40 - Frühling

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„Ruhe!", zeterte Ragnar.

Der Lärm in der Versammlungshalle war ohrenbetäubend. Ragnar hatte seine Männer zusammengetrommelt und es schien, als witterten die Kerle gute Neuigkeiten. Die Diener sprangen umher und schenkten den Männern reichlich Bier ein.

Rurik sass mit Loki im hinteren Bereich und beobachtete das Geschehen.

Ein lautes Wirrwarr aus Stimmen und Gelächter schwoll an und selbst das Zuknallen der grossen Eingangstüre durch die Diener trug nicht dazu bei, dass Ruhe im Saal einkehrte. Die Männer waren aufgeregt und unruhig. Sie wollten endlich wissen, was Ragnar mit ihnen diesen Frühling wirklich vorhatte.

„Männer, haltet eure verdammten Fressen!"

Ragnar knurrte genervt. Er hatte Mühe, die Männerhorde ruhigzustellen. Einige blickten zu ihm hoch, andere waren noch immer in ihren eigenen Gesprächen vertieft und hatten scheinbar nicht gemerkt, dass ihr Jarl sie adressierte. So stand Ragnar auf seinen Thron und hielt die Hände in die Luft, damit die letzten Tuschelnden endlich verstummten.

„Dieses Jahr!", begann Ragnar mit dröhnender Stimme. „Dieses Jahr werden die Krieger Ragnar Sigurdsons in die Geschichte der Normannen eingehen! Wir werden nicht nur in ein Land eindringen — nein, wir werden gleich drei in Angriff nehmen! Wir werden dieses Jahr ins angelsächsische Reich, ins Frankenreich und in Schweden einfallen!"

Ein paar Männer, die ganz vorne sassen, klatschten zustimmend, andere waren aufgestanden, um zu sehen, ob er es ernst meinte.

Loki warf Rurik einen irritierten Blick zu, den dieser bloss erwidern konnte. Sie verstanden nicht, worauf Ragnar hinauswollte. Beim Thing hatte er nie von drei Raubzügen gesprochen.

Man wartete ungeduldig, bis sich der Jarl erklärte, denn das musste er. 

Ragnar grinste. „Ihr fragt euch jetzt sicherlich, wie wir das machen wollen. Nun denn, setzt eure stinkenden Ärsche wieder auf die Bänke und hört eurem Jarl endlich mal zu."

Er wartete, bis sich die Stehenden wieder gesetzt hatten und das Gemurmel und Getuschel verstummt waren. Dann fuhr er mit lauter Stimme fort: „Ein Teil unserer Männer wird in wenigen Tagen ins angelsächsische Reich ziehen, um friedlich — ich betone — friedlich den Versuch zu unternehmen, einen Vertrag mit dem dort ansässigen König einzugehen. Mit diesem Abkommen sollen Normannen erstmals in der Geschichte unserer Ahnen auf fremdem Boden heimisch werden!"

Es war so still geworden, dass man einen Strohhalm auf den Boden fallen hören könnte.

„Alf von den Fynen-Inseln wird die Truppen kommandieren, denn es liegt in seinem Interesse, dass dieses Unterfangen gelingt. Björn Graubart aus Skagen wird ihn bei den Verhandlungen kräftig unterstützen. Obwohl wir stark davon ausgehen, dass es sich um eine friedliche Übernahme der Ländereien handeln wird — der liebe König in diesem Reich wird sich beim Anblick unserer furchterregenden Krieger in die Hosen machen und nichts anderes als Frieden wollen — müssen wir einige unserer tapfersten Krieger auf diese friedfertige Mission schicken. Ich frage euch, meine mutigen Berserker und Eroberer. Wer in dieser Halle will gemeinsam mit Alf und Björn und ihren Truppen nach Westen segeln und den kleinen Angelsachsen Respekt einflössen? Wer einwilligt, hebe die Hand!" 

Erst ging ein Raunen durch die Menge, dann hielt eine überschaubare Zahl an Kriegern die Hände in die Luft. Rurik und Loki regten sich nicht. Die Diener zählten die ausgestreckten Arme durch und als klar war, dass sich genug Männer für den ersten Feldzug gemeldet hatten, rieb sich Ragnar die Hände.

„In vierzehn Tagen sollt ihr in See stechen", verkündete er. „Alf und Björn werden euch in eure Aufgaben und Truppen einweisen. Hört gut auf die beiden, denn sie sind zwei erfahrene Stammesführer und meine Freunde. Ich erwarte von meinen Männern absoluten Gehorsam, selbst wenn ich persönlich nicht dabei sein werde!"

Zustimmendes Murmeln.

„Und nun kommen wir zu meinem ursprünglichen Versprechen. Zum zweiten Feldzug, den wir ebenfalls diesen Frühling geplant haben: Die Plünderungen im Frankenreich müssen selbstverständlich fortgesetzt werden!"

„Ja, endlich!", rief jemand von den hinteren Bänken.

Ragnar nickte schmunzelnd. „Holrik der Schiffsbauer hat ein neues Schiffsmodell entworfen, mit welchem wir geschmeidig wie ein Aal durch die Flüsse navigieren können", fuhr er fort. „Wie der Kartenzeichner Einar uns einst gezeigt hat, soll dieser mächtige Fluss tief ins Landesinnere fliessen. Wir werden so weit segeln, wie es nur menschenmöglich ist und alles, was entlang dieses Gewässers wächst und gedeiht, niederschmettern! Die Christen sollen den Zorn der Normannen fürchten lernen!"  

Die Krieger stimmten diesen Worten mit einem mächtigen Brüllen zu. Es wurden Becher auf die Tische geknallt, sodass das Bier nur so überschwappte. Die Diener seufzten beim Anblick der klebrigen Sauerei, die gerade vor ihren Augen veranstaltet wurde.

„Mit unserer starken Schiffsflotte werden wir über sie herfallen. Keiner hat den Normannen zu sagen, woran sie glauben sollen! KEINER!" Ragnars Augen blitzten mörderisch. „Ich, meine geschätzten Brüder, werde Seite an Seite mit euch für unsere Götter und für unser freies, nordisches Leben kämpfen!"

Abermals verfielen die Zuhörer in ein zustimmendes Jubeln. Ragnar wusste wirklich, wie er mit seinen Worten auf seine Männer einwirken konnte. Loki kicherte ganz aufgeregt neben Rurik.

„Da unsere Flotte jedoch so gewachsen ist, werde ich zusätzliche Unterstützung brauchen", drang Ragnars Stimme zu ihnen heran. „Unterstützung von meinen besten Männern, denen ich mittlerweile auch mein eigenes Leben anvertrauen würde. Rurik Jarson und Thorsten Bordson, tretet hervor!"

Überraschtes Tuscheln, fragende Blicke. Rurik erstarrte bei der Erwähnung seines Namens. Er sollte was? Man machte Platz, um ihn nach vorne zu lassen. Etwas zögerlich und seine Irritation verbergend, schob sich Rurik mit Thorsten durch die Menge.

„Kommt, meine Brüder. Kommt näher", sagte Ragnar und winkte die beiden zu sich. „Bitte. Kniet euch vor eurem Jarl nieder und empfangt die von Odin geweihte Ehre."

Sie gingen vor Ragnar auf die Knie, beide erstaunt und überwältigt.

Der Jarl zückte sein Schwert und streckte es Rurik hin. „Rurik Jarson!", sprach er. „Ich erhebe dich im Namen von Odin und Thor zum ersten Hauptmann der zweiten Schiffsflotte, die ins Frankenreich ziehen und Tod und Furcht den Christen, aber Reichtum und Ehre den Normannen bringen soll! Du wirst der Flotte voransegeln und mit mir und den Männern an vorderster Front gegen die Franken kämpfen!"

Ein Beben ging durch Rurik, als die Worte in sein Bewusstsein sanken. Erster Hauptmann. Er. Eine Ehre, mit der er nicht gerechnet hatte!

Er bot seinem Jarl die offenen Handflächen hin und so legte Ragnar sein Schwert darauf ab. Rurik führte seine Lippen an das kalte Metall, küsste es und dankte seinem Jarl mit leisen Worten. Als nächstes war Thorsten dran. Ein kräftiger, mittelgrosser Kerl mit dunklem Vollbart. Ein guter Krieger, das wusste Rurik. 

„Thorsten Bordson, dich erhebe ich im Namen von Odin und Thor zum zweiten Hauptmann der Schiffsflotte, die ins Frankenreich ziehen und Tod und Furcht den Franken, aber Reichtum und Ehre den Normannen bringen soll! Du wirst mit Rurik und mir der Flotte voransegeln und mit uns und den Männern an vorderster Front gegen die Franken kämpfen!"

Thorsten drückte seine Lippen ebenfalls auf die Klinge des Schwertes und sprach seinen Dank aus. Sie erhoben sich wieder und wurden von ihren Kumpeln mit einem mächtigen Applaus empfangen.

„Auch diese Truppe soll in vierzehn Tagen die Segel hissen!"

„Ein Hoch auf unsere neuen Hauptmänner!", rief jemand aus den vorderen Reihen.

Von allen Seiten klopfte man Rurik und Thorsten auf die Schultern, als sie sich zurück an ihre Plätze begaben. Rurik konnte es noch nicht fassen, was soeben geschehen war. 

Ragnar gab seinen Sippenanhängern Zeit, sich über diese Neuigkeit zu freuen. Krieger waren schliesslich wie Brüder unter sich und wenn einem eine grosse Ehre zuteil kam, dann freuten sich alle. Er trank aus seinem Becher und musterte seine Männer.

Die Stimmung in der Halle war hervorragend.

„Und zuletzt, meine geschätzten Brüder." Ragnars Stimme hallte über die Köpfe hinweg. Er wirkte plötzlich ernster als davor. „Zuletzt soll die Rachelust, welche in unserer Brust brennt, befriedigt werden. Wenn die Luft wieder unerträglich zu glühen beginnt und der Sommer in seiner ganzen Pracht bei uns angekommen ist — wenn all unsere Truppen aus den fremden Ländern sicher zurückgekehrt sind und sich in Vestervig versammelt haben, dann werden wir unsere Kräfte ein letztes Mal bündeln und nach Osten ziehen. Wir werden gegen diesen Bastard Gustav den Blauen in den Krieg ziehen und seine gesamte Sippe dem Erdboden gleich machen!", donnerte Ragnar inbrünstig.

Helle Aufregung brach aus, einige standen brüllend auf, fielen sich jubelnd in die Arme und warfen ihre vollen Becher durch den Raum, sodass das Bier über die Köpfe geschleudert wurde. Die Männer grölten ihre Kehlen heiser. Jemand begann auf seinen Schild zu hämmern. Der Rhythmus des Krieges, der Schlacht. Ein Herzschlag des Todes. Der Lärm stachelte die Männer an, machte sie heiss und zappelig auf das, was ihnen bevorstand. Die Kampfeslust war in der Luft spürbar. 

Rache? Die nahmen sie alle mit Handkuss.

Loki sprang im Getose Rurik voller Freude an. „Hauptmann? Willst du mich veräppeln? Mein bester Freund ist erster Hauptmann von Ragnar Sigurdson?", jauchzte er.

Rurik lachte. Er hatte nicht mit einer solchen Beförderung gerechnet und war selbst von dem, was soeben geschehen war, mehr als überwältigt. Er trank einen kräftigen Schluck Bier, sodass ihm die Augen tränten.

„Bei den Göttern!", stiess er aus. „Ich kann es selbst nicht glauben!"

Loki schürzte die Lippen. „Schade, dass Audgisil nicht mit uns kommen kann", meinte er. „Ich hätte ihm so gerne gezeigt, wie sich eine Axt in einem viel besseren Winkel in den Nacken eines Franken schwingen lässt als das Schwert. Jetzt wird er mir das nie glauben! Und dann wird er auch nicht Zeuge von dir in deiner neuen Rolle als Hauptmann werden können!"

Rurik wischte sich das Bier aus dem Bart. „Ach was", erwiderte er. „Audgisil wird die Lieder hören, die von uns gesungen werden, wenn wir siegreich zurückkehren."

„Oh ja! In ganz Jütland wird man unsere Namen hören!" Loki grinste und tänzelte herum, sodass seine Locken auf und ab wippten.

Rurik war stolz, dass ihm Ragnar diese Ehre gewährt hatte. All die harte Arbeit und die Loyalität hatten sich ausgezahlt. Der Jarl schenkte ihm endlich den Respekt, den er verdiente.

Als Hauptmann würde er die Truppen in neue Länder beordern können, dessen war er sich sicher. Ruriks Abenteuerlust ging über die Entdeckung des Frankenreiches jedoch hinaus. Er wollte noch viel weiter segeln, als bloss diese eine einfache Flussmündung hinauf. Er wollte neue Ozeane und exotische Länder entdecken, von denen er nur auf den Strassen Menschen tuscheln gehört hatte.

Aber das hatte Zeit.

Erst einmal galt es, die geplanten Plünderungen erfolgreich durchzuführen und Ragnar zu beweisen, dass sein Vertrauen in ihn gerechtfertigt war.

Trotz all der rauschenden Freude, die durch seinen Körper floss, gab es etwas, das ihn an der Sache störte. Ihm war schmerzlich bewusst, dass Aveline kaum Freude daran haben würde, zu erfahren, dass er als Hauptmann in ihre Heimat geschickt wurde, um Tod und Schrecken zu verbreiten. Allzu gerne hätte er diese Freude mit ihr geteilt, aber er wusste, dass das unmöglich war. Sie war zwar eine Normannin, aber nicht im Herzen. Ihre Herkunft würde sie nie ablegen können, das wusste er.

Er mochte sie sehr und wollte ihr wirklich kein Leid zufügen. Sie würde verstehen müssen, dass ihm keine andere Wahl blieb. Eine solche Ehre durfte man als Normanne nicht abweisen.

Rurik war in seinen Gedanken versunken und dachte über eine Strategie nach, wie er Aveline und seiner Familie von dieser Neuigkeit erzählen könnte, da bat Ragnar die feiernde Menge nochmals, die Lautstärke zu senken.

„Geschätzte Brüder!", brüllte der Jarl. „Ich verspreche, dies sind die letzten Dinge, die ich euch zu sagen habe, dann lasse ich euch saufen und feiern, bis es kein Morgen gibt! Aber hört hin. Hört hin." 

Er blickte zum seitlichen Eingang der Halle und winkte jemandem zu. Alle Augen waren auf die offene Tür gerichtet.

„Bitte begrüsst eure neuen Brüder, die zu uns gestossen sind, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Jarl Alf aus Fynen, Jarl Sigurd aus Ribe, Jarl Björn aus Skagen und sein Sohn Rollo!"

Es wurde applaudiert, als die Männer in die Halle traten, ihre Hände grüssend in die Höhe gestreckt. Ragnar empfing sie mit einem kräftigen Händedruck.

„Zusammen werden wir drei grosse Ziele erreichen dieses Jahr: Wir werden fruchtbaren Boden besiedeln, reiche Ländereien plündern und unsere Rache toben lassen! Welch ein wunderbares Jahr steht uns bevor, meine geschätzten Krieger! Möge Odin uns seinen Segen schenken und uns bald in seinen heiligen Hallen empfangen! Skål!"

Man hob die Becher und stiess beflügelt auf die kommenden Abenteuer an.

Rurik musterte die Neuankömmlinge von oben bis unten. Es war nicht ungewöhnlich, dass sich Sippen für Plünderungen zusammenschlossen. Die Krieger beäugten sich gegenseitig immer argwöhnisch. Man musste schlussendlich abwägen, ob die Männer der anderen Sippe ebenbürtige Krieger waren.

„Dieser Rollo gleicht einem frischgeborenen Fohlen, so zerbrechlich wie der daherkommt", stellte Rurik fest. „Den werden die Walküren holen, sobald der fremden Boden unter den Füssen berührt hat."

„Die Körpergrösse sagt doch nichts über seine Fertigkeiten im Kampf aus", meckerte Loki und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin sicher, der ist ganz geschickt. Gross und klotzig ist nicht immer von Vorteil."

Rurik schmunzelte. Natürlich bestand sein Freund darauf. Loki selbst war von kleiner Statur, aber er war ein gefürchteter und flinker Krieger. Die Körpergrösse eines Mannes liess seiner Meinung nach nicht auf seine Überlebenschancen im Kampf Rückschlüsse ziehen. Rurik klopfte seinem Freund zustimmend auf die Schultern.

„Hast ja recht, Zwerg."

Loki knirschte mit den Zähnen und schlug Rurik die Faust in den Bauch. Sie lachten laut und ausgelassen.

„Ich habe gehört, dass Ragnar diesem Rollo eine Frau unserer Sippe versprochen hat. Als Zeichen seines Respektes", meinte der dicke Folkvar, der hinter den beiden das Gespräch mitverfolgt hatte.

Rurik liess von Loki ab und schüttelte den Kopf. „Natürlich hat er das." 

Für Ragnar waren Frauen eine Ware, ein Stück verkäufliches Fleisch, die er für seine Zwecke ausnutzte. Welches Ziel er wohl mit diesem Bündnis verfolgte? Das hatte er bestimmt nicht aus Grosszügigkeit, sondern aus reinem Kalkül getan.

„Die Vermählung soll noch vor Aufbruch stattfinden", fügte Folkvar hinzu.

„Na, was gibt es Besseres, als eine Hochzeit zwischen den zwei mächtigsten Sippen Nordjütlands!", grölte Loki und kippte sich das Bier in die Kehle.

Rurik musterte weiterhin den zierlich wirkenden Wikinger, die Arme skeptisch vor seiner Brust verschränkt. „Geht der mit seinem Vater mit ins angelsächsische Reich?", wollte er sodann wissen. „Wäre wahrscheinlich besser, der ist mir nicht sympathisch."

„Da muss ich dich enttäuschen, Hauptmann Jarson", erwiderte Folkvar. „Anscheinend wird der nicht seinen Vater begleiten, sondern mit Ragnar ins Frankenreich ziehen, um dort seine Tapferkeit unter Beweis zu stellen."

„Na toll", seufzte Rurik.

Er war sich sicher, dass einer der neuen Hauptmänner Ragnars die ehrenvolle Aufgabe bekommen würde, diesen Anfänger zu hüten und irgendein dummes Gefühl sagte ihm, dass er wahrscheinlich dieses undankbare Amt fassen würde.

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