Blume des Krieges

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Das hier ist die düstere Version des vorigen Wettkampf-Themas. Die Geschichte landete mit zwei anderen Einreichungen (nicht von mir) auf dem dritten und letzten Platz.

Eine Geschichte, die mit dieser den dritten Platz teilte, findet ihr bei  . Link im Kommentar.

Maryanas Fuß stockt bei dem metallischen Geräusch. Oleksiys Herz ebenfalls. Auch die anderen bleiben wie versteinert stehen.

Dann bückt sich Maryana und hebt einen silbernen Zylinder auf. Oleksiy will sie zur Vorsicht mahnen, dann erkennt auch er es: Eine Getränkedose für Mineralwasser. Keine Granate. Keine Streubombe. Nur eine Dose.

„Sie ist voll", stellt Maryana fest. „Ein Tropfen mehr."

Oleksiy nickt. Seit zwei Wochen sind sie nicht nur von Heizung und Strom, sondern auch vom Wasser abgeschnitten. Die Dose ist ein kostbares Geschenk und wird nachher gerecht geteilt werden.

„Vielleicht liegen noch mehr dort?", vermutet Taisa und macht bereits Anstalten, zu Maryana zu laufen.

„Bleib auf deiner Linie!", befiehlt Ruslan. Taisa zuckt zusammen. „Ja. Natürlich. Tut mir leid."

„Können wir weiter?", erkundigt sich Andriko. Ruslan, der älteste unter ihnen, nickt. „Aber achtsam", erinnert er sie alle nochmals.

Die Warnung ist überflüssig. Sie alle wissen, was auf dem Spiel steht.

„Was war das hier mal?" Oleksiy mustert jeden Zentimeter Boden, bevor er seinen Fuß vorsichtig vorsetzt. Das Gras ist hier gute 20 cm hoch, grau vor Staub und überdeckt unzählige kleine Teile, die vor dem Berühren identifiziert werden müssen.

Andriko kennt sich aus. „Eine Fußballwiese. Direkt neben dem Gymnasium und dem Spielplatz. Ich bin hier zur Schule gegangen."

Oleksiy nicht. Er und Maryana sind aus einem anderen Teil der Stadt. Einem Teil, der noch zerbombter ist als dieser hier. Dort ist alles durchlöchert, schwarz verbrannt und dermaßen mit Trümmern übersät, dass kein Durchkommen mehr möglich ist. Weder für Menschen noch für die russischen Panzer. Darum kommen sie auch nicht bis hier. Nur von oben kann dieses Gebiet noch angegriffen werden. Aber das reicht auch aus.

Oleksiy blickt auf das, was Andriko Schule genannt hat. Wahrscheinlich hatte sie mal drei Stockwerke. Das oberste ist völlig fort, bis auf zwei Eisenträger hinten rechts. Die beiden Etagen darunter sehen aus wie Baba Yagas Hütte, die ihnen die Mutter immer zu Weihnachten backt. Am dritten Tag, wenn das Dach, die Zuckerfenster und die Marzipantiere bereits gegessen wurden und der Zuckerguß halb geschmolzen ist, weil das Kunstwerk mal wieder zu nahe am Kamin gestanden hat.

Aber die Lebkuchenhütte konnte man essen. Und im nächsten Jahr buk die Mutter ihnen eine neue. Die Schule dort wird nicht so schnell wieder aufgebaut werden können. Und ihre Trümmer sind nicht essbar.

Aber vielleicht befindet sich darin noch etwas Nützliches. Darum sind sie hier. Stolpern durch die Trümmer, die auf dem ehemaligen Bolzplatz verteilt sind, achten sorgfältig auf Minen, Streubomben und Blindgänger. Wie Ruslan gesagt hat: „Wenn wir zu Gulasch werden, haben die anderen immer noch Hunger."

Wieder bückt sich Maryana. Sie geht ganz außen, dort wo Betonkeile wie kariöse Zähne aus dem Kies ragen. Dort müssen Bänke gestanden haben, auf denen die Mütter den spielenden Kindern zugesehen haben. Oder die Lehrer die Pausenaufsicht ausgeübt haben. Andriko wird das genauer wissen. Aber Oleksiy mag jetzt nicht fragen.

Maryana zeigt ihren Fund. „Kekse!" Irgendjemand hat eine halbvolle Packung liegen gelassen und sich nicht mehr darum gekümmert. Vielleicht ist es heruntergefallen oder es sind Ameisen hineingekommen. Vor vier Wochen hätte Oleksiy die Packung dann auch nicht mehr angerührt. Jetzt hofft er, dass ein halber Keks für ihn übrigbleibt, wenn sie mit den anderen im Keller teilen.

Taisa schreit erschrocken auf. „Bleibt, wo ihr seid!" Sie hat etwas berührt, das weniger harmlos zu sein scheint. Nun schwingt sie ihren langen Stock wie einen Minigolfschläger und pfeffert etwas Undefinierbares quer über die Wiese. Weg von ihnen.

Alle kauern sich zusammen und legen die Hände über das Gesicht. Oleksiy kann jedoch nicht anders; er blinzelt zwischen den Fingern durch. Taisas Schlag war gut gezielt und kräftig; das Objekt schlägt über zwanzig Meter entfernt von ihnen auf. Einen Moment ist ruhig, dann knallt es heftig. Kreisförmig bricht der Boden auf, ein neuer Krater entsteht. Tiefschwarze Muttererde kommt zum Vorschein, wie eine Wunde im graugrünen Gras. Oleksiy denkt an eine Blume, eine schwarze Rose. So eine, wie er sie der Großmutter ins Grab geworfen hat.

Die fünf Jugendlichen husten, als sie eine Staubwolke einhüllt. Sonst ist ihnen nichts geschehen.

„Alles in Ordnung?", vergewissert sich Ruslan noch.

„Ja, alles okay", Andriko klingt heiser. Oleksiy brummt nur bestätigend. Nichts ist okay. Nicht einmal das Wort. Wenn die Russen siegen, werden sie dieses Wort wohl nicht mehr verwenden dürfen. Es ist zu westlich.

Ruslan sieht zum Himmel. Dämmern wird es erst in einer Stunde. Aber man weiß nie, wann sie kommen. Meistens hören sie sie in der Nacht, aber manchmal fliegen sie auch tagsüber. Vor allem nachmittags. Doch im Moment ist alles still.

Oleksiy versteht, dass Ruslan sie am liebsten zur Eile drängen möchte. Aber Eile kann hier sehr gefährlich sein. Auf dieser Wiese, die einmal für Spiel, Sport und Spaß gedacht war. Und nun aussieht wie ein makrabres Beet, übersät mit dunklen Löchern, in denen man Blumen oder junge Bäume setzen könnte. Doch die Löcher wurden nicht gegraben, sondern gesprengt. Oleksiy überlegt, ob hier jemals wieder etwas wachsen wird außer dem unverwüstlichen Gras.

In diesem Gras glitzert etwas. Zu klein für eine Bombe. Oleksiy hebt es auf. Eine Kaugummipackung. Zwei sind noch drin. Oleksiy steckt sie ein. Selbst Kaugummi zählt. Und jetzt muss er dankbar sein für die Menschen, die noch vor einem Monat sorglos Lebensmittel fortgeworfen haben. Jetzt nützt es ihnen.

Sie sind schon seit zwei Stunden unterwegs. Oleksiy schätzt die Entfernung zur Schule ab. Wahrscheinlich werden sie heute auch nicht bis ans Ziel kommen. Und morgen können sie nicht einfach den heutigen Weg langlaufen und dort weitermachen, wo sie heute aufgehört haben. Denn in der Nacht werden neue Bomben fallen.

Mit einem Jubelruf bückt sich Andriko nach einer halbvollen Plastikflasche. Wer weiß, wer davon einmal getrunken hat. Aber egal, es ist noch Limo übrig. Andriko verstaut die Flasche und kontrolliert noch einmal seinen Streckenabschnitt. Der Fund hat ihm Hoffnung auf weitere gemacht.

Oleksiy hat keine Hoffnung mehr. Sie werden immer wieder von Neuem beginnen müssen. Auch wenn Maryana immer wieder betont, dass sie jeden Tag weiter kommen und nur das forträumen müssen, was in der Nacht neu hinzukam. Gestern haben sie den Versuch aufgeben müssen, zu einem ausgebombten Laden zu gelangen. Nachts haben mehrere Geschosse das Hochhaus getroffen, in dessen Erdgeschoß er sich befindet und es über ihm zusammenstürzen lassen. Dabei hatten sie den Weg zu dem kleinen Geschäft schon fast freigeräumt.

Die Schule hier hat Andryko vorgeschlagen. Weil er dort auch Hauswirtschaft gelernt hat und es eine Kantine gibt. Sowohl die Lehrküchen als auch die Kantinenküche könnten noch Vorräte haben. Der Krieg ist zu schnell gekommen, um noch viel in Sicherheit bringen zu können. Die Idee ist gut, aber wie es aussieht, haben sie auch hier keinen Erfolg. Morgen wird Oleksiy nicht mehr mitkommen. Es ist ja doch sinnlos.

„Verdammt!" Ruslan hat es zuerst gehört. Fernes Brummen, noch sehr leise. Es wird noch gute zehn Minuten dauern, bis sie hier sind. In den letztenTagen haben sie es abschätzen gelernt.

Zehn Minuten reichen, um den freigeräumten Weg zurück zu laufen und die Keller zu erreichen. Aber sie genügen nicht, um die Schule zu erreichen. Die Flugzeuge werden schneller sein. Und vielleicht werden sie in der Nacht die Schule restlos zerstören.

Die fünf rennen zurück. Doch plötzlich bleibt Taisa stehen. „Seht doch mal!" Sie kniet nieder, betrachtet etwas, hebt es jedoch nicht auf. Und wirft es auch nicht fort.

Verwundert sammeln sie sich um sie. Und als sie es erkennen, glänzen ihre müden Augen, die ausgetrockneten Lippen lächeln.

Es ist nichts, was ihnen nützen könnte. Es ist etwas, was hier nicht zu erwarten war. Es ist eine winzige Kampfansage an die Zerstörung um sie herum. Ein zum Leben erwachter Trotzimpuls. Ein kleines Stückchen Hoffnung.

Während Oleksij sich den Anblick des Schneeglöckchens unauslöschbar ins Gedächtnis prägt, beschließt er, es morgen erneut zu versuchen. Und in den nächsten Tagen. Es kann nicht für immer dauern.

Irgendwie werden sie den Krieg überleben.

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