Stahl

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Vermutlich muss ich hier den Auslöser kaum nennen. Wir alle haben wohl die Bilder einer zerstörten Stadt gesehen, die Nachrichten gelesen/gehört und vielleicht auch das Video gesehen, mit dem die Eingeschlossenen um Hilfe gebeten haben - die sie nicht bekommen werden.

Inzwischen wird dort nicht mehr geschossen. "Nur" belagert - bis die Menschen dort aufgeben. Ob sie das tun, ist fraglich. Sie haben die Zusicherungen gehört, dass ihnen nichts geschehen soll. Aber sie haben auch die Bilder von anderen Menschen gesehen, die bereits solchen Versprechen geglaubt haben.

Ksenias Kehle ist so ausgedörrt wie graue Erde, die sie vor dem erdnahen Fenster sehen kann. Das Schlucken tut weh.

„Mama", ihre Stimme quält sich mühsam aus dem zusammengeklebten Rachen. „Ich hab Durst."

Die Mutter nickt. „Ich weiß, mein Liebes. Aber für heute haben wir kein Wasser mehr. Es muss rationiert werden."

„Was ist ratjoniiit?"

„Das bedeutet, wir dürfen jeden Tag nur eine bestimmte Menge trinken, damit morgen auch noch etwas da ist."

„Warum kommt denn keins mehr?"

„Weil die Leitungen zerstört sind."

„Kaputt?"

„Ja."

„Kann die keiner heilmachen?"

„Schon. Aber nicht, solange noch Krieg ist."

„Der Krieg ist voll doof."

„Ja," bestätigt die Mama. „Krieg ist ganz schön doof." Ihre Stimme klingt schwach und bei jedem Ton scheinen dürre Zweige zu brechen. Früher war Mamas Stimme wie das weiche Moos, in das sich Ksenia gerne zusammen mit ihrem Bruder Oleksiy gekuschelt hat. Damals, als es noch keine Russen gab. Und keinen Krieg.

Einer der Männer in diesem grüngrauen Anzug, den so viele tragen, steht nun auf und tritt zu ihnen. Er reicht Ksenia eine Flasche. „Ich habe noch etwas." Auch in seiner Stimme klingt das Brechen trockener Zweige mit. Ksenia versteht, dass er auch dürstet. Trotzdem gibt er ihr etwas ab.

Sie nimmt die Flasche, trinkt zwei Schlucke. Mehr nicht. Ratoniern hat Mama gesagt. Ksenia begreift jetzt, was das heißt.

„Danke schön", sie schenkt dem Mann ihr schönstes Lächeln. Und er lächelt zurück.

Während er die Flasche wieder verschließt, betrachtet Ksenia ihn. Sein Gesicht ist schmutzig, seine Augen haben rote Ränder, auf der eingefallenen Wange hat er einen Kratzer. Ksenia deutet drauf. „Das muss ausgewaschen werden." Dann fällt ihr ein, dass sie kein Wasser haben.

„Mama, hast du noch Auawasser?"

Mama schreckt auf. „Wie? Oh – ja." Sie holt das Fläschchen Arnikatinktur aus ihrer Tasche. Das hat sie immer dabei. Wenn Ksenia oder Oleksiy oder Maryana hinfallen und sich wehtun. Das Wasser brennt, aber es ist gut für Wunden und Prellungen, sagt Mama immer.

Der Mann zuckt zusammen, als Mama die Tinktur auf seine Wange tupft. Ksenia nimmt seine Hand. „Das macht Aua", erklärt sie. „Aber es macht das Aua auch weg. Das muss sein. Und das ist gleich vorbei." Das sagt Oleksiy auch immer, wenn Ksenia bei der Behandlung weint.

Der Mann bedankt sich bei Mama. Dann geht er in seine Ecke zurück und nimmt das Gewehr wieder zur Hand. Angestrengt sieht er aus dem kleinen Fenster.

Ksenia weiß, dass er nach Russen Ausschau hält. Und nach Bomben. An jedem der Fenster steht ein Mann mit einem Gewehr und guckt nach dem Krieg aus. Manchmal stößt er eine Warnung aus. Daraufhin kauern sich alle zusammen und legen die Hände über den Kopf. Mama nimmt dann Ksenia fest in die Arme und hält ihre eigenen Hände über Ksenias Kopf.

Meistens knallt es in dem Fall kurz darauf. Mal weiter weg, mal näher. Manchmal wackelt dann das ganze Haus, in dem sie sitzen. Nein, nicht Haus. Fabrik hat Mama es genannt. Hier wurde mal Stahl gemacht. So ein Stahl, aus dem die Gewehre sind, welche die grüngrauen Männer tragen. Und die komischen flachen Autos mit den vielen Rädern an der Kette, die durch die Straßen gefahren sind, bevor Mama sie gepackt hat und mit ihr weggelaufen ist. Hierher, wo der Stahl herkommt.

Einer der Männer stellt sich gerade vor eine der grauen Wände. Ein anderer hält sein Handy auf ihn. Maryana hat auch so ein Handy, mit dem sie Fotos von Ksenia, Mama, Papa und Oleksiy macht. Ob die Männer auch Fotos machen?

Der Mann an der Wand fängt an zu reden. Ksenia kennt ihn. Er trägt auch Graugrün und eine schwarze Mütze und er hat einen hellen Bart, den Ksenia gerne mal kraueln würde. Sicher fühlt er sich auch so lustig an wie das Fell von Fixi, ihrem Foxterrier. Der ist fortgelaufen, als die Russen kamen. Fixi mag die Russen auch nicht leiden.

Der Mann an der Wand sagt den anderen, was sie machen sollen. Mama sagt, er ist der Kommandant. Aber jetzt redet der Mann zu anderen Menschen, die nicht da sind. Er spricht in das Handy rein. Der andere Mann macht wohl einen Film. Und stellt ihn dann in das Internet. Ksenia kennt das Internet. Da ist ganz viel drin. Maryana zeigt Ksenia manchmal, was da alles drin ist. Ksenia liebt vor allem die lustigen Videos von Katzen und Hunden. Ob es die wohl noch da gibt? Oder ist der Krieg auch schon überall im Internet? Macht er da auch alles kaputt?

Der Kommandant redet davon, dass sie hier gefangen sind. Dass ganz viele verletzt sind. Dass sie kaum noch – Muntjon? – haben und kein Essen. Dass sie hier nicht rauskommen. Dass hier Frauen sind, alte Menschen und Kinder. Kinder wie Ksenia.

Er will, dass man sie rausholt. In ein Drittland. Egal wohin und wer. Ksenia gibt ihm recht. Eigentlich will sie nach Hause. Aber sie hat gesehen, was die Bomben mit ihren Haus gemacht haben. Mama und sie sind gerade noch rechtzeitig rausgekommen. Dahin können sie nicht mehr gehen.

„Mama, was ist ein Drittland?"

Mama seufzt. „Er meint alle Länder, die nicht Russland oder die Ukraine sind. Nach Russland wollen wir nicht. Und in die Ukraine wollen uns die Russen nicht lassen. Die Soldaten könnten dann weiterkämpfen."

„Aber wir kämpfen doch nicht", Ksenia versteht das nicht. „Uns können sie rauslassen. Zum Selenskiy, der beschützt uns dann. Und die Klitschkos, die sind voll stark, hat Oleksiy gesagt. Mama, wo ist Oleksiy überhaupt? Und Papa? Und Maryana?"

„Ich weiß es nicht", in Mamas Augen stehen Tränen. „Aber ich glaube, dass es ihnen gut geht. Daran müssen wir beide glauben, meine Kleine."

Ksenia nickt. Daran glaubt sie ganz fest. Schließlich betet sie jeden Tag und jede Nacht zum lieben Gott. Und bittet ihn, auf Papa und ihre großen Geschwister aufzupassen. Da muss er das doch auch machen.

„Können wir sie denn nicht suchen gehen?"

„Das geht nicht. Wir sind hier eingeschlossen. Die Russen lassen uns nur raus, wenn die Soldaten sich ergeben. Angeblich geschieht uns dann nichts. Aber das glauben wir ihnen nicht. Das haben sie anderen auch gesagt und nicht gehalten."

„Aber warum machen die Russen sowas? Sind wir ihnen denn egal?"

„Ich fürchte, ja", erwidert Mama leise. Ihr Gesicht hat einen Ausdruck, den Ksenia noch nie an ihr gesehen hat. In den vier Jahren ihres Lebens hat sie noch nie absolute Hoffnungslosigkeit gesehen. Aber auch wenn sie das Gefühl nicht benennen kann, die Empfindung teilt sich ihr mit.

Und plötzlich begreift Ksenia. Begreift, was der Krieg wirklich ist, was er ihnen antut. Und dass er nicht schnell vorübergeht wie das Brennen vom Auawasser.

Sie hat keine Angst mehr. Sie versteht. Und sie akzeptiert.

Ganz ruhig fragt sie: „Wir sterben jetzt, Mama, nicht wahr?"

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