42 - Frühling

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Rurik streckte sich in seinem Bett. Eine schlaflose Nacht lag hinter ihm, in welcher er von Ingas Geständnis und Avelines enttäuschten Augen gejagt worden war. Er lag nun schon seit einer Weile wach. Der Tag war seit langem angebrochen und die Sonne musste schon steil stehen, aber er war in seinem Zimmer geblieben, um klar denken zu können.

In der Wohnstube war es ihm zu voll und betriebsam gewesen, da konnte er seine Gedanken nicht sortieren. Er hatte durch das rote Tuch hindurch Salka und Hjalmar gehört, wie sie mit den Kesseln geklappert hatten und den täglichen Arbeiten nachgegangen waren. Auch das dumpfe Geräusch von Avelines Gehstock hatte er vernommen. Jetzt war es jedoch wieder ruhig im Haus.

Er setzte sich an den Rand seines Bettes und kratzte sich am Hinterkopf. Dieses Missgeschick mit Inga raubte ihm die letzten Nerven. Eines war für ihn klar: Er wollte dieses Kind wirklich nicht, beim besten Willen nicht. Ihm war aber auch bewusst geworden, dass es falsch von ihm gewesen war, Aveline damit zu belasten. Sie hatte nichts damit zu tun und sie hatte ihn berechtigterweise in die Schranken gewiesen. Es lag allein an ihm, die Sache mit Inga zu bereinigen.

Als sie ihm am Vorabend von der Schwangerschaft erzählt hatte, war er nicht darauf gefasst gewesen. Es hatte ihn dermassen aus der Bahn geworfen, dass er kaum einen klaren Gedanken hatte formen können. Er hatte nicht gewusst, wie er auf diese Neuigkeiten reagieren sollte und war mit den Worten 'Ich werde es mir überlegen' davongelaufen.

Das war ein grosser Fehler, denn damit hatte er eines getan: Inga Hoffnung gegeben. Diese musste er jetzt wieder im Keim ersticken, denn er war noch lange nicht für diesen Abschnitt in seinem Leben bereit. Er war zu jung und Inga war nicht die Frau, die er wollte.

Ganz im Gegensatz zu Aveline. Sie wollte er und er befürchtete, ihre Gunst mit diesem Unglück verloren zu haben.

Er musste es gerade rücken und er wollte das erledigen, noch bevor er auf Plünderung ging. Es wäre nämlich fatal, wenn ihn solche Weibergeschichten bis aufs Schlachtfeld verfolgen würden. Das konnte und wollte er sich nicht leisten.

Er zog sich eine grüne Tunika über den Kopf und band sich die Haare nach hinten. Als er aus seinem Zimmer trat, fand er eine dunkle Wohnstube vor. Er war froh, dass sich keine fremden Dorfbewohner in seinem Haus tummelten. Avelines Heilkräutergeschäft war heute geschlossen, denn sie wollte sich einen Ruhetag gönnen, erinnerte er sich. 

Hungrig suchte er in der Küchennische nach etwas Essbarem, sein Magen grummelte schon laut. Da klopfte es plötzlich an der Eingangstüre. Rurik packte einen Apfel und öffnete die Holztür. Loki stand grinsend und mit verbeultem Gesicht vor ihm.

„Rurik!", rief dieser und umarmte seinen Freund.

„Loki. Was machst du hier?"

„Ich hab eine kleine Überraschung für dich!", jauchzte er und rieb sich die Hände.

„Und das–", sagte Rurik und zeigte mit seinem Finger auf Lokis verprügeltes Gesicht, „willst du mir nicht erklären?"

Loki winkte mit der Hand ab und schnaubte. „Nur mein alter Herr, der seinen Frust an meinem Gesicht auslassen musste", sagte er.

Rurik musterte seinen Freund und biss in den Apfel. Ein Auge war stark angeschwollen, sodass die Lider dick hervorstachen. So aufgedunsen, wie die waren, konnte er aus dem Auge nichts mehr sehen. Auch die Lippen waren lädiert, an der Nase klebten Blutkrusten und dunkelviolette und grüne Flecken erstreckten sich übers halbe Gesicht.

„So wie du aussiehst, hat wohl dein alter Herr selbst eine Tracht Prügel verdient", kam er kauend zum Schluss.

„Ach was!", erwiderte Loki. „Sieht schlimmer aus, als es ist. Jetzt zurück zur Überraschung. Komm! Wir gehen zur Koppel des Pferdemeisters, sie veranstalten heute einen Pferdekampf." Er zog Rurik am Ärmel zu seinem Pferd.

Rurik staunte nicht schlecht, als er auf dem Hofplatz seinen Hengst fertig gesattelt und bereit für einen Ausritt stehen sah. An Haskis Flanke prangte ein prächtiger Schild. Die rote Farbe des Sigurdson-Wappens schien hell im Sonnenlicht.

„Was ist das?", fragte er und betrachtete den verzierten Schild neugierig.

„Dein neuer Schild. Für unsere Raubzüge!" Loki klatschte aufgeregt in die Hände.

„Du hast mir meinen eigenen Schild geschmückt?" Rurik strich über die spitzen Walrosszähne, die aus den drei schwarzen Kreisen ragten. Ein faszinierender Schild war das.

„Gefällt er dir?"

Rurik liess seinen Freund absichtlich in der Ungewissheit zappeln. Er tat so, als würde er sich überlegen müssen, ob ihm der Rundschild gefiel. Er ass seinen Apfel zu Ende und musterte ihn skeptisch.

„Hm, also ich weiss nicht", täuschte er vor.

„Was weisst du nicht?", rief Loki entsetzt und nahm den Schild vom Pferd und streckte ihn seinem Freund aufdringlich hin. „Los nimm ihn und schwing ihn! Er ist immer noch leicht und handlich. Schau." Loki warf den Schild gekonnt über seine Schultern und fing ihn wieder auf. „Damit wirst du als Hauptmann im Frankenreich Angst und Schrecken verbreiten können und siehst gleichzeitig unglaublich schick aus!"

Rurik reichte den Rest des Apfels seinem Pferd, nahm den Schild in die Hände und stellte ihn schützend vor sich.

„Ja, du hast recht. Es fühlt sich wie ein ganz normaler Schild an."

Loki klappte die Kinnlade auf. „Ein ganz normaler Schild!", äffte er ihn nach. „Sag mal bist du erblindet!"

Rurik lachte und klopfte seinem Freund auf die Schultern. „Ich mach nur Spass, Loki. Es ist ein sensationeller Schild. Danke! Es gefällt mir wirklich sehr. Hast tolle Arbeit geleistet."

Diese lobenden Worte zauberten Loki ein Lächeln ins geschwollene Gesicht.

„So und jetzt lass uns zum Pferdekampf gehen!", drängte er. „Ich habe auf den Hengst von Thorsten gewettet. Ich muss schauen, ob ich was vom Gewinn abbekomme!"

Rurik hängte den Schild wieder an die Flanke seines Pferdes. Er wusste, es würde Loki grosse Freude bereiten, wenn er jetzt bereits damit in der Gegend herumstolzierte. Und noch viel mehr Freude würde es seinem Freund bereiten, wenn er mit diesem schönen Schild auf Plünderung ging.

・・・

Auf der Koppel des Pferdemeisters hatte sich eine grosse Menschenmenge versammelt. Die Sonne schien hell auf die grüne Weide. Zwei Männer standen auf der Wiese, hielten ihre Hengste an den Zügeln und diskutierten. 

Rurik und Loki banden ihre Pferde etwas weiter entfernt an einen Pfahl und stapften in die Richtung des Geschehens.

Der Pferdekampf war in Vestervig, wie in ganz Jütland, ein beliebter Zeitvertreib. Dabei traten die sonst so friedlichen Hengste — meist in ihrem besten und fruchtbarsten Alter — gegeneinander an. Aufgetrieben wurden sie durch eine Stute, die man unweit an einen Pflock band. So würden die kräftigen Tiere gegeneinander um die Gunst des Weibchens kämpfen wollen. Dem Besitzer des stärkeren Hengstes winkte eine beachtliche Summe Münzen als Gewinn und die Zuschauer konnten auf die Tiere Wetten abschliessen.

Eine braune Stute wurde gebracht und an einen Pfahl in der Mitte der Wiese gebunden. Sie peitschte arrogant mit ihrem Schweif. Die Aufregung war den zwei männlichen Pferden anzusehen. Sie zogen ungeduldig an ihren Seilen und ihre Besitzer hatten Mühe, sie zurückzuhalten. Auf einen Pfiff hin liess man die Hengste frei und sogleich stürzten sich die Pferde aufeinander. Sie stellten sich auf ihre Hinterbeine und schlugen den anderen mit ihren Hufen. Sie lieferten sich einen harten Rangkampf. Das Weibchen graste in Ruhe an seiner Stelle, am Geschehen völlig desinteressiert.

„Auf welchen hast du gewettet?", wollte Rurik wissen.

„Auf den Braunen!"

Gemeinsam verfolgten sie das Spektakel. Die zwei Hengste prügelten sich erbittert, bäumten sich auf und fielen wieder auf ihre Vorderbeine. Der Boden zitterte von den Erschütterungen.

Nach einer Weile liess Rurik seinen Blick über die Menschenmenge schweifen. Er hoffte, dass er Inga irgendwo in dem Gewimmel erblicken würde, damit er die Sache mit ihr ein für allemal klären konnte.

Zu seiner Überraschung sah er stattdessen Aveline am anderen Ende der Koppel stehen. Sie war in ein Gespräch mit Alva verwickelt. Sein Blick blieb auf den beiden Frauen in der Ferne hängen.

„Oh verflucht!", rief Loki plötzlich neben ihm.

Sein Hengst hatte entgegen seiner Wette verloren und den Kampf aufgegeben. Die zwei Pferde wurden von der Koppel gebracht und der Besitzer des Siegerpferdes erhielt sein Preisgeld. Innert kürzester Zeit standen schon zwei neue Hengste bereit und wurden aufeinander losgelassen.

Loki beobachtete fasziniert die Kämpfe, während Ruriks Augen auf Aveline lagen. Alva hatte sich von ihr verabschiedet und nun stand sie alleine da. Sie hielt einen Becher in der Hand und leerte ihn gierig.

Sie trug ein dunkelblaues Kleid, das sich eng an ihre schmale Taille schmiegte. Eine Farbe, die ihr unheimlich gut stand. Ihre Ausstrahlung war heute einmal mehr sehr anziehend — selbst von dieser Distanz. Rurik seufzte. Alles in ihm schrie nach der Nähe dieser Frau.

Plötzlich machte sie auf dem Absatz kehrt und verliess die Koppel. Rurik setzte sich ebenfalls in Bewegung. 

„Ich bin gleich wieder bei da", sagte er zu seinem Freund, der ihn kaum gehört hatte.

Schnellen Schrittes überquerte er die Wiese und machte einen weiten Bogen um die Pferde. Er wollte sehen, wohin es Aveline trieb.

・・・

Aveline sprang zurück zur Schenke. 

Die Gruppe junger Männer und Frauen, die sie dort getroffen und kennengelernt hatte, wartete feuchtfröhlich feiernd auf sie. 

Es hatte sie nach der Mittagszeit so sehr nach einem Becher Met gelüstet, dass sie einen Teil von ihren hart verdienten Münzen zusammengekratzt hatte, um sich einige Getränke in der Schenke zu gönnen. Sie wollte den Kopf klären und ihre Sorgen und ihr Gefühlschaos einfach vergessen. 

Im Frankenreich wäre so etwas unerhört gewesen. Eine junge Frau alleine in der Schenke, ein Skandal! Aber hier war das normal und das gefiel ihr. Hier konnte sie tun und lassen, was sie wollte.

Anständigkeit hin oder her.

Sie schwankte etwas, denn sie hatte schon zwei Becher geleert, bevor sie Alva auf der Koppel erblickt hatte und ein paar Worte mit ihr hatte tauschen wollen. Alva war mit dem vierten Kind von Audgisil schwanger und Aveline hatte wissen wollen, wie es ihr ging. Soweit alles gut, hatte Alva gemeint.

Aveline hinkte die letzten Schritte zurück zum Tisch, welcher der Wirt aufgrund des milden Wetters draussen für seine Kundschaft aufgestellt hatte. Noch immer fühlte es sich für sie so eigenartig an, alleine unterwegs sein zu dürfen.

Sie galt hier unter der Bevölkerung mittlerweile als angesehene Normannin. Die Menschen grüssten sie auf der Strasse und versanken in Gespräche mit ihr. Sie selbst hatte sich immer als Fremde in diesem Land gesehen, aber seit einiger Zeit war dieses Gefühl verflogen. Sie war hier akzeptiert und wurde für ihre Fähigkeiten anerkannt und respektiert — und das, obwohl sie eine ledige junge Frau war.

Hier brauchte sie keinen Mann, dessen Ruhm sich auf sie übertrug. Hier definierten ihre eigenen Handlungen und Fertigkeiten ihre Stellung in der Gesellschaft. Ein solches Leben hätte sie sich im Frankenreich nur erträumen können. In ihrer alten Heimat wäre sie nur irgendjemandes Frau geworden. 

Sie schmunzelte bei dem Gedanken, dass ihr Vater allen Ernstes einmal den Bäckerjungen als potenziellen Ehemann vorgestellt hatte. Wie lächerlich! Sie selbst war zu viel mehr imstande.

„Da bist du ja wieder!", rief Dotta, die Frau mit blonden Haaren, die zu der Gruppe gehörte.

Die Leute sassen zusammen auf den Bänken am Tisch und feierten. Dotta, welche Aveline zu sich gewinkt hatte, als sie noch alleine an ihrem Tisch sass, machte Platz, sodass sie sich setzen konnte.

„Ich habe soeben von Kjetill gehört, dass er dazu beordert wurde, mit ins angelsächsische Reich zu ziehen und ebenfalls auf Rachefeldzug gegen Gustav gehen wird. Was denkst du, Aveline, wird er ehrenvoll kämpfen und von den Walküren geholt?", fragte die Normannin.

Sie hatte ihre Haare zu zwei Zöpfen geflochten, die sich parallel über ihren Kopf zogen und auf ihren Schultern ruhten. Aveline trank einen mächtigen Schluck von ihrem Met. Das süsse Getränk klebte in ihrem Mund. Die geplanten Raubzüge waren der Grund des Feierns.

„Haben die Walküren denn schon ein Auge auf dich geworfen?", fragte Aveline den Krieger und rang sich ein Lächeln ab.

„Ich weiss nicht, sag du es mir." Kjetill grinste schief zurück und schielte auf den Sigurdson-Ring, der an ihrem Oberarm schimmerte.

Sie berührte den Armreif mit ihrer Hand und drehte ihn. „Sie sind noch etwas unschlüssig", meinte sie und trank nochmal einen grossen Schluck von ihrem Becher.

Kjetills Mundwinkel zuckten belustigt. Er benetzte seine Lippen mit der Zunge. 

„Dann wirst du die Walküren wohl mit deiner Manneskraft überzeugen müssen, lieber Kjetill!", grölte Dotta neben Aveline und schenkte allen noch mehr Alkohol ein.

„Darf man sich zu euch gesellen?", fragte plötzlich ein schlanker Unbekannter hinter der Gruppe.

Er trug die haselnussbraunen Haare kurz, ein paar wenige Strähnen hingen ihm in die Stirn. Er musste nur wenige Winter jünger als die anwesenden Personen am Tisch sein, jedoch wirkten seine Gesichtszüge noch sehr jungenhaft. Kein einziges Barthaar wuchs ihm im Gesicht.

„Wer bist du denn?", wollte Dotta wissen.

„Rollo. Ich bin Rollo Björnson", stellte er sich vor.

Kjetill drückte den Burschen grob auf die Bank. „Komm, setz dich zu uns, Skagener!", sagte er. „Du sollst doch dein Leben in guter Gesellschaft verbringen, bevor du in die Schlacht ziehst und zum Mann wirst!"

・・・

Rurik verschränkte die Arme vor sich und blickte von Weitem auf die Tische vor der Schenke. Er hatte Aveline an einem der Tische entdeckt. Sie sass dort mit Emmik, Kjetill, Valgard, Astrid und Dotta, einer Gruppe von Freunden aus Vestervig, die immer irgendwelche Dummheiten ausheckten. Gerade eben hatte sich zudem das Skagener Fohlen zu ihnen gesellt: Rollo. 

Rurik konnte sehen, wie dieser mit halb geöffneten Mund Aveline anglotzte. Er ballte die Fäuste.

Es störte ihn nicht, dass Aveline neue Freunde suchte, aber es missfiel ihm besonders, dass dort an dem Tisch neben dem Skagener Knirps dieses Monster sass: Kjetill. Und noch schlimmer war, dass sie tranken.

Missbilligend beobachtete er, wie sie immer wieder anstiessen und ihre Becher in einer rasenden Geschwindigkeit leerten. Die zwei Kerle drückten sich nach seinem Geschmack viel zu nahe an Aveline ran. Rollo drehte gerade eine ihrer braunen Locken in seinen Fingern und nun legte Kjetill sogar seinen Arm um ihre Schultern. Rurik spannte seine Kiefermuskeln an. Das gefiel ihm nicht — überhaupt nicht!

Aveline war zwar schon seit einiger Zeit bei den Normannen, aber sie war nicht trinkfest. Ein paar wenige Becher Met oder Bier konnten ihr schon alle Lichter auslöschen und wie es schien, war sie heute besonders durstig. Zudem bemerkte sie die Schmeicheleien der zwei Kerle überhaupt nicht. Im Gegenteil, sie schenkte ihnen noch ihr schönstes Lächeln. 

Wie konnte sie bloss so unbedarft sein!

„Rurik! Warum hast du mich da hinten einfach stehen lassen?", riss ihn Loki aus den Gedanken. Er war über die Koppel zu seinem Freund gerannt.

„Nur so, wollte was sehen."

„Du hast gerade den besten Faustkampf verpasst. Die zwei Besitzer haben gestritten und selbst angefangen, sich zu prügeln. Es war gar spannender als der Kampf zwischen den Hengsten!" Loki lachte auf.

Rurik nickte, ohne wirklich zuzuhören.

・・・

Das Trinken nahm kein Ende. Die Wikinger feierten und soffen sich nach Asgard. Aveline konnte kaum mithalten.

Die Welt drehte sich bedrohlich vor ihren Augen. Sie blinzelte angestrengt. Ihre Zunge fühlte sich lahm an und es fiel ihr immer schwerer, die nordischen Wörter in ihrem Mund zu formen. Sie lallte und nahm die Welt bloss noch durch einen verschwommenen Schleier wahr. 

Mit einem Ohr bekam Aveline mit, dass nebst dem angelsächsischen Reich auch wieder ihre Heimat Opfer der brutalen Plünderungen werden und Rollo an der Seite von Ragnar die Franken schlachten würde. 

Sie war bereits zu betrunken gewesen, um diese Information richtig zu verarbeiten. Ihr ganzer Körper fühlte sich taub an. Sie genoss die Gefühllosigkeit. Keiner ihrer Sinne schien mehr funktionieren zu wollen. Es war schön, alle Schmerzen endlich mal betäubt zu haben und die Sorgen vergessen zu können. Ihr war es sonst nie so richtig gelungen.

Sie hing schlapp am Tisch, als Dotta sie an der Schulter rüttelte und sie davon überzeugen wollte, dass es doch eine gute Idee sei, ein Pferdewettrennen zu veranstalten. Dafür wollten sie dem Pferdemeister ein paar Tiere entwenden. Diese würden sie ihm natürlich danach wieder zurückbringen, aber — da gerade die halbe Stadt vom Pferdekampf abgelenkt war — war es ein idealer Zeitpunkt, um in die Ställe zu schleichen und dort ein paar Tiere zu klauen.

Aveline fand diese dumme Idee in ihrem Zustand natürlich vortrefflich und willigte ein. Sie standen von ihrem Tisch auf. Aveline bat Dotta, ihr beim Gehen zu helfen, denn sie schwankte stark und hatte ihren Gehstock irgendwo liegen gelassen. Dotta meinte lachend, dass Kjetill ihr viel lieber behilflich sein würde und schubste sie in seine Richtung. 

Aveline stolperte in seine Arme. Er fing sie grinsend auf und legte seinen Arm um ihre Taille.

„So fällst du nicht um, Süsse", säuselte er und kniff ihr in den Hintern.

・・・

Die Gruppe in der Schenke setzte sich in Bewegung.

„Ist das nicht Aveline dort in Kjetills Armen?", fragte Loki, der nun genau wie Rurik in die Ferne blinzelte.

„Ja, das ist sie." 

Rurik knirschte mit den Zähnen. Er wusste, dass Kjetill ihre Hilflosigkeit gnadenlos ausnützen würde, wenn er jetzt nichts dagegen unternahm. In irgendeine dunkle Ecke oder staubige Scheune würde er sie schleppen.

Er hatte genug gesehen. Ohne einen Moment länger zu warten, ging Rurik auf die Gruppe zu und schnitt ihnen den Weg ab. Loki folgte ihm hüpfend.

„Ab hier übernehme ich", sagte Rurik und verschränkte die Arme vor sich.

„Rur'k! Was machscht du hier?", hickste Aveline.

Sie hing an Kjetills Flanke, seine grosse Hand ruhte auf ihrer Hüfte. Die Augen des schlaksigen Riesen glänzten betrunken. Er musste wie alle anderen bereits eine beträchtliche Menge Alkohol im Blut haben. Ein falsches Wort und der Kerl konnte durchdrehen.

Die anderen Mitglieder der Gruppe gingen weiter. Sie wollten nicht aufgehalten werden und wahrscheinlich wollten sie nicht mit Hauptmann Jarson einen Streit anfangen. Nicht aber Kjetill. Dieser schien sich über die Konfrontation zu freuen.

„Nein, sie gehört mir", knurrte der Riese und drückte Avelines zierlichen Körper näher an sich.

„Sie ist zu betrunken. Ich bringe sie nach Hause."

Rurik versuchte, möglichst ruhig und beherrscht zu bleiben, denn er wollte keinen Aufstand machen. Das war nicht der Ort und Zeitpunkt dafür. Alles, was er wollte, war, Aveline aus diesen Armen zu bekommen. Er mahlte mit dem Kiefer. 

Aveline drückte sich murrend von Kjetill weg. „Heee, isch gehör dir nisch", nuschelte sie.

Kjetill ignorierte sie, riss sie zu sich zurück und meinte an Rurik gewandt: „Sie kann noch ganz gut auf ihren eigenen Beinen stehen. Sie wollte mit uns mitkommen, also: Aus dem Weg."

Rurik blieb stur stehen. „Nein. Sie kommt mit mir nach Hause."

„Nein, kommt sie nicht."

„Kjetill, ich wiederhole mich nur ungern."

Ruriks Hand wanderte zu seiner Axt, die er an seinem Gurt trug. Loki tänzelte wie auf Nadeln neben ihm, seine Hand ebenfalls bereit dazu, die Waffe zu zücken. Kjetills Augen funkelten herausfordernd. Die Anspannung zwischen den dreien war in der Luft zu spüren.

Plötzlich erbrach sich Aveline zwischen ihnen auf den Boden. 

Kjetill sprang angeekelt zur Seite und liess sie los. Rurik trat einen Schritt zurück, damit ihn der Strahl nicht traf. 

Loki lachte auf. „Ein Wasserfall aus gegorenem Met brachte Frieden über die zwei Streithähne", dichtete er.

Kjetill hielt sich die Hand vor die Nase. „Boah, ekelhaft!"

„'Schuldige", keuchte Aveline und würgte weiter.

Sie erleichterte sich ein zweites Mal und strauchelte fast Kopf voran in ihr eigenes Malheur, was Kjetill endgültig davon überzeugte, von ihr abzulassen. Er lief schnell zu seinen Freunden, die bereits im Pferdestall verschwunden waren.

Rurik nahm Aveline am Arm und brachte sie zu seinem Pferd. Er verabschiedete sich von Loki mit der Entschuldigung, dass er sich um sie kümmern müsse und ritt zurück zum Hof. 

・・・

Aveline schwankte stark auf dem Pferd und Rurik befürchtete, dass sie sich wieder erbrechen würde. Er hoffte, dass sie es noch so lange aushalten konnte, bis sie vom Pferd gestiegen waren, denn er hatte keine Lust Haski waschen zu gehen, nur weil er in einem Schwall Magensaft geduscht worden war. Aveline fiel schlaff vom Pferd, als sie beim Hof angekommen waren und rollte sich im Staub.

„Oh, isch glaub' isch hab zu viel getrunk'n", murmelte sie.

Rurik musste lachen. „Tatsächlich?" Er half ihr wieder auf, packte sie mit beiden Händen an den Unterarmen und zog sie kräftig hoch.

„Ah, nisch so schnell. Es dreht sisch alles", sagte sie und fiel in seine Arme.

Rurik seufzte ab ihrer Schlaffheit. Er hievte sie über die Schulter, was ein paar schwache Proteste bei ihr auslöste und trug sie ins Innere des Wohnhauses. Sie stank nach Bier und Erbrochenem. Er rümpfte die Nase und trat in die Wohnstube. Es war noch niemand zuhause.

Sachte liess er Aveline auf die Liege in ihrer Kammer nieder und brachte ihr Wasser. Alles, was ihr jetzt helfen würde, war, den Trunk auszuschlafen. Aveline rollte sich stöhnend zur Seite, als er ihr Zimmer mit einem Becher und einem leeren Holzeimer betrat.

„'Schuldige, Rur'k."

„Macht nichts", sagte er und kniete sich neben ihr Bett. „Hier, trink das. Wenn es wieder hoch kommt, kotz einfach da rein."

Kaum hatte sie einen Schluck Wasser heruntergespült, kam es ihr auch wieder in der falschen Richtung entgegen. Sie erbrach sich würgend in den Kübel, den ihr Rurik hinstreckte. Als sich ihr Magen wieder beruhigt hatte, legte sie sich hin und schaute ihn mit trüben Augen an.

„'Schuldigung. Isch bin ekelhaft."

„Hör auf dich zu entschuldigen. Jeder kann mal aus Versehen zu viel trinken."

„Des war nisch aus Versehen. Isch hab misch absischtlisch nach Asgard trink'n woll'n", murmelte sie und schloss die Augen. „Oh Gott warum dreht sisch alles?"

Rurik schmunzelte, denn er amüsierte sich schon ein bisschen ob ihrem besoffenen Anblick. „Warum wolltest du zu viel trinken?", fragte er und gab ihr nochmals einen Becher Wasser zu trinken.

Sie trank gierig und warf ihren Kopf ins Kissen. „'S heiss hier drin, nischt? Oh mir is' heiss. Isch muss des auszieh'n", murmelte sie und zerrte an ihrem Kleid.

Da es im Liegen unmöglich war, das Kleid auszuziehen, setzte sie sich auf. Ihr Oberkörper schwankte bedrohlich vor und zurück, ihre Haare standen in allen Richtungen ab.

„Oh, so schwierisch", brabbelte sie und wollte aus den Ärmeln schlüpfen, da hielt sie Rurik davon ab.

Sie blinzelte überrascht auf seine Unterarme. „Lass misch los."

„Warum hast du so viel getrunken, Aveline?", wiederholte er seine Frage.

Sie blickte ihn mit ihren benebelten Augen an und versuchte, ihren Blick auf seinen zu fokussieren. Es fiel ihr offensichtlich schwer, seine Augen zu fixieren. Sie schloss die Lider und schluckte leer, ihr Mund musste trocken sein.

„Weg'n dieser Kröte und dir! Du hast dein' Pfeil in mich geschoss'n, du Depp. 'S isch zerrissen und 's tut weh, hier", sagte sie unter Anstrengung und zeigte auf ihr Herz. „Isch wollte den Schmerz betäub'n."

Rurik hob überrascht die Augenbrauen. Da überkam sie bereits der nächste Würgereiz und er konnte ihr noch rechtzeitig den Eimer vors Gesicht halten. Ein weiterer Schwall halb verdautes Met entkam aus ihrem Magen.

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