7 - Höhenangst? Kein Problem!

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Zwei zerfetzte Kissen und ungefähr tausend wirbelnde Federn später scheuche ich Sam und die Rentiere aus meinem Zimmer, damit ich mich umziehen kann. Ein flüchtiger Blick in den Spiegel verrät mir, dass meine Wangen dunkelrot glühen und meine schwarzen Haare wie ein Vogelnest aussehen und mit vereinzelten Federn geschmückt sind. Trotzdem spiegelt sich ein glückliches Strahlen auf meinen Lippen wider, das ich schon lange nicht mehr gesehen habe.

Sam und die Rentiere bringen frischen Wind in mein Leben. Sie helfen mir dabei, aus meinem Trott auszubrechen und zumindest einen Teil meiner verlorenen Lebensfreude wiederzufinden.

Es tut gut, nicht mehr das Gefühl zu haben, einem Zombie zu ähneln, der sich den ganzen Tag in seinem Haus verbarrikadiert.

Da ich gerade besonders motiviert bin, beschließe ich, mal wieder duschen zu gehen. Das ist eh schon längst überfällig.

Das warme Wasser massiert meine Kopfhaut und lockert meine verkrampften Muskeln. Ich schalte meine Gedanken aus und lausche einfach nur dem regelmäßigen Plätschern der Wassertropfen.

Seit mehreren Monaten ziehe ich nach dem Duschen mal wieder eine Jeans und keine Jogginghose an. Ich flechte meine Haare zu einem Zopf und schminke mich dezent mit Mascara und Lipgloss.

Als ich zum zweiten Mal an diesem Morgen in den Spiegel schaue, sehe ich eine komplett andere Frau.

Nicht mehr die Shaileen, die sich gehen lässt und nichts aus ihrem Leben macht.

Die Frau, die mich aus ihren marineblauen Augen anstrahlt, sieht glücklich und zufrieden aus. Sie ist entschlossen, endlich ihren Allerwertesten hochzubekommen und ihr Leben zu verändern.

Ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde, aber ich nehme mir fest vor, mehrere Jobbewerbungen zu schreiben, sobald Sam und die Rentiere abgereist sind. Außerdem möchte ich versuchen, weniger Glühwein zu trinken und mehr Zeit in der Natur und unter Menschen zu verbringen.

Ja, ich habe viele Fehler in der Vergangenheit gemacht, die mich in einen antriebslosen Zombie verwandelt haben, aber nein, es ist noch nicht zu spät, aus diesem Teufelskreis auszubrechen und mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Ein breites Lächeln liegt auf meinen Lippen, als ich ins Erdgeschoss hinabhopse und nach Sam Ausschau halte. Als ich ihn nirgends finden kann, schlüpfe ich in meine Olaf-Hausschuhe und stapfe durch den kniehohen Schnee in meinem Garten.

Wie erwartet werkelt Sam an seinem Schlitten herum.

Er ist so konzentriert, dass er mich nicht bemerkt. Erst als ich mich leise von hinten anschleiche und ihn umarme, stößt er ein zittriges Grunzen aus.

„Gott, Shay!" Er lacht, doch ich kann das schnelle Hämmern seines Herzens hören. „Was sollte das? Willst du mich etwa zu Tode erschrecken?" Er dreht sich um und schaut mich tadelnd, aber gleichzeitig auch liebevoll an.

„Danke, Sam!"

Ich schlinge meine Arme um seinen Nacken und kuschele mich an seinen Oberkörper. Obwohl er nur seinen roten Umhang trägt, wird er von einem Schleier aus Wärme umhüllt.

„Äh ..." Sam wirkt überfordert. „Bitte?"

Ich lächele nur, ohne ihm eine Erklärung zu geben. Es reicht, wenn ich für mich selbst verstanden habe, dass mir unser Gespräch im Bett enorm weitergeholfen hat.

Vielleicht schaffe ich es ja wirklich, ein neues Leben zu beginnen. Das wäre das beste Weihnachtsgeschenk, das ich mir machen könnte.

Ein paar Sekunden genieße ich noch die innige Umarmung zwischen uns, ehe ich mich von Sam löse und kichere: „So ... Jetzt kannst du weiterarbeiten." Ich zwinkere ihm frech zu. „Und lass dich nicht so schnell erschrecken."

„Ha ha", erwidert Sam, „sehr witzig."

Gutgelaunt mache ich mich auf den Weg zurück ins Wohnzimmer. Die Rentiere sitzen gemeinsam auf dem Sofa und diskutieren miteinander.

„Doch, Cornelius!", sagt Otto in scharfem Tonfall. „Du musst endlich etwas gegen deine Angst tun und sie bezwingen!"

„Das sehe ich genauso", pflichtet Bernd seinem Freund bei. „Es ist wichtig, dass du deine Angst kontrollierst und nicht umgekehrt."

Äh, okay? Was ist hier los?

„Ich möchte aber nicht!" Cornelius klingt wie ein bockiges Kind. Er verschränkt die Vorderbeine vor der Brust und reckt das Kinn in die Höhe, sodass er beinahe mit seinem Geweih die Lampe aufspießt, die von der Decke hinabbaumelt.

„Wir helfen dir auch!", beteuert Rudolph.

„Genau!" Alfred nickt entschlossen und wackelt mit seinem Schnauzbart.

Da ich weiß, wie es sich anfühlt, jeden Tag von seinen Ängsten dominiert zu werden, frage ich laut in die Runde: „Worum geht's?"

Die Rentiere zögern und tauschen einen Blick miteinander aus, den ich nicht richtig deuten kann. Es dauert mindestens zwei Minuten, bis Cornelius seufzt und mir erklärt: „Ich habe Höhenangst."

„Höhenangst?", wiederhole ich ungläubig. „Du kannst doch fliegen, oder etwa nicht?"

Cornelius nickt. „Wenn ich fliege, ist es okay. Aber wenn ich zum Beispiel auf einem Hausdach stehe, wird mir total schwindelig."

Hm, das ist natürlich blöd. Und ziemlich unpraktisch, wenn man bedenkt, dass der Schlitten an Heiligabend auf sehr vielen Häuserdächern stehenbleiben wird.

Weil ich Mitleid mit Cornelius habe und ihm gerne helfen möchte, sage ich: „Wartet hier auf mich. Ich habe eine Idee, wie wir dir helfen können."

Auch wenn Cornelius nicht sonderlich überzeugt aussieht, gibt er ein leises „Okay" von sich.

Das ist mein Zeichen, um zur Haustür zu eilen und mir meinen Wintermantel überzuwerfen. In meinen Olaf-Hausschuhen verlasse ich das Haus und werde draußen von tanzenden Schneeflocken und Minusgraden empfangen. Sofort ziehe ich meinen Mantel enger um meinen Oberkörper und stapfe entschlossen durch den Schnee.

Wohin mich mein Weg führt? Zu dem Grundstück von Mrs. Miller höchstpersönlich.

In den zwei Monaten, in denen ich in Grannys Haus lebe, habe ich erst ein einziges Mal bei Mrs. Miller geklingelt und das war, weil ich aus Versehen von der Fahrbahn abgekommen und durch ihr Blumenbeet gefahren bin. Aber zu meiner Verteidigung: Direkt vor meinen Augen hat sich eine Spinne abgeseilt.

Leider war das für Mrs. Miller kein triftiger Grund, warum ich ihre Rosen gekillt habe. Wahrscheinlich hegt sie deshalb solch eine Abneigung gegen mich.

Ein tiefer Atemzug verlässt meine Lippen, ehe ich die Klingel betätige.

Es dauert auch gar nicht lange, da wird die Tür geöffnet und eine überraschte Mrs. Miller steht mir gegenüber. „Shaileen", begrüßt sie mich mit einem aufgesetzten Lächeln, „was kann ich für dich tun?" Glücklicherweise scheint sie nicht mehr wegen gestern auf mich wütend zu sein. Puh!

„Hallo Mrs. Miller", lächele ich die Frau mit den giftgrünen Augen bemüht freundlich an. „Haben Sie eventuell Brokkoli zuhause?"

Sofort wandern ihre perfekt gezupften Brauen in die Höhe. „Brokkoli?", hakt sie verwirrt nach.

„Ja, genau", bestätige ich. „Mein, äh, Freund und ich würden gerne kochen. Ich kann Ihnen natürlich auch Geld geben."

„Du meinst deinen netten Beifahrer von gestern?" Plötzlich sieht Mrs. Miller höchstinteressiert und neugierig aus.

„Äh, ja", stammele ich und merke, wie mir siedend heiße Blitze in die Wangen schießen. Warum bin ich so eine grottige Lügnerin?

„Er ist also dein Freund? Wie schön! Das wusste ich gar nicht", säuselt Mrs. Miller begeistert. „Ich hoffe wirklich, dass er dir guttut und dich aus deinem Loch herausholen wird, Shaileen."

Oh man, Mrs. Miller scheint mich und mein Leben mehr zu durchschauen als gedacht. Kein Wunder also, dass sie mich für einen Freak hält.

Da ich nicht weiß, was ich auf ihre Aussage erwidern soll, schweige ich und lächele bloß gezwungen. Gott sei Dank wechselt Mrs. Miller schnell wieder das Thema, indem sie sagt: „Du hast Glück, dass ich gestern noch frischen Brokkoli vom Markt gekauft habe. Warte kurz."

Sie verschwindet im Inneren des Hauses und steht eine Minute später mit dem grünen Ekelzeug in der Hand vor mir.

„Danke", lächele ich sie ehrlich an. „Wie viel Geld bekommen Sie dafür?"

Mrs. Miller macht eine wegwerfende Handbewegung. „Sieh es als Geschenk an", flötet sie. „Ich finde es toll, dass du mit deinem Freund kochst und ausnahmsweise mal kein Liefertaxi rufst. Vielleicht bist du doch kein hoffnungsloser Fall, Shaileen."

Wow, wie gnädig. Ob das wohl ein Kompliment sein soll? Wahrscheinlich nicht.

Na ja, Hauptsache ich habe den Brokkoli.

Ich verabschiede mich höflich von Mrs. Miller und stapfe dann zurück zu meinem Haus. Die Rentiere sitzen unverändert im Wohnzimmer und reden nach wie vor wild auf Cornelius ein.

„Jungs!", brülle ich gegen den Lärm an, damit sie verstummen. Direkt richten sich fünf neugierige Augenpaare auf mich. „Kommt mit nach draußen. Dann bezwingen wir endlich Cornelius' Höhenangst."

Jubelnd laufen die Rentiere voraus. Sie hüpfen ausgelassen durch den Schnee und jauchzen vor Freude. Es ist wirklich süß, zu beobachten, wie viel Spaß sie im Schnee haben.

Auch wenn ich den Rentieren gerne länger beim Herumtoben zugucken würde, räuspere ich mich einmal laut. Tatsächlich verharren sie daraufhin in ihrer Bewegung und schauen mich erwartungsvoll aus ihren Knopfaugen an.

„Cornelius?" Ich fühle mich wie eine Lehrerin. „Du fliegst jetzt auf meine Garage. Otto und Bernd begleiten dich", fordere ich das genannte Trio auf.

Ich bin überrascht, dass es keine Proteste gibt.

Binnen weniger Sekunden gleiten die drei Rentiere elegant durch die Luft und landen auf dem Dach meiner Garage.

„Und?", erkundige ich mich bei Cornelius. „Ist dir schon schwindelig?"

„E-Es geht", stammelt er tapfer.

Um ihm einen Anreiz zu geben, von der Garage zu springen, breche ich ein Stück Brokkoli ab und halte es gut sichtbar in die Luft. „Wenn du Brokkoli haben möchtest, musst du von dem Dach springen!", versuche ich Cornelius zu locken.

Gemein, ich weiß, aber eine bessere Idee habe ich aktuell nicht.

Kurz sieht es so aus, als würde Cornelius zögern, doch dann stößt er sich von der Garage ab und fliegt in Richtung Boden, bis er sanft neben mir im Schnee landet. Zur Belohnung gebe ich ihm das Stück Brokkoli, das er mir gierig mit seinen großen Zähnen aus der Hand nimmt.

Echt merkwürdig, dass er dieses Grünzeug so gerne isst.

„War es sehr schlimm für dich, zu springen?", möchte ich von ihm wissen, als das Schmatzen nachgelassen hat.

„Na ja, also am schlimmsten ist der Absprung", offenbart mir Cornelius. „Sobald ich dann in der Luft bin und fliege, ist wieder alles okay."

Unweigerlich erinnere ich mich daran zurück, wie ich mich als Kind im Freibad auf dem Fünf-Meter-Turm gefühlt habe. Dort musste ich mich auch jedes Mal aufs Neue überwinden, abzuspringen und in die Tiefe fallen zu lassen.

„Vielleicht habe ich einen Trick, der dir hilft", überlege ich laut, während ich Cornelius zurück zur Garage begleite. Otto und Bernd warten geduldig auf dem Dach und vertreiben sich die Zeit mit ein paar innigen Umarmungen.

Auch wenn dieser Anblick immer noch ungewohnt ist, ist es süß, dass sie sich so gernhaben.

„Was für einen Trick hast du denn?", erkundigt sich Cornelius neugierig und auch ein bisschen hoffnungsvoll bei mir.

„Wenn du gleich oben auf dem Dach stehst, suchst du dir einen Punkt in der Ferne, den du die ganze Zeit anvisierst; auch beim Absprung. Ich könnte mir vorstellen, dass es dir hilft, wenn du nicht nach unten schaust."

„Okay." Cornelius nickt entschlossen. „Ich werde es versuchen." Seine dunklen Augen blitzen und strotzen nur so vor Selbstbewusstsein. „Aber nur, wenn ich zur Belohnung wieder Brokkoli bekomme", fügt er noch schnell hinzu.

„Natürlich!", verspreche ich und zwinkere.

Wenn Mrs. Miller wüsste, wofür ich ihren Brokkoli missbrauche, hätte sie ihn mir bestimmt nicht gegeben. Wahrscheinlich wäre ich dann sogar in spätestens 20 Minuten von einem Psychiatriemitarbeiter abgeholt worden.

Na ja, was sie nicht weiß, macht sie auch nicht heiß, richtig?

Ich lenke meinen Blick zurück auf Cornelius, der gerade auf meine Garage fliegt. Er landet elegant neben Bernd und Otto und nimmt einen tiefen Atemzug. Dann wandern seine Augen in die Ferne und verharren für mehrere Sekunden an einem imaginären Punkt.

„So ist es gut, Cornelius!", lobe ich ihn.

Ich kann sehen, wie sich sein Brustkorb in unregelmäßigen Abständen hebt und senkt. Er ist aufgeregt, aber trotzdem ist er stark genug, sich seiner Angst zu stellen und das bewundere ich sehr an ihm.

„Du schaffst das!"

Als würden meine Worte ihm tatsächlich Mut verleihen, drückt er sich vom Dach ab und gleitet schwerelos durch die Luft. Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht landet er neben mir und holt sich sein verdientes Stück Brokkoli ab.

„Gut gemacht. Sollen wir jetzt mal eine Stufe höher gehen?"

Cornelius' Entschlossenheit verpufft und macht Platz für die Angst, die sich rasend schnell in seinem Körper ausbreitet.

„Du hast das gerade super gemeistert!", füge ich hastig hinzu, um ihn zu bestärken. „Du schaffst das, Cornelius. Glaub an dich selbst und sei mutig! Zeig deiner Angst, dass du sie kontrollieren kannst!"

Das Rentier nickt langsam. Zögerlich fragt er mich: „Soll ich es mal vom Hausdach versuchen?"

„Klar! Das packst du mit links!"

Cornelius schnaubt leise. „Wohl eher mit rechts, denn ich bin Linkshänder."

„Na gut", lache ich und verdrehe die Augen, „dann halt mit rechts!"

Dieses Mal wird Cornelius von Rudolph und Alfred auf das Dach begleitet. Bernd und Otto scheinen nämlich gar nicht mitbekommen zu haben, dass Cornelius nicht wieder auftaucht, denn sie sind mit anderen Dingen beschäftigt. Wie zwei verliebte Teenager fallen sie übereinander her und tauschen Speichel aus.

Hach, muss die Liebe schön sein ...

Um den beiden etwas Privatsphäre zu gönnen, wende ich meinen Blick von ihnen ab und lasse ihn stattdessen in Richtung Hausdach wandern. Alfred, Rudolph und Cornelius stehen neben dem Schornstein und sind wegen der wirbelnden Schneeflocken kaum zu sehen. Nichtsdestotrotz kann ich genau erkennen, dass Cornelius zittert.

Oh nein, der Arme!

„Such dir einen Punkt in der Ferne!", brülle ich nach oben. „Und dann nimmst du dir genug Zeit, bis du mental so weit bist und dich traust, abzuspringen!"

Rudolph und Alfred reden ebenfalls auf Cornelius ein. Hoffentlich machen sie ihm Mut und ärgern ihn nicht.

Mehrere Minuten verstreichen, in denen nichts passiert. Cornelius steht weiterhin zitternd auf dem Hausdach und traut sich nicht, seine Angst zu überwinden.

Gerade als ich hochrufen möchte, dass Alfred und Rudolph ihn nach unten bringen sollen, stößt sich Cornelius mutig vom Dach ab und fliegt anmutig durch die Luft. Anfangs schreit er noch hysterisch, doch schon nach einer halben Sekunde muss er erleichtert lachen.

Bei seinem Anblick wird mir ganz warm ums Herz und ich spüre, wie ich von Stolz erfüllt werde.

„Cornelius!", strahle ich das Rentier breit an, als er sicher neben mir gelandet ist. „Du bist nicht nur der Hammer, sondern der ganze Werkzeugkasten!"

Cornelius grinst. Dann säuselt er: „Mir egal, was ich bin. Hauptsache ich bekomme jetzt meinen geliebten Brokkoli!"

Auf jeden Fall, denn den hat er sich mehr als nur verdient!

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