28. Nolann der Druidenjäger

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»Du siehst keinen Deut besser aus als vor zwei Tagen.« Olga klopfte ihr auf die Schultern, als Sera den Steinschlag betrat. »Und du isst zu wenig. Ich geb dir noch etwas Brot und heute Abend kriegst du eine warme Mahlzeit bei uns.«

»Danke, aber das ist nicht nötig. Ich bin wegen einer anderen Angelegenheit gekommen.« Sie nahm Olgas Hände von sich und sah von ihr zu Nolann.

Apathisch saß er zwischen den Schränken an die weiße Wand gelehnt und starrte nur auf seine Fingerstummel. Hatten sich seit ihrem letzten Treffen so viele graue Strähnen in seinem dünnen Haar gebildet? Hatten sich die Altersfalten um seine Augen und seine Mundwinkel noch tiefer in die Haut gefressen?

Die Moragi klaute Stojan den Teller Käsebrot, den er gerade servieren wollte, nahm Seras Hand und führte sie in den zweiten Turm des Steinschlags. Oben öffnete sie die Tür mit einem Lächeln. »Willkommen in unserm ›Hinterzimmer‹«, benutzte sie das mervaillsche Wort und verdrehte die Augen.

Der Raum füllte den gesamten Platz unterm Dach aus und um die Mitte herum standen Viertelkreise Tische und Hocker und an den Wänden Kerzenständer. Trotz des zugemauerten Schornsteins drang die Wärme vom Schankraum herauf und hing wie eine Wolke zusammen mit dem Geruch von Pilzsauce und gerösteter Zwiebel in der Luft.

Olga entzündete ein paar der Kerzen nahe dem Eingang und legte Sera dann eine Hand in den Rücken, um sie zu den Hockern zu schieben. »So. Jetzt sind wir ganz unter uns. Du isst erst mal was und erzählst mir währenddessen, was ich für dich tun kann.«

Musste sie essen? Sie hatte sich doch erst erfolgreich ums Frühstück reden können.

Schon der nussige Geruch verdrehte ihr den Magen. Pflichtschuldig biss Sera ins weiche Brot und würgte das Stückchen hinunter.

Ein Scharren später saß Olga direkt neben ihr und nahm sie in den Arm. Die feste Hand, die einst den Richthammer geschwungen hatte, strich jetzt ihren Rücken auf und ab.

Sera stieß den Teller weg und presste die Fäuste vor die Augen. Nicht weinen! Nicht schluchzen! Das Brot im Magen behalten!

»Schh ... Wir schaffen das schon irgendwie, Jeanne. Ich hab dich da reingezogen, ich helfe dir da wieder raus. Versprochen.« Die Stimme, die einst vor Hass gestrotzt hatte, hauchte jetzt durch den warmen Raum.

Die Moragi, die sie einst in Fesseln auf den Marktplatz geschleift hatte, hielt Sera jetzt fest.

~✧~

»Ein Wort von Euch und die lassen mich frei? Was ist passiert?« Nolann und Seraphina ließen das reparierte Osttor hinter sich. Eine dünne Schneedecke knirschte bei jedem Schritt ins windige Freie.

Das Honigblumenfeld neben ihr war gestorben und begraben. Marika war gestorben und begraben. Sera kniete sich vor das ebenso weiße Leichentuch wie das ihrer Freundin damals. »Es gibt Neuigkeiten. Deswegen.«

»Aha?«

»Erzählt mir vom Steinbruch.«

Nolanns Atem.

Ein. Aus.

»Warum?«

Sera sah hoch zu ihm. »Weil ich Euch frage.«

Die Farbe seiner Augen war wie die Felsformation am Strand von Arta, wo Lucius und sie manchmal gespielt hatten. Nolanns Grau war genauso gesprenkelt wie die aufklaffenden Steine: Weiß, Blauschwarz, Grau, Hellbraun – eingebettet in den Strand wie seine Haut. Durchzogen von hellen Muscheln wie die Narben auf seiner Wange.

»Der Steinbruch ist meine Sache. Welche Neuigkeiten gibt es jetzt?« Nolann verschränkte die Arme vor der Brust.

Nein, ihre Felsen waren nicht so schroff gewesen.

Sera legte ihre Arme auf die Knie und murmelte zum Schnee. »Tjelvar war im Steinbruch. Der Wasserteufel ist geflohen. Ist in der Nacht wohl die Savage entlang, aber gesehen hat ihn hier keiner.«

Das Atmen zu ihrer Rechten erstarb. Nolann blickte wie sie über das Honigblumenfeld, nur weiter – zum Fluss. Dann schnappte er wieder nach Luft. »Wie ist das passiert, gibt es Verletzte und wer weiß davon?«

»Was fragt Ihr mich das? Laut Tjelvar gibt es keine Verletzten und in Sale weiß noch niemand davon.«

»Das darf nicht wahr sein!« Der Kommandant drehte um und wieder zur Stadt.

»Wartet!«

Er erstarrte und sah zurück.

Sie stand auf, klopfte ihr Kleid ab und hob das Kinn. Das Chaos war ihre Schuld. Also war es auch ihre Verantwortung. »Wir sind noch nicht fertig, Kommandant. Ihr seid mir noch eine Antwort schuldig, was im Steinbruch eigentlich wirklich vor sich geht.«

»Ist das Euer Ernst? Der Teufel kann sonst wo sein und alle ertränken!«, knurrte er und pirschte näher.

»Das wird er sich auch in Eurer Anwesenheit nicht nehmen lassen.« Sie neigte den Kopf zur Seite. »Außerdem ist der Wasserteufel schon seit ein paar Tagen fort. Die, die er ertränken wollte, wird er jetzt sowieso schon ertränkt haben – und damit habt Ihr nun alle Zeit der Welt, mir Rede und Antwort zu stehen.«

Nolanns Nase schlug Falten, dass seine Narben sich wie nasses Papier wellten. Er starrte sie nieder. »Schön. Ich rede mit Eurem Professor.«

»Ihr redet mit mir!« Seraphina trat die verbliebenen Schritte vor und betrachtete diese so unbarmherzigen Augen. Hob die Brauen und flüsterte. »Sonst rede ich mit Bastien.«

Fels konnte brechen. Eisen ebenso, wenn man es zwang.

So auch Nolann.

Er riss sich von ihrem Blickduell los und floh den Weg zum Festplatz weiter.

»Ich höre immer noch nichts von Euch, Kommandant.«

»Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich Euch für eine Beaumont gehalten. Die hatten genauso einen Quälgeist, als ich da war.«

Beaumont? Ihre Mutter? Nicht gut, wenn er solche Parallelen zog! »Ihr lenkt vom Thema ab.« Hinter dem Rücken legte sie die Hände ineinander und schlenderte ihm nach.

»Kein Zweifel.« Er stemmte die Fäuste in die Hüften, schlich zwei Schritte zum Pfad Richtung Fluss, einen zurück zu Sera, den Letzten wieder zur jetzt ebenso weißen Senke. »Was wollt Ihr wissen? Das Wichtigste habt Ihr doch eh schon gehört.«

Sie atmete auf. »Wie kann es sein, dass Kriegsgefangene und sogar Druiden im Arbeitslager waren, statt zu brennen?«

»Genau damit sie nicht brennen. Sollte sich eigentlich selbst erklären.«

»Mit anderen Worten, Ihr schützt diese Menschen und Druiden wissentlich vor dem Tod.«

»Korrekt.«

»Ihr wisst, dass darauf öffentliches Verbrennen steht? Befehlsverweigerung und Paktieren mit den Druiden.« Seras Hände umklammerten sich hinter ihrem Rücken. Konnte das wirklich sein?

Er schlich weiter – den Fluss immer im Blick. »Tue ich.«

Jetzt kam die Frage, die sie Johanna nie gestellt hatte. »Warum?«

Der Kommandant hielt inne. Spähte erst zu ihr, dann zum Tor, wo eine Wache gelangweilt an die Mauer lehnte. »Weil Philippe wahnsinnig ist. Wegen eines einzelnen Vorfalls mit dem Hofarzt hat er unsere Wälder weggeholzt und Druiden verbrannt. In nicht mal dreißig Jahren haben wir unsere besten Ärzte, Förster und Landwirte verloren. Es wird Zeit, dass seine Herrschaft endet.«

Bei den Krallen des Phönix, der die Sonne trug. Plante Nolann einen Umsturz wie Johanna?

Seraphina schritt zwischen ihn und den Fluss, dass er sie endlich wieder anblickte. »Und das aus dem Munde eines Soldaten, der das Abzeichen eines Druidenjägers trägt?«

»Wollt Ihr wissen, wie ich das bekommen habe? Damit!« Er riss seine verstümmelte Hand hoch zu den Narben in seinem Gesicht. »Ich war nicht mal so alt wie Ihr jetzt, als mich der Panthera zerfleischt hat. Soll ich Euch auch noch sagen, was mich wieder zusammengeflickt hat?«

Nolann stand in der Schuld eines Druiden? »Ihr habt ihn getötet.«

»Erst, nachdem er mich endlich gehen gelassen hatte. Jeder mervaillsche Feldarzt sieht sofort, dass das nur Druiden gewesen sein können. Wir haben sie alle abgeschlachtet. Der Druide hat gelächelt, als ich ihm das Schwert in den Bauch gerammt habe. Warum wehren die sich auch nie, verdammt!« Er knetete seine rechte Hand und sah in den Schnee. »Sowas vergisst man nicht.«

Schnee so weiß wie Marikas Leichentuch. Schnee so weiß wie Johannas Enthauptungskleid. Das Funkeln tausender kleiner Sterne wie auf den Wellen im Meer.

Nein, so etwas vergaß man nie.

»Ich weiß nicht, warum ich damals nicht bei den Druiden geblieben bin. Ich kannte die Zeit vor den Druidenpogromen und bin mit dem Kleinen Volk großgeworden. Ich habe die getötet, die es am wenigsten verdient haben. Reicht Euch das als Grund?«

»Das tut es, danke. Darf ich fragen, wie Arnault zu diesem Thema steht? Wenn Ihr die Gefangenen beschützen wollt, sollte er Eure Grundsätze doch teilen.«

Nolann riss den Kopf hoch und musterte sie. »Seit wann tut er das denn nicht mehr?«

Wusste der Kommandant überhaupt, wer für Marikas Verrat verantwortlich war?

Dieses Mal drehte Sera sich weg.

»Arnault und ich haben den Plan zusammen aufgestellt. Wir sind beide gemeinsam dieses Risiko eingegangen. Und ich will nie wieder von irgendjemandem hören, dass er seine Werte verraten hätte – auch von Euch nicht, Füchsin!«, knurrte er und marschierte dann zurück zur Stadt.

»Wartet, eine Frage noch!«, rief Sera. Nur noch eine Letzte, bitte! »Das Fräulein de Beaumont! Wie war sie?«

»Euch zum Verwechseln ähnlich: Störrisch, selbstbewusst, konnte andere gut rumkommandieren. Und wenn man ihr was verboten hatte, hat sie sich trotzdem irgendwie durchgesetzt.«

Die Silhouette des Mondes lugte zwischen den Wolken hervor. Sera fiel auf die Knie in den Schnee und sah gen Himmel. Warum hatte der Silbermond sie so früh allein gelassen? Warum musste ihre Mutter so früh versterben? Warum hatte das Leben ihr nicht einmal Zeit gelassen, ihre Mutter richtig kennenzulernen?

~✧~

Seraphina öffnete die Tür zu Marikas Haus.

Nichts.

Der Duft der einst aufgehängten Wildkräuter war das Letzte, was jetzt noch in ihrem Rundhaus residierte.

Warum kam sie überhaupt hierher zurück? Es gab nichts mehr, was hier noch auf sie wartete. Vielleicht wollte die Sonne, dass sie noch einmal sah: Nachsah.

Ohne jedes Mobiliar wirkte das Rundhaus kleiner als früher. Helle Schatten waren in der Zeit gereist und zeugten von Schränken, Kommoden, einer Kiste und einem breiten Bett. Kratzer auf dem Boden zeigten, wo Tisch und Stühle früher standen.

Wo jetzt nur noch Leere gähnte.

Das Einzige, was dem Lauf der Zeit nicht verfallen war, war die gemauerte Feuerstelle im Zentrum. Aber selbst die Kohle darin hatte nicht bis zu Seras Ankunft überdauert.

Marikas Haus war wie die Hülle eines verlorenen Lebens.

Sera hockte mit angezogenen Knien am kalten, niedrigen Gemäuer. Was sollte sie hier noch finden, um ihren Fehler zu begradigen oder Nolanns Schutz der Druiden zu rechtfertigen? Hier war nichts als trostloser, grauer Stein – selbst einige davon in ihren Fugen gelockert.

Oder –?

Die lockeren Steine bildeten ein Rechteck. Zufall?

Seraphina kroch zur Stelle und hob die Steine an. Darunter lag eine dunkelbraune Holzkiste. Dem Gewicht nach leer, als sie sie heraushob – und doch klapperte im Innern Holz auf Holz.

Sie öffnete Marikas letzte Hinterlassenschaft.

Eine holzgeschnitzte, violett bemalte Lilie. Schwarze Krümel und ein schwarz-violettes, längliches Korn.

Das Korn, mit dem Marika ihre Art von Frieden durchsetzen wollte ...

Sera nahm die violette Lilie in die Hände. Ihr Stiel war schlank, ihre Blütenblätter filigran geschnitzt. Hier und da blätterte die Farbe ab, aber zweifellos war dies eine Mutterlilie aus dem Bilderbuche.

Sie seufzte, als das Licht der Fenster die Umrisse der Blüte umschmeichelte. Auf mervaillschem Hoheitsgebiet hinter den Druiden oder gar ihren Werten zu stehen, gehörte zu den schwersten Verbrechen. Wie sollte sie gegen solche Staatsgesetze ankommen? Dafür bräuchte etwas noch Mächtigeres als den König. Etwas noch Unantastbareres.

Etwas wie den Silbermond.

Natürlich!

Sie brauchte eine religiöse Stätte, einen Priester, den Silbermond und eine Mutterlilie – das Kloster des Mondgottes und Priester Michel. Wer bereitwillig einer Druidin Unterschlupf bot, die Mönche von ihr lernen ließ und ihnen Alistairs Buch über Yulths Friedenswahrer zusteckte, unterstützte sie so sicher wie die Sonne auch morgen wieder aufging!

Sie schloss die Kiste und mauerte sie zusammen mit Marikas Sünde in den Boden ein, auf dass keines der beiden das Licht der Sonne je wieder erblickte. Nur die Lilie behielt sie.

Marika hatte noch eine letzte Aufgabe zu erfüllen, ehe Seraphina sie ruhen ließ.

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