstaunt ausgesehen, jedoch lächelnd genickt und ihr den Taktstock übergeben, um sich dann einen Kaffee holen zu gehen.

Das war vor einer halben Stunde gewesen und er war immer noch nicht zurück, weshalb Axca es sich nicht hatte nehmen lassen, anzukündigen, dass sie einfach auch alles andere mit ihnen üben würde, was sie in der Zeit ohne Coran schafften.

Und das taten sie.

Axca schien, was als Komponistin des Stücks nicht verwunderlich war, einen Überblick über alles zu haben, was vor sich ging, sie wusste sogar, wann hinten bei den Perkussionisten die Triangel gespielt wurde. Sie bedeutete James, seine Anstöße präziser zu machen und ermutigte die zwei Querflöten, in einer Passage ruhig lauter zu spielen, da sie eine schöne Kontrastmelodie zum Rest des Orchesters hatten.

Auch, wenn sie sich sonst immer gefasst und mit ruhiger Stimme Gehör verschaffen konnte, überraschte sie alle, als sie sogar über die Musik des Orchesters hinweg Romelle zurufen konnte, dass sie das Bein bei dem einen Sprung mehr anwinkeln sollte.

Es war eine der intensivsten Proben, die sie alle je gehabt hatten, und dennoch war die Konzentration bei den Mitgliedern des Projekts so hoch, wie selten.

Als Coran nach einer weiteren halben Stunde endlich wieder den Orchestergraben betrat, zeichnete sich Erstaunen, Bewunderung und Stolz in seinen Gesichtszügen ab, während er langsam an den musizierenden jungen Erwachsenen vorbei zum Pult lief, an dem Axca vertieft in ihre Arbeit war und sich in keiner Weise stören ließ.

Er lehnte sich an die Wand und sah kurz mit einem Lächeln zu Lance hoch, der beinahe schon über der Brüstung hing und ihn mit einem freundlichen Nicken ebenfalls begrüßte. Doch nicht lange danach winkte die blauhaarige Komponistin schon ab und die Melodien verstummten beinahe augenblicklich.

"Ich bin beeindruckt", applaudierte Coran, "Warum seid ihr bei mir nie so aufmerksam? Wenn ich abbreche, spielt die Hälfte von euch noch drei Takte weiter, bevor sie überhaupt bemerkt, was los ist."

Leises Gekicher ertönte zwischen den Musikern und ein paar zuckten mit den Schultern.

"Ich glaube" meinte James von der mittleren Reihe aus, "dass Axca uns einfach mehr Angst macht. Wenn sie vorne steht, traue ich mich noch nicht mal, an einen falschen Ton zu denken."

Ein paar lachten, doch allgemeines Nicken stimmte dem Trompeter zu, was die Neunzehnjährige lächelnd den Kopf schütteln und Coran an seiner Autorität zweifeln ließ.

"Vielleicht sollte ich mir die Haare auch färben", überlegte der Dirigent, doch alle versicherten ihm, dass er ganz wunderbar aussah, wie er gerade war und es nicht an Axcas Haaren lag.

In einem großen Durcheinander einigten sie sich, eine Pause zu machen, die sogar noch länger ausfiel, als geplant, da Coran einen Bekannten vor dem Orchestergraben traf, und sich unglaublich lange mit ihm unterhielt, was alle nur dazu brachte hatte, lachend die Augen zu verdrehen.

Nach der Pause wurde Lance gebeten, diesmal ein wenig mitzutanzen, damit sie sehen konnten, wie viel Platz gebraucht werden würde, wenn alle drei Tänzer auf der Bühne waren. Die Größe der Bühne war nicht das Problem, schließlich waren hier schon viele andere und bei weitem größere Ballette aufgeführt worden.
Vielmehr hatten nun die Arbeiten für das Bühnenbild begonnen, was Axca etwas überforderte, da die Komponistin überhaupt nicht daran gedacht hatte, wo genau die Geschichte stattfinden könnte, und der Platz, den das Bühnenbild einnehmen durfte, musste ausgemessen werden.

Also gesellte Lance sich zu Allura auf die Bühne, da die beiden nun einen ihrer gemeinsamen Tänze haben würden und schnitt eine Grimasse, als die Tänzerin ihm zulächelte.

Tatsächlich war sein Handgelenk nur in den ersten paar Tagen etwas geschwollen gewesen und tat nun so gut wie gar nicht mehr weh, weshalb er zugegebenermaßen etwas genervt war, dass er den Verband immer noch tragen musste. Doch wahrscheinlich fühlte es sich nur geheilt an und war es nicht.
Die Ärzte mussten schließlich wissen, was sie taten, wenn sie ihm sagten, dass er den Verband zwei Wochen tragen sollte, oder?

Doch trotz Verband lief die Probe sogar ganz gut und die Stimmung war entspannt, als Coran ihre heutige Zusammenkunft für beendet erklärte und sie entließ.

Draußen war die Sonne bestimmt schon unter gegangen, schließlich hatten sie beinahe den ganzen Tag zum Proben genutzt und es war laut der Uhr, die ihm Gang vor dem Orchestergraben hing, schon halb zehn am Abend.

So gut wie immer trafen sich alle in diesem besagten Gang, da die Tänzer nur ein paar Treppen hinunterlaufen und die Musiker durch eine Tür gehen mussten, um dorthin zu kommen und genügend Platz für alle war. Oft unterhielten sie sich hier in Pausen, vor oder nach den Proben und oft musste Coran sie ermahnen, ein wenig leiser zu sein, da es in dem kahlen Flur unglaublich hallte.

Heute ging es darum, dass Lotor vorgeschlagen hatte, noch gemeinsam etwas trinken zu gehen.

Isaak, als der jüngste von ihnen, beschwerte sich, dass er vernachlässigt werden würde und sah sich hilfesuchend um, als Ina begann, ihm einen Vortrag zu halten, was Alkohol biologisch gesehen mit dem Körper tat, und ihm erklärte, warum eine Altersgrenze durchaus sinnvoll war.

Shay ergriff aus Mitleid Partei und stimmte ebenfalls dafür, etwas anderes zu tun, auch wenn sie genauso wenig wie die anderen eine Idee hatte, was sie unternehmen könnten.

"Wie wäre es mit Kino?", fragte Keith, der schweigend mit verschränkten Armen an der Wand gelehnt hatte, wie aus dem Nichts und so gut wie alle wandten sich zu ihm um. Er wurde leicht rosa. "Ich meine, es gibt doch sicher Abendvorstellungen und wenn der Film vor Mitternacht endet sollte Isaak auch reingehen dürfen."

Lotor nickte und auch den meisten anderen schien die Idee zu gefallen.

"Aber welchen Film schauen wir uns an?"

Mit der Frage löste Nadia eine erneute Diskussion aus, da alle begannen, ihre Handys hervorzukramen, ins Programm für den heutigen Tag zu schauen und darüber zu debattieren, welcher Film besser wäre.

"Was haltet ihr von Inception?", schlug Lance vor, der einer der schnellsten gewesen war, "Heute läuft wohl eine einmalige Wiederholung."

Ein paar schienen nicht ganz begeistert, James und Kaji waren eher für den neuen Marvel Film, doch am Ende entschied eine demokratische Abstimmung, in der sich die Mehrheit für Inception aussprach.

"Wer den Film gar nicht sehen will, muss ja nicht mitkommen", meinte Zethrid mit einem Schulterzucken und damit war die Sache geklärt.

Nach ein paar weiteren Minuten war auch klar, dass genügend Plätze für alle frei sein würden, und Axca übernahm die Führung zur Busstation.

Dass alle mit ihren Instrumenten ins Kino gehen würden, keiner von ihnen etwas zu Abend gegessen hatte und sie eine unglaublich große Gruppe waren, schien keinen wirklich zu kümmern, vielmehr waren sie ein vorfreudig schnatternder Haufen, der ein ganzes U-Bahnabteil verstopfte.

Coran hatte zwar versucht, eine Sitzreihenfolge zu ordnen und Geld für die Tickets einzusammeln, doch es war einfach hoffnungslos, weshalb er es schnell wieder aufgab und ihnen einfach sagt, sie sollten sich hinsetzen, wo sie wollten und einfach die Tickets und alles weitere unter sich regeln.

Allura, Lotor, und Romelle die zusammen mit Shay, Lance und Keith sitzen würden, erkoren den Tänzer und ihren Solisten aus, die Tickets für sie alle kaufen zu gehen, wobei Lance eher vermutete, dass Allura und Romelle ihm mit ihren Blicken sagen wollten, die Situation zu ergreifen und etwas zu tun.

Das Foyer des Kinos war groß und in dunklen Tönen gehalten mit vielen Treppen und Menschen, die in langen Reihen anstanden, um ihre Tickets oder Snacks zu kaufen.

Während nun Lance und Keith sich auf zum Ticketverkauf machten, reihten die anderen vier sich beim Essen ein und der Rest der Projektgruppe verteilte sich in der Halle.

"Hast du genügend Geld dabei?", fragte Keith, der mit gerunzelter Stirn in seinem Portemonnaie kramte, "ich glaube, wir werden zusammenlegen müssen, um sechs Karten zu bezahlen."

Der Tänzer holte ebenfalls seinen Geldbeutel hervor, doch nickte dann beruhigend beim Blick auf dessen Inhalt.

"Das wird schon passen", meinte er, "Ich sollte genügend haben."

"Okay", seufzte Keith erleichtert und sah sich unruhig nach den anderen um, denen er seine Geige mitgegeben hatte.

"Lotor wird sie schon nicht verkaufen", grinste Lance und der Schwarzhaarige wandte sich abrupt wieder zu ihm, als sei er bei seinen Gedanken erwischt worden. Er nickte, doch biss sich dennoch auf die Lippe, wie um die Sorgen, die in seinem Kopf herumschwirrten, davon abzuhalten, hervorzusprudeln.

Vielleicht sollte er ihn ablenken, damit er sich ein wenig entspannte? Lance überlegte, ob es etwas Lustiges zu sagen gab, mit dem er den Musiker vielleicht zum Lachen bringen konnte, doch es fiel ihm nicht wirklich das Richtige ein.

Das Versprechen, das er seinen Freunden gegeben hatte, kam ihm wieder in den Sinn, doch irgendwie ... war es nicht der richtige Moment. Was, wenn Keith so angespannt war, dass er Lance' Worte zur Seite wischen oder nicht richtig nachdenken würde? Was, wenn etwas Schlimmes passieren würde und Lance gleich darauf nur wenige Sitze vom Musiker entfernt einen Film schauen müsste?

Nein, er wollte keinem von ihnen den Abend vermiesen.

Die Schlange wurde merklich kürzer und bald darauf waren sie an der Reihe, die Karten zu kaufen und Keith trat an den Tresen.

"Äh", begann er und suchte kurz nach Worten, anscheinend nicht wirklich wissend, was er sagen sollte, "Wir wollen uns Inception ansehen."

"Das ist ... schön für Sie beide", entgegnete die junge Frau hinter dem Tresen, die sich sichtlich ein Grinsen verkneifen musste, während Lance ungläubig den Schwarzhaarigen von der Seite ansah.

Dieser wurde leicht rosa, doch mied beharrlich Lance' Blick, weshalb dieser erst einmal schwieg und abwartete, wie sich das noch weiterentwickeln würde.

"Wo möchten Sie denn sitzen?", half die Frau ihm auf die Sprünge, doch das schien den Violinisten nur noch mehr zu überfordern. Während er fieberhaft zu überlegen schien, grinste Lance in sich hinein und wandte sich nun seinerseits an die Dame:

"Mitte, wenn's geht. So mittig wie möglich, dann sollte sich keiner beschweren können."

Sie nickte und tippte auf ihrem Bildschirm herum.

"Zwei Karten in der Mitte?", fragte sie, was Lance nervös auflachen und Keith aus seiner stummen Starre erwachen ließ.

"Nein! Äh- nein, wir, wir sind zu sechst", erklärte er ihr und Lance musste sich zusammenreißen, um nicht vor unterdrücktem Lachen und Verlegenheit rot zu werden.
Sahen sie so aus, als wären sie alleine hergekommen? Für ein Date?

"Achso", meinte die junge Frau, tippte abermals ein wenig herum und las ihnen dann die Nummern der Plätze vor, damit sie ungefähr wussten, wo diese liegen würden. Zufrieden nickten die beiden und bezahlten gemeinsam. Die genaue Aufteilung des Betrags würden sie ein anderes Mal mit den anderen machen.

Endlich mit ihren Karten in der Hand machten sie sich auf den Weg zurück zu den anderen, die ihnen vom anderen Ende des Foyers aus zuwinkten, da das Kaufen der Snacks wohl nicht so lange gedauert hatte, wie man es von den langen Schlangen vermutet hätte.

"Was war das denn?", prustete Lance los, kaum waren sie außer Hörweite der Kartenverkäuferin.

"Was?! Ich war einfach- keine Ahnung. Es waren zu viele Menschen!", verteidigte Keith sich und blies griesgrämig die Wangen auf. Anscheinend war ihm seine vorherige Nervosität peinlich.

"Sie dachte, wir wären auf einem Date", wechselte Lance, dem die Vorstellung mehr gefiel, als er es zeigte, das Thema, um die Situation für den anderen nicht noch unangenehmer zu machen, und auch Keith schmunzelte dazu.

"Ja, kaum zu glauben", meinte der Violinist und in Lance begannen die Rädchen, sich zu drehen. Vielleicht war doch jetzt der Moment?

"So abwegig ist es gar nicht", meinte er also schnell, in der Hoffnung, auf diesem Weg etwas aus dem anderen herauszubekommen, "Ich würde theoretisch mit dir auf ein Date gehen, also hätte es auch sein können - theoretisch - dass heute dieses Date ist."

"Theoretisch?", echote der Schwarzhaarige und zum ersten Mal verfluchte Lance ein wenig dessen Haare, da sie seinen Gesichtsausdruck verbargen, "Und praktisch?"

"Das-", setzte Lance an und wollte schon sagen, dass dies ganz beim Musiker lag, als Romelle angehüpft kam und neugierig wissen wollte, welche Plätze sie bekommen hatten.

Damit hatte sie Lance eine mögliche Zusage für ein reales Date versaut, und der Tänzer schwor sich, ihr das vorzuhalten, sollte sie ihn wieder wegen seiner Untätigkeit aufziehen.

Der Kinosaal war groß und im ganzen Zuschauerbereich verteilt sahen sie andere Mitglieder des Orchesters.
Coran und Axca hatten sich gemeinsam mit Kaji, Isaak und Isabella ein paar Reihen vor ihnen niedergelassen, gleich vor Luiz, Ryan und Ina, die sich anscheinend über James und Nadia lustig machten, welche Plätze in der ersten Reihe genommen hatten und schon jetzt einen steifen Nacken bekamen.
Ein wenig weiter hinten im Saal saß Arima, ihr Pianist, gemeinsam mit ihrer Harfenspielerin und ihrer Tubistin, die aus Südafrika angereist war. Gleich neben ihnen hatten sich die zwei Klarinetten niedergelassen, in reger Unterhaltung mit Ezors Querflötenkollegin- wo jedoch die Schottin selber saß, konnten sie nicht sehen. Auch Zethrid war nicht auffindbar, weshalb sie vermuteten, dass die beiden gemeinsam irgendwo saßen.

Nach und nach füllte sich der Saal und es war immer noch nicht klar, in welcher Reihenfolge sie sitzen würden, da Allura Randplätze hasste und Romelle sich mit Shay das salzige Popcorn teilen würde, weshalb die beiden nebeneinandersitzen mussten.

Letztendlich, nach vielem Herumgerutsche und Diskutieren, waren alle zufrieden, wo sie saßen.

Keith und Lotor nahmen die beiden Randplätze ein und der Cellist schien hocherfreut, neben Allura zu sitzen, die auch noch während der Werbung mit Romelle zu ihrer Rechten flüsterte. Das Popcorn zwischen sich und der Tänzerin festhaltend, kam danach Shay, worüber sich Lance freute, da er sie somit gemeinsam mit Romelle über Hunk ausquetschen konnte. Und sowieso mochte er die Fagottistin mit ihrer warmen und freundlichen Persönlichkeit.
Was ihm jedoch noch mehr gefiel, war, dass Keith somit neben ihm saß, auch, wenn dieser anscheinend die Angewohnheit hatte, schon nach der Werbung die Hälfte des Popcorns aufgegessen zu haben.

Als die Leinwand schwarz wurde und auch die letzten Lichter gedimmt wurden, sodass der Saal in Dunkelheit getaucht war, hörten nun auch Allura und Romelle auf, zu reden und es wurde still um sie herum.

Der Film begann.

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Die Nachtluft war angenehm lauwarm auf ihrer Haut, als die Gruppe wieder aus dem Kino trat. Trotz der hellen Lichter Sydneys um sie herum, waren am Himmel ein paar wenige Sterne zu sehen, die mit dem Mond um die Wette schienen, welcher beinahe ganz voll an das dunkle Himmelszelt gepinnt war.

Es hatte eine Weile gedauert, bis sich alle wieder zusammengefunden hatten, vor allem, da Coran nach der Vorstellung mit ein paar anderen noch aufs Klo gegangen war und bei weitem länger als der Rest gebraucht hatte, sodass Romelle sich schon fragte, ob die Toilette ihren Dirigenten verschluckt hatte.

Lance hatte eigentlich angenommen, dass er sich den ganzen Film über Keiths Präsenz immer bewusst und deshalb nervös sein würde. Er hatte gedacht, dass er hin und her überlegen würde, ob er vielleicht Körperkontakt suchen sollte.

Doch das hatte er gar nicht gemusst. Denn er hatte nicht nach dem Körperkontakt, nach Keiths Nähe, suchen müssen. Sie waren zu ihm gekommen.

Noch nicht einmal die erste halbe Stunde des Films war vorbei gewesen, als der Musiker tatsächlich einfach eingeschlafen und seitlich gegen Lance gesackt war, als hätte sich alle Körperspannung, die ihn aufrecht hatte sitzen lassen, aufgelöst. Und Lance hätte sich nicht mehr wünschen können.

Es war zwar vielleicht ein wenig traurig, doch er mochte es, wenn Keith schlief. Denn sobald er dies tat, musste der Tänzer sich über nichts mehr Sorgen machen, weder um das, was er selber tat, noch über das, was andere tun könnten, da Keith sowieso nichts bemerken würde.
In solchen Momenten konnte Lance einfach Keiths Anwesenheit genießen.

Außerdem konnte ein schlafender Keith nicht mehr das Popcorn aufessen, als wäre er ein Staubsauger und es blieb mehr für Lance.

Mal ganz abgesehen davon, dass der Violinist nun mit verschlafendem Gesicht neben ihm stand, die Geige an seine Brust gedrückt, als wäre sie ein Kissen oder dergleichen.

Als der Film zu Ende gewesen war, hatte Lance ihn vorsichtig wach gestupst und mit einem Lächeln zugesehen, wie Keith sich aufgerichtet, geblinzelt und sich die Augen gerieben hatte.

"Was is' passiert?", hatte er schläfrig gefragt und der Leinwand einen verwirrten Blick zugeworfen, "'s der Film schon vorbei?"

Lance hatte genickt und bei dem herzhaften Gähnen des anderen leise lachen müssen.

Der Unglaube, dass er so gut wie den ganzen Film verschlafen hatte, ließ Keith wohl immer noch nicht los, da er sich nun, immer noch nicht ganz wach, mit Shay über die Handlung unterhielt und beinahe schon erschüttert darüber schien, wie viel er verpasst hatte.

Der Tänzer grinste in sich hinein und unterdrückte den Drang, Keith einfach an sich zu drücken, da der viel zu knuffig aussah, als dass Lance' Herz es ertragen könnte.

Was jedoch die Aufmerksamkeit der anderen beanspruchte, waren nicht die Schlafgewohnheiten des Violinisten, sondern Ezor und Zethrid, die anscheinend von Nadia auf dem Klo aufgefunden worden waren.
Sowohl die Rothaarige, als auch die Perkussionistin, waren wohl noch nicht einmal im Kinosaal gewesen, obwohl sie sich Karten gekauft hatten.

Doch wenn man sich den Zustand ihrer Haare und Kleider ansah, konnte man sehr schnell darauf schließen, warum sie nicht dort, sondern auf dem Mädchenklo gewesen waren.
Und das sorgte für Fragen.

Auch, wenn sich Lance liebend gerne Romelle angeschlossen hätte, um sie zwei, die leicht verlegen Händchen hielten, mit Fragen zu löchern, blieb er bei Keith stehen und beobachtete amüsiert das Vorgehen von außen.

Denn auch Allura und Lotor schienen ein wenig ... als wäre etwas passiert. Doch sie schafften es, ein wenig subtiler zu sein, weshalb Lance seiner Freundin nur eine hochgezogene Augenbraue schenkte und ihr bedeutete, ihn später anzurufen, damit sie dann reden konnten. Die Tänzerin wurde leicht rosa, doch nickte strahlend, während Lotor aussah, als wären alle seine Träume wahr geworden.

Coran zählte zum fünften Mal durch, doch kam dann zu dem Ergebnis, dass sie tatsächlich nicht nach jeder Minute eine Person weniger wurden, weshalb er verkündete, dass sie nun gehen konnten, wohin sie wollten.

Die meisten machten sich auf den Weg zurück zum Hotel, unter ihnen Isaak, der notgedrungen den Regeln folgte, doch ein paar gingen tatsächlich noch gemeinsam etwas trinken.
Nach einem Seitenblick auf den Violinisten, den noch nicht einmal die Nachtluft wach zu bekommen schien, entschied Lance, dass er sich nicht der zweiten Gruppe anschließen, sondern den Musiker nach Hause bringen würde.

"Nach Hause?", fragte er also Keith leise und legte ihm eine Hand auf die Schulter, sodass der Schwarzhaarige sich zu ihm umdrehte.

"Okay", nickte dieser und sie verabschiedeten sich von Shay und winkten Romelle nach, die sich unter anderem Nadia und James angeschlossen hatte, welche sich schon eine Bar in der Nähe ausgesucht hatten. Allura und Lotor waren schon lange um die Ecke gebogen und verschwunden.

Gemeinsam liefen sie die Straßen entlang, auf dem Weg zu der U-Bahnstation, bei der sie ausgestiegen waren. Ab und zu kam ein Auto vorbeigefahren. Der Geruch nach Regen lag in der Luft und inzwischen hatten sich Wolken so dunkel wie der Himmel über die Sterne geschoben.

Stille herrschte zwischen ihnen, doch sie war nicht unangenehm. Vielmehr war Keith einfach zu müde, um etwas zu sagen und Lance wollte die Stimmung nicht zerstören.

Im Gegensatz zu der dunkleren Welt draußen war die U-Bahnstation fast schon ekelhaft hell. Doch es hatte eine ganz eigene Stimmung, nach dem Kino auf die dunklen, verlassenen Nachtstraßen zu treten und nun in einer menschenleeren Haltestelle zu stehen.
Als würde die Welt lauschen.

Als wäre man ganz, ganz alleine.
Aber auf eine gute Weise.

Keith neben ihm schien nicht im Geringsten zu bemerken, wie inspiriert Lance sich gerade fühlte. Er gähnte erneut herzhaft und kniff die Augen so sehr zusammen, dass er sie auch gleich einfach hätte schließen können.

Als sie sich auf den grell-gelben Sitzgelegenheiten niederließen, seufzte Keith leise und rieb sich mit den Händen über sein Gesicht.

"Heute ist Freitag, oder?"

Ein Lächeln schlich sich auf Lance' Lippen.

"Ja, heute ist Freitag."

"Hm, kay."

"Das Schlafen hat dich aber sehr mitgenommen", grinste er und Keith hob leicht hilflos und müde die Schultern.

"Ich schlafe im Kino so gut wie immer ein", murmelte er leise und rieb sich erneut die Augen, "Keine Ahnung, warum. Vielleicht sind die Sitze zu bequem und der Raum zu dunkel."

"Kann sein", meinte Lance, immer noch grinsend, "Und nutzt du dann immer deinen Sitznachbarn als Kissen?"

"Ich hab- was?", nuschelte der Schwarzhaarige und hielt in seiner Bewegung inne. Die Erkenntnis schien ihn leicht verlegen zu machen, auch, wenn er immer noch unglaublich müde schien.
"Hm, tut mir leid, falls ich zu schwer war oder so. Das nächste Mal kannst du mich gerne wegschieben."

"Nein, alles gut", winkte der Tänzer jedoch mit einem Lächeln ab. In ihm schienen viele kleine Versionen von ihm selber hin und her zu rennen und wild zu schreien, weil Keith mit einem nächsten Mal rechnete und das auch sagte, als sei es das natürlichste der Welt.

Doch anstatt das Gleiche zu tun, atmete Lance leise aus und lehnte sich im Sitz zurück, um so lässig wie möglich einen Arm auf die Rückenlehne hinter Keith zu legen. Dieser erkannte wohl das Angebot, da er ein leises, müdes Seufzen von sich gab und sich an ihn lehnte, weshalb der Tänzer nun doch ganz seinen Arm um ihn legte.

Ihre Taschen und die Geige lagen auf dem leicht spiegelnden Boden der Station und es sah aus, als würden sie leise miteinander flüstern und Geheimnisse austauschen. Kühle schlich aus dem dunkeln Tunnel zu ihnen und strich ihnen um die Beine, wie eine ausgehungerte Katze, eine Gänsehaut auf Lance' Armen auslösend.

Die Bahn kam, ohne dass auch nur ein weiteres Wort zwischen ihnen gefallen war, und sie stiegen in ein Abteil ein, das genauso leer wie das meiste andere zu dieser Uhrzeit war.

"Wo musst du raus?", fragte Lance nach Keiths Station und versprach ihm, ihn aufzuwecken, wenn sie ankamen.

Über mehrere Sitze ausgestreckt schlief der Musiker ein weiteres Mal in Lance' Schoß ein, der auf ihre Taschen und die vorbeifliegenden Stationen aufpasste.
Seine schwarzen Haare waren ein wenig weicher als sonst - Hatte er ein neues Shampoo? - und seine Lippen waren ein blasses rosa, das genauso unauffällig auf seinen Wangen lag und ihm das Aussehen eines Märchenprinzen verlieh.

Der Stoff seines rot-schwarz karierten Hemdes, das er über einem seiner Band-Shirts trug, war weich und dennoch auf eine angenehme Art und Weise leicht kratzig, seine behandschuhten Hände hielt er nah an seinem Herzen, als würde er einen kleinen Vogel oder dergleichen an sich drücken.
Seine Boots aus schwarzem Lackleder reflektierten die Lichter des Zuges und er hatte Abdrücke auf seinen Knien, genau an den Stellen, an denen die Fasern seiner Hose ihm ins Fleisch geschnitten hatten.

Lance könnte sich keinen schöneren Menschen vorstellen.

Und die Tatsache, dass Keith sich erlaubte, in seiner Anwesenheit einfach einzuschlafen, musste doch heißen, dass er ihm vertraute, oder?

Hätte er vielleicht doch wieder das Thema mit dem Date aufgreifen sollen?

Nach ein paar Stationen schob er jedoch all die Fragen, die in seinem Kopf herumschwirrten, weg und begann, den Musiker aufzuwecken, da sie bald bei ihrer Haltestelle ankommen würden.

Mit zusammengekniffenen Augen saß Keith, sobald er wach war, neben dem Tänzer, der ihn mit sich hochzog, als der Zug stoppte und sie ausstiegen.

Sobald sie wieder an der Erdoberfläche waren, überließ Lance dem Schwarzhaarigen die Führung und warf ab und zu beunruhigte Blicke zum Himmel nach oben, wo die Wolken nun immer düsterer wurden. Auch der Wind hatte zugenommen und in der Luft lag die Elektrizität eines Sommergewitters, wie sie es lange nicht mehr erlebt hatten.

Keith führte ihn durch ein paar Straßen hinein in einen Häuserblock, der aus mehreren Mehrfamilienhäusern bestand, jeweils fünf bis sieben Stockwerke hoch und mit weißlich-grauen Außenfassaden. Trotz der leicht schmutzigen Wände hatte alles eine simple Ausstrahlung, die Lance an Familienabendessen und Kindern auf dem Spielplatz erinnerte.

Bei einem der Häuser steuerte der Violinist auf die Eingangstür zu kramte seine Schlüssel aus den Tiefen seines zerfledderten Rucksacks hervor, die Geige provisorisch zwischen die Knie geklemmt.

"Willst du noch mit hochkommen?", fragte er, "Etwas trinken oder so? Oder was essen? Wir sollten etwas dahaben und ich habe dir nicht wirklich viel Popcorn übriggelassen." Er lächelte schief.

Lance nahm das Angebot an, da er tatsächlich hungrig war und seine Familie ihm höchstwahrscheinlich nicht wirklich was übriggelassen hatte.

Gemeinsam stiegen sie in den dritten Stock hoch, wo Keith vor einer weiß gestrichenen Tür Halt machte. Eine Fußmatte mit einem Aufdruck von Steinen lag zu ihren Füßen und auf der Klingel stand "Kogane" in fettgedruckten Buchstaben.

"Okay", meinte Keith, tatsächlich ein wenig wacher als zuvor, "es kann sein, dass meine Großeltern noch wach sind. Sie haben generell nichts dagegen, wenn jemand spontan vorbeikommt, also sollte das in Ordnung gehen. Und ich glaube, dich muss ich nicht bitten, höflich zu sein."

Lance schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln und der Schwarzhaarige erwiderte es kurz, ehe er sich wieder der Wohnungstür zuwandte und sie aufschloss.

Der Eingangsbereich war ein kurzer Flur, der sich nach rechts in das Wohnzimmer öffnete. Schuhe standen in Reih und Glied an der weißen Wand und Lance erkannte sofort die Paare, die Keith aus Tokio mitgenommen hatte- alle waren schwarz und verströmten diese typische Keith-Aura.
Eine Handvoll Kleiderhaken, an denen ein paar Sommerjacken gemeinsam mit Keiths Lederjacke hingen, waren an der Wand befestigt und zu ihrer Linken zierte ein flacher Spiegel die Wand.

Sobald beide in der Wohnung standen und die Tür wieder schlossen, kam eine ältere Dame aus dem Wohnbereich, einen leicht sorgenvollen Ausdruck in den Augen.

"Ach, Keith, du bist es", begrüßte sie ihren Enkel, bei dessen Anblick sie sich sofort entspannt hatte und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Sie hatte honigblondes Haar und Lachfältchen um die Augen und Lance konnte nicht umhin, zu bemerken, dass Keith sich hinunterbeugen musste, um sie zu umarmen, was er so behutsam tat, wie bei jedem anderen auch. Es war süß.

"Und, wer ist das?", fragte Keiths Oma dann jedoch und beäugte ihn neugierig mit einem leicht amüsierten Funkeln in den Augen.

"Das", meinte Keith und drehte sich wieder leicht zu Lance um, sodass er nun zwischen den beiden stand und beide gleichermaßen anschauen konnte, "ist Lance. Ich habe dir von ihm erzählt, weißt du noch? Der Tänzer, der zu meinem Solo tanzt."

"Ah", machte die Frau erkennend und trat einen Schritt vor, um Lance die Hand zu reichen, welche dieser ergriff und mit einem Lächeln höflich schüttelte.
"Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn wir uns duzen? Ich habe schon viel von dir gehört."

Lance lächelte leicht verlegen und nickte.

"Ich hoffe, doch nur gutes?", fragte er dann und bei ihrem leisen Lachen erkannte er eine Ähnlichkeit zwischen ihr und Keith.
Sie machten beide dieselbe Bewegung mit dem Kopf, wenn sie lachten, beide legten ihn leicht zur Seite und hoben die Schulter dieser Seite an, als wollen sie ein wenig mit den Achseln zucken.

"Aus seinen Erzählungen konnte ich heraushören, dass du ihn wohl schon manchmal ein wenig wahnsinnig machen kannst", meinte sie und Keith sah sie fast schon empört an, als wäre es überhaupt gar nicht abgemacht gewesen, dass sie diese Tatsache jemals in Lance' Gegenwart erwähnte.

Doch der Tänzer grinste nun breiter und warf dem Musiker einen kurzen, amüsierten Blick zu.

"Ich glaube, wir machen uns beide, teilweise wahnsinnig", bemerkte er und Keiths Oma nickte wissend.

"Dein Opa ist schon schlafen gegangen", informierte sie ihren Enkel dann, während sie sich die Schuhe abstreiften und Lance folgte den beiden in Wohnzimmer.

"Du hättest auch schlafen gehen können", seufzte der Musiker, "Ich hab doch geschrieben, dass wir noch ins Kino gehen würden. Es war klar, dass ich später komme."

"Bloß, weil du schreibst, heißt das nicht, dass dir nicht doch etwas passieren kann, wenn du draußen bist", entgegnete sie, fast schon beleidigt, dass er glaubte, sie würde einfach so ins Bett gehen, "Es kann immer sein, dass du jemanden brauchst, wenn du zurückkommst."

Keith wollte schon zu einer Antwort ansetzen, als er Lance Gesichtsausdruck bemerkte und seine Worte runterschluckte, leicht rot anlaufend. Die Konversation war ihm wohl peinlich.

"Ähm, gibt es noch etwas, das wir essen könnten? Popcorn hat als Abendessen nicht wirklich ausgereicht...", wechselte er das Thema und folgte der kleineren Frau dann in die Küche, die gleich neben dem Wohnzimmer lag, nachdem er Lance bedeutet hatte, dass dieser sich einfach setzen sollte und er gleich wieder zurück sein würde.

Sich möglichst unauffällig umsehend ließ Lance sich nieder und legte seine Tasche auf dem Boden ab. Das Wohnzimmer war in Creme und Brauntönen gehalten, mit einer hellen Couch, über deren Rückenlehne eine bunte Häkeldecke gebreitet worden war. Bilder hingen an den Wänden, die Urlaubsorte und Familienfeiern zeigten. Von Neugierde ergriffen lief er auf sie zu und betrachtete die abgebildeten Leute.

Auf vielen waren Keiths Großeltern zu sehen, seine Oma mit ihrem honigfarbenen Haar und ein Mann, der vermutlich sein Opa war und abgesehen von dem etwas grimmigeren Gesichtsausdruck so gut wie keine Ähnlichkeiten zum Musiker aufwies. Zumindest äußerlich.

Und dann waren da die Bilder, die ihre Enkel zeigten, Keith und seinen Bruder, Shiro, wenn Lance sich richtig erinnerte. Der Schwarzhaarige hatte ihn ein paar Mal erwähnt.
Es gab Bilder von den beiden, wie sie mit Stöcken in den Händen vor einem aus Ästen gebastelten Unterschlupf standen und zahnlückig in die Kamera grinsten, oder ein wenig verwirrt über ihre Schultern zum Betrachter sahen, eine gigantische Sandburg vor ihnen. Sie sahen sich schon ein wenig ähnlich, beide mit ihren dunklen, dicken Haaren und Augenbrauen und der blassen Haut. Außerdem konnte Shiro wohl genauso verzweifelt-entsetzt schauen, wie Keith es manchmal tat, wenn er von einer Situation vollkommen überfordert war.

Das waren wohl die Jahre, in denen Keiths Haare noch unter der Verantwortung seiner Mutter gelegen hatten, da sie in einem alltäglichen, kurzen Schnitt lagen und keine Strähne seine Sicht in irgendeiner Weise einschränkte. Lance wusste nicht wirklich, ob er Keiths jetzigen Haare besser oder schlechter fand; ihm schien beides zu stehen.

Über die Jahre hinweg hatten die beiden Brüder sich jeder für sich entwickelt, Keith zu dem, den Lance kannte, mit seinen nun etwas längeren Haaren, und dem schmalen Gesicht. Seine doch mal ein wenig farbenfrohere Kleidung hatte sich zu der überwiegend schwarzen Garderobe gewandelt, die Hosen wurden zerrissen und Lance grinste, als er auf einem Bild zum ersten Mal die Handschuhe entdeckte, die Keith wohl in der High-School angefangen hatte, zu tragen.
Shiro war im Gegensatz zum Musiker breiter gebaut, mit einem kantigeren Kinn und einem Körper, der anscheinend jedes Oberteil eng aussehen ließ. Er schien ein Anhänger von simpel und leger zu sein, in so gut wie jedem Foto trug er ein einfarbiges Oberteil zu einer Jeans. Dennoch könnte er in jedem Modemagazin stehen und war somit einer der Menschen, die ohne großen Aufwand auf ihre eigene Art und Weise einfach gut aussahen.

Auf einem Bild, das wohl in einem Park in Tokio geschossen worden war, waren zwei Erwachsene bei den Brüdern, die unverkennbar ihre Eltern sein mussten. Die Familie lächelte fröhlich in die Kamera, obwohl der Wind die Kirschblüten um sie herumwehte und an ihren Kleidern zog, sodass sie so aussahen, als müssten sie sich gegen seine Kraft stemmen.
Keiths Vater hatte wohl seine dichten Augenbrauen vererbt und den kräftigen Körperbau an seinen ältesten Sohn abgegeben, während Keith genauso schlank und zierlich wie seine Mutter war.
Die beiden waren sich auch beinahe schon wie aus dem Gesicht geschnitten. Fasziniert betrachtete Lance Mutter und Sohn auf dem Familienfoto. Das gleiche schmale Gesicht, dieselben unauffälligen Lippen und dieselben Augen. Es war unglaublich, selbst die Art, wie ihr Mund sich beim Lächeln bog, war genauso wie beim Violinisten.

"Oh, du hast die Fotos gefunden", ertönte Keiths Stimme hinter ihm und Lance wandte sich um als der Schwarzhaarige zu ihm hinüberlief, um ebenfalls die Bilder zu betrachten.

"Der Tag war furchtbar", bemerkte er düster und deutete auf das Kirschblütenfoto, "Meine Eltern wollten schon seit Ewigkeiten im Frühling dort ein Bild machen. Aber an dem Tag war es so unglaublich windig, es war fürchterlich."

"Ist das der Grund, warum du so genervt aussiehst?", grinste Lance, denn tatsächlich war Keith der Einzige auf dem Bild, der nicht lächelte, sondern mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen anscheinend versuchte, möglichst neutral zu blicken.

Der Musiker lachte leise.

"Ich war unglaublich genervt, ja", erinnerte er sich und besah sich dann die anderen Bilder. Bei einem musste er leicht auflachen. "Dass sie das aufgehängt haben", kicherte er, "ich war unglaublich stolz auf mich, weil ich Shiros Lego Turm kaputtgemacht hatte, nachdem er mir meine Bauklötze weggenommen hatte. Das ist das Grinsen eines Teufels, nicht das eines Engels."
Tatsächlich strahlte Keith auf dem Bild beinahe schon in die Kamera, glücklich über seinen Triumph, einen Haufen Legosteine hinter sich. Er musste ungefähr drei oder vier sein.

"Trotzdem ist es süß", meinte Lance und musste sich daran hindern, das Bild nicht einfach abzuhängen und zu sich mitzunehmen, um jeden Tag den Musiker als kleinen Knirps betrachten zu können.

"Kleine Kinder sind grundsätzlich süß", entgegnete der Musiker mit einem Schulterzucken und grinste, "Ich bin mir sicher, dass du mindestens genauso niedlich warst."

"Wenn, dann wurde meine Niedlichkeit von meinem Grashalm-Dasein überschattet", Lance schnaubte bei der Erinnerung daran, "Ich war so gut wie nichts außer Haut und Knochen, meine Eltern hatten schon Angst, ich würde das Essen nicht genügend verwerten."

Keith grinste und schlug dann vor:

"Lust auf Gulasch? Es ist noch was von gestern Abend da und ich kann dir versprechen, dass es das beste Gulasch wird, das du je gegessen hast. Niemand kann meine Oma schlagen, wenn es darum geht."

Freudig nickte der Tänzer und es dauerte auch nicht lange, bis sie beide das dampfende Essen vor sich hatten und darüber scherzten, dass das der beste Mitternachtssnack war, den sie je gehabt hatten. Dass es nun schon fast eins war, kümmerte keinen.

Keiths Oma, die Lance gebeten hatte, sie einfach Flora zu nennen, leistete ihnen am Tisch Gesellschaft und erzählte dem Tänzer, dass sie und ihr Mann vorhatten, zum dritten Auftritt zu kommen.

"Ich bin mir sicher, dass alle Vorstellungen gut werden, aber meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass bei den letzten Aufführungen immer am meisten passiert", erklärte sie und Lance nickte verstehend.

"Das kann ich bestätigen", grinste er und auch Keith stimmte ihnen zu, auch, wenn er zu beschäftigt war, das Gulasch zu verschlingen.

Wie von selber ging das Gesprächsthema zu den Bildern über und Flora erzählte ihm, wie es eine Zeit lang unglaublich schwer gewesen war, den Musiker vor die Linse zu bekommen, ohne, dass er eine obszöne Geste machte, oder auf irgendeine Weise floh.

Während Lance lachte, da er sich dieses Verhalten unglaublich gut vorstellen konnte, verteidigte der Musiker sich:

"Das war in der Middle-School! Glaubst du, du hättest zu der Zeit auf irgendeinem Foto gut ausgesehen?"

"Naja", lächelte Flora milde, "Man geht schon mal den ersten Schritt zu einem besseren Ergebnis, wenn man sich die Haare wäscht."

Der Violinist wurde rosa und murmelte etwas von Erwartungen der Gesellschaft und, dass sie einem hinten vorbeigehen konnten, was Lance nur noch mehr zum Lachen brachte.

"Du Rebell", kicherte er und nun schlich sich doch ein schmales Lächeln auf Keiths Lippen.

"Du hättest mich sehen sollen", meinte er, "Eine hoch polierte Geige in der Hand, aber die Haare eines Penners."

Der Tänzer konnte sich das Bild nur zu gut vorstellen und amüsierte sich köstlich.

"Aber zu Auftritten hast du dich schon chic gemacht, oder?", fragte er neugierig und begann erneut, zu giggeln als Keith nachdenklich an die Decke sah und die Schultern ein wenig hob.

"Sagen wir so", versuchte er sich zu erklären, "es gab eine Zeit, in der ich davon überzeugt war, dass es besser wäre, ein Statement zu setzen, um zu zeigen, dass alleine die Musik bei so etwas zählen sollte. Also bin ich eventuell ein paar Mal absichtlich erschienen, ohne mir vorher die Haare überhaupt zu kämmen, oder mir frische Klamotten herauszuholen. Vielleicht habe ich deshalb nie den ersten Platz gemacht", überlegte er und sah mit einem Lächeln in den Augen zu, wie Lance sich mit einem Kopfschütteln beinahe schon kaputtlachte.

"Wieso", setzte der Tänzer an, als er sich ein wenig beruhigt hatte, an, "Wieso habe ich dich erst vor kurzem kennen gelernt? Die Gerüchte von so einem Geigenspieler hätten mich eigentlich schon vor Jahren erreichen sollen." Er schüttelte grinsend den Kopf.
"Axca kann sich aber darauf verlassen, dass du zu unseren Auftritten kein Statement setzen willst?"

"Das kann sie", grinste der Musiker, "ob du's glaubst oder nicht, Lotor hat mich davon überzeugt, mit ihm und den anderen unsere Kleidung für die Auftritte einkaufen zu gehen, also wirst du wohl oder übel nicht in den Genuss meines Penner-Ichs kommen."

"Ich glaube, er kann froh darüber sein", klinkte Flora sich wieder ein, die vorher mit einem leisen Lächeln zugesehen hatte, "Du siehst klasse in Hemden und richtigen Hosen aus."

"Jeder sieht chic im Anzug aus", entgegnete Keith mit einem Augenverdrehen, "Und was meinst du überhaupt mit „richtigen Hosen"? Solange das Ding einen Bund und Beine hat, ist es doch eine Hose."

Die ältere Dame schnaubte und schüttelte den Kopf über ihren Enkel und seinen Modegeschmack, während dieser die Reste auf seinem Teller zusammenkratzte.

„Es steht ihm wirklich gut", ließ sie Lance stolz durch ein stummes Formen der Laute wissen und der Tänzer lachte leise. Das konnte er ihr glauben.

Als sie die benutzten Teller in die Spülmaschine räumten, zuckten sie zusammen, da ein lautes Donnern draußen zwischen den Häusern hallte und die nächtliche Stille durchbrach. Wenige Augenblicke später begannen dicke Regentropfen massenhaft gegen die Scheibe zu klatschen.

Entgeistert starrte Lance aus dem Fenster. Da würde er raus müssen.

"Hast du vielleicht einen Schirm, den du mir leihen kannst?", fragte er Keith, welcher dabei war, sauberes Besteck einzusortieren.

"Oh, ähm, warte, da muss ich meine Oma fragen", meinte der Musiker und ging kurz raus, um eben das zu tun. Gedämpfte Stimmen kamen aus dem Flur und es schien kurz, als würden sie über etwas diskutieren. Wenige Augenblicke später kam Keith zurück, als hätte er eine Schlacht verloren.

"Ähm, also, im Prinzip bist du jetzt wohl unser Gefangener. Sie weigert sich, dich da raus zu lassen. Wegen dem Wetter und weil es Nacht ist und so. Also- ja, du kannst gerne nochmal selber mit ihr reden, wenn du nach Hause musst, bei mir ist sie zu stur", er hob leicht hoffnungslos die Schultern, doch Lance grinste.

"Alles gut, ich glaube, ich kann eine Chance, diesem Wetter zu entgehen, nicht vorbeifahren lassen", meinte er, "Ich geb' meinen Eltern Bescheid, das wird schon in Ordnung gehen. Schließlich bin ich nicht mehr siebzehn und sie kennen dich ja."

"Hm", machte der Violinist, doch zuckte dann mit den Achseln, "Wenn's für dich in Ordnung geht, soll's mir recht sein."

Als er nach ein paar Minuten, in denen er seine Sachen in seinem Zimmer verstaut hatte, wieder ins Wohnzimmer kam, fand er seine Oma und den Tänzer auf dem Sofa wieder, Fotoalben um sich herum. Wie es schien, waren sie auf die Bilder an den Wänden zu sprechen gekommen und Flora ließ es sich nie nehmen, anderen Fotos von ihrer Familie zu zeigen, sodass die beiden sich nun über alte Grundschulbilder von Keith beugten.

"Oh Gott, bitte überspring die aus der Middle-School dann einfach, ja?", bat er resigniert und ließ sich auf Lance' anderer Seite nieder, um ihm ebenfalls über die Schulter sehen zu können.

"Natürlich nicht, das sind die besten!", entgegnete seine Oma jedoch und lachte spitzbübisch. Es sollte ihn eigentlich nicht mehr wundern.

Mit einem Lächeln auf den Lippen blätterte Lance durch die Alben und konnte nicht verhindern, dass ihn dabei eine wohlige Wärme erfüllte. Es waren Bilder aus allen bisherigen Lebensabschnitten Keiths dabei. Bilder von seiner Zeit als Kleinkind, wo er beinahe nur aus einem Wuschel aus schwarzem Haar und großen Augen bestanden hatte, Fotos von seinen Grundschuljahren, in denen er stolz seine Zahnlücken präsentierte und Kleidung mit Star Wars oder Pokémon Aufdrücken trug. Manchmal waren auch Klassenfotos dabei, Portraits von ihm, wie er ein wenig verkrampft lächelte oder sich noch nicht einmal die Mühe machte, das zu tun.

Lance konnte verstehen, warum Keith seine Bilder aus der Middle-School nicht mochte. Es gab noch nicht einmal wirklich viele und wenn, dann waren sie meist ziemlich unvorteilhaft, oder er sah aus wie bei drei Tagen Regenwetter. Auch Bilder von Geburtstagsfeiern waren zu sehen, Keith, wie er lachend die Kerzen eines Kuchens auspustete, auf dem in rosa "Sweet 16" draufstand, sein Bruder Shiro im Hintergrund, der sich gerade von einem Lachanfall zu erholen schien.

Bilder vom Abschlussball, in denen der Musiker tatsächlich einen Smoking trug und wirklich unglaublich gut aussah, auch, wenn er einen Gesichtsausdruck trug, als würde er in die Hölle geschickt werden.

Keith lachte bei den Erinnerungen an die Jahre, deutete auf Leute in den Fotos und erzählte Lance, wer sie waren und ob er sie mochte oder nicht. So gut wie jeden Namen schien er noch zu kennen, egal, ob es seine damaligen besten Freunde waren oder seine Grundschullehrerin.

Flora hatte sich nach ein paar Minuten verabschiedet, da sie ins Bett gehen wollte, und sie gebeten, möglichst leise zu sein und nicht herumzupoltern. Dann war sie gegangen und hatte die beiden jungen Männer alleine gelassen, die sich kaum fünf Minuten später ordentlich zusammenreißen mussten, um nicht laut über den Gesichtsausdruck einer Hintergrundperson lachen zu müssen, die Keith als einzige nicht mehr identifizieren konnte.

Es war schön, sich die Bilder anzuschauen und Lance genoss es insgeheim, wie Keith an ihm lehnte und die ganze Zeit über ein kleines Lächeln auf den Lippen trug.

Fotoalbum um Fotoalbum blätterten sie durch, ihre Anzahl schien unendlich zu sein, und irgendwann wurde der Violinist wieder müde. Das Gähnen wurde häufiger, seine Stimme leiser und tiefer und sein Körper schien immer schwerer am Tänzer zu lehnen. Mit der Zeit antwortete er nur noch mit kleinen Lauten auf Lance' Fragen, bis dieser keine mehr stellte und sich Stille über den Raum senkte.

Ein kleiner Seitenblick bestätigte dem Braunhaarigen, dass Keith eingeschlafen war, wie im Kino schon zuvor gegen seine Schulter gelehnt, sodass seine Wange leicht zerknautscht wurde und er am nächsten Morgen bestimmt mit einem Abdruck von Lance' Kleidung aufwachen würde.

Da er ihn nicht aufwecken wollte, lehnte der Tänzer sich ganz langsam vorsichtig nach hinten und stellte sicher, dass Keiths Kopf an die Rückenlehne des Sofas gelehnt war, ehe er in Zeitlupe unter dem Musiker hervorrutschte und aufstand, um das Licht auszumachen. Dann kehrte er zum Sofa zurück, setzte sich auf den gleichen Platz wie zuvor und ließ Keith sich wieder an ihn lehnen, ehe er die Arme verschränkte und die Augen schloss.

Der Schlaf überrollte ihn schneller als gedacht und schon wenige Minuten später war er eingenickt, seinen Kopf an den schwarzen Schopf von Keith gelehnt.

Das Zimmer war dunkel, nur schwach drangen die Lichter der Straßen zwischen den Vorhängen hinein, und noch immer prasselte und klatschte der Regen gegen die Scheiben, während der Sturm heulte und die Palmen sich unter seiner Wucht bogen.
Keith und Lance waren fest eingeschlafen auf dem Sofa zusammengesunken, die Zähne ungeputzt und die Straßenkleidung noch am Körper.
Vor ihnen lag ein Stapel Fotoalben, eines auf der Seite geöffnet, die Keith bei seiner Abschlussfeier zeigte, sein Zeugnis in der Hand und ein strahlendes Lächeln im Gesicht, während der Wind durch seine kurzen Haare wehte.

Der Kühlschrank brummte leise im Hintergrund und auch die Spülmaschine legte noch eine Nachtschicht ein, doch diese kleinen Geräusche störten die beiden nicht, dafür schliefen sie zu tief.

Auch bemerkten sie nicht, wie ein kleiner Schemen mit honigblondem Haar und Schlafanzug näher schlich und zwei Fotos knipste, eines mit Nachtsicht, das andere ohne.

Hätten sie nicht so tief geschlafen, hätten sie vielleicht das kleine, glückliche Lächeln gesehen, dass sich auf dem Gesicht des Schemens ausgebreitet hatte, als er mit seinen Beweisstücken wieder ins Schlafzimmer verschwunden war.

Es war fast zwei in der Nacht.

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