Kapitel 39

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Es waren die ruhigen Stunden, die Lex vermisste. Die Zeit, in der er nichts zu tun pflegte. Weder nach dem Essen zu suchen, noch waghalsig von wütenden Soldaten gejagt zu werden - einfach die Entfaltung der Persönlichkeit genießen. Und die bestand darin, Fussel neue Tricks beizubringen. So schlichen sie gemeinsam in die Außenwelt, der freie offene Wald. Wo das dichte Gebüsch den wilden Tieren Schutz gebot. Doch Fussel war zu agil und flink. Ein brillanter Jäger, der geräuschlos über die Streuschicht des Bodens glitt. So dauert es nicht lange, bis er einen Hasen überraschte und Lex zu Füßen legte.

Das nassgesogene Moos, aus dem die Eichen, Buchen und Birken wuchsen, fühlte sich wie ein weiches Federbett an. Eine unberührte Natur war diese Idylle dennoch nicht. Der Wald gehörte den Gläubigen, wie so ziemlich alles, was Lex erblicken konnte. So war es eigentlich auch nur den Gläubigen gestattet, einen Fuß auf das nass-triefende Moos zu setzen. Dennoch war es nicht unüblich, dass die Armen der Unterschicht sich an den Holzbeständen bedienten – solange sie sich nicht erwischen ließen, mussten sie auch keine Strafe fürchten. So war der gejagte Hase ebenfalls eine Straftat, die Lex in sein Register aufnehmen musste. Doch seine Alternativen,  Hunger, Qualen und Tod hinzunehmen, die hin mit knurrendem Magen durch den Spalt schicken würden, waren keineswegs annehmbar.

Was das Ableben der Richterin anging, so verbreitete sich das Gerücht ihres Verschwindens wie ein Feuer in einem trockenen Wald. Niemand konnte die Leichen in der Gasse Identifizieren, was auch immer das Monster mit ihnen angestellt hatte - Lex hatte diese Metzelei bewusst nicht beobachtet – hinterließ nur große fragende Gesichter, die mit Abscheu, Bleichheit und Furcht auf die Toten blickten. So waren es nur Lex, Liam, der Große Don, Juni und Fussel, die wussten, was wirklich hinter dem Verschwinden der Richterin steckte. Einstimmig beschlossen sie, dieses Wissen mit in ihr Grab zu nehmen. Die Leichen wurden wie üblich geplündertbis nur noch die vom unbrauchbarsten Kleider übrig blieben – für einige wenige dennoch eine Verbesserung. Anschließend deponierte man sie auf den Leichenberg des Leichenviertels, an dem die Krähen ihr Festmahl willkommen hießen.

„Wir sind alle gleich!", stellte Lex fest, als er die nackten Körper der Toten nicht mehr voneinander unterscheiden konnte. Immer mehr drängte sich die Frage in seinem Kopf auf, weshalb die Gläubigen so viel mehr sein durften als er. Dabei wollte er doch nur leben – zusammen mit Liam.

Fussels Bellen holte ihn zurück aus seinen Gedanken. Schwanzwedelnd hoffte der darauf, dass Lex den Stock, den er nun schon eine Weile anstarrte, erneut werfen würde.

Lex schleuderte das Ding quer durch die Luft, hier und da blieb es an einem Baum hängen, was einen dumpfen Ton ergab. Dann ließ er sich auf ein Totholzstumpf fallen und wartete, bis Fussel wiederkam. Es dauerte nicht lange, denn Fussel war schnell. Problemlos stand er bereits an der Stelle, wo der Stock landen würde und öffnete erwartungsvoll sein Maul, obwohl die Flugbahn durch die Kollisionen mit dem Gehölz mehrfach verändert worden war. Lex schüttelte erstaunt den Kopf. Fussel schien genial zu sein.

Wäre er ein Mensch, könnte er sicherlich mit Juni mithalten, redete er sich ein.

Während Fussel gemütlich zu Lex zurücktappte, dachte Lex an Liam. Er stellte sich die Frage, was er gerade machte. Lex war zwiegespalten. Zum einen freute er sich, wie sorgsam Liam war und es gab ihm Hoffnung, dass er ein Mittel finden würde, das seiner Mutter von dieser Krankheit befreien konnte. Auf der anderen Seite gefiel es ihm keineswegs, Liam erneut zu den Gläubigen gehen zu lassen, doch Liam war stur. Wie ein Bock! Wenn er sich einmal was in seinen Kopf gesetzt hatte, so beharrte er so lange darauf, bis er es schließlich gemacht hatte. Zu häufig hatte sich Lex, den Mund fusselig geredet.

Schmunzelnd dachte er daran, dass er Liam auch unter keinen Umständen zu seiner Mutter hatte bringen wollte. Aber diese Sorge entpuppte sich als genauso unbegründet herraus wie alle anderen Sorgen, die er sich um Liam machte.

„Was bin ich denn für Idiot? Ihm nicht mehr zu vertrauen", sagte er zu Fussel. Als er ihm das Stöckchen aus dem Mund nahm und es erneut durch die Luft schleuderte. Wieder sprintete Fussel los. Seine Energie schien grenzenlos. Dabei war ihm klar, dass Liam diese Gefahr nur auf sich nahm, um ihm seine Liebe zu zeigen.

Wie schnell die letzten Studen verflogen waren, konnte sich Lex nicht ausmalen. Er sammelte hier und da Holz zum verfeuern, bis bald die Sonne den Schatten der Nacht über das Waldstück warf. Die Blätter bedeckten den weiten Untergrund und verfinsterten alles Darunterliegende. Er hatte sich fest vorgenommen, heute früher als gewohnt nach Hause zu gehen und seiner Mutter das Essen zuzubereiten. So kletterte er mit Fussel genauso unbemerkt, wie er zuvor herausgekommen war, zurück in die vermeintlich sichere Stadt.

Den Hasen verstauter er unter seiner Jacke, damit er nicht die gierigen Blicke der Menschen auf sich zog. Doch diese waren viel mehr damit beschäftigt sich über Fussels Aussehen zu beschweren. Teilweise schwang der Respekt im Flüstern hinter hervorgehaltener Hand bei. Denn wo jetzt der Hase unter Lex' Bekleidung versteckt war, passte Fussel keineswegs mehr hinein. Er war gewachsen in solch rascher Geschwindigkeit, dass er nun schon bis zu Lex' Knien reichte – das, was einem mittelgroßen, ausgewachsenen Hund gleichen würde.

Aber Lex wusste um die massiven Ausmaße, die ein Riesenwolfshund annehmen würde. Domestizierte Monster, deren Kräfte von den Gläubigen erbarmungslos ausgenutzt wurden. Manche der Elenden bezeichneten sie als die Dämonen, die jeden ohne Geld in Stücke reißen würden. Ihr Herz und ihre Seelen gleichmäßig verschlingen würden und diese dann zerteilt durch den Riss schicken würden.

Wieder eine Lüge, die ihm erzählt worden war. Den Fussel war keineswegs ein solches Monstrum. Doch dieses Mal stammte die Lüge nicht aus den Mündern der Gläubigen, sondern aus den fürchterlichen Fantasien, die der Angst der Armen entsprang.

In seinen Gedanken verloren, erkannte er den Menschenauflauf vor seiner Wohnung sehr spät. Wie eine undurchdringliche Mauer standen die in Lumpen gewickelten Menschen Schulter an Schulter. Was dieser Aufstand sollte, verstand Lex zunächst nicht.

„Hier lebt die Hexe, die unseren Brunnen zerstörte!"

„Verbrennt sie!"

„Verdammt sei diese Hexe!"

Die Worte, die aus den mit Hass gefüllten Mündern drangen, versetzten ihn in Angst und Schrecken. Die wildesten Vorstellungen fielen ihm ein. Er wollte hindurch zu seiner Mutter. Doch die schiere Enge blockten jeden einzelnen seiner Versuche sich hindurchzuzwängen. Und auch Fussels Knurren und Bellen ging im Gebrüll von Hass und Zorn verloren.

Ein Schreien. Ein Grölen. Ein Schlag- drang aus dem Inneren des Hauses hervor. Ein Poltern - etwas schien die Treppe herabgestürzt zu sein.

Als die Tür zur Außenwelt rabiat aufgetreten wurde. Das alte, morsche Ding sauste erbarmungslos gegen die Wand, drohte in tausende Teile zu zerschellen. Die Person, die die Tür von innen aufgetreten hatte, trug finster-schwarze Stiefel, die Rabenmaske versteckte seine Gesichtszüge, die roten Handschuhe gaben seine Zugehörigkeit preis. Ein Fäustling hing einsatzbereit an seiner Hüfte. Sofort wurden die Schaulustigen zurückgedrängt – fast panisch. Die Rote Hand war gekommen. Sie holten nicht irgendwen aus diesem Gebäude. Sie holten seine Mutter.

Brutal zogen sie die gepeinigte Frau an ihren weißen Haaren aus dem Haus. Ihre Beine besaßen nicht die Kraft zu laufen. Ihr Körper geschunden vom ungewollten Sturz die Treppe herab.

„Das darf nicht sein!", dachte Lex. Er wollte sich rühren. Helfen! Doch seine Beine zitterten vor Angst, erstickten seine Bewegungen und ließen ihn wie gefesselt auf die Situation blicken. Wie seine Mutter mit ihrem schwachen Körper versuchte den festen Griffen der Roten Hand zu entrinnen. Doch all ihre Bemühungen im Kampf um Flucht und Freiheit blieben erfolglos.

„Wir fragen dich noch ein letztes Mal! Hast du Kinder, du verfluchte Hexenbraut!", zischte der ungehaltene Ton durch die schmalen Öffnungen zwischen den weißen Zähnen hindurch.

„Nein! Ich habe keine!", schrie sie. Voller Verzweiflung strampelte sie, aber all ihre Tritte verschwanden in der leeren Luft.

„Was soll ich tun!", die Angst durchflutete Lex wie eine Naturgewalt. Die Menschen um ihn herum begannen seine Mutter mit Beleidigungen zu beschimpfen.

„Du Hure!"

„Auf das du ewig brennen wirst!"

„Hexe!"

In seinem Bann bemerkte er nicht, wie der Hausherr auf ihn zukam. Mit einem Lächeln voller Zufriedenheit schaute er auf Lex herab. Dieser Blick gefüllt mit Abscheu und Überheblichkeit ließ Lex schaudern.

„Weißt du warum ich euch geduldet habe? Deine Mutter war eine Hure. Für mich hat sie ihre Beine geöffnet und zwar immer, wenn du nicht da warst. Sie wollte, dass du es nie erfährst. Doch als sie mich geschlagen hat, wusste ich, ihre Zeit ist reif zu verschwinden. Manchmal muss man den Müll aus dem Haus bringen. Diese Hexe erfährt ihre Strafe, wie alle Hexen! Gefällt dir der Anblick? Gefällt dir das, was du angerichtet hast? Ich will, dass du sie brennen siehst!", flüsterte er in Lex' Ohren.

Lex zuckte zusammen. Diese Widerwertigkeit an Worten konnte in seinem Kopf keine klare Bedeutung fassen. Im Gegenteil, sie schienen wie fern unmöglich greifbar. In seinen Augenwinkeln sah er Fussel lossprinten. Er sprang, vergrub seine Zähne tief im Bein des Hausherren, drohte ihn zu zerfetzen vor den Augen der Roten Hand. Als in seinem Kopf eine Stimme präsenter war denn je.

„Lauf, Lex. Ich liebe dich!", hörte er seine Mutter sprechen.

In seiner Verzweiflung zog er Fussel mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, vom dem Hausherren herab. Ein großer Loch blieb an der Stelle, wo man seinen Unterschenkel vermutete. Dann rannte Lex, bis seine Lungen zu brennen begangen, in der Hoffnung nicht verfolgt zu werden, ließ den vor Schmerzen schreienden Hausherrn zurück.

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