Epilog

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"Alessandro?"
Dumpf klingt seine Stimme aus dem Frachtcontainer hervor.
"Ja? Vido, bist du das?"
"Genau, mein Freund. Sie haben mich von der Leine gelassen. Jetzt darf ich dir wieder auf die Nerven gehen."
Seine Stimme wird klarer, während er zum Ausgang des riesigen Metallungetüms gelaufen kommt.
"Das schaffst du nicht."
"Wetten?"
Wir nehmen uns herzlich in die Arme.

"Willkommen zu Hause, Vido. Es ist echt verrückt. Wir kennen uns jetzt grade mal acht Monate. Aber diese vier Wochen ohne dich kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Wie ist es dir noch ergangen auf dem Lehrgang?"
"Lass mich erst mal ankommen. Und ich bin jetzt echt neugierig auf unser neues Zuhause."
Gemeinsam betreten wir das dunkle, alte Holzhaus mit den roten Fensterrahmen und dem Grasdach oben drauf. Eigentlich sind es sogar mehrere Gebäude - ein Wohnhaus, ein kleiner Stall, die Praxis und eine Krankenstation mit ein paar Betten für schwerere Fälle.

Ich war acht Wochen lang in der Hauptstadt zusammen mit anderen Flüchtlingen, um Sprache, Kultur und Berufsmöglichkeiten kennen zu lernen. Alessandro ist schon nach vier Wochen hier ins letzte Städtchen auf der nördlichsten Insel gezogen. Lands End sozusagen. Er wurde vom Vorgänger eingearbeitet, hat einen Online-Sprachkurs gemacht und mit Fachleuten über Möglichkeiten zur Ausbildung für medizinische Berufe beraten.
Ein paar Tage vor mir ist nun auch unser Container angekommen. Die Organisation konnte mit Alessandros ehemaliger Kollegin eine Vertrauensbasis herstellen und mit ihrer Hilfe noch einiges von Alessandros beweglichem Besitz zu uns transportieren.

Ich schaue mich in unserem Haus um. Es ist relativ dunkel, die Decke ist niedrig, aber wir sind ja beide keine Riesen, und die Räume sind mit Lampen und Spiegeln geschickt ausgeleuchtet. Unsere Betten, die vertrauten Regale voller Bücher, ein Großteil der Küche - Alessandro hat mit Hilfe einiger Dörfler fleißig Möbel aufgeschlagen und Frachtkisten geleert. Ich kann schon ahnen, wie gemütlich es hier sein wird, wenn alles fertig eingerichtet ist. Aber erstmal stelle ich einfach mein Gepäck in den Flur und laufe hinter Alessandro her. Er führt mich in eine große Wohnküche und deckt den Tisch. Es duftet bereits verführerisch. Bald darauf holt er einen verheißungsvoll blubbernden Auflauf aus dem Ofen.

Die Anreise von Insel zu Insel, die vielen neuen Eindrücke, die Neugierde und Vorfreude haben mich meinen Hunger völlig vergessen lassen. Aber bei diesem verführerischen Duft knurrt mein Magen sofort und meldet Bedarf an. Mit Genuss machen wir uns über das Essen her. Zur Feier des Tages gibt es anschließend für jeden eine Tasse Kaffee - ein gradezu unerschwinglicher Luxus hier, weil Kaffee bei diesem Klima natürlich nicht wächst. Aber noch haben wir mitgebrachte Vorräte.

"Und jetzt erzähl mir von deinen Erfahrungen, die du gemacht hast, nachdem ich abgereist bin."
"Naja, in den ersten Wochen in Thorshavn warst du ja dabei. Und ich war echt froh drum. Ich hatte das noch nie zuvor erlebt - einfach über die Straße laufen, einkaufen, in ein Restaurant gehen, mit anderen Leuten plaudern, lernen in einer Gruppe mit einem Lehrer. Das war im Labor bei Merlin, und dann beim Schelling alles anders. Aber es war faszinierend und beglückend, dass niemand geglotzt oder blöde Fragen gestellt hat. Ich habe dann schließlich noch zwei andere Hybriden gefunden, die ich schon vom Labor her kenne. Ich bin also tatsächlich nicht der erste hier."
"Das hatten die Ausbilder ja schon angedeutet. Schön, dass du sie gefunden hast. Wollt ihr Kontakt halten?"
"Klar! Bei einer Katze, die wirklich ziemlich Katze und ziemlich niedlich ist, bin ich mir nicht sicher, ob sie mich erkannt hat. Die Besitzerin hat wie du Nägel mit Köpfen gemacht und ist hierher geflohen. Der Kleinen ist es also immer gut gegangen. Und dann ist da noch eine Frau, die etwa so viel wie ich Hündin ist. Sie ist sehr schüchtern und verschreckt. Sie muss Furchtbares durchgemacht haben. Sie hat die Flucht ganz alleine bewältigt. Ich denke, ich werde mich um Leyla bemühen, sooft ich in den Blockwochen in der Hauptstadt bin."

"Das klingt gut. Das klingt frei. Ich freue mich sehr für dich. Und wie ist es dir mit den Färöern ergangen? Irgendwelche Probleme wegen deines asiatischen Aussehens?"
"Sagen wir mal ... kaum. Einerseits leben diese Menschen hier am Ende der Welt sehr traditionell. Jedes Wort, jeder Handgriff scheinen eine bestimmte althergebrachte Bedeutung zu haben. Da bin ich natürlich suspekt. Andererseits hat die dramatische Geschichte der letzten hundert Jahre dieses Volk dazu gezwungen, über den Tellerrand zu schauen, kreativ zu werden, Geduld und grenzenlose Toleranz zu entwickeln. Für die allermeisten war ich einfach da. Und Punkt. In meinen kühnsten Träumen habe ich mir nicht vorstellen können, wie es ist, normal zu sein. Ich bin jeden einzelnen Tag froh, dass ich in deinem Schuppen gelandet bin."

Alessandro lächelt warm.
"Ich auch, glaub mir. Ich auch. Weißt du was? Du hast jetzt Stunden in einem engen Bus verbracht. Wollen wir durch den Ort und zum Strand spazieren?"
"Gerne! Bewegung tut gut."
Es ist jetzt Mitte Juli, und so laufen wir einfach im T-Shirt los. Kurz werfen wir einen Blick in die Praxis, wo zwei Mitarbeiterinnen mir zuwinken. Auf dem Weg durchs Dorf begegnen uns einige Leute, die sich vorstellen und mich willkommen heißen. Es ist offensichtlich - sie alle sind froh, dass Alessandro da ist. Nicht nur, weil es wieder einen Arzt im Ort gibt. Wie soll ich sagen? Man muss ihn einfach mögen. Und ich gehöre jetzt wohl einfach dazu. Ein Geschenk.

Wir kommen an einem Laden vorbei, wo man alles kaufen kann, was auf den Inseln produziert oder über Grönland importiert wird. Dinge aus der anderen Welt sind schwer, aber nicht unmöglich zu bekommen, darum kann man hier Bestellungen aufgeben - mit unbekannter Wartezeit. Daneben hat ein Mechaniker seine Werkstatt. Vermutlich repariert der Mann vom Auto bis zur Aufziehmaus alles, was eine Mechanik, einen Motor oder ein Kabel hat. Ich entdecke auch eine Kirche und eine kleine Schule. Im Moment sind aber Ferien. Und: überall sind Schafe. Wirklich überall. Sogar auf den begrünten Hausdächern. Die Bauern nutzen den kurzen Sommer, um die Lebensgrundlage für alle zu erwirtschaften. Während wir in eine Seitenstraße einbiegen, rattert mein Kopf pausenlos vor lauter neuer Eindrücke. Schließlich gelangen wir zwischen ein paar Privathäusern hindurch ans Meer. Die Steilküste ist hier unterbrochen durch eine große seichte Bucht. Ein paar Fischzuchtanlagen sind zu sehen, Wolken wechseln sich mit Sonnenflecken ab, Möwen kreischen. Der Blick aufs Meer ist einzigartig. Der nie schweigende Wind zerzaust uns die Haare und lässt meine Ohren flattern. Ich atme tief durch.

"Ich bin gespannt, wie wir den langen, dunklen Winter erleben werden. Jetzt jedenfalls ist es herrlich hier."
"Dann komm. Ein paar Kisten schaffen wir heute noch. Ich will Ende der Woche fertig werden, damit der Container aus dem Vorgarten verschwinden kann. Du willst sicher auch dein Zimmer einrichten."
"Dann lass uns die Ärmel hochkrämpeln."
Zielstrebiger als auf dem Hinweg laufen wir nach Hause und machen uns gemeinsam an die Arbeit. Ich stelle fest, dass Alessandro sich in den ersten Wochen hier im Land sehr bewusst umgeschaut hat, denn aus dem Container kommen viele Dinge zu Tage, die er sich offensichtlich gezielt von seiner Kollegin noch hat besorgen lassen, weil es die hier kaum oder gar nicht gibt. Unser Heim wird immer gemütlicher.

Abends sitzen wir entspannt und müde beisammen und planen unsere Zukunft. Ich weiß bei Alessandros Fragen und Plänen oft nicht, was ich sagen soll. All diese Möglichkeiten waren vor drei Monaten für mich noch undenkbar. Ich weiß, dass ich tatsächlich in unserer Krankenstation so eine Art Ausbildung zur eierlegenden Wollmilchsau machen will. Medizinische Grundlagen, einfache Behandlungen, dazu ein bisschen Pflege, ein bisschen Physiotherapeut, ... Learning by doing plus ab und zu Blockwochen in der Hauptstadt. Ich werde sehr viel zu lernen haben. Aber ich habe ja den besten Lehrer.

Die Leute hier sind ruhig, bedächtig, gemütlich, öffnen sich neuen Geflüchteten aber schnell und tun alles, um ihnen eine neue Heimat und Sicherheit zu ermöglichen. Den Färöern ist klar, dass, wer hier gelandet ist, in der Regel viel Schlimmes gesehen und erlebt hat. Mit ihrem feinen Humor geben sie dem Alltag eine gewisse Leichtigkeit.
Seit Vido bei mir zu Hause ist, ist mein Leben fast so etwas wie perfekt. Wir sind sehr schnell angekommen im Ort und bei den Leuten. Natürlich wird es noch eine Weile dauern, bis wir die Sprache beherrschen. Aber wir gehören schon jetzt fest dazu. Und wir haben einander, was wir nie wieder missen wollen. Ich kann mir schon jetzt nicht mehr vorstellen, wie ich die Einsamkeit, Isolation und Kälte in meinem früheren Leben ausgehalten habe.

Im Gesundheitsministerium der "Vereinigten Vergessenen Inseln", der "glemte øer", wie sie sich tatsächlich selbst nennen, wird ein neues Konzept erarbeitet, wie altes Wissen bewahrt und zusammen mit neuem Wissen in Ausbildungen gegossen werden kann, damit auf allen Inseln die medizinische Versorgung gewährleistet ist. Mit meiner Ankunft scheint sich Erleichterung breit zu machen. Ich bin alt genug, um viel Erfahrung mitzubringen, und jung genug, um noch einige Jahre am Aufbau eines Studiengangs und verschiedener Ausbildungen mitwirken zu können.
Also reise ich ab und zu in die Hauptstadt, treffe mich dort mit Färöer Ärzten, aber auch Fachkräften von den anderen Inselgruppen. Das von mir besorgte Lehrmaterial wird gesichtet, neuere Methoden erläutert, Notwendigkeiten abgeklärt. Ab dem nächsten Jahr soll es an der Universität in Reykjavik auf Island wieder einen Studiengang Humanmedizin geben. Die Veranstaltungen sollen aber im Wesentlichen online stattfinden, damit die Studenten nicht alle nach Island ziehen müssen. Ich kann meine Seminare und Vorlesungen auf diese Weise also bequem von zu Hause aus halten. Parallel soll ich die vorhandenen Ärzte fortbilden, damit die Studenten ihre Praxiszeiten bei den Kollegen absolvieren können.

Es ist unglaublich spannend und beglückend, so von Grund auf an etwas Neuem mitwirken zu können. Über meine ehemalige Kollegin, die schnell von unserer Sache überzeugt war, aber dort bleiben will, habe ich Kontakt zur "alten Welt", habe Zugang zu wichtigen Verbrauchsgütern und Informationen. Aber ansonsten denke ich nur selten zurück an mein früheres Leben. Hier und jetzt ist Heimat. Was brauche ich mehr?

Ich bin so dankbar, auf Alessandro gestoßen zu sein. Er hat mich nicht nur in sein Haus sondern auch in sein Leben, sein Herz und seine Gedankenwelt aufgenommen. Er hat alles riskiert, um mir ein selbstbestimmtes Leben in Würde und Freiheit zu ermöglichen. 
Meine Tage sind sehr angefüllt. Die Sprache, all das Fachwissen, die täglich tausend kleinen Handgriffe, die ich in der Praxis lernen muss, fordern meinen Geist heraus. Aber genau danach habe ich mich so lange gesehnt. Eine echte Welt zum Anfassen, Gemeinschaft, Ziele, Sinn.

Im Sommer gibt es wieder einen Eingliederungslehrgang in Torshavn, und bei der Gelegenheit besuche ich auch Leyla. Immer im Gedanken an die Geduld, mit der Alessandro mein Misstrauen überwunden hat, gehe ich vorsichtig, aber beharrlich auf sie zu. Es ist schön zuzusehen, wie sie ganz allmählich ihre Ängste ein bisschen loslassen und sich auf den Weg zu sich selbst machen kann. Ihr erstes ungezwungenes Lächeln ist wie ein Wunder für mich. Alessandro lacht sich schief, als ich ihm hinterher davon vorschwärme. Und dann lädt er sie ein, uns zu besuchen. Sie ist erst ängstlich, schreckt zurück vor der Reise, all dem neuen Unbekannten. Aber dann nimmt sie sich doch in der Zeit nach meinem Herbstlehrgang Urlaub und kommt tatsächlich mit.
Bei uns blüht sie auf. Man kann gar nicht anders, als in Alessandros sanfter, wertschätzender Gegenwart zuversichtlicher und freier zu werden. Das Wort Zukunft hat für mich zum ersten Mal in meinem Leben einen hellen, ganz positiven Klang. Hier haben wir eine Zukunft in Freiheit.

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23.4.2022

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