26. Toby, der anscheinend nicht mehr weiß, was er tut

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Den Tag verbringe ich damit meine Bagels beim Frühstück zu massakrieren und warte gar nicht erst, sondern hole mir gleich ein Bier aus dem Kühlschrank. Anthony hat mir schlechte Laune bereitet. Was bildet der Typ sich eigentlich ein? So was Bescheuertes, also ehrlich. Ein Grund mehr ihn nicht leiden zu können. Da ist sogar schon wieder das Mitleid und das schlechte Gewissen für seinen Kratzer an der Hand verschwunden. Ich mag kein Bier und das macht nicht mal besoffen, aber ich habe ein gutes Gefühl dabei. Denn entweder ich trinke es Toby weg – auf den ich gerade sauer bin – oder ich trinke es meinem Vater weg. Auf den bin ich generell und so gut wie immer sauer. Mir ist schon wieder unnormal heiß und ich habe Lust mich selbst ertränken zu gehen, aber das würde nicht funktionieren. Man kann sich selbst nicht mal ersticken. Habe ich mal ausprobiert, stimmt wirklich. Irgendwann hat man nicht mehr genug Kraft, sich das Kissen ins Gesicht zu drücken. Kurz bevor man ohnmächtig wird. Und dann holt man reflexartig wieder Luft. Das kann man natürlich nur machen, wenn man nicht irgendwie verkabelt ist. Sonst ist eh nach so ungefähr zehn Sekunden eine Krankenschwester da, die dafür sorgt, dass du sinnlose Sitzungen bei der Psychologin der Station hast. Und das ist alles andere als schön. Die kommt dann nämlich immer dann vorbei, wenn du gerade Chemo hast. Da kann man noch nicht mal flüchten. Das fällt auf. Nicht, weil auf der Onkologie nie Leute mit ihren fahrbaren Chemos rumrennen, sondern weil mich die Schwesternschaft kennt. Die können mich zum größten Teil nicht leiden und daher wissen sie alle ganz genau, wann sie mich an irgendeinen Arzt oder in diesem Fall dieser Palawerin abgeben dürfen. Ich glaube die haben das absichtlich zusammengeworfen. Also Chemo und Laberstunde. Weil die Schwestern sonst dazu verpflichtet sind mich zu fragen, ob sie bei mir bleiben sollen. Und weil ich sie genau so wenig mag wie sie mich, bestehe ich aus Prinzip darauf. Manchmal provoziere ich dann sogar einen Würgereiz, damit sie meine Kotze wegwischen müssen. Naja gut, so war es zumindest. Meine letzte Therapiestunde ist schon eine Weile her. Bin ja jetzt geheilt. Hurra hurra. Mit dem Bier in der Hand laufe ich durch die Wohnung und nehme mir vor im Laufe der Woche mal wieder an Anna zu schreiben. Wird langsam Zeit, ich schiebe das immer zu lange vor mir her. Den Rest des Tages versuche ich mir selber GTA beizubringen, bin dabei aber noch schlechter als Toby. Also im Beibringen. Irgendwann lässt sich Mom mal wieder blicken, die ich verdächtig lange nicht mehr gesehen habe. Ich kann mich nicht mal mehr erinnern. War das im Krankenhaus? Oder gab es da noch ein anderes Zusammentreffen? Ernsthaft, ich habe keine Ahnung. Wann ist die denn aber auch mal Zuhause? Haben wir eine kleine indonesische Putzfrau, die sie über Tag immer im Schrank versteckt und über Nacht rausholt, damit es so aussieht, als würde sie sich um uns kümmern und das Haus sauber halten? Für Liebe gibt' s ja Geld, dafür muss man sich nicht mal sehen. Ist zwar hin und wieder eine nette Begleiterscheinung, aber notwendig ist es keinesfalls. Merkt man auch daran, dass sie nur kurz reinkommt und sich dann gleich wieder verabschiedet. So „Küsschen rechts Küssen links“-mäßig. Ich kotze gleich. Sie sagt sie gehe einkaufen und bietet mir an mitzukommen, aber ich habe genug Supermarkt für die nächsten zehn Jahre. Sie fragt, ob sie was mitbringen soll. Ich wünsche mir eine begehbare Kühltruhe. Das hinterfragt sie nicht weiter, sie verpisst sich einfach. So, wie sie es immer macht. Ich sollte ihr vielleicht hoch anrechnen, dass sie meine Zeit im Krankenhaus über immer bei mir war. Dass sie mich unterstützt hat und eine ganz gute Krankenschwester war. Aber wenn ich ehrlich bin macht das nicht im Geringsten ihren Fehler als Ehefrau wieder wett. Ich rede mir ein sie zu hassen, aber ich weiß genau, dass ich das beim tieferen Nachdenken widerlegen würde. Es gibt viele Gründe sie zu mögen. Zum Beispiel die Tatsache, dass sie mir für nahezu neun Monate ihre Gebärmutter zur Verfügung gestellt hat. Das spricht doch schon mal für sie. Desweiteren hat sie mich mit versichert, was auch als Nettigkeit deutbar ist. Krebsbehandlungen sind teuer, ich bin teuer. Ich war es zumindest. Mir muss noch ein dritter Grund einfallen. Aller guten Dinge sind drei. Als ich klein war und noch nicht krank, hat sie mir mal Balettstunden geschenkt. Das war ziemlich nett, ich stand früher auf Tutus und den ganzen Kram. Bin sogar zwei Mal hingegangen. Die Lehrerin, eine schrumplige Russin, fand mich gut. Sie meinte, dass ich talentiert sei. Wirklich, das war sehr freundlich von meiner Mutter. Bis ich mir den Fuß gebrochen habe. Da war es dann nicht mehr so lustig. Aber der Gedanke zählt ja bekanntlich. Sie hat es bestimmt nur gut gemeint. Als ich umgeknickt bin und der Mittelfuß durch war, hatte auch Toby seine erste Balettstunde was zum Lachen. Meine Mutter hat ihn damals gezwungen auch mit zu machen. Wir waren sieben, wir waren süß und meine Mutter fand den Gedanken von Partnerlook in Strumpfhosen wohl ammüsant. Er durfte allerdings aufhören, als ich ausgetreten bin. Bei mir war es verletzungsbedingt, bei ihm wohl Erhaltung seines Geschlechts. Schließlich musste er damals ja auch mit ins Krankenhaus und er hat sich wohl ziemlich geschämt. In seinen blauen Strumpfhosen. Ich gehe in die Küche und dann wieder ins Wohnzimmer und stelle fest, dass ich absolut nichts zu tun habe. Wie viele Tage sind es noch bis zum Wochenende? Ist heute Mittwoch oder Donnerstag? Wann muss ich zur Schule? Im Flur lässt jemand seine Tasche fallen. Ich tippe auf Toby und verschränke daher die Arme vor der Brust. Auch wenn er definitiv alleine ist, was man an den Schritten hört, bin ich immer noch auf ihn und Olga wütend. Meine Meinung sollte sich eigentlich nicht ändern, auch wenn er mit einer duftenden Tüte rein kommt. Er stellt alles auf dem Tisch ab und schiebt dann beide Hände in die Hosentaschen.

„Willst du mich jetzt bestechen oder was?“, murre ich und rieche die Röstzwiebeln.

„Zoe, ich würde ja gerne behaupten, dass es mir leidtut. Das wäre aber eine Lüge. Deswegen habe ich Essen mitgebracht. Jetzt sind wir quitt.“ Dieser Junge kennt mich eindeutig viel zu gut.

Die Zeit zwischen Donnerstag und Samstag vergeht ohne viele Probleme. Hin und wieder ist Olga da und dann ist sie wieder weg. So ist das auch mit Mom. Reine Glücks- beziehungsweise Pechsache. Kommt drauf an, wie sie oder ich gerade drauf sind. Die meiste Zeit ist es ruhig. Kalt, aber ruhig. Dad ist ja eh nie da und wenn er mal da ist, dann machen sie auf Family of the Year. So oft ist das zwar nicht – Dad scheint ja auf Nachtschichten zu stehen, seit er weiß, dass Mom ihn betrogen hat – aber definitiv ausreichend, um einen Würgereiz zu provozieren. Schlimm genug, wie oft ich mit ihr kommunizieren muss. Reden kann man das nicht nennen. Ich meine, hallo? Es ist Samstagmorgen und sie kommt vor zehn in mein Zimmer, um über Schulbücher zu reden. Geht es ihr denn noch gut? Macht sie das absichtlich? Finde ich ziemlich unlustig. Vor allem, weil sie mir eigentlich nur sagen wollte, dass ich meine Bücher im Sekretariat abholen muss. Den Stundenplan auch. Und den Schlüssel für meinen Spind. Danke, so viel Information. War wirklich nötig mich dafür gefühlte fünf Stunden früher als sonst zu wecken. Im Krankenhaus musste ich immer um sechs Uhr aufstehen. Warum auch immer. Ich meine, wäre es nicht viel besser gewesen uns so lange wie möglich schlafen zu lassen? Wir hätten viel weniger Zeit darüber nachzudenken, dass wir Krebs haben. Mehr Schlaf, weniger Wachsein. Weniger Wachsein, weniger Kranksein. Zumindest würde sich das so anfühlen. Jetzt bin ich wach, jetzt ist es auch zu spät. Sie sagt, dass es gleich Frühstück gibt und ich mich beeilen soll. Ja klar. Als sie endlich weg ist, trotte ich zum Bad und ein mir bisher nicht bekanntes Phänomen tritt ein. Es ist besetzt. Abgeschlossen und ich höre, wie die Dusche gerade angeht. Na toll, Toby ist eine Diva. Der braucht noch eine Weile. Ich lehne mich an die Tür und klopfe hin und wieder, um ihn zu hetzen. Der kann sich ruhig beeilen. Im Krankenhaus hatte ich nie so ein Problem. Entweder ich hatte ein Einzelzimmer, was überwiegend der Fall war, oder die Weiber hatten Angst vor mir. Die Olle, die mir meine Pizza nicht gegönnt hat, war so ein Fall. Ich habe ihr wohl ziemlich deutlich gemacht, dass ich sie absolut nicht mehr ausstehen kann. Immerhin hat sie mich meine Pizza gekostet. Aber das hatte wie gesagt auch Vorteile. Das Bad hat sie mir nicht mehr streitig gemacht. Wenn ich pinkeln musste, dann hat sie mich vorgelassen. Wenn sie kotzen musste und ich duschen wollte, dann musste sie halt woanders spucken gehen. Das hat sie ziemlich schnell begriffen. Aber Toby kann ich damit nicht kommen, der hat nicht so oft Angst vor mir. Daher bleibt mir nichts anderes übrig, als zu warten. Bis ich nach hinten falle, da die Tür geöffnet wird. Ich stehe auf und Toby, der nur ein „Morgen“ nuschelt, schlängelt sich an mir vorbei und geht in sein Zimmer. Das ging schneller als gedacht. Und das, obwohl er Haare gewaschen hat. Gut, so lang sind die jetzt auch nicht. Länger als meine, vielleicht fünf Zentimeter oder mehr. Selbst nass sehen die fast genau so gut aus wie trocken und komischerweise immer abstehend. Also gewollt und daher auch beneidenswert. Wie macht er das nur? Benutzt er Haargel?

„Zoe, das Bad ist frei, also geh verdammt nochmal duschen. Ich hab' Hunger“, brüllt Toby und kurz darauf höre ich, wie sein Fernseher angeht und ich gehe mir die Zähne putzen. Schon als ich aus der Dusche wieder raussteige, habe ich das Gefühl, dass jegliches Wasser aus ihnen schon wieder verschwunden ist. Binnen von Sekunden. Mittlerweile sind sie doch gar nicht mehr so kurz. Sieht schon gewollt aus, als hätte ich sie aus Lust abgeschnitten. Weil ich cool bin, versteht sich. Diesmal hängt ein Handtuch über der ausgeschaltenen Heizung an der Wand. Tobys ist es nicht, der hatte seins um die Hüfte gewickelt. Wo mir auch mal wieder aufgefallen ist, wie breit sein Kreuz geworden ist. Traut man ihm gar nicht zu. Ich verstehe Olga schon, dass sie auf ihn steht. Ich stelle vor dem Spiegel stehend fest, dass meine Brüste wachsen. Ich bin ja immer noch der festen Überzeugung, dass die einfach mal aufgehört haben während der Chemo. Die Ärzte haben mir zwar versichert, dass das nicht so ist, aber was wissen die schon von Titten? Irgendwann haben sie sogar mal gesagt, das komme von meinem Gewichtsverlust. Das könnte sogar noch hinkommen, aber mit der Chemo klingt es viel dramatischer. Jetzt werden sie größer, das sehe ich. Ich bin froh keine größeren Narben zu haben. Ich bin auf dem Flur im Krankenhaus mal einer mit Leukämie begegnet. Die hatte gerade 'ne Lumbalpunktion hinter sich. Das ist zwar im Endeffekt längerfristig nur eine kleine Einstichnarbe am Rücken, aber die bleibt mir immerhin erspart. Die habe ich dafür an den Armen. Und ein paar Portnarben am Oberkörper. Das verblasst nach einer Weile und irgendwann fällt es nicht mehr so stark auf. Ich bedecke mich flüchtig mit dem Handtuch und gehe in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Als ich die Treppe runter poltere, höre ich ein wages „Na endlich“ und dann Toby, der mir folgt. Wow, Mom versucht uns jetzt einzunehmen, indem sie kocht. Wusste gar nicht, dass sie das kann. Sie lädt mir ohne zu fragen Ei und Pancakes auf. Toby scheint das nicht weiter zu verwundern, der isst einfach. Wir sprechen nicht, man hört nur das Kauen und schlucken und irgendwie ekelt mich das an. Ich konzentriere mich auf das leichte Klappern, als die Post durch den Schlitz an der Tür reingeworfen wird und springe förmlich auf. Ohne eine Erklärung haste ich in den Flur und hebe die Briefe auf, nur um von diesem widerwertig sympathieschreienden Frühstück weg zu kommen. Am Ende verfalle ich ihr noch. Da sind ein paar Briefe an Mom, ein paar an Dad. Keiner an mich und somit lege ich alles auf dem Tisch ab. Neben Marmelade und Orangensaft. Weigere mich aber weiter zu essen. Mom ist fertig und kontrolliert nun alles. Das meiste landet ziemlich schnell auf der Ablage, bis sie bei einem hängenbleibt.

„Toby Morell“, kommt es irgendwann ziemlich wütend von ihr und ihre Augenbrauen ziehen sich gefährlich zusammen. Die Augen sind immer noch auf die Zeilen gerichtet und sie blickt nicht auf. Toby setzt seine Tasse Kaffee ab und ich mich wieder auf meinen Stuhl. Schweigend beobachten wir sie und mir dämmert es als erstes. Die Schadenfreude verfliegt, den Ärger werden wir höchstwahrscheinlich beide abbekommen. Ich liege richtig. Das wird mir klar, als sie anfängt vorzulesen. Eine Telefonrechnung. Beachtliche Summe, muss man schon sagen. Geht fast in den dreistelligen Bereich und Toby sitzt einfach nur da, regungslos. Sie ist fertig und starrt ihn an.

„Willst du vielleicht irgendetwas dazu sagen?“, faucht sie ihn an und sie sieht aus wie ein wütendes Kamel. Das wäre jetzt der Moment mich zu verpfeifen. Genau jetzt. Aber er tut es nicht.

„Im Haushaltsglas ist noch ein bisschen Kleingeld. Müsste reichen.“ Er steht auf, räumt seinen Teller in die Spülmaschine und geht. Er lässt eine fassungslose Mom zurück und weil mich das irgendwie auch überfordert, mache ich das selbe wie er und springe schon fast die Stufen rauf. Seine Zimmertür ist offen, er wartet auf mich. Er packt gerade Handy und Portemonnaie in die Hosentasche und sieht dann auf. Er lächelt schwach.

„Ich weiß nicht, warum ich das gerade getan habe. Solltest du allerdings als Kompliment an deine Person sehen.“

„Du bist mir einfach noch was schuldig“, grinse ich leicht und ich habe das Gefühl ihn umarmen zu müssen. Was er getan hat, wird noch Konsequenzen mit sich bringen und das weiß er. Spätestens wenn Dad bescheid weiß, kommt irgendwas. Er läuft auf mich zu und nimmt mich kurz in den Arm. Dann küsst er mich auf die Wange und sieht mich an.

„Komm, wir gehen.“ Ich frage nicht nach, ich folge ihm einfach. Erst, als wir uns die Schuhe angezogen und draußen auf der Straße das Haus hinter uns gelassen haben, sehe ich ihn an.

„Wir gehen zu Liam.“

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