IV. Vinum et sanguis

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Erstmals danke, an alle die bereits gevotet und kommentiert haben - es freut mich wirklich sehr, dass es dem ein oder anderen diese kleine Idee hier von mir gefällt! Natürlich hoffe ich, dass sich das auch nicht gar so bald ändern wird. Diesmal (versehentlich) ein doch etwas lang geratenes Kapitel für Wattpad-Verhältnisse, was hoffentlich nicht allzu schlimm ist :) 

Falls ihr es noch nicht bemerkt habt: Die liebe rot-und-schwarz hat mir ein wunderschönes Cover gebastelt, nachdem ich das vorherige ja nur von Rome "geliehen" habe.

Während wir wohl alle zu Hause rumsitzen und möglicherweise der letzten viel zu schnell durchgeguckten Serie nachtrauern, in meinem Falle "Rome", kommen wir hier endlich zu dem bereits angekündigten Fest bei Calpurnius. 
Viel Spaß beim Lesen! 

IV. Vinum et sanguis 
Wein und Blut

» Nunc est bibendum «
- Horaz

Jetzt lasst uns trinken!

Zaghaft glitten schmale Finger über die Saiten der Lyra und holten sanfte Töne aus dem Instrument hervor. Vollkommen auf ihre Bewegungen konzentriert, ihre Umwelt dabei vergessend, hatte sich Annaeas Körper ein wenig angespannt. Weder die zwitschernden Vögel, die um die Büsche und Bäume flatterten, noch die Düfte der Blumen nahm sie wahr. In diesem Augenblick existierte nichts außer ihrer Finger und dem Instrument, dem sie ein ganz bestimmtes Lied zu entlocken suchte.
Die Augen geschlossen schien das Mädchen völlig in seine Tätigkeit versunken, in einer anderen Welt gefangen. Ihre Finger begannen sich zunehmend mutiger und geschickter zu bewegen, während sie eine kleine Euphorie in sich aufsteigen fühlte. Sie konnte es! Dass sie neben ihrer Freundin Phoenice noch einen weiteren Zuhörer hatte, der ein wenig entfernt von der Marmorbank im Schatten eines Olivenbaums stand und zu ihr blickte, während er der Melodie gespannt lauschte, ahnte sie nicht. 

Plötzlich zerschnitt die zarten Klänge ein schrecklich misstönender, der Annaea die Lippen verziehen ließ. Auf ihrer Stirn bildeten sich Falten und sie öffnete abrupt die Augen.
„Götter‟, stieß sie wütend hervor, „ich werde es nie lernen!‟ Für einen kurzen Moment hätte sie die verhasste Lyra am liebsten quer durch den Garten geworfen, stattdessen atmete sie aber seufzend aus und ließ damit jede Spannung aus ihrem Körper entweichen. Vielleicht musste sie sich eingestehen, dass ihr Musik ganze einfach nicht lag, zumindest nicht, wenn ihre Finger sie erzeugen sollten. Meist fühlte sich dieses Unterfangen lediglich wie ein erbitterter Kampf gegen das Instrument an, welches dann entsprechend gequälte Töne von sich gaben als wäre es ihr Feind, den sie niederrang.

„Lassen wir das für heute. Hol' doch lieber etwas aus der Bibliothek. Schöne Poesie, ja?‟, wandte sich Annaea an Phoenice, die lächelnd nickte, und stellte die Lyra beiseite.
„Ja, Herrin‟, mit den Worten war die Sklavin auch schon verschwunden und ließ eine nachwievor frustrierte Annaea zurück. Diese ließ ihre Wange an die von der Sonne warme, steinerne Lehne der Rundbank sinken und atmete müde aus. Grübelnd ergriff sie den Blumenkranz, den sie zuvor selbst gebunden hatte, und drehte ihn in ihren schmalen Händen. Das Gespräch mit ihrem Onkel kam ihr wieder in den Sinn. Erst hatte sie sich gar nichts bei seinem Vorschlag gedacht, doch nun fragte sie sich immer mehr, wieso Livia sie zu Calpurnius mitnehmen wollte. Was sollte sie denn dort schon?

„Das war wirklich sehr schön‟, riss sie eine Stimme aus den Gedanken. Überrascht, fast etwas erschrocken, hob Annaea den Kopf, denn sie erkannte sofort, dass es nicht die ihres Onkels war.
Wenige Schritte von ihr entfernt stand Appius Sempronius Durio hinter der Bank, einen Arm auf deren marmorne Lehne gestützt. Auf seinen geschwungenen Lippen lag die Andeutung eines Lächelns. Er hat mich gehört? Nun hatte sie sich also auch noch vor jemandem blamiert, wie wundervoll!
„Schön? Das kann nur jemand behaupten, der noch nie in seinem Leben eine Lyra gehört hat‟, widersprach sie mit einer hochgezogenen Augenbraue. Entweder das oder er versuchte bloß nett zu sein, anders konnte sie sich seine Worte nicht erklären.
„Im Gegenteil. Mehr als oft genug jedenfalls, um zu erkennen, wie sie klingen sollte‟, erwiderte er lächelnd.
Also wie eine schreiende Krähe?, schoss es ihr sarkastisch durch den Kopf. Wohl kaum. Annaea runzelte die Stirn und sah ihn mit schräg gelegtem Kopf an.
„Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.‟ Dann richtete sie sich weiter auf und stützte ihre Arme ebenfalls auf die Lehne der Bank, während sich ihre braun-grünen Augen an ihn hefteten. „Entweder, Appius Sempronius Durio, bist du gerade ein Lügner oder ein ziemlich dreister Schmeichler‟, erklärte sie ihm mit einem neckischen Schmunzeln.

„Ich? Niemals‟, erwiderte er gespielt schockiert. Dann verschwand das amüsierte Glitzern allerdings aus seinen Augen und er blickte sie ernst an. „Annaea, ich muss dich etwas fragen‟, begann er.
„Mich?‟, unterbrach sie ihn verwundert als wäre unsicher, ob sie richtig gehört hatte.
„Wie geht es deinem Onkel?‟, fuhr er fort. In seinen grauen Augen glaubte sie einen Hauch von Sorge zu erkennen.
„Solltest du ihn das nicht besser selbst fragen?‟, entgegnete sie ein wenig amüsiert. Immerhin waren sie doch gute Freunde, wofür also brauchte er da sie?
Ein schiefes Lächeln bildete sich auf Appius' Lippen. „Du kennst ihn, er neigt dazu nicht ganz ehrlich zu sein. Vermutlich würde es ihm sogar gelingen seinen eigenen Tod zu verharmlosen.‟
Damit hatte er allerdings Recht. Kurz senkte sie den Blick. „Ich weiß nicht. Er ist ernster als sonst, verschlossener, und häufiger müde. Manchmal glaube ich, dass er Schmerzen hat. Natürlich würde er so etwas nie zugeben, deshalb kann ich nicht sicher sagen, ob es auch daran liegt, dass er sich vom Abendessen immer frühzeitig zurückzieht, oder ob wieder Streit zwischen ihm und Tante Livia herrscht. Das wäre immerhin nichts Neues‟, endete sie mit einem leisen Seufzen. 

Ihr Kinn sank auf ihre verschränkten Arme. Nachdenklich betrachtete sie den Garten, der sich vor ihr erstreckte. Der scheinbar durch die Krüge in den Händen der Frauenstatue, aus denen Wasser sprudelte, gespeiste große Teich und das sorgfältige Arrangement von Pflanzen, Pavillons, kleineren Wasserbecken, Statuen und dicht von Weinreben überwachsenen Säulengängen bildeten eine geradezu perfekte Mischung aus Ordnung und Chaos, der planenden Hand der Menschen und der Wildnis der Natur.
„Wenn ich die beiden sehe, weiß ich gar nicht, ob ich überhaupt heiraten möchte. Vielleicht für den Rest seines Lebens an jemanden gebunden zu sein, mit dem einen nichts verbindet, nur weil es politisch günstig ist - wozu soll das gut sein? Wofür schreiben denn die Dichter von Liebe, wenn es meist ohnehin so ausweglos ist? Politik, Macht und Einfluss ist letztendlich alles, worum sich die Welt dreht. Liebe muss doch viel schöner sein als das‟, murmelte Annaea leise, mehr zu sich selbst als zu Appius. Beinahe vergaß sie, dass er überhaupt hier war. Andernfalls hätte sie vermutlich nie so frei über ihre Gedanken und Gefühle gesprochen. Nicht einmal ihrem Onkel hatte sie davon erzählt, wäre es doch ohnehin sinnlos gewesen. Er würde für sie einen Mann finden, den er für gut befand, da war sie sich sicher. Doch ob sie diesen auch jemals würde lieben können oder jener sie? Oder würde es enden wie mit ihm und Livia?  

„Manchmal ist sie schön‟, erinnerte Appius' Stimme daran, dass sie nicht alleine war und über diese Dinge vielleicht besser nicht sprechen sollte. Als Annaea den Blick wieder zu ihm wandte, meinte sie Traurigkeit in den sturmgrauen Augen zu erkennen, eine Spannung in seinen weich geschwungenen Lippen, die nun fester aufeinander zu liegen schienen als zuvor, und eine tiefe Falte, die sich in seine Stirn grub.
Gerne hätte sie gefragt, wie er das meinte, doch vermutlich ging sie die Antwort darauf gar nichts an. Mit brennenden Wangen senkte sie den Blick. „Zumindest hört es sich immer so an, wenn man darüber liest...‟, murmelte sie kaum hörbar. Woher hätte sie es auch wissen sollen? Für sie war dieses Gefühl bisher bloß eine vage Vorstellung, eine Idee, von der sie gehört und die sich vorgestellt hatte, aber eigentlich ahnte sie noch nicht einmal etwas von dessen Realität. Nun bereute sie zunehmend überhaupt über all das zu sprechen begonnen zu haben. Erst schüttete sie ihm ihr Herz aus, was schon schrecklich genug gewesen wäre, und dann benahm sie sich auch noch wie ein kleines, ahnungsloses Kind. Warum, bei Juno, konnte sie nicht einmal still sein? 

Nervös biss sie sich auf die Unterlippe, doch das kleine Lächeln auf seinen Lippen ließ sie etwas entspannen.
„Gedichte sind doch auch viel besser. Wenn sie einem nicht gefallen, kann man die Schriftrolle einfach schließen. Das echte Leben ist viel komplizierter. Ich bin mir sicher, dass Marcus niemanden auch nur in deine Nähe lassen würde, wenn er sich nicht sicher wäre, dass er dich zu schätzen weiß‟, versuchte er sie aufzumuntern.
„Du und Onkel Marcus seid sehr gute Freunde, nicht wahr? Du sorgst dich sogar um ihn...‟ Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie den Blick wieder hob. „Wenn ich schon zu Gunsten der Politik irgendeinen Mann heiraten muss, wünsche ich mir, dass er mir zumindest so ein guter Freund wird.‟

Über seine Gesichtszüge huschte Überraschen, doch Annaea ließ ihm keine Zeit zu antworten.
„Jetzt muss ich dich etwas fragen, Sempronius ‟, fuhr sie fort. Nach den Jahren, die sie sich nicht mehr gesehen hatten, fiel es ihr schwer zu sagen, wie nahe sie sich überhaupt noch standen, wenn sie das denn jemals wirklich getan hatten. Schließlich war sie damals ein Kind gewesen, heute nicht mehr. Daher wusste sie auch nicht so recht, wie sie ihn nun ansprechen sollte. Letztendlich entschied sie sich für die höflichste, damit allerdings auch unpersönlichste Anrede.
„Durio‟, korrigierte er sie sofort, „immerhin bin ich ein Freund der Familie.‟
„Dann eben Durio. Mein Onkel wollte mir nicht erzählen, wie er sich die Verletzung im Gesicht zugezogen hat. Aber du musst das doch wissen, oder?‟ Sie verstand nachwievor nicht, wieso er sich derart darüber ausschwieg. Dass er nicht gerade zu den Männern gehörten, die lang und breit mit ihren militärischen Erfolgen prahlten, war ihr immer bewusst gewesen. Doch, dass er nicht einmal ihre Fragen beantworten wollte, erschien ihr seltsam.

„Die habe mehr oder minder ich verschuldet. Ich hab mich in die missliche Lage gebracht von den Feinden umzingelt zu werden. Weißt du, die Germanen können ganz schön heimtückisch sein und zudem barbarisch. Dein Onkel hat mich gerettet und sich auf sie gestürzt als wäre er Herkules selbst‟, erzählte er, wobei sich bei seinen letzten Worten kurz ein Schmunzeln auf seinen Lippen abzeichnete. „Dabei wehrte er einen Angriff auf mich, der tödlich hätte enden können, so ab, dass der Schlag ihn traf.‟
Ein stilles Lächeln huschte über ihre Lippen. Durio und ihr Onkel waren tatsächlich gute Freunde, nein, eher Brüder. Auch wenn man keinem der beiden ihre weiche Seite anzusehen vermochte, weil sie sich bei Marcus hinter kühler Verschlossenheit und bei Appius hinter charmanter Souveränität verbarg, sorgten sie sich doch umeinander. Selbst vor dem Tod schreckten sie nicht zurück, um das Leben des anderen zu retten. Irgendwie beruhigte es Annaea ein wenig zu wissen, dass es auf den grausamen Schlachtfeldern jemanden gab, der ihrem Onkel ein so loyaler Freund war, immer bereit auch ihm zu helfen.

Hastige Schritte, die aus dem Inneren der Villa zu ihr drangen, zeigten ihr, dass Phoenice wohl auf dem Weg zurück war. Kurzzeitig hatte sie völlig vergessen, dass sie sie gebeten hatte, etwas aus der Bibliothek zu holen und sich demnach gar nicht gefragt, wo sie so lange blieb.
Noch einmal wandte sie sich an Appius. „Wirst du heute auch bei Calpurnius Parvus sein?‟
„Ich fürchte, das werde ich müssen, wenn ich nicht möchte, dass dein Onkel dort aus Verstimmtheit den gesamten Weinbestand für sich beansprucht‟, erwiderte er halb amüsiert, halb bitter.
Annaea schüttelte den Kopf. „Das würde Calpurnius und seiner ganzen Gesellschaft von dekadenten Säufern bestimmt nicht schaden‟, meinte sie nur trocken. „Gehe ich recht in der Annahme, dass Onkel Marcus nicht der einzige ist, der auf seine Nüchternheit wird achten müssen?‟ Dass auch Durio keinesfalls begeistert von den Gastmählern Calpurnius', geschweige denn von dessen Person, war, konnte man immerhin kaum übersehen.

„Nun, es wird nicht ganz einfach werden‟, gab Appius schmunzelnd zu.
„Dann wirst du den hier dringender brauchen als ich‟, erklärte Annaea mit einem schelmischen Grinsen und setzte ihm behutsam den selbstgemachten Blumenkranz auf den Kopf, „falls es denn stimmt, dass er dem Alkohol seine Wirkung nimmt.‟ Für den Bruchteil einer Sekunde streiften ihre Finger dabei sein schwarzes Haar.
„Verzeih, Herrin, dass es so lange gedauert hat.‟ Ein wenig schwerer atmend kam Phoenice aus dem Haus zu ihnen geeilt.
„Und? Was hast du ausgesucht?‟, fragte Annaea neugierig.
Mit einem zarten Lächeln ließ sich die Sklavin nieder und öffnete die Schriftrolle. „Sappho.‟ Eine Weile hatte sie suchen müssen, bis sie geglaubt hatte, eben das richtige für ihre Freundin gefunden zu haben und sie lag völlig richtig. Annaea liebte Sapphos Poesie.
Lächelnd wollte sie sich wieder Appius zuwenden, musste aber feststellen, dass er verschwunden war.

„Stimmt etwas nicht?‟ Die Sklavin sah sie aus ihren olivfarbenen Augen fragend an.
„Ach... nein, es ist nichts...‟ Wie seltsam...
Schmunzelnd blickte das Mädchen zu seiner Herrin. „Ach und ich dachte schon, es hätte mit dem Mann von vorhin zu tun...‟
Zornig blickte sie Phoenice an, auch wenn sie nicht tatsächlich wütend auf sie hätte sein können. „Phoenice! Jetzt sei doch nicht albern. Lies mir doch lieber vor.‟
Während die Sklavin mit ihrer angenehmen Stimme zu lesen begann, legte Annaea den Kopf in den Nacken und betrachtete den strahlend blauen, wolkenlosen Himmel in dem ein Schwarm Vögel über sie hinweg zog. Wie seltsam es gewesen war den Freund ihres Onkels nach so vielen Jahren wiederzusehen, der bis heute bloß noch eine verschwommene Erinnerung aus ihrer Kindheit gewesen war. In jener sah er noch viel jünger aus, auch wenn sie nicht wusste, woran das lag. Keine einzige Falte zog sich durch sein Gesicht, das glatt, ebenmäßig und wohlgeformt fast wie aus Stein gemeißelt erschien, und sein Haar war nachwievor rabenschwarz. Und doch - etwas an ihm musste schon vor einiger Zeit jeden Rest zarter Jugendlichkeit aus ihm vertrieben haben.

Sie hoffte, ihn öfter hier sehen zu dürfen. In seiner Gegenwart wirkte Marcus entspannter und auch sie fand seine Gesellschaft angenehm, mit der er Fröhlichkeit in die Villa brachte, die ihr in der langen Zeit, die sie hier fast immer alleine mit Livia verbrachte hatte, schrecklich einsam erschienen war. Wenn nicht ihre Verwandten oder Freunde auf Besuch gewesen waren, hatte Annaea ohnehin mehr für sich gelebt. Phoenice war ihr einziger Lichtblick gewesen, ohne den diese Tage noch trostloser gewesen wären. Nun würde sich dies endlich wieder ändern.
Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie an ihr Gespräch vorhin dachte, dann schloss sie die Augen und konzentrierte sich nur noch auf Phoenices Stimme.
Eros erschüttert bebend die Seele mir,
Wie im Gebirge der Sturm, der auf Eichen stürzt.‟

„Artemisia!‟, Livias wütende Stimme hallte scharf durch den Raum und war selbst draußen auf den Fluren und in den anliegenden Räumen noch zu hören. Marcus, der sich bereits fragte, wo seine Frau so lange blieb - schließlich war es bald an der Zeit aufzubrechen - hörte ihre Schreie schon in einigen Metern Entfernung. Leicht entnervt betrat er den Raum, in dem Livia tobend ihrer Sklavin allerlei Beleidigungen an den Kopf warf.
„Kannst du nicht aufpassen!‟
„Verzeih, Herrin, das war nicht meine Absicht. Ich-‟, entschuldigte sich das Mädchen sogleich bestürzt und wich einen Schritt von ihr zurück. Den Blick hielt sie respektvoll gesenkt.
In einer blitzschnellen Bewegung ergriff Livia eine der goldenen Haarnadeln, die auf dem Tisch vor ihr lagen, und ließ sie auf die Sklavin niederrasen. Eine starke Hand, die sich sanft um ihren Unterarm schloss, verhinderte im letzten Augenblick, dass die gefährliche Spitze das Gesichts des Mädchens traf. In einer Mischung aus Zorn und Überraschen blickte Livia auf.
„Marcus...?‟

„Wenn du ihr die Augen ausstichst, wird sie wohl kaum noch arbeiten können. Oder hast du schon einmal eine blinde ornatrix gesehen?‟, erklärte er trocken. Ihre Wutausbrüche waren ihm immer schon lästig gewesen, umso mehr, wenn er ihnen nicht entfliehen konnte, indem er sich in einen anderen Bereich der Villa zurückzog.
Schnaubend entriss Livia ihm ihr Handgelenk. „Nein, aber vermutlich wäre eine solche immer noch besser als diese unfähige Ziege", zischte sie abfällig und warf Artemisia dabei einen abschätzigen Blick zu. „Ein völliger Fehlkauf, sag ich dir. Kein einziges Goldstück ist diese prodigium wert!‟ Damit wandte sie sich in einer fließenden Bewegung von dem verschreckten Mädchen, das es nicht wagte auch nur den Blick zu heben, vollends ab und ließ sich elegant auf den Stuhl fallen, an dem sie wenige Momente zuvor, noch vor ihrem Wutausbruch, ebenso gesessen haben musste.

Mit zwei Fingern massierte Marcus sich seine Schläfen, die bereits schmerzhaft zu pochen begannen. Dieses Gekeife hatte er noch nie ertragen können, aber an einem Tag, an dem er auch noch Stunden mit Calpurnius würde verbringen müssen, war es ihm noch viel unliebsamer. Wieso konnte Livia nicht ein einziges Mal auf dieses vollkommen überzogene Drama verzichten und ganz einfach pünktlich bereit sein zu gehen?
„Was hat sie denn überhaupt angestellt?‟, fragte er geräuschvoll ausatmend.
Nun wandte sich Livia, die das noch unfertige Werk der ornatrix kritisch im Spiegel betrachtet hatte, erneut ihrem Mann zu. In ihren braunen Augen lag blanker Hass, als sie zu sprechen begann.

„Das Miststück hat immer noch nicht gelernt mit einem Kamm umzugehen. Sie hat mir damit Haare ausgerissen‟, erklärte ihm Livia als handle es sich dabei um das offensichtlich schrecklichste Verfehlen, das man sich nur vorstellen konnte. Wie immer würde sich mit ihr nicht diskutieren lassen, dass es sich dabei um eine Lappalie handelte, derentwegen sie das halbe Haus mit ihrem Geschrei in Aufruhr versetzte, und Marcus hatte auch keinerlei Lust sich auf eine Sinnlosigkeit wie diese einzulassen. Nicht heute. Nicht an einem Tag, an dem er ohnehin einen ganzen Abend seine wahren Gedanken hinter Gelassenheit und Charme würde verstecken müssen. Schließlich strapazierte sie seine Geduld bereits jetzt. Noch wenige Wochen zuvor waren Männer um ihn verletzt und getötet worden und sie jammerte wegen einem Haar.

 „Aber sieht deine Frisur bisher nicht wundervoll aus? Lass die ornatrix ihre Arbeit schnell beenden, damit wir gehen können. Du möchtest dich doch bestimmt nicht bei deinem Freund Calpurnius verspäten.‟ Dass sich in seine letzten Worte Missbilligung mischte, versuchte er gar nicht zu vermeiden.
Livia schnippte ungeduldig mit den Fingern. „Mach schon, Artemisia, worauf wartest du noch?‟
Sofort eilte die Sklavin zu ihr, hob nur einmal kurz den Blick schüchtern zu Marcus, und begann dann mit geschickten Fingern das Haar ihrer Herrin weiterhin kunstvoll zu drapieren.
„Ich verstehe nachwievor nicht, wieso du ihn ständig kritisieren musst. Er ist ein wichtiger Mann in Rom, Senator, und er steht Caesar nahe. Du könntest von einer Freundschaft mit ihm profitieren. Über solche Dinge solltest du dir vielleicht öfter Gedanken machen. Nichts ist wichtiger als gute Verbindungen zu knüpfen. Hast du zumindest schon über meinen Vorschlag von heute Morgen nachgedacht? Dass es besser wäre, für Annaea endlich einen Ehemann zu finden, meine ich.‟
„Ja. Sie wird heiraten, sobald sich jemand passendes findet‟, gab Marcus mürrisch zu.
Livia rollte mit den Augen. „Ich bitte dich, das ist nur wieder deine diplomatische Art nein zu sagen. Heute war doch dieser Freund von dir hier, Sempronius Durio - wie wäre es mit ihm?‟, schlug sie vor.

„Er hat erst vor kurzem seine Frau verloren. Ich bezweifle, dass er jetzt schon wieder heiraten möchte‟, erklärte er, zunehmend unzufrieden damit, welche Wendungen das Gespräch annahm. Ungeduldig, wann die Sklavin endlich mit der Frisur fertig war, lief er im Raum auf und ab.
„Ach ja, richtig, ich erinnere mich. Wirklich tragisch.‟ Wie meistens konnte man sich nicht sicher sein, ob in ihren Worten Ehrlichkeit lag oder ob es sich wie so häufig um eine leere Floskel handelte. Dass es Livia tatsächlich kümmerte, konnte er sich allerdings nur schwer vorstellen.
„Nun, dann werden wir vielleicht heute bei Calpurnius fündig. Kommt Annaea nun mit uns?‟
„Ich habe sie gefragt und sie hat abgelehnt.‟ Womit sie mit ihren zarten fünfzehn Jahren mehr Ahnung von guter Gesellschaft bewies als Livia.
Auf deren Stirn bildete sich eine steile Falte. „Abgelehnt? Du bist einfach viel zu weich, was sie anbelangt. Du bist doch Centurio, oder nicht? Wenn du dich durchsetzen würdest-‟
Man konnte nicht behaupten, dass Atius ein besonders aufbrausender Mensch war, schon gar nicht, was seine Frau betraf. Das wären bloß verschwendete Zeit und verschwendeter Zorn gewesen, die ihm zu kostbar für ihre häufigen Verrücktheiten waren. Allerdings bedeutete das nicht, dass er ihre Launen ertrug, und nicht wütend werden konnte, wenn sie ihre Grenzen zu sehr ausreizte...

„Genug!‟, herrschte er sie an, sodass Artemisia zusammenzuckte und kurz in ihrer Arbeit inne hielt. Als er schließlich Livias Oberarm unsanft packte, wich sie vollständig zur Seite. Seine andere Hand schloss sich fest um ihr Kinn. „Es reicht. Du übersiehst, wo deine Grenzen sind - zwing mich lieber nicht dir zu zeigen, was passiert, wenn du sie überschreitest", knurrte er leise. „Sie ist meine Nichte und ich entscheide, wie viel Strenge ich ihr entgegenbringe. Im Übrigen gefiel mir die Idee ohnehin nie, sie heute mitzunehmen‟, fuhr er ruhiger, aber deswegen nicht weniger bedrohlich fort.
Als er sie loslassen wollte, hielten ihn ihre schmalen Finger zurück, indem sie sich auf seine Hand legten. Kurz meinte er, in ihren Augen etwas aufflackern zu sehen, das allerdings im nächsten Moment schon wieder verschwunden war.
„Verzeih mir, so hatte ich das nicht gemeint. Ich mache mir bloß Sorgen um Annaea‟, erklärte sie sanft, ehe sie ihm einen Kuss auf die Hand hauchte.
„Das musst du nicht‟, sagte er, nun wieder sanfter. Dann wandte er sich an die Sklavin.
„Beeil dich mit deiner Arbeit, ich möchte diesen Abend so schnell wie möglich hinter mich bringen.‟
Artemisia nickte eifrig und ihre grünlichen Augen glänzten. „Jawohl, Herr.‟

Es gab wohl kaum jemanden, der sich besser darauf verstand, ausschweifende Gastmähler und Gelage zu veranstalten als Decimus Calpurnius Parvus. Für rein gar nichts schien ihm der Preis zu hoch. Die Mahlzeit erstreckte sich gerne über mehr als nur die üblichen drei Gänge, darunter die verschiedensten Delikatessen von Fleisch und Meeresfrüchten. An diesem Abend befanden sich „trojanisches Schwein‟ und gebratener Flamingo darunter, zudem eine schwindelerregende Menge an Austern. Selbst beim Servieren des Weines demonstrierte er zu gerne sein Vermögen - das Getränk wurde eisgekühlt an die Gäste gereicht. Zudem wusste er durch Tänzer, Musiker, gegeneinander antretende Kämpfer und Dichter zu unterhalten, sodass Langeweile wohl das letzte gewesen wäre, das bei einem der Gäste hätte aufkommen können. Selbst die Sklaven waren eine kleine Attraktion.

Egal wie düster der Abend war, dem Marcus Atius Scapula entgegenblickte, die unverhohlene, übertriebene Selbstdarstellung Calpurnius' brachte ihn mehrere Male beinahe zum Lachen, das er nur mit aller Mühe unterdrückte. Mitten in seinem Garten befand sich eine prachtvolle, wunderschön gefertigte Statue des Herkules, gut proportioniert, muskulös und das Sinnbild eines Kriegers, doch das Gesicht besaß eine geradezu verdächtige Ähnlichkeit mit dem kleingewachsenen, schmächtigen Calpurnius selbst...

Selbstverständlich ließ der Senator sich nichts von seinem tiefen Hass, den er gegen den Centurio hegte, anmerken. Stattdessen begrüßte er ihn als wären sie die besten Freunde, doch ein Blick in seine dunklen Augen genügte, um zu wissen, was sich tatsächlich hinter den freundlichen Worten verbarg.
„Salve, Atius Scapula, mein Bester, wie schön, dass du hier bist.‟
Dagegen schien ihm Livias Anwesenheit wirklich Freude zu bereiten. Mit Komplimenten, einem strahlenden Lächeln und einem Handkuss hieß er sie in seinem Haus willkommen. Diese hatte wie immer entsprechend viel Zeit darin investiert, sich eine gewisse Aufmerksamkeit auch zu verdienen. Ihr Haar wand sich geflochten wie ein Kranz um ihr Haupt, worin auch noch goldene Fäden mit eingewoben worden waren, während der Rest davon in einem noch aufwändigeren Zopf über ihren Rücken fiel. Ihr Gesicht war dezent, aber wie immer makellos geschminkt, und selbst bei ihrer hellen Tunika, der um ihren Körper drapierten blauen Stola und der Palla, einem Kopftuch, war keine einzige Falte dem Zufall überlassen worden. Goldene Ohrringe, ein Schlangenförmiger Armreif und eine Kette, die sündhaft teuer gewesen war, vollendeten ihre Erscheinung. Marcus war völlig unverständlich wie ihre offensichtlich so talentierte ornatrix immer wieder den Zorn seiner Frau auf sich zog.

Zu seinem Glück entdeckte er Appius unter den bereits eingetroffenen Gästen, in ein anscheinend interessantes Gespräch vertieft, denn er bemerkte gar nicht, wie er und Livia eintraten. Wie immer war er die Verkörperung puren Charmes, der nie durchscheinen hätte lassen, was er tatsächlich von jemandem dachte, und damit überall gerne gesehen. Hier, in informeller und natürlich wie immer gut gearbeiteter Kleidung wirkte er auch mehr in seinem Element als in schwerer Uniform. Seine Kriegskunst bestand nachwievor aus unschlagbarer Wortgewandtheit, die nur bei großen Rednern wie Cicero auf Konkurrenz hoffen durfte. Schließlich war es auch noch seinem guten Aussehen zu verdanken, dass er bei der Damenschaft immer gerne gesehen war, selbst, wenn ihn das kaum interessierte.
Marcus blickte sich in dem reich geschmückten Raum um, ehe sein Blick an der verwaisten Ehrenliege hängen blieb.
„Erwartest du heute einen besonderen Gast?‟, fragte er verwundert.
Ein Grinsen schlich sich auf Calpurnius' Lippen. „Oh ja, einen ganz speziellen.‟
Marcus runzelte die Stirn. Wen konnte er meinen?

Nicht sonderlich erfreut musste der Centurio feststellen, dass Livia ihren Bruder Lucius Caecilius Rullus bereits entdeckt hatte und er auf sie beide zukam. Rein äußerlich hätte man den Halbgeschwister ihre nahe Verwandtschaft kaum angesehen. Selbst wenn sich dahinter Strenge verbarg, strahlte Livia etwas Zartes aus, das sich in ihrem Gesicht widerspiegelte - vom schönen Schwung ihrer rosigen Lippen, zu der geraden schmalen, etwas prominenteren Nase bis ihn zu der weichen Linie ihres Kinns. Selbst ihre Augen konnten, wenn sie nicht wütend funkelten, einen warmen Glanz besitzen und hätte man nicht gewusst, dass sie noch am selben Tag mit ihren zierlichen, weißen Fingern eine Sklavin hatte verletzen wollen, hätte man eben jenen auch nicht die Kraft und Gewalt, zu der sie fähig waren, angesehen.
Dagegen war Lucius eine Verkörperung purer Kälte. Unter seinen dichten Brauen leuchteten Caecilius' Augen in einem stechenden Blau, die einen harten Kontrast zu seinem dunklen, leicht lockigen Haar bildeten. Alleine das Lächeln in seinem ohne Zweifel nicht unattraktiven Gesicht, in dem man tatsächlich einen Hauch von Livias Zügen erkannte, zerstreute den Eindruck von eisiger Härte, den man sonst von ihm gewonnen hätte. Unterschieden sie sich zwar optisch, so glichen sie sich im Charakter auf fast unheimliche Weise umso mehr.

„Lucius‟, Livia begrüßte ihren Bruder mit einem Kuss auf die Wange, „wie schön dich hier zu sehen.‟
„Wie ich sehe, bist du aus dem Norden zurück, Scapula‟, stellte jener mit einem kaum sichtbaren Lächeln fest, „und zudem noch im Ganzen.‟ Erst sein scharfes Lachen machte bewusst, dass es sich dabei um einen Scherz handeln sollte. Keinen besonders geistreichen, wie Marcus fand.
„Aber was sind denn schon ein paar ungewaschene wilde Barbaren, nicht wahr? Nichts gegen eine Armee der Parther, die selbst die grandiosesten Feldherren vor große Herausforderungen gestellt haben. Wie gut, dass du nicht gegen eine Bedrohung wie sie ziehen musstest, meinst du nicht?‟, fuhr er dann mit einer wegwerfenden Bewegung fort.
Der Centurio spürte stillen Zorn in sich aufsteigen, denn die mitschwingende Beleidigung, die plumpe Herabwürdigung, war kaum zu überhören. Was wusste dieser selbstgefällige Idiot schon von dem, was er erlebt hatte! Mit seinen aalglatten Sprüchen mochte er sich zwar überlegen fühlen, den Germanen hätte er damit aber reichlich wenig entgegenzusetzen gehabt. Ein paar Barbaren - das sollte er den Leichen der römischen Legionäre, die in den eisigen Wäldern ihr Grab gefunden hatten, während er genüsslich Wein in seiner Villa trank, erzählen! Schließlich waren er selbst und Appius diesem Schicksal nur um Haaresbreite entkommen.

 „Du hast völlig recht‟, stimmte Atius ihm allerdings zu, „es war beinahe schon eine Enttäuschung. Du hast dir damit natürlich nichts entgehen lassen. Für deinen Sohn Valerius wäre es aber doch eine gute Chance gewesen, sich endlich auch am Feld zu beweisen, statt nur in der Dichtung, meinst du nicht? Leider hab ich ihn in unseren Reihen vermisst‟, setzte er dann mit einem aufgesetzten Lächeln nach.
Er selbst hatte nichts gegen den jungen Valerius und Annaea schien ihn fast wie einen Bruder zu lieben, doch es war kein Geheimnis, dass der oft kränkelnde, stille Junge für seinen Vater ein Schandfleck in der Familie der Caecilier war, während dessen Großvater ihn sogar so sehr geliebt hatte, dass er ihn und seine Schwester Valeria adoptiert hatte. Dass er auch noch sein einziger Sohn, neben den zwei Töchtern war, machte dessen missratenen Charakter für Lucius umso schwerer tragbar.
Das zornige Funkeln in seinen Augen und das gezwungene Lächeln, in dem er die Lippen fest aufeinander presste, zeigten Marcus, dass er Lucius' wunden Punkt getroffen hatte. Allerdings blieb diesem keine Zeit etwas zu erwidern, denn nun richtete sich alle Aufmerksamkeit auf den gerade eingetroffenen Gast. Ein kleingewachsener zierlicher Mann, der allerdings dennoch mehr Autorität nicht hätte ausstrahlen können. Caesar Augustus.
Erstaunt weiteten sich Marcus' Augen. Das war also der Ehrengast!

Runa spürte die Spannung, die durch die Menge ging. Dieser Mann... war doch nicht wirklich Caesar Augustus, der vom gesamten Volk so verehrt wurde? Allerdings sollte sie das vermutlich nicht weiter überraschen, Calpurnius war schließlich Senator und musste damit ständig mit den mächtigsten Männern Roms verkehren - immerhin war er einer von ihnen.
Eine der anderen Sklavinnen, Olympias, versetzte ihr einen unsanften Stoß mit dem Ellenbogen und riss sie damit irgendwann aus ihren Gedanken.
„Worauf wartest du noch? Willst du hier Wurzeln schlagen? Du sollst den nächsten Gang auftragen, Germana‟, zischte sie ihr zu.
„Ich heiße-‟, setzte sie an, kam jedoch nicht einmal bis zu ihrem Namen.
„Das interessiert mich nicht‟, unterbrach sie Olympias kühl.
Runa hatte bemerkt, dass sie selbst den ganzen Abend noch nichts getan hatte, zumindest keine der wirklichen Arbeiten. Mehr wachte sie über die anderer mit Argusauge und zögerte nicht, sofort zur Tat zu schreiten, wenn jemand einen Fehler machte.

„Was machst du?‟, fragte sie deshalb ohne weiter darüber nachzudenken. Ein großer Fehler, denn sofort wurde der Blick der anderen noch ein wenig kälter.
„Hör zu, es werden keine Fragen gestellt. Du tust, was man dir sagt. Es ist meine Aufgabe dafür zu sorgen, dass der heutige Abend ganz zur Zufriedenheit unseres Herren verläuft. Sollte er das nicht, werde aber nicht ich, sondern die Verantwortliche dafür die Peitsche spüren müssen‟, erklärte sie mit leiser Stimme, deswegen aber nicht weniger bedrohlich. „Also los, beweg dich, Germana!‟
Sofort setzte sich Runa in Bewegung, während sich eine unerklärliche Kälte durch ihren Körper fraß und sie erschauern ließ. Schon als Calpurnius sie alle begutachtet hatte, waren ihr die eisigen Blicke der jungen Frau nicht entgangen, die sie förmlich durchbohrt hatten, und so wurde sie das Gefühl nicht los, dass ihre harschen Worte weniger mit Olympias Aufgabe zu tun hatten, sondern vielmehr mit Runa selbst. Wieso, verstand sie allerdings nicht.

Mit vorsichtigem Schritt trug das Mädchen eine Platte voller Köstlichkeiten zu den Gästen. Unter ihnen erkannte sie ein überraschend vertrautes Gesicht. Einen Kelch Wein in der Hand und mit einem Lächeln auf den Lippen war er gerade in ein Gespräch mit dem Ehrengast vertieft, halb von ihr abgewandt, doch sie war sich augenblicklich sicher, dass er es sein musste. Die gerade Nase, das etwas schärfer verlaufende Kinn, die markante Narbe und natürlich die bernsteinfarbenen, in diesem Licht fast wie Bronze glänzenden Augen. Der Centurio Atius.
Zwischen den Tönen der Musik, gelang es ihr einige Gesprächsfetzen aufzuschnappen.
„Marcus Atius Scapula. Der Name scheint mir vertraut‟, stellte der Mann fest, der trotz seiner zierlichen Statur Würde und Macht ausstrahlte.
„Vielleicht kanntest du meinen Vater, Mamercus Atius Scapula, Caesar‟, wie der Centurio den Namen aussprach und der Reaktion des anderen zufolge musste er wichtig und bekannt sein, denn sofort erschien ein Lächeln in Caesar Augustus' Gesicht.
„Oh ja, natürlich. Soweit ich weiß, hat auch mein Adoptivvater Julius Caesar ihn sehr geschätzt‟, er unterbrach sich selbst, indem er einen kleinen Schluck Wein aus seinem Kelch trank. „Wie ich hörte, hast du im Norden einige Erfolge zu verzeichnen.‟ Seine blauen Augen musterten ihn aufmerksam.

Charmant wehrte Atius diese Worte ab. „Nicht ich. Ich war bloß der primus pilus, nicht Legat und schon gar nicht der oberste Befehlshaber. Alle Siege sind alleine ihnen zu verdanken.‟ Seine Bescheidenheit mochte zwar ehrlich sein, doch er schien seinen eigenen Stellenwert gut zu kennen. Es war mehr Stolz mit dem er von seinen Vorgesetzten sprach, keine selbstherabwürdigende Demut. Nein, Runa wusste, dass diesem Mann wohl bewusst war, wer er war und was er konnte, und er präsentierte es ohne jede Selbstüberschätzung oder Arroganz.
„Mir ist da ganz anderes zu Ohren gekommen. Es ist kein Geheimnis, dass deine Entscheidungen und Vorschläge weit mehr gewogen haben als die eines ersten Centurios.‟ Den Blicken der beiden zufolge, schien das Gespräch eine sehr vorteilhafte Wendung für Atius zu nehmen, hören konnte Runa aber nichts mehr davon.
Wenig später mischte sich auch schon ein alles andere als begeisterter Calpurnius in die Konversation ein. Sein Lächeln wirkte erzwungen und alles andere als wirklich glücklich darüber, die zwei so vertieft über etwas reden zu hören. Während sie versuchte all das zu beobachten, ging Runa gewissenhaft ihrer Arbeit nach, ehe sie schließlich zur Seite trat und still wartete bis man sie wieder brauchen würde.

Fast verzweifelt buhlte Calpurnius um die volle Aufmerksamkeit seines Gastes.
„Senator, ich möchte keinesfalls unhöflich sein, doch es gibt noch etwas wichtiges, worüber ich mich mit dem Centurio unterhalten muss‟, warf Augustus schließlich mit einem freundlichen Lächeln ein.
„Oh, natürlich, ich wollte nicht unhöflich erscheinen und stören, Caesar‟, antwortete Calpurnius mit noch viel angestrengterem Entgegenkommen. Während er seine Lippen zu einem Lächeln zwang, konnte man am Mahlen seines Kiefers erkennen wie fest seine Zähne aufeinandergebissen waren. Noch ein letztes Mal schenkte er Atius einen kühlen Blick, ehe er sich von ab- und einem anderen Gast zuwandte.
Wieder fiel Runa auf, wie sehr sich die beiden zu hassen schienen. Doch die Hoffnung, dass ihr das aus ihrer misslichen Lage helfen würde, hatte sie schon am Sklavenmarkt aufgeben können. Sie gehörte jetzt Calpurnius und der Centurio erinnerte sich vermutlich nicht einmal mehr an sie. Wieso sollte er auch?

Als sie die leeren Tablettes wieder ergriff und sie hinaustragen wollte, schloss sich ein fester Griff um ihr Handgelenk. Etwas unsanft wurde sie zur Seite gezogen und damit näher zu Calpurnius, der sie gepackt hatte.
„Was hältst du von meiner neusten Errungenschaft?‟, fragte er einen Mann neben sich, dessen blaue Augen sich nun in sie stechend bohrten, ehe er sie mit dem selben Blick genau musterte. „Ein Prachtstück, nicht wahr? Und zu welch geringem Preis!‟, setzte er noch ein wenig lauter nach, sodass nun auch Atius nicht weit entfernt von ihm den Kopf hob. Ohne Zweifel, um ihm zu demonstrieren, dass er eigentlich nicht gegen ihn verloren hatte, egal wie hoch der Centurio den Preis getrieben hatte.
Nun waren bereits mehrere Paare Augen auf sie gerichtet, taxierten sie aufmerksam und versetzten sie damit kurzzeitig auf den brütendheißen Markt zurück. Es wäre gelogen gewesen, hätte sie behauptet sich daran gewöhnt zu haben. Sie hasste es! Krampfhaft hielt sie den Blick gesenkt, um ihre Augen wenigstens nicht sehen zu müssen.
„Wirklich, eine Schönheit‟, stellte eine samtige Stimme fest, von der sie sich sicher war, das sie zu Atius gehörte „ich kann dir zu dem Kauf nur gratulieren.‟
  
Zaghaft hob sie den Blick und verfluchte sich für ihre Neugierde. Seine Augen waren geradewegs auf sie gerichtet und sahen sie, wie schon am Markt, ruhig an. Weder mit diesem widerlichen Hunger, den sie in Calpurnius' sah, noch mit dieser eisigen Kälte, die sie an dem anderen Mann erkannt hatte. Da war bloß ein kurzes Überraschen, das darin aufflackerte als wäre er sich einen Moment lang nicht sicher gewesen, ob sie es wirklich war, und dann Erkennen.
Stolz hob sie das Kinn ein wenig und ließ ihn mit ihrem Blick wie schon damals unverhohlen erkennen, wie sehr sie verabscheute, was um sie geschah. Diesmal allerdings hoffte sie nicht darauf, dass er aus welchen Gründen auch immer, gedenken würde, sie aus seinen Fängen zu befreien. Vermutlich hätte er es auch gar nicht gekonnt.
„Schönheit? Na ich weiß nicht, sie sieht aus wie eine germanische Bauernmagd, die man eben erst von den Wäldern hierhergebracht hat‟, flüsterte die Frau neben ihm mit leicht verzogenen Lippen Atius ins Ohr. Gerade noch laut genug, dass Runa es hören konnte, doch keiner der anderen Gäste. Es kümmerte sie nicht. Vielleicht war es in ihrer Welt sogar besser, nicht hübsch zu sein.

Hadassah, die an diesem Abend wie sein Schatten stetig hinter Calpurnius wartete, um seine Wünsche zu erfüllen, bedeutete jener mit einem ungeduldigen Schnippen, dass sie gebraucht wurde. Sofort kam Bewegung in ihren zarten Körper und sie griff ein Stück Fleisch von einer der Platten um ihn damit zu Füttern. Runa fühlte eine leichte Übelkeit in sich aufsteigen und Dankbarkeit, dass das heute nicht ihre Aufgabe war. Alleine jetzt war die Versuchung in sein Essen zu spucken groß, in dem Fall hätte sie ihr allerdings kaum widerstehen können.
Das Mädchen stieß ungeschickt gegen einen Kelch Wein, der sofort umkippte und seinen Inhalt über den Boden verteilte. Das kunstvolle Mosaik am Boden ertrank in dem undurchdringlichen Blutrot.
Atius hielt mitten in seinem Gespräch inne, den Blick unentwegt auf die Lache gerichtet, die sich langsam immer weiter ausbreitete. Jeder Muskel in seinem Körper schien mit einem Mal angespannt, seine Finger hatten sich sogar so fest um seinen Kelch verkrampft, dass Runa glaubte, seine Knöchel weiß hervortreten zu sehen. Ein dunkler Schatten huschte durch seine Augen und wich schließlich einem Ausdruck völliger Abwesenheit, als befände er sich nicht mehr wirklich hier.

„Kannst du nicht aufpassen!‟, zischte Calpurnius wütend und stieß Hadassah mit einer Ohrfeige beiseite. „Wenn ich bis zehn gezählt habe, will ich dieses Chaos hier nicht mehr sehen, verstanden? Los!‟ Dann wandte er sich Runa zu. „Lass uns sehen, ob du das besser kannst.‟
Ein wenig verständnislos sah sie ihn an. Was?
Mehercule, das nächste Mal kann ich mir auch gleich einen Affen kaufen. Vielleicht wäre der ein fähigerer Sklave‟, murmelte er genervt und massierte sie die Schläfen. „Du übernimmst ihre Aufgabe, serva. Na los.‟
Wieder meinte es das Schicksal ausgesprochen gut mit ihr. Nur widerwillig nahm sie Hadassahs früheren Platz ein, ohne aber den Blick von Atius abzuwenden, der nachwievor nicht ganz bei sich zu sein schien. Das flackernde Licht der Flammen warf nun noch tiefere Schatten in sein Gesicht und man hätte beinahe meinen können, er wäre etwas blasser geworden.
„Schmeckt dir der Wein nicht?‟, richtete Calpurnius mit seltsamem Ton sein Wort an ihn und riss ihn damit aus seiner Erstarrung.
Der Centurio räusperte sich. „Oh nein, nein. Ich fürchte bloß, ich fühle mich nicht besonders wohl. Entschuldige mich kurz‟, murmelte abwesend, ehe er sich erhob und schließlich den Raum Richtung Garten verließ. Zu stören schien es den Gastgeber allerdings keineswegs. Verwundert folgten ihm Runas Blicke.

Calpurnius schnippte mit den Fingern. „Olive‟, lautete sein einziger Befehl.
Nimm sie dir doch selbst! Zu so einem kleinen Handgriff musste selbst er noch ohne die Hilfe eines eifrigen Sklaven fähig sein. Doch sich zu sträuben hatte wohl kaum einen Sinn. Nur kurz zögernd tat Runa wie ihr geheißen, griff nach einer der aufgetischten Oliven und führte sie mit noch mehr Widerstand in ihrem Inneren zu seinem Mund. Für eine Sekunde berührten seine Lippen ihre Finger. Wie ein Blitz durchzuckte die Berührung jede Faser ihres Körpers und nur mit größter Selbstbeherrschung gelang es ihr dem unwiderstehlichen Drang vor Ekel zu schaudern zu widerstehen. Nicht zu denken, wie Calpurnius sie dafür bestraft hätte, hätte es jemand bemerkt - eine für diese Menschen wertlose Sklavin, die Abscheu vor ihrem edlen Herren, einem Senator, empfand. Diese Demütigung hätte er wohl kaum ohne weiteres hingenommen.
Aus einer Ecke des Raumes bohrte sich ein Paar Augen, das jede ihrer Bewegungen wachsam beobachtete, eiskalt in Runas Herz.

Rot. Dunkles glänzendes Rot. Wein, der sich in Sekundenschnelle in Blut verwandelte. Blut, das langsam über das Mosaik am Boden floss. Blut an seinen Händen. Blut, in dem seine Welt ertrank. Eine eisige Kälte fraß sich durch seinen Körper bis in sein Herz. Die Musik um ihn löste sich in ein fast schmerzhaft lautes Dröhnen in seinen Ohren auf, bis es schließlich von einer einzigen Stimme durchbrochen wurde.
Wie benommen antwortete er auf die Frage, ehe er immer noch wie Trance den Raum verließ als hätte er die Macht über seinen Körper verloren. Kleine Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, obwohl ihm trotz der angenehmen Wärme eiskalt war. Wütend schlug er seine Faust mit aller Kraft gegen eine der Säulen, ohne den Schmerz zu spüren, der nun ohne Zweifel hätte folgen müssen. Was war nur los mit ihm?
Wie oft war er bereits an Schlachtfeldern gewesen? Unzählige Male und es hatte ihn nie berührt. Was war diesmal anders? Wieso hatten sich diese Erinnerung so weit in seine Seele gefressen, dass sie ein paar Tropfen vergossener Wein aus deren Tiefen an die Oberfläche befördern konnten? In seinem Inneren wusste er es, auch wenn sich alles in ihm dieser Wahrheit verweigerte. Nicht die Schlachten waren es, die ihn verfolgten...

Langsam ging die Gesellschaft vom Essen alleine zum Trinken über und das nicht in geringen Mengen. Nach einem brutalen, unerbittlichen Kampf zwischen zwei Männern, dervon den Gästen mit großer Begeisterung verfolgt und schließlich dadurch beendet wurde, dass Calpurnius dem Verlierer gnädig sein Leben ließ, folgte die nächsteAttraktion. In der Mitte des Raumes wanden sich vermutlich einige der besten Tänzerinnen Roms sinnlich zu der gespielten Musik und kurz nach deren Auftreten gab der Senator Runa ein müdes Handzeichen, sie könne nun gehen - zumindest vorerst.
Nie hatte sie etwas als wohltuender empfunden als diesen Raum zu verlassen, soals könne sie nach Ewigkeiten endlich wieder frei atmen. Ohne dass sie überhaupt darüber nachgedacht hätte, führten sie ihre Beine zum Garten, wo ihr die warmduftende Nachtluft entgegenströmte. Ihr Kopf sank gegen den kühlen Stein einerder Säulen. Wenn sie jetzt nur einfach von hier verschwinden könnte...

„Solltest du nicht drinnen sein?‟, erklang eine dunkle Stimme und ließ ihr Herzeinen quälend langen Schlag aussetzen. In Erwartung jetzt einer schrecklichen Strafe entgegenzublicken, wandte sie sich um. 

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Wer das wohl sein mag... ?

Ich hoffe, das römische Namenssystem sorgt bisher nicht zu sehr für Verwirrung. Falls doch: ich arbeite, auch wegen der steigenden Anzahl der Charaktere, an einem Charakterverzeichnis, was das ganze vereinfachen soll. Nachdem ich aber nicht nur irgendein Bild von einem Schauspieler hinklatschen will nach dem Prinzip "Der sieht aus wie Channing Tatum und sie wie Angelina Jolie" wird es wohl noch ein bisschen dauern, bis das ganze so aussieht wie ich es möchte ^^ 

Sollten trotzdem irgendwo Fragen aufkommen, sagt gerne Bescheid! Alle Fragen, Anmerkungen, Wünsche, etc. sind immer willkommen.
Sagt mir gerne, was ihr von den bisherigen Charakteren haltet, Stil, Optik und den Geschehnissen in diesem Kapitel haltet, meinetwegen auch eure
Shippings solltet ihr denn welche haben (dank anderer Geschichten, bin ich da sowieso schon gewappnet :'D).

In diesem Sinne wünsche ich Euch (den Umständen entsprechend) schöne Ferien! 

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