27. Mordor, das reinste Paradies

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Wir laufen ein Stück. Bis zum Fußballplatz fast, denn in der Siedlung wohnt Liam. Keiner sagt irgendwas und das ist okay. Toby ist kein Fremder, das Schweigen ist angenehm. Zwischendurch greift er nach meinen Fingern und lächelt leicht. Der Ärger scheint ihn sentimental gemacht zu haben. An dem Hauptzweig, der auch zum Fußballplatz führt, gehen mehrere kleine Straßen ab und die passieren wir. Liam wohnt relativ nah am Rand, daher müssen wir nicht lange latschen. Das Haus ist vielleicht so groß wie unsers. Etwas kleiner womöglich, Liams Eltern sind bestimmt Normalverdiener. Keine Bonzen wie wir. Menschlich halt. Es gibt keine Vorgarten, sondern gleich einen kleinen Absatz zur Tür. Toby klingelt und es dauert eine Weile, bis jemand die Tür öffnet. Ein kleiner Junge, nicht älter als sieben oder acht. Er grinst uns an und zeigt dabei seine Zahnlücke. Dort, wo eigentlich die oberen Schneidezähne sind. Sein Haar ist dunkelblond, so wie Liams, aber er hat auffällig viele Sommersprossen und eine kleine Nase.

„Hey Lou, ist Liam da?“, fragt Toby ihn und er verschränkt die Arme vor der Brust.

„Ich bin Logan, Toby“, verbessert er ihn und hinter ihm taucht sein Dublikat auf. Das Einzige, was die zwei unterscheidet sind die unterschiedlichen Hosenfarben.

„'Tschuldige Bruder, bin noch in der Lernphase“, lacht Toby und der Blick von dem, der die Tür noch aufhält – Louis? - gilt nun mir.

„Bist du Tobys Freundin?“ Liam kommt und sieht neben seinen Brüdern riesig aus.

„Das ist Zoe, seine Schwester“, erklärt er. Muss uns wohl zugehört haben. Ein Lächeln stiehlt sich über seine Züge. Er schlägt bei Toby ein und ich fühle mich leicht überfordert, als er den Arm um mich legt und mich wie Toby vorhin auf die Wange küsst. Er ignoriert meine Verwirrung und lehnt sich dann in den Rahmen.

„Jungs, ich glaube Mom hat euch gerade gerufen“, wendet er sich kurz an Logan und Louis. Die zwei ziehen skeptisch die Augenbrauen zusammen. Liam verdreht die Augen und verschränkt jetzt wie Logan zuvor die Arme. Seine Unterarme wirken dadurch seltsam. Die Muskulatur sticht hervor, er scheint nicht unsportlich zu sein. Seine knielangen Hosen sehen sehr bequem aus, ich glaube Typen haben es bei Hosen sowieso einfacher. Weiber müssen ja immer den Arsch betonen, das Problem haben Männer nicht. Sein schlichtes schwarzes Oberteil ist ärmellos und wenn ich ihn nicht schon fast mögen würde, dann fände ich ihn echt attraktiv. Gut, er ist mir schon sympathisch, aber ich kenne ihn ja noch gar nicht. Obwohl er mir so vertraut vorkommt. Ich meine hey, wir haben zusammen gekifft, bei Mecces gegessen, er hat mich von der Tanke abgeholt und er hat mitbekommen, wie ich meine Mutter fast zerfleischt hätte. Das ist schon ziemlich viel für eine Woche. Will nicht wissen, was da noch alles kommen mag. Die kleinen Jungs stöhnen dramatisch auf und verschwinden hinter Liam.

„Was ist los?“, fragt der augenblicklich.

„Chantall fordert ihre Gage.“ Liam braucht einen Moment, dann versteht er und fängt an laut zu lachen. Er gibt mir einen Highfive und schüttelt immer noch prustend den Kopf.

„Heißt, ihr könnt voraussichtlich die nächsten drei Jahre nicht mehr nach Hause“, grinst er immer noch und zwinkert mir zu. Er sagt nichts weiter, zieht sich nur Schuhe an und schließt hinter sich die Tür. Weil wir absolut nichts zu tun haben, außer Mom fern zu bleiben, gehen wir zum Fußballplatz. Schon vom Weiten hört man Pfiffe, laute Rufe und hin und wieder Klatschen.

„Spielen die heute?“, frage ich und kicke einen Stein von der schmalen Straße. Keine gute Idee, ich stolpere und bin kurz davor die Peinlichkeit mit Anthony zu wiederholen. Toby bekommt meinen Hosenbund zu fassen und zieht mich zurück.

„Bist aber auch zu blöd zum Geradeausgehen“, feixt er und wir sind da. Tatsächlich, Typen in Blauen und Weißen Trickots rennen durch die Hitze. Die brauchen keine Roten Klamotten, dafür reichen die Gesichter aus. Als würden sie durch die Wüste dackeln und nach Wasser suchen.

„Wer ist das?“, frage ich und deute auf das Feld.

„Wer? Soll ich dir jemanden vermitteln? Wen hättest du gerne?“, beugt sich Liam leicht zur Seite und flüstert mir ins Ohr. Ich muss lachen, ramme ihm aber leicht meinen Ellbogen in die Seite. Er keucht übertrieben auf.

„Ich meinte die Mannschaften.“ Er lässt beide Hände in die Hosentaschen gleiten und Toby macht zu meiner anderen Seite das Selbe.

„Oh, das sind...ähm...“, stottert er herum, bis Toby mir antwortet, dass es irgendwelche Schulmannschaften aus der Umgebung sind. Liam hat keine Ahnung von Fußball, das merkt man ziemlich schnell. Ich muss ihm sogar die Abseitsregel erklären, während wir uns auf die Bänke zu den anderen Zuschauern setzen. Vor uns warten Auswechselspieler auf ihren Einsatz und Toby zieht mich auf seinen Schoß, weil sonst kein Platz mehr frei ist. Seine Hände liegen auf meinen nackten Oberschenkeln und er legt seinen Kopf auf meine Schulter.

„Was ist los mit dir?“, frage ich nun mehr als vorsichtig. Er hat sich für mich vor Mom geopfert, er küsst mich dauernd und jetzt das. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, wir wären ein Paar. Allein die Vorstellung ist schon absolut dämlich.

„Darf ich nicht auch mal nett sein?“ Er trommelt mit seinen Fingerkuppen auf meine Knie und folgt dann wieder dem Spiel. Ich muste seine Züge kurz, er scheint es wirklich ernst zu meinen.

„Das letzte mal richtig 'nett' warst du, als du mich überreden wolltest dir die Nummer der Assistenzärztin zu besorgen.“ Liam kichert leise und ich folge wieder dem Spiel. Auf den Blauen Trickots kann ich kurz den Schriftzug „Dakota“ lesen. Also entweder der Typ ist mit einem echt dämlichen Namen gestraft, oder er spielt für die „Dakota High“.

„Ich will nach Dakota“, murmele ich nach einem Torjubel.

„Die Schule da ist echt gut“, antwortet Liam mir und wir lassen den Blick weiterhin auf das Spiel geheftet. Das ist gruselig, er hat an das Selbe wie ich gedacht.

„Die Schule da ist echt gut“, äfft Toby ihn nach und zieht dabei eine Fratze.

„Ernsthaft Liam, es ist Schule.“

„Ich will mal ans Meer. Florida oder so“, gehe ich dem aus dem Weg und zucke bei der Grätsche des einen Spielers zusammen. Toby meint heute mich befummeln zu müssen und schlingt seine Arme um meine Taille.

„Wir können doch eine Tour machen. Die Küste runter.“

„Kalifornien ist an der Westküste du Pfeife. Florida liegt im Osten“, bemerkt Liam und wir müssen lachen. Wir haben das Spiel anscheinend sehr spät erreicht, es dauert keine zehn Minuten mehr bis der Schlusspfiff ertönt. Dakota, so heißt der Arme anscheinend tatsächlich, und sein Team haben verloren. Schade schade, trotz so toller Schule. Es ist immer noch relativ früh und deshalb bleiben wir noch. Es ist warm und ich bin mal wieder froh noch so kurze Haare zu haben. Durch das relativ helle Blond werden sie auch nicht wirklich heiß, ich bin halt sehr praktisch gebaut. Meine Haare waren noch nie wirklich lang. Bis zur Schulter, manchmal etwas mehr. Aber gemocht habe ich sie schon. Am Anfang der Chemo habe ich immer versucht Toby zu erschrecken, indem ich beim Haarekämmen Witze über Leprakranke gemacht habe. Wir haben gelacht, die Schwestern zu der Zeit auch noch, um Sympathie zu erheischen. Da war ich noch jung und da wollte man mich noch leiden können. Als ich vierzehn Jahre alt wurde, haben sie es dann endgültig aufgegeben. Die Psychotante meinte später immer das komme von meiner starken Bindung zu Toby. Ich kann niemanden sonst an mich ranlassen, weil er für mich Normalität bedeutet und seine Haltung mir gegenüber nicht verändert hat. Zumindest hat er mir das nie gezeigt. Er hat mich nicht besonders behandelt, wahrscheinlich war er sogar zu mir noch schlimmer, als zu seinen Freunden. Normal ist das ja ohnehin bei Geschwistern, aber die Zeiten haben einiges verändert. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn alles beim Alten geblieben wäre. Manchmal wünsche ich mir zwar noch immer im Krankenhaus zu sein, ziemlich oft sogar, weil ich insgeheim doch ein sehr melodramatischer Mensch sein kann. Aber irgendwann, ich weiß nicht mehr wann das war, als es mir mal sehr schlecht ging, musste ich Toby versprechen nicht aufzuhören. Das war das einzige Mal, dass er mich als Krebskranke gesehen hat. Danach hat er es nie wieder gemacht. Nicht mehr so darüber gesprochen, sich absolut nichts anmerken gelassen. Er weiß es nicht, aber das schätze ich sehr an ihm. Er und Liam diskutieren immer noch an welcher Küste eine Reise jetzt besser wäre und ich beobachte die Spieler, die sich langsam voneinander verabschieden und reinhauen. Nach einer Weile steht Toby auf und ich rutsche von seinen Beinen runter.

„Was machen wir jetzt?“, frage ich, als die zwei sich zum Gehen wenden. Toby zuckt mit den Schultern und ich folge ihnen, als wir erstmal den Platz verlassen. Erst denke ich, dass es wieder zu Liam geht und wir vielleicht dort etwas machen, aber irgendwann schlagen wir den Weg zu unserer Straße ein.

„Und wenn sie Zuhause ist? Was dann?“ Toby hält mir sein Handy vor die Nase.

„Es ist jetzt nach eins. Heißt, sie ist sowieso wieder bei ihrem Typ. Dad kommt frühestens in zehn Tagen mal wieder nach Hause.“ Er grinst triumphierend, das Auto steht nicht vor dem Haus. Wir laufen durch den Vorgarten und feixend drückt er die Klinke herab. Das Lachen vergeht ihm.

„Sie hat abgeschlossen.“ Ich muss mir ein Grinsen verkneifen.

„Seit wann schließt sie denn bitte ab? Seit wann schließt hier irgendjemand ab?“, meint er völlig entgeistert. Nachdem Liam auch ausgiebig getestet hat, ob denn wirklich zu ist, stehen sie einfach nur da und sagen nichts mehr. Ich setze mich auf das Geländer der Veranda und lache sie aus. Ich mache mich auf ein Warten gefasst, doch das wird es nicht geben.

„Keinen Schlüssel?“, fragt plötzlich jemand hinter mir und ich falle fast rückwärts von der Veranda. Dad steigt die Stufen rauf und schließt auf. Etwas ist anders. Er ist anders. Ich gehe auf ihn zu und ziehe ihn zu mir rum. Eindeutig. Er sieht nicht müde aus. Nicht wie nach einer langen Schicht. Er riecht nicht nach Desinfektionsmittel und er ist nicht rasiert. Er muss rasiert sein, wenn er arbeitet. Das Haar zaust leicht und er hat ein seltsames Lächeln aufgesetzt.

„Ich schwöre dir Dad, wenn es das ist, was ich denke, dass es das ist, ziehe ich aus.“ Er gluckst belustigt auf und wirkt fast angetrunken. Das ist er nicht. Es ist etwas ganz Anderes. Toby und Liam blende ich vollkommen aus.

„Seid ihr eigentlich alle zu blöd im eigenen Haus mit dem eigenen Partner zu ficken?“ Ist das jetzt seine Rache? Ist das jetzt seine Art die Sache zu retten? Dann sollen sie sich doch trennen, wirklich. Aber so etwas ist ekelhaft. Er grinst immer noch dümmlich, wie ein kleiner Junge und ich spüre eine Hand auf meinem bebenden Arm. Mein Herz rast, Zorn staut sich auf.

„Das war' s“, fauche ich und schlage Tobys Hand weg. Wie bei Olga und Toby stampfe ich ins Haus und die Treppen hoch.

„Wo willst du jetzt hin?“, ruft mir noch jemand hinterher. Ich reiße meine Zimmertür auf.

„Was weiß ich, in Tom Riddles Kinderheim oder nach Mordor. Ist ja gegen das hier das reinste Paradies“, schreie ich noch, bevor ich anfange meine Tasche zu packen.

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