41 - Frühling

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Die kleine Küchenschabe kroch blitzschnell über die Bank, blieb an der Kante ruckartig stehen und zuckte mit ihren Antennen. Im nächsten Augenblick war sie unter die Essbank gekrochen und aus Avelines Blickfeld verschwunden.

Inga sass vor ihr und blinzelte sie fragend an. Sie trug ein graues Gewand und hatte ihre Kapuze weit über den Kopf gezogen. Sie wollte nicht gesehen werden.

„Bist du dir ganz sicher?"

Aveline war in Gedanken versunken. Die Küchenschabe hatte den Boden erreicht und krabbelte über die Erde zur Feuerstelle. Sie folgte dem Insekt mit ihren Augen, dann nickte sie langsam.

„Man kann es nie mit Gewissheit sagen, aber so, wie du mir das beschreibst, bin ich mir ganz sicher", antwortete sie.

„Und es kann wirklich nicht vom Essen kommen?"

Die Küchenschabe war unter dem Spalt der Eingangstür ins Freie geschlüpft. Aveline starrte auf den kleinen Lichtspalt unter der Tür.

„Das glaube ich kaum, Inga", sagte sie und stand langsam auf. „Du trägst ein Kind in dir."

Inga blickte sie ungläubig an. Ihr Mund war vor Erschrecken noch immer leicht geöffnet.

„Ich kann dir ein Pulver geben, welches du dir in dein Essen gibst. Es hilft dir gegen die morgendliche Übelkeit."

Aveline kramte in ihrem Vorratslager und brachte ein kleines Gläschen mit einem weissen Pulver zum Vorschein. Hinkend kam sie in die Wohnstube zurück und reichte es ihrer Kundin.

„Hier. Nimm das."

Inga starrte sie noch immer an, sichtlich verwirrt. „Bei Freya, wie konnte das nur passieren?"

„Ich glaube kaum, dass ich dir das erklären muss."

„Aber wir haben doch immer aufgepasst."

„Das kann nun mal passieren", sagte Aveline.

Inga seufzte. Sie hatte die Situation wohl noch nicht ganz realisiert.

„Wer ist denn der glückliche Vater?", fragte Aveline heiser.

Sie hatte plötzlich einen Kloss im Hals. Sie wollte die Antwort auf diese Frage eigentlich nicht hören, denn sie fürchtete sich davor. Sie hatte eine Vorahnung, ein mulmiges Gefühl in ihrem Magen, das ihr sagte, dass sie die Antwort nicht mögen werde.

„Rurik, natürlich."

Der Stich traf sie, selbst wenn es sonnenklar gewesen war. Wer denn sonst hatte so oft mit Inga genächtigt? Warum hatte sie überhaupt diese Frage gestellt? Sie schluckte leer und setzte sich wieder auf die Bank.

„Wirst du es ihm sagen?"

Inga schüttelte heftig den Kopf. „Ohhh, ich weiss nicht! Soll ich? Vor Jule hat er mit mir Schluss gemacht. Bei Freya, meinst du, er wird mich wieder zurück wollen? Jetzt, wo ich sein Kind unter meinem Herzen trage?"

Aveline nickte schwach. „Bestimmt ..."

Inga stand plötzlich auf, als hätte sie es endlich kapiert, und hielt sich die Hände an den Unterleib.

„Ich kann es nicht fassen", murmelte sie. „Wir werden eine Familie sein! Unserem Glück kann jetzt nichts mehr im Wege stehen! Die Götter haben es so gewollt. Ich wusste es! Ich wusste es! Wir sind füreinander bestimmt." Sie drehte sich zur Heilerin um, dieses Strahlen zierte ihr Gesicht. „Oh Aveline, ich hätte nicht gedacht, dass du mich einmal glücklich machen könntest!"

Aveline stand auf und nahm Ingas Hand.

„Du solltest ihm möglichst bald von dieser freudigen Nachricht berichten. Ihr wollt doch sicher eure Zukunft planen, bevor er geht", sagte sie und tätschelte Ingas Handrücken.

Rurik hatte der Familie von der geplanten Abreise in zwölf Tagen berichtet. Das und die schreckliche Tatsache, dass er zum Hauptmann erhoben worden war. Aveline hatte nicht gewusst, wie sie reagieren sollte. Eine Mischung aus Angst und Wut hatte sich in ihrem Magen breit gemacht. Angst, dass Rurik nicht zurückkehren könnte und Wut, weil er in ihre Heimat reiste. Doch trotz all der Abneigung, die sie deswegen verspürte, wusste sie, dass es nicht in Ruriks Macht lag, darüber zu bestimmen, wohin Ragnar seine Männer zog. Er konnte nichts dafür.

„Du hast vollkommen recht! Ich muss es ihm sagen", riss Inga sie aus den Gedanken „Sofort! Oh, mein Zukünftiger! Rurik — der Vater meines Kindes!"

Aveline verschränkte die Arme vor sich.

„Wie viel bekommst du für dieses Pulver?", wollte Inga wissen.

„Nichts." Ein bitterer Geschmack machte sich auf Avelines Zunge breit. Ihr wurde schlecht.

„Du bist grosszügig. Habe Dank!", jauchzte Inga und sprang fröhlich aus dem Wohnhaus, ihr graues Gewand flatterte.

Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, hüllte sich die Dunkelheit um Aveline. Sie schlang die Arme fest um ihren Oberkörper.

Salka war seit einer Weile auf Besuch bei Alva in der Stadt, Hjalmar molk gerade die Kuh auf der Weide und Rurik war seit Anbruch des Tages auf Wanderschaft in der Stadt. Aveline war mit Inga alleine in der Stube gewesen, als diese ihr von ihren morgendlichen Übelkeitsattacken erzählt hatte. Sie hatte ihr ziemlich schnell die Diagnose stellen können, nachdem sie den Bauch genauer untersucht hatte. 

Den ganzen Tag schon hatte sie Kundschaft empfangen, wie so viele Tage zuvor. Inga war ihre letzte Kundin gewesen.

Aveline schlurfte in ihre Kammer, setzte sich auf ihr Bett und versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Ihr ganzer Körper zitterte. Diese Begegnung nahm sie schwer mit. Sie rang mit sich selbst, während sie versuchte, ihre Atmung zu entspannen und die Neuigkeit zu verarbeiten. Ihr Magen hatte sich verkrampft.

Ruriks Abreise wog schon so schwer auf ihrem Herzen und nun hatte Inga mit ihren Fingern tiefer in diese Wunden gebohrt. Sie aufgerissen und bluten lassen.  

Dieser Dummkopf! Natürlich musste er dieser einfältigen Kuh ein Kind in den Bauch stossen und damit alles, was sich zwischen ihnen angebahnt hatte, zerstören. Den Schätzungen von Aveline zufolge, musste Inga etwa kurz vor Ende des Winters schwanger geworden sein. Kurz bevor Rurik sie an Jule geküsst hatte.

Sie schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen. Eigentlich hatte sie es doch gewusst, geahnt. Ihre Liebelei war für ihn belanglos. Aveline versuchte, sich das krampfhaft einzureden, ja gar in den Kopf zu hämmern. Sie schlug sich mit der Handfläche an die Stirn. Sie hatten sich bloss wenige Male geküsst, aber zwischen ihr und Rurik war nichts.

Da durfte nichts sein!

Sie wiederholte die Worte leise vor sich hin, als ob sie sich von dieser Wahrheit überzeugen musste. Wenn sie es oft genug wiederholte, würde sie selbst daran glauben. Sie atmete tief durch und repetierte den Gedanken.

Da war nichts.

Wenn sie zuliess, dass da etwas war, dann würde ihr Herz nur wieder zu schmerzen beginnen. Diesen Schmerz wollte sie nicht zulassen. Es war einfach falsch, also durfte es nicht sein.

Es bedeutete nichts.

Das Stechen in der Brust liess nach, sie atmete wieder leichter.

„Reiss dich zusammen", sagte sie zu sich selbst und stand auf, um das Abendessen für die Familie zuzubereiten.

・・・

Als sie das Gemüse für die Brühe schnippelte, wurde die Eingangstüre aufgeschlagen und Rurik stürmte mit wildem Blick in die Wohnstube. Inga musste ihm wohl soeben die frohe Botschaft überbracht haben. Sein Gesicht war schneeweiss.

Aveline war in Gedanken versunken gewesen und hatte nicht mit seinem plötzlichen Erscheinen gerechnet. Sie schnitt sich vor Erschrecken in den Finger und liess das Messer fallen. Er erblickte sie und stapfte auf sie zu.

„Aveline." Er nahm ihre Hände in seine.

Sie zog ihre Arme zu sich. „Lass mich."

Sie blickte auf ihre Arbeit, denn sie wollte ihn nicht anschauen. Sie wollte ihm nicht zeigen, dass ihr die Kenntnis über Ingas Zustand schwer zusetzte.

„Du blutest."

„Ich weiss." 

Sie nahm den blutenden Zeigefinger in den Mund und saugte an der kleinen Wunde, ihren Blick fest auf die Zwiebel gerichtet, welche sie gerade schnitt.

Rurik liess seufzend von ihr ab und setzte sich ans Feuer. Die Ellbogen stützte er auf seine Knie ab und hielt seinen Kopf in den Händen. Die Verzweiflung war ihm deutlich anzusehen und Aveline hasste sich selbst dafür, Mitleid für ihn zu verspüren. Die ganze Sache hatte ihn offenbar überrumpelt.

„Ich will das nicht", murmelte er und rieb sich die Schläfen.

Aveline strich sich mit dem Handrücken über die Stirn, um eine Strähne aus ihrem Gesicht zu schieben. „Das hättest du dir vielleicht vorher überlegen sollen", grummelte sie leise.

„Was sagst du?", fragte er.

„Nichts. Herzlichen Glückwunsch."

Er zog sich die blonden Haare streng nach hinten. Sein Gesicht war verzerrt. „AH! Das ist unmöglich!", stiess er aus und stand wieder von seinem Hocker auf. Er lief wie eine nervöse Katze vor und zurück und grübelte, die Stirn vor Kummer in Falten gelegt.

„Das kann einfach nicht sein. Da ist was faul. Wir haben schon so lange nicht mehr ... Da muss was faul sein! Ich habe immer aufgepasst! Sie hat das mit Absicht gemacht, damit sie mich erpressen kann. Die würde alles tun, um mich zurückzubekommen. Es muss doch was geben, was ich dagegen tun kann!" 

Er tigerte vor und zurück, während Aveline stumm das Gemüse zubereitete. Sie wollte dazu nichts sagen. Plötzlich blickte er auf und durchbohrte sie mit seinen eisblauen Augen.

„Aveline!"

„Hm?"

„Du kannst doch sicher ... Du kennst doch sicherlich ein Mittel, das ... das alles wieder rückgängig machen kann."

Ihr Kopf schoss in die Höhe. Entsetzt starrte sie ihn an.

„Nein, Rurik." Sie schüttelte energisch den Kopf. „Sowas tue ich nicht. Das kannst du nicht von mir verlangen."

Er blieb jedoch beharrlich. „Heisst das, es gibt etwas, das sie nehmen könnte, damit—"

„Damit das unschuldige Kind stirbt?", beendete Aveline seinen Gedanken. „Ja, das gibt es natürlich! Aber wie kannst du nur sowas denken?"

Sein Kinn bebte. Er hatte solch schreckliche Angst, dass sie es beinahe selbst spüren konnte. 

„Ich will dieses Kind nicht, Aveline", sagte er. „Nicht mit Inga! Nicht mit dieser Verrückten. Ich will sie nicht, ich will es einfach nicht!"

Aveline knallte das Messer aufs Brett, sodass es laut schepperte. Sie war sauer. Sauer, weil er so ein verantwortungsloser Pflock war.

„Nur weil du deine Hände nicht bei dir lassen konntest, muss doch kein ungeborenes Kind bestraft werden!", fauchte sie.

Rurik blieb wie angewurzelt stehen, bleich und niedergeschlagen. „Was sonst bleibt mir denn übrig?", krächzte er. „Soll ich mich etwa meinen väterlichen Pflichten ergeben und die Mutter des Kindes zur Frau nehmen, obwohl ich sie abgrundtief verabscheue? Und dann, was? Ein unglückliches Leben führen?"

Aveline zuckte mit den Schultern. „Das hättest du dir alles vorher überlegen sollen", meinte sie und schob das Gemüse und die Kräuter in den brodelnden Kessel.

Er trat einen Schritt näher. Seine Augen glänzten verzweifelt. „Aveline, bitte hilf mir", flehte er und berührte ihre Schulter mit den Fingerspitzen.

Sie erschauderte und schüttelte seine Hand von sich ab. „Es liegt nicht an mir, die Last deiner Fehler zu tragen. Dir steht es nicht zu, mich zu einer Mörderin zu machen", zischte sie.

Er liess den Kopf sinken. „Aber das würdest du nicht sein!", flüsterte er. „Du gibst mir das Pulver oder die Kräuter, oder was auch immer dieses Problem löst und ich werde es Inga geben. An deinen Händen wird kein Blut kleben."

„Doch, denn ich würde dir das Wissen gegeben haben, wie man ein Kind im Bauch seiner Mutter tötet! Das macht mich genau so schuldig."

„Das spielt für die Götter keine Rolle. Das sehen sie nicht."

„Eure Götter interessieren mich herzlich wenig, Rurik. Ich spreche von meinem reinen Gewissen! Die Stimme in meinem Herzen, die mir sagt, ob meine Taten richtig oder falsch sind. Die Aufrichtigkeit in mir. Diese Stimme würde mich verfluchen, wenn ich dir das geben würde, wonach du mich bittest. Für immer verfluchen."

Er blickte sie traurig an und als sie ihm den Rücken zudrehte, um sich auf das Abendessen zu konzentrieren, setzte er sich resigniert auf den Hocker und stütze seine Ellbogen wieder auf die Knie ab.

Ihre Prinzipien wollte und konnte Aveline nicht für ihn aufgeben. Das war unmöglich, auch wenn es ihr schmerzte, ihm nicht helfen zu können. Nie würde sie ein unschuldiges Leben von dieser Erde nehmen. Nichts auf dieser Welt konnte sie vom Gegenteil überzeugen, auch nicht das warme Gefühl in ihrem Herzen, welches sie verspürte, wenn Rurik sie anblickte. 

Sie rührte wortlos die Brühe im Kessel.

・・・

Salka und Hjalmar trafen wenig später zum Abendessen ein. Die Familie ass am Esstisch. Rurik und Aveline starrten betreten in ihre Schüsseln und schwiegen, während Hjalmar und Salka sich über Sveíns Entwicklung unterhielten. Der kleine Bursche war mittlerweile knapp fünf Vollmonde alt und konnte schon alleine aufrecht sitzen. Seine Eltern waren selbstverständlich mächtig stolz darauf.

„Schlechter Tag?", fragte Hjalmar Aveline nach einer Weile, als er sah, wie sie appetitlos mit ihrem Löffel in der Suppe rührte.

„Nein", antwortete sie knapp, „nur interessante Kundschaft."

„Ah ja? Wer denn?", wollte Salka wissen.

Rurik warf Aveline einen warnenden Blick zu. Er wollte wohl nicht, dass sie seiner Familie die unerfreuliche Nachricht überbrachte. Aveline winkte ab und meinte, dass sie die unappetitlichen Details von den Wehwehchen ihrer Kunden wirklich nicht wissen wollen. Sie entschuldigte sich mit der Begründung, dass sie müde sei und ging in ihr Zimmer, ohne einen Bissen von der Suppe gegessen zu haben.

Sie warf sich aufs Bett. 

Nie in ihrem Leben hätte sie gedacht, dass ihr das passieren würde: Gefühle für einen Wikinger zu entwickeln! Es war einfach unmöglich!

So sehr sie innerlich dagegen ankämpfte, sie konnte ihre Gefühle nicht verleugnen. Das, was ihr Herz höher schlagen liess, wenn er in den Raum trat. Das, was sie nervös erröten liess, wenn er sie anschaute. Oder das, was ihr ein flaues Gefühl in der Magengegend verpasste, nur schon wenn sie an ihn dachte. Das war Verliebtsein - Herrgott nochmal!

Von seinen unglaublich schönen Berührungen auf ihrer Haut wollte sie gar nicht erst anfangen. Und diese leidenschaftliche Küsse! Dieses unerträglich schöne Kribbeln, welches sie fühlte, wenn ihre Lippen sich berührten. Nie, wirklich nie hätte sie sich erträumen lassen, dass sie solche Gefühle einem Menschen wie Rurik gegenüber hegen könnte.

Ein Heide, ein Barbar!

Diese Zerrissenheit quälte sie. Es war gleichzeitig richtig und falsch, was sie fühlte. Sie war so sauer auf Rurik und auf sich selbst. Sauer auf ihn, weil er ihr den Kopf verdreht hatte, obwohl er nebenbei mit anderen scharwenzelte und sauer auf sich selbst, weil ihr Herz nun vor Eifersucht triefte.

Wütend biss sie in ihr Gänsefederkissen. Warum zum Teufel war sie nur so dumm gewesen und hatte ihr Herz einem solchen Schürzenjäger geöffnet? Sie war doch eigentlich schlauer als das.

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