13 - Probeflug in den Himmel

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Ein glückliches Strahlen umspielt meine Lippen, als Sam und ich gegen Mitternacht mein Haus erreichen. Nach unserem kleinen Kuss-Unfall auf dem Eis haben wir noch einen Glühwein getrunken und uns danach auf den Heimweg gemacht.

Zu gerne würde ich Sam fragen, wie es jetzt mit uns weitergehen soll - immerhin hat unser Kuss einen ganzen Zoo in meinem Bauch heraufbeschworen - aber ich traue mich nicht. Zu groß ist meine Angst vor Enttäuschung und Zurückweisung.

„Danke für den tollen Abend, Shay", lächelt mich Sam liebevoll an, während ich damit kämpfe, die Haustür aufzuschließen. „Ich hatte sehr viel Spaß!"

„Geht mir genauso", erwidere ich leise. Seit langer Zeit habe ich mich endlich mal wieder lebendig gefühlt und nicht wie dieser antriebslose Zombie, der zwei Monate lang nicht sein Haus verlassen hat.

Sam und die Rentiere tun mir gut. Das wurde mir diesen Abend ein weiteres Mal bewusst.

„Das freut mich. Vielleicht können wir das ja irgendwann nochmal wiederholen."

„Ja, vielleicht."

Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meiner Magengrube aus. Ich weiß, dass Sam und die Jungs nicht ewig bei mir bleiben werden und um ehrlich zu sein habe ich furchtbar große Angst vor unserem Abschied.

Ob ich ohne sie zurück in mein Loch fallen werde? Ich habe mir zwar fest vorgenommen, mein Leben ab sofort zu ändern, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das auch wirklich schaffen werde.

Da ich diesen schönen Abend nicht mit meinen negativen Gedanken überschatten möchte, schüttele ich einmal den Kopf. Dann stoße ich die Tür auf, schlüpfe in meine Olaf-Hausschuhe, die zum Glück wieder trocken sind, und tapse möglichst leise ins Wohnzimmer.

Anders als in meiner Erwartung finde ich die Rentiere nicht schlafend auf dem Sofa vor, denn der Raum ist leer. Nur die Lichterkette am Tannenbaum leuchtet noch.

Hm, komisch.

Wo könnten sich die Jungs so spät noch herumtreiben?

„Shay?!", durchkreuzt Sams Stimme meine Gedanken. „Wir sind in der Küche!"

Ah.

Weil ich keine Ahnung habe, was die Rentiere um Mitternacht in meiner Küche zu suchen haben, eile ich mit schnellen Schritten dorthin. Innerlich stelle ich mich schon auf ein Chaos aus Töpfen und Essensresten ein, weshalb ich positiv überrascht bin, als ich von dem himmlischen Geruch frischer Plätzchen empfangen werde - und einer blitzeblank geputzten Arbeitsfläche.

Die Rentiere hocken gemeinsam vor dem Backofen und scheinen darauf zu warten, bis ihre Plätzchen fertig sind. Es ist süß, wie neugierig und aufgeregt sie aussehen.

„Hey Jungs!", begrüße ich die Bande grinsend, bekomme allerdings keine Antwort.

Alles klar. Die Plätzchen sind ihnen wohl wichtiger als ich.

Pf, dann gebe ich ihnen die neuen Schals halt erst morgen ...

„Hast du noch Glühwein hier?", möchte Sam auf einmal von mir wissen, womit er meinen Missmut vertreibt. Er stellt sich neben mich und schaut mich abwartend aus seinen dunklen Teddyaugen an.

Hä? Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.

„Glühwein?", hake ich verwirrt nach. „Wir haben doch schon drei Tassen auf dem Weihnachtsmarkt getrunken."

Sam lacht. „Das war nur eine Frage, Shay", versucht er mich zu beruhigen. „Wenn du keinen Glühwein mehr trinken möchtest, ist das vollkommen okay. Ich dachte nur, dass Glühwein und frische Plätzchen eine unschlagbare Kombo abgeben würden."

Oh ja, das tun sie auch.

„Überzeugt!", schmunzele ich. „Du hast gewonnen, Sam!"

Während die Rentiere immer noch brav vor dem Backofen hocken, wärme ich den Billig-Glühwein aus dem Supermarkt in einem Topf auf. Tatsächlich haben wir so ein perfektes Timing, dass die Kekse und die Zuckerflüssigkeit zur selben Zeit fertig sind.

„Du hast doch bestimmt eine Thermoskanne und eine Plätzchendose, oder?", erkundigt sich Sam bei mir, nachdem er den Backofen für die Rentiere ausgeschaltet hat.

„Äh, ja", stammele ich überfordert, ehe ich mich durch meine unaufgeräumten Schubladen wühle. „Hier."

„Super! Danke!"

Sam füllt den Glühwein in eine Thermoskanne und klaut sich ein paar Plätzchen vom Backblech, die er in die rotgepunktete Dose legt. Was hat er bloß vor?

Meine Frage beantwortet sich, als Sam wenig später in die Hände klatscht und laut sagt: „Alle mal herhören!"

Sofort sperren die Rentiere ihre Lauscher auf und auch ich hänge wie gebannt an Sams Lippen. Die ich übrigens mit dem allergrößten Vergnügen ein weiteres Mal küssen würde.

„Unser Schlitten ist so gut wie fertig", verkündet er nun fast schon feierlich. „Damit ich morgen die letzten Anpassungen vornehmen kann, würde ich jetzt gerne einen Probeflug machen. Seid ihr dabei, Jungs?"

Die Rentiere zögern.

„Hast du Brokkoli?", möchte Cornelius wissen.

„Und Schokolade?", hakt Alfred nach.

Meine Güte, die Fellnasen sind echt verfressen! Na ja, verübeln kann ich ihnen das nicht.

Da Sam seine Jungs mittlerweile in und auswendig kennt, nickt er. „Natürlich!", fügt er grinsend hinzu. „Ich habe an alles gedacht." Zum Beweis zieht er ein Stück Brokkoli und einen kleinen Schokoladenstern aus seiner Umhangtasche hervor. Sein Blick wandert danach zu mir weiter und er schmunzelt, als er sagt: „Für dich habe ich Glühwein und Plätzchen, Shay."

Moment mal. Für mich?

„Ich soll mitkommen?", hake ich verwirrt und überrascht zugleich nach. „Aber ich bin doch gar kein Rentier und kann überhaupt nicht fliegen, Sam!"

Ein paar Sekunden ist es mucksmäuschenstill in der Küche. Dann bricht schallendes Gelächter um mich herum aus.

„Manchmal hast du echt ein Brett vorm Kopf!", macht sich Rudolph über mich lustig. Im selben Atemzug möchte Bernd von mir wissen: „Wie viele Tassen Glühwein hast du schon intus, Shay?"

Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich habe wirklich ein Brett vorm Kopf. Was zum Teufel ist gerade so lustig? Ich check's nicht!

Zum Glück fasst sich Sam ein Herz und erklärt mir: „Du musst nicht fliegen können. Das übernehmen die Jungs. Es reicht, wenn du dich gemeinsam mit mir auf den Schlitten setzt und die Aussicht genießt."

Oh. Ich komme mir unfassbar dumm vor. Wie gut, dass ich das auf den Glühwein schieben kann!

Zehn Minuten später finden wir uns alle im Garten wieder. Trotz der Dunkelheit erkenne ich, dass der Schlitten wie neu ist. Die Kufen sind nicht mehr verbogen, die Rückbank ist wieder vollständig zusammengeflickt und das Holz ist frisch lackiert.

Da hat Sam wirklich ganze Arbeit geleistet!

Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen spannt er die Rentiere vor den Schlitten - Alfred ist der Anführer - und belohnt sie wie versprochen mit Brokkoli und Schokolade. Danach klettert er gemeinsam mit mir auf die Rückbank und legt eine flauschige Kuscheldecke, die mit Schneeflocken bedruckt ist, über unsere Körper.

„Aufgeregt?", fragt mich Sam leise.

Ich nicke. Mein Herz hämmert kraftvoll gegen meinen Brustkorb und meine Hände und Beine zittern. So nervös war ich nicht mal vor unserem Kuss und das soll schon was heißen!

Aber zu meiner Verteidigung: Wann sitzt man schon mal in einem Schlitten, der von Rentieren gezogen wird und angeblich fliegen kann? Richtig: Nie!

„Genieße es einfach!" Sam zwinkert mir zu, bevor er die Zügel in die Hand nimmt und den Rentieren zuruft: „Es kann losgehen, Jungs!"

Oh Gott, will ich mir das echt antun? Noch wäre es nicht zu spät, einfach wieder rauszuspringen und mir das Spektakel vom Boden aus anzuschauen.

Mit meiner rechten Hand kralle ich mich in dem Polster der Sitzbank fest. Meine linke Hand greift automatisch nach Sams, um nach Halt und Sicherheit zu suchen.

„Es kann nichts passieren, Shay", wispert mir Sam beruhigend zu. Ein liebevolles Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln, als er in Richtung Fußraum nickt, wo die Thermoskanne und die Plätzchendose stehen. „Mach es dir gemütlich."

Nein, aber nein danke!

Noch bevor ich ihm eine Antwort geben kann, setzt sich der Schlitten in Bewegung. „Scheiße!", entfährt es mir panisch. „Ich werde sterben!"

„Wirst du nicht!", widerspricht mir Sam lachend und drückt aufmunternd meine Hand.

Die Rentiere ziehen den Schlitten langsam durch den Garten und umrunden die Hecke, sodass wir wenige Herzaussetzer später auf dem schneebedeckten Feld zum Stehen kommen.

„Warum halten wir an?", frage ich halb erleichtert und halb ängstlich.

„Die Jungs müssen kurz ihre Kräfte bündeln", erklärt mir Sam, „aber keine Sorge, es geht sofort weiter."

Wie immer behält er Recht.

Ich schaffe es nicht, gedanklich bis drei zu zählen, da zünden die Rentiere auch schon ihren Turbo und sprinten los. Sie sind so schnell, dass ich tiefer in den Sitz gedrückt werde und panisch die Augen zusammenkneifen muss.

Shit! Shit! Shit!

Der Wind zerrt an meinen Haaren, Schneeflocken wirbeln mir ins Gesicht und die Kälte kriecht schauernd über meinen Körper.

„Mach die Augen auf, Shay!", fordert mich Sam auf. „Sonst verpasst du noch das Beste!"

Es kostet mich meine ganze Überwindung, die Augen zu öffnen und zu beobachten, wie die Rentiere gleichzeitig vom Boden abspringen. Mit einem Ruck wird auch der Schlitten in die Luft geschleudert, weshalb ich leise winsele.

Mein Untergang naht! Zum Glück bin ich davor nochmal in den Genuss von Glühwein gekommen.

Ganz langsam gleiten die Rentiere immer weiter zum sternenbedeckten Himmelszelt hinauf. Mein Bauch kribbelt unangenehm und mir wird schwindelig, je höher wir fliegen. Hoffentlich muss ich mich nicht noch übergeben!

Im Gegensatz zu Sam, der tiefenentspannt ist, sitze ich total verkrampft auf meinem Platz. Ich wage es nicht, nach unten zu schauen, sondern fokussiere mich einzig und allein auf die flauschigen Hinterteile der Rentiere. Vor allem Cornelius' Hintern lässt sich gut sehen.

Ich habe keinen blassen Schimmer, wie lange es dauert, doch irgendwann ist der Steilflug endlich beendet und wir gewinnen nicht mehr an Höhe dazu.

Der Schlitten gleitet nun elegant und anmutig durch die Luft. Über uns funkeln die Sterne und unter uns ... Daran möchte ich gar nicht denken.

„Und?", erkundigt sich Sam neugierig bei mir, während er sein Gesicht in meine Richtung dreht. In seinen silbernen Locken tanzen Schneeflocken miteinander um die Wette und in seinen dunklen Augen spiegelt sich das Sternenmeer wider. „Wie gefällt es dir, Shay?"

„Äh ..." Ich möchte ihn nicht enttäuschen, aber meine Definition von Spaß sieht anders aus.

„Ich weiß, dass es am Anfang ein merkwürdiges Gefühl ist, aber du wirst dich schnell daran gewöhnen", behauptet Sam voller Überzeugung. „Wenn du deine Augen schließt, kannst du die Freiheit in jeder einzelnen Zelle deines Körpers spüren."

Da ich Sam vertraue, lasse ich meine Lider zuflattern und konzentriere mich auf meinen viel zu schnellen Herzschlag. Ich kann das Rauschen meines Adrenalins hören und fühle, wie der Wind über meinen Kopf hinwegfegt. Spiralförmige Wirbel schieben sich vor mein inneres Auge und entfachen ein Feuer aus Schwindel und Übelkeit.

Tja, von der Freiheit ist weit und breit nichts zu spüren. Dafür breitet sich aber immer mehr Angst in mir aus.

„Hier", befördert mich Sams Stimme zurück in die Gegenwart. „Trink einen Schluck Glühwein." Er hält mir die Thermoskanne entgegen, die ich zögerlich an meine Brust presse und öffne.

Ob es eine gute Idee ist, noch mehr Alkohol zu trinken, obwohl mir bereits schwindelig ist? Wahrscheinlich nicht, aber ich nehme dennoch einen großen Schluck; in der Hoffnung, mich dadurch zumindest ein bisschen zu entspannen.

„Möchtest du auch noch Kekse haben?", fragt mich Sam. „Die Jungs sind hervorragende Bäcker!"

Das glaube ich gerne, aber mein Magen rebelliert jetzt schon.

„N-Nein danke", lehne ich ab. Da ich es süß finde, wie fürsorglich und aufmerksam Sam ist, quäle ich mir ihm zuliebe ein schiefes Lächeln auf die Lippen.

„Ich könnte wirklich stundenlang durch die Nacht fliegen", schwärmt er weiter. Dass es mir nicht gutgeht, scheint er überhaupt nicht zu realisieren. Na ja, wenigstens lenkt mich sein Geschwafel ab. „Hier oben ist es so schön verlassen und ruhig. Es gibt keinen anderen Ort, an dem ich mich so frei fühle, wie hier."

Okay, mittlerweile habe ich verstanden, dass Sam seinen Schlitten und das Fliegen liebt. Als Santa wäre es aber auch äußerst unpraktisch, wenn das nicht der Fall wäre.

„S-Sam?", stammele ich leise seinen Namen, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Binnen eines Herzschlages fängt er meinen Blick auf und runzelt besorgt die Stirn. „Oh Gott, Shay", murmelt er entsetzt. „Ist alles okay? Du bist ja total blass!"

Ich schüttele den Kopf. Immer mehr Übelkeit wallt in mir auf und ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, wie lange ich sie noch herunterschlucken kann.

„Lass mich raten", flüstert Sam, „dir ist schlecht, oder?"

„J-Ja." Eine eisige Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus und elektrische Stromstöße peitschen durch mein Inneres.

Normalerweise habe ich kein Problem mit Höhe oder Achterbahnen, aber jetzt gerade ist das einfach zu viel für mich. Mein Magen rumort, mir ist schwindelig und ich beginne am ganzen Leib zu zittern; als hätte ich in eine Steckdose gefasst.

„Konzentriere dich einfach auf meine Stimme, okay?" Sam malt kleine Kreise auf meinen schwitzigen Handrücken. Gleichzeitig zieht er einmal an den Zügeln, sodass die Rentiere vorsichtig den Sinkflug einleiten. „Als ich das erste Mal mit meinem Schlitten geflogen bin, war mir auch kotzübel. Noch bevor wir wieder am Boden waren, musste ich mich zweimal übergeben."

Mal schauen, ob ich seinen Rekord knacken kann. Lange dauert es jedenfalls nicht mehr, bis sich die Waffel zurück an die Freiheit gekämpft hat.

„Die Jungs haben mich deshalb wochenlang ausgelacht", fährt Sam schmunzelnd fort. „Von Flug zu Flug wurde es aber immer besser."

Schön. Das hilft mir gerade allerdings nicht weiter. Kein bisschen!

„Und wie schon gesagt: Mittlerweile liebe ich es, durch die Nacht zu fliegen und meine Gedanken abzuschalten. Es gibt nichts Schöneres als das Gefühl der grenzenlosen Freiheit."

Im Einklang mit Sams letztem Wort ruckelt es kurz. Panisch schaue ich nach unten, nur um festzustellen, dass wir wieder auf dem Feld hinter meinem Haus gelandet sind.

Oh mein Gott. Ich lebe noch? Halleluja!

Auf wackeligen Beinen taumele ich aus dem Schlitten und lasse mich rücklings in den Schnee fallen. Es dauert noch ein paar Sekunden, doch dann klingen der Schwindel und die Übelkeit langsam ab.

„Herzlichen Glückwunsch, Shay!", höre ich Sam irgendwo in der Ferne schmunzeln. „Du hast einen besseren Santa abgegeben als ich bei meinem ersten Flug."

Toll. Ob ich deshalb nochmal in dieses Höllending steigen werde? Niemals!

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