6 - Frühstück im Bett

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Ich habe keine Ahnung, wann ich das letzte Mal von dem Geruch frischer Spiegeleier – die nicht verbrannt sind – geweckt wurde, doch es ist ein tolles Gefühl.

Mit einem zufriedenen Brummen öffne ich meine Augen. Es dauert ein paar Sekunden, bis mein Orientierungssinn einsetzt und ich realisiere, dass ich mich in meinem Bett befinde. Rudolph liegt noch immer neben mir, allerdings hat er sich nicht mehr bei mir angekuschelt.

Stattdessen hat er alle Viere von sich in die Luft gestreckt und schnarcht leise. Aus seinem Mund hängt ein dünner Sabberfaden, der sich im Takt seiner Atmung von rechts nach links bewegt.

Verrückt, aber auch süß.

„Guten Morgen, Shay." Es ist nicht Rudolphs Stimme, die sanft und warm meine Ohren umspielt, sondern Sams. „Wie hast du geschlafen?"

Ich drehe meinen Kopf zur Seite und versinke sogleich in Sams braunen Teddyaugen. Ein sanftes Lächeln liegt auf seinen Lippen und bringt sein Gesicht zum Strahlen.

Ich bin so überwältigt von seinem zufriedenen Gesichtsausdruck, dass ich fast schon vergesse, was er gerade gesagt hat. Aber nur fast!

„Moment mal", murmele ich verwirrt und setze mich auf. „Guten Morgen?" Ich krame in meinem Hirn nach Erinnerungen des gestrigen Tages. Als ich Rudolph von meinen Lieblingsweihnachtsfilmen erzählt habe, war es gerade mal 16:30 Uhr.

Warum hat uns niemand zum Abendessen geweckt? Und haben wir wirklich die ganze Nacht durchgeschlafen? Ohne Glühwein?

Ich merke, wie sich eine innere Unruhe in mir ausbreitet. Wenn ich tatsächlich über zwölf Stunden geschlafen habe, wie sieht dann mein Haus aus? Oh Gott, bestimmt haben die Rentiere alles auf den Kopf gestellt!

„Shay?" Sams Stimme vertreibt die lästigen Gedanken aus meinem Kopf. „Was ist los? Du bist plötzlich so blass im Gesicht."

„Steht mein Haus noch?", frage ich ängstlich. „Oder haben deine Jungs alles zerstört?"

Ich habe keine Ahnung, welche Reaktion ich erwarte, aber nicht, dass Sam lacht. Niedliche Grübchen bohren sich in seine Wangen und um seine Augen bilden sich kleine Lachfältchen.

Schön, dass wenigstens einer von uns Spaß hat.

„Du kannst dich entspannen. Dein Haus steht natürlich noch", schmunzelt Sam. „Alfred hat sogar die Küche aufgeräumt und den Geschirrspüler angeschaltet."

Puh, Gott sei Dank hatte das Hausmann-Rentier alles im Griff.

„Schau mal. Alfred und Cornelius waren schon fleißig und haben dir Frühstück gemacht."

Erst jetzt gleitet mein Blick zu Sams Händen. Tatsächlich trägt er ein Tablett, das mit mehreren Leckereien gefüllt ist: Spiegeleier, Toast, Speck, Käse, Gurken, Tomaten, Möhren, Mini-Pancakes und Orangensaft.

„Wow, danke", sage ich überwältigt. So etwas hat noch nie jemand für mich gemacht.

Sam lächelt. „Wenn du möchtest, schmeiße ich Rudolph aus dem Bett, damit du ganz in Ruhe frühstücken kannst", bietet er mir an.

„Nein, schon gut", lehne ich sein Angebot ab. Rudolph stört mich nicht. Außerdem soll er sich gesund schlafen. Da ein bisschen Gesellschaft zum Reden allerdings schön wäre, frage ich Sam schüchtern: „Setzt du dich zu mir? Meine Granny hat immer gesagt, dass allein essen dick macht."

Bei meinen Worten muss Sam lachen. „Das hat sie wirklich gesagt?"

Ich nicke. Die Tatsache, dass sie sich eigentlich auf Süßigkeiten bezogen hat, behalte ich jedoch für mich.

Sam stellt das Tablett auf meinem Nachttisch ab, ehe er sich zu Rudolph und mir ins Bett quetscht. Unsere Arme und Beine berühren sich und ich spüre die Wärme, die von Sams Körper auf mich abfärbt.

Eigentlich sollte es mir unangenehm sein, einem fremden Mann so nahe zu sein, aber das ist es nicht. Viel eher genieße ich es sogar, Sam neben mir zu haben.

Kaum ist dieser Gedankengang verraucht, greift Sam wieder nach dem Tablett und stellt es auf seinem Schoß ab. Mit einem auffordernden Grinsen sagt er: „Greif zu, Shay!"

Und das mache ich dann auch.

Ich schnappe mir einen Teller und fülle ihn mit den vielen Köstlichkeiten, die Alfred und Cornelius zusammengestellt haben. Vor allem die Spiegeleier und die Mini-Pancakes duften himmlisch.

„Nimm dir bitte auch etwas, Sam." Ich deute auf die vielen Scheiben Toast, die ich niemals allein verdrücken könnte.

„Du willst doch nur, dass ich mitesse, damit du nicht dick wirst, oder?" Sam lacht und ich steige mit ein.

Es ist ein schönes Gefühl, dass wir uns so gut verstehen. Auch wenn wir uns erst seit einem Tag kennen, schwimmen wir auf derselben Wellenlänge und haben denselben Humor. Wahrscheinlich klingt es total bescheuert, aber mein Herz spürt einfach, dass wir uns perfekt ergänzen und gut miteinander harmonieren.

Hoffentlich bleibt das auch so.

„Korrekt!", antworte ich schließlich grinsend. „Wenn dann sollen wir beide dick werden!"

Während wir frühstücken, erfahre ich von Sam, dass er 27 Jahre alt ist. Seine Lieblingsfarbe ist, oh Wunder, rot, er trinkt gerne Holundertee und für Alfreds Lasagne würde er morden. Trotz seines definierten Körpers hasst er Sport und geht nur deshalb regelmäßig ins Fitnessstudio, weil Bernd ihn dazu zwingt.

Seit fünf Jahren wohnt er gemeinsam mit seinen Rentieren am Nordpol. Dort haben sie ein riesiges Haus mit Sauna, Bowlingbahn, Kino, Fitnessstudio und Schwimmbecken. Die anderen Weihnachtsmänner und Frauen leben in einer Siedlung, die etwa 20 Minuten mit dem Schlitten entfernt ist.

Danach verrät mir Sam noch, dass er zu Beginn überhaupt nicht mit der Kälte klargekommen ist, die am Nordpol herrscht, und dauerhaft erkältet war. Mittlerweile hat er sich allerdings so gut an die Temperaturen gewöhnt, dass er teilweise in kurzer Kleidung nach draußen geht.

„Fühlst du dich manchmal einsam?", frage ich Sam neugierig. „Ich meine, du hast ja niemanden am Nordpol."

Sam zieht seine Augenbrauen zusammen und bedenkt mich mit einem skeptischen Blick. „Das siehst du total falsch, Shaileen", korrigiert er mich. „Ich habe Alfred, Otto, Bernd, Cornelius und Rudolph. Vielleicht ist es für dich schwer vorstellbar, aber die Jungs sind meine besten Freunde. Meine Familie."

Wow, das hat er echt schön gesagt.

Sam zögert kurz und weicht meinem Blick aus. Dann wispert er leise: „Deine Frage würde ich gerne an dich zurückgeben."

Was? „Du willst wissen, ob ich einsam bin?"

Als Sam nickt, beschleunigt sich mein Herzschlag. Übelkeit wallt in mir auf und mir wird schwindelig. Eigentlich möchte ich nicht darüber reden, wie verkorkst mein Leben ist, aber es fühlt sich so an, als wäre ich Sam eine Antwort schuldig.

„Nein", lüge ich, obwohl es mir schwerfällt. „Ich bin glücklich."

„Wirklich?", hakt Sam nach. Er legt seine angebissene Scheibe Toast auf seinen Teller und greift stattdessen nach meiner Hand. „Tut mir leid, das so sagen zu müssen, aber auf mich wirkst du nicht wie ein sonderlich glücklicher Mensch."

Ein riesiger Kloß bildet sich in meinem Hals. Ich spüre, wie mir brennende Tränen in die Augen schießen, doch ich schaffe es, sie mit all meiner Kraft wegzublinzeln.

Hätte ich die Chance, mein Leben zu ändern oder einen Neustart zu machen, würde ich es tun.

Ich habe keinen Job.

Ich habe keinen Kontakt zu meiner Familie.

Ich habe meine ganzen Freunde hinter mir gelassen.

Ich habe Granny an den Tod verloren.

Ich habe mich täglich in Glühwein oder anderem Alkohol ertränkt.

All das sind Tatsachen, auf die ich nicht stolz bin. Ich weiß, dass ich mich endlich aufraffen sollte, um mein Leben umzukrempeln, aber ich schaffe es einfach nicht. Seit mehreren Monaten bin ich antriebslos und in meinem Trott gefangen.

Warum? Vielleicht, weil ich mich und mein Leben schon aufgegeben habe.

„Shay?" Sam drückt vorsichtig meine Hand, womit er mich zurück in die Realität befördert. „Ich wollte dir nicht zu nahetreten. Entschuldige bitte."

Wie in Trance nicke ich. „K-Können wir wann a-anders darüber sprechen?"

„Natürlich!" Sam ringt sich mir zuliebe ein schiefes Lächeln ab, doch es sieht unecht und gequält aus. „Wir-" Er kann seinen Satz nicht beenden, denn ein lautes Gähnen, das sich wie Bärengebrüll anhört, lässt uns zusammenzucken.

Was zum Teufel war das?

„Man, Rudolph!", beschwert sich Sam einen Wimpernschlag später mit einer Grimasse. „Hab' mal etwas mehr Anstand!"

„Sorry", murmelt das Rentier verschlafen. „Ich wusste nicht, dass ihr ein romantisches Frühstücks-Date im Bett habt."

„Das ist kein Date!", sagen Sam und ich wie aus einem Munde. Obwohl es die Wahrheit ist, schießen mir siedend heiße Blitze in die Wangen und mein Körper füllt sich mit Verlegenheit.

„Hä?" Rudolph strampelt so lange mit den Beinen, bis er auf seinem Allerwertesten sitzt. Er reibt sich mit seinem Huf über die Augen, wahrscheinlich, um den blöden Schlafsand loszuwerden, und gähnt ein zweites Mal wie ein Bär. „Wenn das hier kein Date ist, was denn dann?"

Ich überlasse Sam das Antworten. „Ein ganz normales Frühstück?" Er klingt fragend und verunsichert.

„Aha." Rudolph schaut uns nacheinander an. Dass er nicht überzeugt ist und lieber an seiner Date-Theorie festhält, verrät sein Blick. „Seid ehrlich: Wäre ich nicht hier, wärt ihr doch schon längst übereinander hergefallen."

Äh, nein? Natürlich finde ich Sam attraktiv und mag ihn gerne, aber ich stecke niemandem meine Zunge in den Hals, den ich kaum kenne.

„Und das ist auch okay", fährt Rudolph fort. „Ihr wärt wirklich süß zusammen. Außerdem bist du schon viel zu lange Single, Sam! Such dir mal endlich eine Frau, damit ich dir nicht immer die Schulterhaare abrasieren muss."

Sams Wangen nehmen dieselbe Farbe wie Rudolphs Nase an. „Schön, dass es dir schon besser geht, Kumpel", knirscht er zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Wer dumme Sprüche klopfen kann, kann auch den Abwasch in der Küche machen."

Fast schon tut es mir leid, zu beobachten, wie Rudolphs Grinsen bröckelt und sich Entsetzen auf seinem Gesicht breit macht. Zwar glüht seine Nase immer noch rot, doch bei Weitem nicht mehr so intensiv wie gestern.

„Ich, äh ..." Rudolph zwingt sich zu einem gekünstelten Husten. „Mein Hals ... Aua!"

„Du Möchtegern-Dramaqueen." Sam verdreht halb belustigt und halb genervt die Augen. „Hätte ich dich nicht so lieb, hätte ich dich schon längst in eine Schauspielschule abgeschoben."

„Oh", lächelt Rudolph geschmeichelt, „das war wirklich süß, Sam."

„Süßer wird es heute auch nicht mehr."

Das Rentier räuspert sich und hustet. „Ich denke, ich hole mir mal einen Tee. Für den Hals. Und die Erkältung. Denn mir geht es noch nicht viel besser. Der Abwasch muss warten."

Es sieht lustig aus, wie sich Rudolph aus dem Bett kämpft. Beinahe plumpst er auf den Boden, doch er kann sich gerade noch rechtzeitig an der Kante festhalten und elegant auf das Parkett gleiten lassen.

„Rudolph?"

„Hm?" Das Rentier bleibt stehen und wirft Sam einen verunsicherten Blick zu.

„Du weißt, dass Zitronentee nicht gegen eine Erkältung hilft, oder?"

Rudolph schnaubt beleidigt. „Aber Zitronentee ist der einzige Tee, den ich mag!", jammert er.

„Dann musst du wohl hoffen, dass Shay keinen Kräutertee hier hat."

Ähm ... „Der Kräutertee ist in dem Schrank über dem Wasserkocher", zerschlage ich Rudolphs Hoffnung mit nur neun Worten, weshalb er die Schultern hängen lässt.

„Na toll", höre ich ihn enttäuscht murmeln, während er aus meinem Schlafzimmer stolziert, „das wars dann wohl mit der Sympathie."

Hey! Meint er damit etwa mich? Wir waren doch auf so einem guten Weg – trotz Dosen-Hühnersuppe.

Da ich nicht in Rudolphs Ansehen sinken möchte, rufe ich ihm schnell hinterher: „War nur ein Scherz! Ich habe keinen Kräutertee! Der Zitronentee steht in der gelben Dose neben dem Wasserkocher!"

Es folgt keine Antwort.

Mist! Hoffentlich redet mich Rudolph jetzt nicht bei den anderen Rentieren schlecht.

„Du musst dich nicht bei ihm einschleimen", lenkt Sam meine Aufmerksamkeit auf sich. „Rudolph weiß genau, wie er Menschen manipulieren muss, um seinen Willen zu bekommen. Er mag dich immer noch, Shay. Kräutertee hin oder her."

Sams Worte erleichtern mich. Auch wenn es dumm und naiv ist, frage ich ihn: „Und du? Magst du mich auch?"

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so gut mit einem Mann verstanden habe. Als ich 18 Jahre alt war, hatte ich ein paar Dates und One-Night-Stands, aber nichts Ernstes. Keine Ahnung, was ich falsch gemacht habe, aber irgendwie habe ich es immer geschafft, alle Typen zu vergraulen.

Das ist auch der Grund, weshalb ich der Männerwelt vor fünf Jahren abgeschworen habe.

Eigentlich. Denn für Sam würde ich eine Ausnahme machen.

Aber was, wenn er nur nett zu mir ist, damit er und seine Rentiere bei mir wohnen dürfen? Vielleicht ist er ja ebenso wie Rudolph ein Meister der Manipulation?

Aus Angst, enttäuscht zu werden, schiebe ich schnell hinterher: „Ach, ist egal. Das war eine dumme Frage. Vergiss es einfach!"

Ich stelle meinen Teller zurück auf das Tablett und möchte vor lauter Scham aus dem Bett krabbeln, allerdings schließen sich Sams Finger wie Efeuranken um mein Handgelenk und halten mich auf.

„Warte, Shay", bittet er mich. Auch wenn es mir schwerfällt, verharre ich in meiner Bewegung und schaue langsam zu Sam. Seine Teddyaugen leuchten geheimnisvoll und entfachen ein warmes Prickeln in meinem Bauch.

„Ich mag dich", antwortet Sam schließlich auf meine Frage. Seine Stimme klingt ernst und aufrichtig und jagt mir eine Gänsehaut über die Wirbelsäule. „Die Jungs mögen dich auch. Du passt super zu uns. Um ehrlich zu sein graut es uns jetzt schon davor, wenn der Schlitten in ein paar Tagen repariert ist und wir wieder aufbrechen müssen."

Sprachlos schaue ich Sam an. So schöne Worte hat noch nie jemand für mich gefunden.

Zeit ist das wertvollste Geschenk auf der Welt und ich bin dankbar, dass Sam und die Rentiere ihre Zeit ausgerechnet mit mir verbringen möchten.

Ich würde mich gerne zu Sam hinüberbeugen und ihm einen Kuss auf die Wange hauchen, doch ich traue mich nicht. Stattdessen flüstere ich leise: „Schön, dass ihr hier seid."

Ganz vorsichtig legt Sam seine Hand an meine Wange. Die Stelle, die er mit seinen Fingerspitzen berührt, kribbelt sanft.

Mein Herzschlag beschleunigt sich und mir wird heiß.

Was hat Sam vor? Er will mich doch nicht etwa ...

Noch bevor irgendetwas passieren kann, wird die Schlafzimmertür aufgerissen. Fünf grölende Rentiere, die jeweils einen grün-rot-karierten Schal tragen, stürmen in den Raum und tänzeln mit merkwürdigen Bewegungen vor dem Bett hin und her.

„Sa-am und Sha-ay sitzen auf dem Baum! Sie knutschen rum, man glaubt es kaum!", trällern sie im Chor.

Während mir diese Situation einfach nur peinlich ist, rollt Sam mit seinen dunklen Teddyaugen. Er stellt das Tablett zurück auf den Nachttisch und greift dann nach einem Kissen, was er Rudolph nur drei Sekunden später ins Gesicht pfeffert.

„Hey, das-", setzt Rudolph beleidigt an. Der Rest seines Satzes wird allerdings verschluckt, denn Cornelius brüllt laut: „Kissenschlacht!"

Oh Gott, worauf habe ich mich hier bloß eingelassen?

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