Chapter 3 - Zerina

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„Ich könnte sie umbringen!"

Das sind meine ersten Worte, die ich mit Linus wechsle, nachdem die Zicke außer Hörweite ist. „Beruhig dich. Wir sind im Recht, die kann nichts anstellen.", meint Linus ganz ruhig neben mir, während er sein Rad neben sich herschiebt. „Wie kannst du so ruhig bleiben?" Ich verstehe es wirklich nicht. Das kann doch nicht nur an mir liegen, dass ich in so einer Situation komplett ausraste.

„Ich bin nicht ruhig. Ich zeige es einfach nicht so. Alles okay bei dir?" fragt Linus, und mustert mich kurz besorgt. Ich nicke und beschließe, das Thema sein zu lassen. „Ja, alles okay. Bei dir?" Linus nickt ebenfalls. „Bei mir auch. Willst du immer noch zur Bank?" Stimmt, wir wollten zur Bank. Ich nicke und lächle, obwohl mich die Situation von eben immer noch aufregt.

„Unbedingt. Ich brauch 'ne Kippe, jetzt erst recht." Linus lacht nur neben mir und nickt zustimmend. „Na dann, spring auf. Sowas wie eben wird sich sicherlich nicht wiederholen." Er steigt auf seinen Sattel, und ich klettere wieder auf den Gepäckträger. Kurz sucht Linus das Gleichgewicht, dann fährt er los.

Plötzlich werde ich skeptisch. Ich habe das Mädchen schon öfters gesehen als nur auf der Brücke. Sie geht in eine Klasse über mir und hat eigentlich immer mindestens vier Freundinnen um sich herum gescharrt. Soweit ich weiß, ist eigentlich nur selten eine von ihnen alleine unterwegs, und wenn dann nur spät abends oder früh morgens, wenn sie zur Schule müssen. Jetzt ist es aber weder spät abends noch früh morgens, wo also ist der Rest? Außer dem Mädchen eben saß niemand im Auto. Haben die etwa Streit?

„Ey, Linus. Kommt dir das Mädel nicht auch bekannt vor?" Linus schaut kurz nach hinten, konzentriert sich dann aber wieder auf die Straße. „Naja, kurz schon ja. Ich dachte sie geht eine Klasse über dir in die Schule, aber dann habe ich den Gedanken verworfen.", meint er. Jetzt denke ich erst recht genau nach. Doch, das ist das Mädchen. Jasmin heißt sie.

„Doch, ganz bestimmt ist sie das. Die ist doch immer mit mindestens vier Freundinnen unterwegs, nicht?" Linus denkt kurz nach, dann nickt er. „Stimmt. War keine im Auto?" Ich schüttle den Kopf, dann merke ich, dass er das ja gar nicht sehen kann. „Nein, nur sie. Das ist doch komisch, die streiten sich nie." Ich merke, wie Linus sich plötzlich anspannt.

„Hey, was ist?" frage ich ihn. „Ach, nichts. Ich dachte nur, dass wieder ein Auto kommt, war aber nur ein Mensch." Ich blicke mich um und sehe weit und breit keinen Menschen. „Ich sehe hier weit und breit keinen Menschen." Linus grummelt vor sich hin, dann meint er: „Egal."

Egal?

Egal?!

Nichts ist egal!

Ich will gerade weiter auf das Thema eingehen, als mir einfällt, dass Linus nur lügt, wenn es wirklich nicht anders geht. Also lasse ich es sein. Trotzdem denke ich noch lange drüber nach. Warum? Warum kann er nicht ehrlich sein? Gerade will ich weiterdenken und mir Gründe für Linus' Lüge raussuchen, dann bremst dieser. Kurz denke ich, es ist wieder ein wildgewordenes, mordlustiges Huhn mit einem Auto auf der Straße, dann registriere ich, dass wir angekommen sind.

Früher war hier eine Knopffabrik, die ist jedoch schon vor Jahren pleitegegangen. Das Gebäude steht seither leer, sieht auch so aus. Vor 'nem Monat war alles abgesperrt weil Leute dachten, es wäre einsturzgefährdet. War es aber nicht. Linus lehnt sein Rad an einem Überbleibsel einer Steinmauer an, abschließen ist in dieser Gegend nicht nötig.

Ich klettere wieder vom Gepäckträger runter, dann gehe ich schon mal vor und setze mich rittlings auf die Bank. Nach ein paar Sekunden höre ich plötzlich, wie Linus telefoniert. Bestimmt nur seine Mutter. Trotzdem versuche ich, einigermaßen gut hinzuhören, man weiß ja nie. Tatsächlich fange ich einige Gesprächsfetzen auf.

„...nein, du sagst ihr nichts!"

Wer sagt wem nichts?

„... Mensch Alec! Du weißt wie sie reagieren würde...nein...okay...in einer Stunde?"

Mehr verstehe ich nicht. Um wen ging es? Etwa um mich? Aber Linus würde mir doch sagen, wenn was ist. Und was ist in einer Stunde? Soll ich Linus fragen? Würde er lügen? Würde er mir sagen, was ich nicht wissen darf? Geht es überhaupt um mich?!

Diese Fragen machen mich verrückt. Als Linus angeschlendert kommt, würde ich ihn am liebsten alles Mögliche fragen, doch ich sehe ihm an, dass er nichts sagen wird. Die Art wie er vor sich hin schaut zeigt mir nach jahrelanger Erfahrung, dass er nicht gut drauf ist. Trotzdem zwingt er sich ein Lächeln ab, als er sich neben mich setzt. „Du musst nicht lächeln."

Linus' Lächeln erstarrt, dann seufzt er laut. „Du kennst mich einfach zu gut." Ich sage nichts dazu. Ja, ich kenne ihn gut. Vielleicht auch zu gut. Jedenfalls gut genug, um zu wissen, dass ihn was belastet, und das ist nicht nur der Streit mit Alec. Da ist was Großes. Ob es was Schlimmes ist? Bestimmt, sonst würde er mir freudig darüber berichten, wie er es sonst tut. Ich weiß noch, wie er stolz und mindestens einen Kopf größer auf mich zu stolzierte, die hervorragenden Testergebnisse des Aufnahmetests fürs Gymnasium in der Hand.

Er lächelte wie ein kleiner Junge, dem gerade eine Burg geschenkt wird. Er steckt mich an mit diesem Lächeln. Das konnte er schon immer gut, seine gute Laune schwappt manchmal so über, dass sie für eine ganze Armee reichen würde. Er ist an sich ein sehr positiver Mensch, mit viel Selbstvertrauen. Nur weiß er das manchmal selbst nicht so, da komme dann ich ins Spiel – ich rede eine gute Stunde auf ihn ein, dann ist die traurige Phase auch schon wieder vorbei.

Aber in Situationen wie diesen weiß selbst ich nicht, was ich tun soll.

Ich weiß, dass er innerlich mit sich ringt. Das bestätigt mir auch meine Vermutung von eben, dass es in dem Telefonat um mich ging, ansonsten würde er mir jetzt erzählen, worum es ging. Diese Situation bringt mich aus dem Konzept. Ich weiß nicht, was ich tun soll, ob ich was sagen soll, und wenn ja, was? Soll ich nachhaken? Soll ich ihn in Ruhe lassen? Wird er mir überhaupt sagen, worum es ging?

„Zerina hör auf dir Gedanken zu machen. Ich hasse das."

Verdattert schaue ich Linus an. Jetzt bin ich erst recht verwirrt. Erst nach einigen Sekunden fällt mir wieder ein, dass er mich genauso lang kennt, wie ich ihn. „Solange ich spüre, dass du mir was verheimlichst, werde ich nicht damit aufhören können" antworte ich, und drehe mich ein wenig zur Seite, um eine Kippe aus meiner Tasche zu ziehen. Linus reiche ich auch eine.

„Hast du Feuer?" frage ich direkt, ohne auf eine Reaktion von Linus zu warten. Ich will gar nichts hören à la „du verstehst es eh nicht". Nicht jetzt und nicht von ihm. So wie ich ihn kenne, wird Linus sich auch gar nicht die Mühe machen, darauf einzugehen. Und ich behalte Recht – er kramt nur wortlos in seiner Bauchtasche rum und holt ein rotes Feuerzeug raus. Zuerst gibt er mir Feuer, dann sich selbst.

Die ersten paar Züge nehmen wir stillschweigend, während wir in die Luft starren. „Ich soll dir übrigens schöne Grüße von Janis ausrichten." Janis geht in meine Klasse und ist ein echt korrekter Typ. Er hat mir in Geschichte schon oft den Arsch gerettet. Er kennt Linus zwar nur flüchtig, weil er mal beim Lernen dabei war, doch wie es für Linus üblich ist, haben sie sich auf Anhieb gut verstanden.

Ich ziehe wieder an der Zigarette, dann inhaliere ich langsam den Qualm, der meine Lunge mehr und mehr in ein schwarzes Loch verwandeln wird. „Danke" ist das einzige, was ich sage. Dann stoße ich den restlichen Qualm wieder aus. Ich starre die reifen an, die etwas weiter hinten auf dem Kies aufgestapelt sind.

Als kleine Kinder haben Linus und ich uns immer hinter den Reifen versteckt, als seine Eltern uns gesucht haben. Wir wollten mal abhauen, natürlich nur aus Spaß, und haben uns eine kleine Hütte hinter dem hohen Stapel gebaut, in der wir dann wohnen wollten. Nachdem wir uns beide erkältet haben, sind wir dann nach paar Stunden wieder zurück nach Hause. Seine Eltern waren einerseits natürlich hocherfreut uns wieder zu sehen, aber auch wütend, da sie kurz davor waren, die Polizei zu verständigen.

Meine Mutter kam mich noch am selben Abend abholen, dann durften wir uns zwei Wochen nicht mehr sehen. Nach diesen zwei Wochen haben wir drei Stunden lang nur erzählt, was alles passiert ist. Ja, das Grundschulleben war ganz schön aufregend, jeden Tag war wieder etwas Spannendes am Laufen. Bei der Vorstellung verziehen sich meine Mundwinkel zu einem Lächeln.

Meine Zigarette ist inzwischen schon längst fertig, also werfe ich sie in den Aschenbecher – und treffe. Ich schlage mit der Faust in die Luft und juble kurz innerlich, dann huscht mein Blick wieder zu den Reifen. Wie in Trance erhebe ich mich und bahne meinen Weg durch all die Backsteine und Büsche zu den Reifen.

„Wohin gehst du?" fragt mich Linus, der seine Kippe ebenfalls in den Aschenbecher wirft, sich erhebt und mir nachkommt. „Mal sehen, wie's unserer Hütte geht" murmle ich. Ich spüre, dass Linus hinter mir grinst. Wahrscheinlich erinnert er sich genauso gut daran, wie wir dachten, wir könnten hier überleben ohne Eltern und mit zehn Franken im Portemonnaie. Aber witzig war's, bis wir krank wurden.

Das ging übrigens ganz schnell, es regnete stark und wir hatten beide keine wasserdichte Jacke dabei. Nach fünf Minuten bemerkten wir ein Leck im Blechdach der Hütte, und nochmal fünf Minuten später standen wir bis zu den Knöcheln im Wasser. Ich quetsche mich zwischen den zwei Reifentürmen durch, dann stehe ich direkt an dem Ort, wo noch einige Überreste der Hütte sind. Direkt hinter mir erscheint Linus.

„Die hat ganz schön was abbekommen" ist sein einziger Satz, den er dazu hat. Ich nicke bestätigend, dann gehe ich in die Hocke, und hebe etwas silbrig Glänzendes auf. Kurz reibe ich mit dem Finger drüber, dann fällt mir ein, was es ist. „Linus! Das ist ein Teil unserer Freundschaftsketten von damals."

Linus erscheint neben mir und nimmt mir den Anhänger aus der Hand, der aussieht wie ein Puzzlestück. Auch er reibt kurz drüber, dann lächelt er schwach. „Dass das noch überlebt hat. Da also haben wir es verloren." Ich schaue den Anhänger an und will gerade was sagen, als Linus' Handy klingelt. Noch leicht abwesend greift er zum Handy und schaut, wer der Anrufer ist.

„Mist. Ich muss los." Ruckartig werde ich wieder in die Situation von eben zurückbefördert. Stimmt, er wollte irgendwohin. „Wie du musst los? Wohin denn? Wir haben doch ausgemacht, dass wir heute feiern gehen!" Linus schaut mich lange an. „Werden wir auch. Ich bin nicht lange weg. Geh schon mal zu mir nach Hause wenn du willst, ich bin in spätestens zwei Stunden zurück."

Mehr sagt er nicht. Er nimmt meine Hand und drückt den Anhänger hinein, dann umarmt er mich kurz, erhebt sich und verschwindet. „Schönen Dank auch" murmle ich und drehe das Puzzlestück hin und her. Es passt irgendwie perfekt zu der Situation. Es ist unvollständig, wie ich. Wie meine Gedanken. Tausende Fragen, aber keine Antwort. Keine einzige verdammte Antwort, nicht mal ein Hinweis.

Ich versuche mich damit zu beruhigen, dass er vielleicht nur kurz mit einem Freund abgemacht hat, um etwas zu klären. Es ist ja Alec, mit dem er sich trifft. Die Beiden hatten ja anscheinend Streit, vielleicht geht es nur darum. Ja, so wird es sein. Sie wollen nur den Streit klären, mehr nicht. In der Ferne höre ich, wie Linus diskutierend wegfährt. Sag mir doch einfach, was los ist.

--

Etwa eine halbe Stunde später und drei Zigaretten weiter, sitze ich halb benommen auf der Bank und drehe gerade meinen ersten Joint nach einer Woche. Ich muss das jetzt einfach haben. Ablenkung. Andere Gedanken. Linus hat sein Feuerzeug vergessen, jetzt benutze ich es eben.

Gerade als ich den ersten Zug nehme, höre ich, wie sich Schritte nähern. Ich blicke hinter mich und sehe, wie sich ein Mädchen nähert. Aus der Ferne sehe ich nur, dass sie etwa gleich groß ist wie ich, ihre braunen Haare hat sie zu einem hohen Zopf zusammengebunden. Sie ist sehr schlank und betont dies auch mit enganliegenden, schwarzen Leggings und einem weißen, ebenfalls engen Shirt von Adidas.

Was will die hier? Das hier ist kein Ort für Mädchen wie sie. Sie gehört eher in die Einkaufsgassen mit einem Starbucks Kaffee in der Hand, und nicht in eine Kulisse wie diese hier. Außerdem sieht sie nicht so aus, als wolle sie hier eine rauchen oder so.

Ich setze mich etwas gerader auf und tue so, als wäre ich mit meinem Handy beschäftigt. Eine knappe Minute später hat sich das Mädchen neben mich gesetzt und sich mir als Mira vorgestellt. Ich murmle nur meinen Namen und tue so unbeteiligt wie möglich. Ich habe gerade wirklich keine Lust drauf, neue Kontakte zu knüpfen, und das erst recht nicht bei 'nem Joint auf einer rostigen Bank.

Da wäre mir Starbucks wirklich lieber.

„Du bist doch die beste Freundin von Linus?" fragt mich Mira plötzlich. Jetzt horche ich doch auf. Weiß sie etwas? Ich nicke und schaue ihr direkt in ihre haselnussbraunen Augen. „Ja, bin ich. Wieso?" Sie grinst nur dumm als wüsste sie mehr als ich. Und verdammt, wahrscheinlich tut sie das auch. Ein Fakt, den ich jetzt schon nicht mag an ihr.

„Nun, dann kommst du bestimmt auch morgen?" Jetzt bin ich verdutzt. „Wohin soll ich denn kommen?" Sie schaut mich fragend an, dann lacht sie. „Ach so, du weißt also gar nichts davon! Na, dann habe ich dir da ganz schön was zu erzählen" meint sie, und legt los. Als sie fertig ist, sterbe ich beinahe vor Sorge.


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