27. Johanna die Blutige

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Gleißende Lampen verrußten die einst weißen Wände.

Marschall Cleitus führte sie den sonnenverlassenen Gang entlang zu dem Korridor, der nur den schwersten Verbrechern vorbehalten war. Seraphinas Hände waren schwitzig und ihr Magen verdrehte sich.

Sie betraten eine Halle mit Galerie. Auf zwei Stockwerken wurden hier all jene festgehalten, die Mord, Landesverrat oder Schlimmeres in ihren Akten verzeichneten.

Den Wärtern zeigte Cleitus ihre Besuchserlaubnis – ausgestellt von ihrem Vater höchstselbst –, erhielt Johannas Zellenschlüssel und stieg die Treppe hinauf. Seraphina folgte ihm; zählte die verriegelten Eisentüren und las die Schilder mit den Namen, Straftaten und Urteilen.

Marius; 42 Jahre alt; Provinz Falcon; Sexualdelikt, Folter, sechsfacher Mord; 23 Jahre Haft

Sidonia; 51 Jahre alt; Provinz Stella; zweifacher Kindsmord, Giftmord; 19 Jahre Haft

Cornelia; 36 Jahre alt; Provinz Stella; Serienmord als Krankenschwester; 21 Jahre Haft

Seraphina wandte sich ab. Johanna mochte vieles gewesen sein, aber sie war keine Mörderin.

Vor einer Tür blieb der Marschall stehen und entriegelte sie.

Johanna; 18 Jahre alt; Provinz Leo; Gründung und Anführen einer verbotenen Organisation, Anstiftung von Bürgern zu kriegerischen Handlungen, Raub, Mord, Folter und Sexualdelikten, Planung eines Staatsstreiches; Tod durch den Krähenmeister

Seraphina stützte sich auf das Geländer hinter ihr. Ihr Vater hatte seine Drohung wahrgemacht.

Quietschend zog der Marschall die ellendicke Eisentür auf und wies sodann in den Raum. »Ihr könnt eintreten, Nobilis.«

Ob ihre Beine sie trugen, wenn sie jetzt ging? Sie versuchte, gegen die Trockenheit in ihrem Mund anzuschlucken. Irgendetwas blieb ihr im Halse stecken. Vielleicht das Flehen, das ihr jetzt nichts mehr brachte.

Sie stakste in Johannas Zelle. Eine Wand aus Eisenstäben durchschnitt den Raum in zwei Bereiche – beide mit fugenlos, weißem Stein ausgekleidet.

In weißer Gefangenenkleidung saß Johanna auf der Matratze ihres fest verbauten Bettes und schaute zu ihr. Violette Ringe lagen unter ihren schokoladenbraunen Augen. Die Nähte des Schnitts an ihrem rechten Arm, mit dem Marschall Cleitus sie zu Fall gebracht hatte, stachen blau auf ihrer bleichen Haut hervor.

Seraphina presste sich gegen die Wand hinter ihr.

Johanna schwieg.

Marschall Cleitus wartete auf der Galerie neben der offenen Tür.

Ihre ehemalige Freundin sah von ihr wieder auf die weiße Wand. »Ratsherr Sepanos bekommt, was er wollte. Aber die Rebellion endet nicht, nur weil ich sterbe.«

»Gib auf, Johanna«, flüsterte Seraphina und scharrte mit den Fingernägeln über den Stein. »Dann verschont mein Vater dich.«

Johanna legte sich auf die Matratze und starrte zur Decke. »Der Tag kommt, an dem die Nacht über Lumista schwebt und keine neue Sonne unseren Himmel erleuchtet.«

Aber –! Ihre Antwort blieb stumm. Seraphina konnte ihren Mund nicht mehr öffnen. Mund? Ihre Finger tasteten danach. Es gab keinen!

Sie wirbelte zum Ausgang, wo Cleitus stand und wartete. Er sah sie an. Seine Lippen formten Worte, doch kein Ton erreichte sie. Das Echo der einrastenden Zellentür hallte durch den Raum.

So war es damals nicht gewesen! Er hatte sie wieder hinausbegleitet!

»Jetzt sind wir hier, Seraphina: Beide schuldig und mit Blut besudelt.« Johanna hatte einen Arm unter ihrem gestutzten Schopf verschränkt, hielt den anderen hoch und inspizierte das Blut an ihren Fingernägeln. »Wie fühlt es sich an, im Namen der Sonne zu richten? Bist du jetzt so viel besser als wir anderen?«

Nein, war sie nicht!

Das Weiß des Raumes schmolz zu einem Nachtschwarz, in dem nur sie und Johanna noch existierten.

Die stand auf und schlenderte zu Seraphina. »Ich habe es euch ja gesagt: Der Tag, an dem die Nacht anbricht, kommt.«

Seraphina wich zurück. War das schon wieder einer dieser Alpträume? Sie sollte endlich aufwachen!

»Vergiss es, ehrenwerte Nobilis!«, spuckte Johanna ihren Prädikatstitel. Sie zog ihr blutverklebtes Schwert und setzte Seraphina die Klinge an den Hals. »Eure Herrschaft endet hier.«

Der Krähenmeister stand mit nachtschwarzer Klinge vor ihr. Nur dieser lange, spitze Schnabel.

Lautes Hämmern gegen ihre Tür ließ sie zusammenfahren. Tjelvars Präsenz.

»Ich bin's, Tjelvar. Darf ich reinkommen?«

Sera stemmte sich auf den Ellbogen und betrachtete ihre schlotternden Hände. Die Bettdecke, ihre Kleidung und ihre Haare klebten an ihrer Haut.

Was war das? Diese Art von Alpträumen hatte sie nicht einmal nach Johannas Hinrichtung.

Tjelvar räusperte sich. »Jeanne?«

Sie sah zur Tür. Ihre Haare! Sera legte das Haselnussbraun über sie. Ihre Sünde. »Ja.«

Tjelvar trat ein. Ruhig wie immer – bis er sie erblickte. »Was ist passiert?«

»Das ...« Sie hustete. »Nichts, was ich nicht schon kenne. Das wird wieder.« Sie kroch ans Kopfende und schlang die nasse Decke um ihren Körper. Wie sie fror!

»Na schön.« Ihr Professor nahm auf dem Hocker Platz und lehnte sich auf die Oberschenkel. Nach einer Weile seufzte er. »Fangen wir einfach ganz vorne an: Ich bin froh, dass es dir gut geht und du wieder hier bist.«

Sera schluckte die Trockenheit weg und zog die Knie an. Die nächste Predigt.

»Saoirse und ich sind aufgebrochen, so früh wir konnten, aber offenbar warst du schneller. Was mit Aufseher Arnault passiert ist, ist dein Werk, oder?«

Ihr Kinn sackte auf die Knie und nickte.

Das Blut in Tjelvars Augen ließ sie nicht gehen. »Warum?«

Weil Arnault getötet hatte. Weil ihre Begründung witzlos war. Krieg bestand nur aus Töten und dem Planen von Töten.

»Er ...« Wie erklärte sie ihr törichtes Handeln, ohne dabei wie ein Kleinkind zu wirken? »Arnault weiß, wer ich bin.«

»Und du hast ihn zum Schweigen gebracht. Ziemlich effektiv sogar.« Ein weiteres Seufzen. Er sah zum Fenster und rieb sich die Schläfe. »Ich weiß nicht, warum, aber laut den Mervaillern hat der Wasserteufel ihn auf seiner Flucht traumatisiert. Haben die anderen dich als Seherin erkannt?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Wenigstens das.« Tjelvars atmete aus und entspannte seine Schultern. »Um den Wasserteufel müssen wir uns keine Sorgen machen, wenn er uns nicht selbst gefährlich werden will. Das größere Problem ist, wie Arnaults und damit Nolanns Versagen an Philippe gemeldet wird. Bastien sitzt auf heißen Kohlen, dem König seinen Wert zu beweisen – er zeigt es nur nicht offen. Wenn das passiert, ist unser Auftrag wahrscheinlich gescheitert.«

»Tut mir leid«, krächzte sie. Sie war eben doch nur eine Enttäuschung. Sie wusste nicht einmal, wie sie den Schaden wieder begrenzen sollte!

Tjelvar schüttelte den Kopf. »Lass uns lieber überlegen, was wir jetzt machen. Ich hoffe, Olga fühlt sich schuldig genug, Nolann freizulassen, damit er das Kommando wieder übernehmen kann.«

»Danke.« Wenigstens einen Verbündeten hatte sie noch. »Darf ich dich etwas Dummes fragen?«

Seine blutroten Augen betrachteten sie geduldig wie ein Druide. »Ich habe es dir schon mal gesagt: Dumme Fragen hätten nur früher gestellt werden müssen.«

Sera schluckte. Wie wahr. »Was ist vor fünf Jahren während der Hungerrebellion in Lumista passiert?«

Erst zuckten seine Brauen in die Höhe, aber dann lehnte Tjelvar sich mit einem langen Atemzug zurück. »Vor fünf Jahren zog die zweite große Dürre in Folge über Lumista. Die Ärmsten verhungerten wegen der Ernteausfälle, die Mittelständler verloren ihren Besitz wegen der stillstehenden Wirtschaft und die Reichsten die Kontrolle übers Volk. Der Obere Rat hatte die Notfallreserven des Landes auf die Provinzen verteilt, um den Menschen zumindest das Nötigste zu geben. Aber einige Mitglieder der Unteren Räte gaben die Lebensmittel nicht weiter und ließen die Bürger stattdessen hungern und schließlich verhungern.

Eine besonders betroffene Provinz war Leo. Im Nordosten hatte eines der Mitglieder des Unteren Rates von Leo die Reserven nicht weitergereicht, um sich selbst abzusichern. Irgendwann haben die Bürger sein Anwesen angegriffen und seinen Besitz geplündert. In dieser Gruppe kämpfte auch Johanna, Tochter eines Kleinstadtschmieds.

Aus ihrer eigenen Gemeinde trug sie den Geist der Rebellion in die angrenzenden Provinzen. Immer befeuert durch den Hunger. Irgendwann traf sie auf die Ratstochter, die ihre Vorerbezeit angetreten hatte.« Tjelvar sah sie lange – sah sie wissend an.

Sera schloss die Augen und nickte. So war es gewesen: In der Provinz Phoenix war sie Johanna zum ersten Mal begegnet.

»Johanna hatte die Bürger aufgewiegelt, die Begleitung der Ratstochter anzugreifen. Ihr Ziel war ein verändertes Staatssystem. Eines, in dem kein Begabter an der Spitze stand und sein Recht zu herrschen durch sein Blut erlangte. Johanna wollte ein System, in dem jedes Staatsorgan für eine gewisse Zeit gewählt wird. Oder zumindest war das, was sie allen predigte.

Sie nutzte Ratsherr Sepanos' größte Schwachstelle aus: Seine Erbin. Die, die ins System hineingeboren wurde und die jede Stütze seiner Herrschaft kannte. Mit der Ratstochter bei sich brach Johanna die bis dahin ungeschlagene Sonnenwache und erzielte einige wichtige Siege, die ihren Rückhalt in der Gesellschaft stärkten.

Bis die vom Oberen Rat beantragten Lebensmittel aus dem Ausland eintrafen und die Menschen wieder versorgt waren. In Johannas letzter Schlacht führte Ratsherr Sepanos seine Truppen selbst ins Feld und schlug ihre Einheiten vernichtend.«

Falsch. Dieser Teil war lediglich die offizielle Version dessen, was an diesem Tag wirklich geschah. Marschall Cleitus hatte das Kommando übernommen, während ihr Vater Sera suchte und fand. Was der vernichtenden Kombination aus Sonnenwache und den Sehern der Provinzen jedoch keinen Abbruch tat.

»Nach der Schlacht hatte die Sonnenwache jeden Überlebenden gefangengenommen. Der Obere Rat hatte denen, die ihre Niederlage akzeptierten und ihre Waffen niederlegten, die Freiheit geschenkt. Alle anderen wurden öffentlich in Cor Sole hingerichtet. Für Johanna stand ihr Urteil aber so oder so fest, da sie die Hungerrebellion angeführt hatte.

Fast zehntausend Menschen haben ihr Leben in Folge der Rebellion verloren. Zehntausend Leben, die heute Johanna angeheftet werden und die ihr den Spitznamen ›die Blutige‹ verleihen.«

Seraphina vergrub das Gesicht in der Decke und ihren Haaren. Für sie war Johanna nie die Blutige gewesen. Sie hatte ihr zugehört – hatte ihren Hass auf ihren Vater verstanden. Johanna war die Erste, die sie eine Freundin nennen konnte. »Hättest du sie auch hingerichtet?«

»Ja.«

Ihre abgerissenen Nägel kratzten in den Stoff, dass sie umso tiefer einrissen. Johanna hatte für ein edles Ziel gekämpft. Für Gerechtigkeit und Gleichheit!

»Johanna die Blutige hat an den Pfeilern einer Ordnung gesägt, die von allen auf Degun die sicherste und friedlichste ist. Die Dynastie der Aureum zu beenden, hätte bedeutet, den Vermittler zwischen Volk und Räten zu verlieren. Und das hätte das ganze System der Sterne in Gefahr gebracht.«

Und wenn Johanna einen Ersatz für den Ratsherrn gefunden hätte? Wenn sie das System dazu reformiert hätte, dass die Ratsherren wie die Sterne nur beraten hätten?

»Was denkst du, wäre passiert, wenn Johanna gewonnen hätte? Was hätte sie mit Sepanos und seiner Erbin gemacht?«, fragte er wie der geduldigste Druide in Xandria.

Was sie getan hätte? Natürlich hätte sie Sera –!

Nein. Hätte sie nicht.

»Sie hätte ...« Sera schluckte. Als sie aufsah, beobachteten Tjelvars rote Augen sie ganz genau. »Sie hätte uns getötet.«

Ihr Professor nickte. »Für ein Staatssystem ohne einen Ratsherrn hätte Johanna Sol Aureums Erben ausbluten lassen müssen. Wenn Ratsherr Sepanos Johanna verschont hätte, hätte sie es irgendwann wieder versucht.«

Hätte sie wirklich?

Hätte sie.

Sera hielt sich die Ohren zu. Wie oft hatte Johanna ihr von dieser Regierung erzählt, die sie aufbauen wollte? Wie oft hatte Sera gefragt, wo ihr Platz darin sein würde? Wie oft hatte Johanna sie vertröstet, dass sie schon noch eine Aufgabe für sie fanden?

Der Bettrahmen erzitterte – zwang die Matratze mit in die Tiefe und erfüllte die Luft mit dem wohligen Duft von Pergament und alten Büchern. Tjelvar legte einen Arm um ihren Rücken, die andere Hand auf ihren Kopf und zog sie zu sich.

Zuhören!

Seraphina sollte endlich zuhören, was die Menschen und Druiden um sie herum zu sagen hatten! Dem, was sie an Worten sprachen und dem, was sie an Taten meinten. Sie zwang ihre Hände von ihren Ohren weg, bis sie sich selbst schluchzend umarmte.

Ein Seufzen strich über ihre Haare. »Sol würde sich im Grab umdrehen, wenn er sähe, wogegen seine Erben anstreiten müssen.«

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