30. Ich, die sich Freunde suchen sollte

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Am späten Nachmittag weckt Toby mich. Das ist auch ganz gut so, ich muss noch meine Sachen einpacken und wenn ich jetzt weiter schlafe, finde ich in der Nacht keine ruhige Minute mehr. Noch etwas benommen stehe ich auf und gehe in mein Zimmer. Dort setze ich mich auf mein Bett und starre eine Weile meine Hände an, weil ich vergessen habe, was ich tun wollte. Achja, Schulsachen. Wie war das nochmal? Bücher bekomme ich im Sekretariat? So war es doch. Und was muss ich dann überhaupt mitnehmen? Spontan fällt mir nur was zu Essen ein. Obwohl, gibt es da eine Kantine? Ich sollte Toby fragen, der muss das ja wissen. Ist der nicht immer mit Essen ins Krankenhaus gekommen? War das nicht gleich nach der Schule?

„Toby, ich...“, beginne ich, als ich seine Tür öffne, halte aber inne. Er schläft schon wieder. Gut, der muss Morgen bestimmt auch nicht in die Schule. Moment mal, dann muss ich da ja alleine hin! Wie soll ich das denn machen? Fährt da ein Schulbus hin oder muss ich laufen? Ich habe absolut keine Ahnung. Hoffentlich wacht der nochmal auf, damit ich ihn fragen kann. Jetzt gehe ich erstmal zurück in mein Zimmer und ziehe eine Tasche aus meinem Schrank. Unbenutzt. Auf meinem bisher ebenfalls jungfräulichen Schreibtisch stapeln sich Blöcke und Stiftpackungen. Ein Kugelschreiber hätte es auch getan. Der ist auch mit dabei und ich stopfe ihn und den restlichen Kram in meine Tasche. Was braucht man denn noch so in der Schule? Ich setze mich auf den Drehstuhl und rühre mich eine Weile nicht. Bis mir etwas auffällt. Auf der hinteren Ecke meines Tisches liegt ein Laptop. Wieso sehe ich das erst jetzt? Muss neu sein, habe ihn noch nie gesehen. Da versucht sich jemand einzuschleimen. Aha, erwischt! Im Krankenhaus habe ich überwiegend gelesen und Musik gehört. Obwohl ich mich an die Titel der Bücher nicht mehr erinnern kann, ist viel von der Handlung im Gedächtnis geblieben. Da war dieses Mädel im Wald, dann so eine extrem coole Actionreihe – Jordans oder Adams glaube ich -, irgendwas mit einem Lord oder so und ich glaube noch etwas, mit 'ner Zahl als Name. Neunundvierzig? Ich weiß es nicht mehr. Eigentlich lese ich nicht gerne, aber viele Möglichkeiten seine Freizeit zu gestalten, hat man da nicht. Zocken macht nur mit Toby Spaß und selbst dann kann ich nur eine bestimmte Anzahl an Spielen. Einen Laptop hatte ich nie. Das Internet war allgemein nie wirklich interessant für mich. Ich hatte mal eine Zimmernachbarin, die ständig am Handy gehockt hat und bei Facebook online war. Habe ich nie verstanden. Sie hat auch dauernd Fotos von sich geschossen. Selfies hat sie die dann genannt. Wozu? Ich glaube die ist eh gestorben. Jap, das war die mit Leukämie. Eindeutig abgekratzt. Vielleicht hat die ja Fotos für die Einladung zu ihrer Beerdigung gemacht. Kann gut sein, die war eh so ein bisschen bekloppt im Kopf. Aber ich mochte sie. Zu ihrer Beerdigung war ich eingeladen, hatte da aber gerade eine schlechte Phase. Obwohl ich sie nicht richtig kannte – und das will schon was heißen, wenn man fast ein Jahr im selben Zimmer lebt – sollte ich kommen, wenn sie ihren letzten Weg geht. Gut, das ist eine Lüge. Ich kannte sie sogar ziemlich gut und eigentlich waren wir uns sehr vertraut. Nur ist es so, dass ich mir selbst vorgenommen habe, keine Freundschaften zu Sterbenden aufzubauen. Das tut mir nicht gut. Irgendwann, als sie schon tot war, habe ich damit aufgehört. Mit meinem Vorsatz. Das war, als ich selbst angefangen habe zu sterben. Sie fehlt mir. Zurück in der Gegenwart schüttele ich mehrmals den Kopf und schalte den Laptop an. Vielleicht sagt mir der ja, was ich alles in einer Handtasche haben muss. Das Ding ist sogar komplett eingerichtet. Da steht sogar „Zoes Ordner“ auf dem Desktop. Aha, sehr interessant, was Zoe alles so hat. Ich gebe bei Google irgendwas mit Handtaschen ein und finde eine Seite eines Magazins für Jugendliche, die eine Liste zusammengestellt hat. Da stehen seltsame Sachen drauf, aber ich zwinge mich zu lesen. Nummer eins sind Tampons. Kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal meine Tage hatte. Ich weiß nur, dass ich sie vor dem Krebs auf jeden Fall schon hatte. Das war eine Sauerei. Das Klo sah aus wie das ein Schlachtfeld aus „Troja“. Zuhause hätte mich das ja nicht weiter gestört, aber in der Schule war das schon ziemlich peinlich. Vor allem, wenn es voll ist und die Leute anstehen. Da lernt man eine ausdruckslose Miene aufzusetzen, wenn man die Kabine verlässt. Und dann rennt man. Aber wie gesagt, ich hatte die schon eine ganze Weile nicht mehr. Sollte mal bei meinem Arzt nachfragen. Solange ist der Punkt schon mal gestrichen. Nummer zwei, Binden. Was zur Hölle sind denn Binden? Noch nie gehört. Da steht auch nichts weiter zu, keine Erklärung oder so. Ich beschließe, dass ich auch das später Toby fragen werde. Der wird das schon wissen. Das Nächste, ein Handy. Gut, das liegt auf meinem Nachttisch. Werde ich morgen früh einpacken. Weiter, ein MP3-Player. Wozu denn das? Ich hab doch ein Handy. Verstehe ich nicht. Genau so wenig, wie der folgende Punkt. Ein Notizbuch. Ich bin froh, wenn ich in der Schule nicht zu viel schreiben muss. Wozu denn dann noch ein Notizbuch? Das ist ja, als wenn man einer Magersüchtigen in der Klinik Schokolade schenken. Will sie nicht, aber haben tut sie es trotzdem. Es kommt Lipgloss. Ich besitze gar keine Schminke. Das fällt somit auch weg. Obwohl ich mir sowas ruhig mal zulegen könnte. Eine Nagelpfeile. Ich betrachte meine Finger. Das, was ich dann auch noch kurz pfeilen soll, ist rissig und ausgetrocknet. Beim Lippenstift schließe ich das Fenster. Wozu denn bitte der Scheiß, wenn ich schon Gloss nehmen soll? Sowas von sinnlos. Ich stehe auf und strecke mich. Mein Kopf schmerzt immer noch etwas, aber immerhin dreht sich nichts mehr. Das Klopfen an meiner Tür erschreckt mich und noch mehr wundert es mich, dass Mom rein kommt.

„Hast du alles gefunden?“

„Jap.“ Sie nickt und lächelt leicht. Ich mustere sie kritisch. Wo war sie schon wieder? Hat sie es überhaupt mitbekommen, dass Dad ihr nachgeeifert hat und eine andere gefickt hat? Ihre Miene verrät nichts. Sie sieht sogar ganz normal aus. Unaufgeregte Hose, schlichtes Oberteil, Feinstrümpfe. Ob die mit Strapsen befestigt sind? Das würde mich mal interessieren. Sie bleibt unschlüssig im Türrahmen stehen.

„Du musst morgen den Schulbus nehmen.“

„Kriege ich da was zu Essen?“ So ein langes Gespräch haben wir schon lange nicht mehr geführt, ohne einander anzuschreien.

„Es gibt eine Cafeteria. Frag Toby nachher nochmal, er erklärt dir das.“ Damit hat sie die Diskussion wohl mehr als deutlich beendet. Höfliche Frau. Sie teilt mir nur noch mit, dass sie heute Abend kochen wird und dann geht sie.

„Hey!“, rufe ich ihr nach. Ich bringe es nicht fertig sie „Mom“ zu nennen. Sie dreht sich nochmal.

„Wann muss ich da sein?“

„Dein Bus kommt viertel Neun. Um beginnt der Unterricht.“ Mein Gott ist das früh. Sie ist weg und ich habe nichts zu tun. Ich beschließe duschen zu gehen, damit ich das hinter mir habe und nach dem Abendessen nur noch Toby ausquetschen muss.

„Zoe hau ab, ich bin müde.“

„Selbst Schuld und mir egal. Wenn du morgen schon nicht kommst, kannst du mir wenigstens sagen, wie das läuft.“ Er stöhnt genervt auf und reibt sich die Stirn. Dabei bedacht nicht das Pflaster zu berühren.

„Was willst du denn wissen?“, gibt er sich geschlagen. Ich grinse triumphierend und lehne mich an sein Kopfende des Bettes.

„Gibt es da was zu Essen? Und wie lange dauert das? Also Schule.“ Das macht ihn jetzt nicht unbedingt glücklich. Er ist blass und seine Haare stehen wirr ab. Dadurch stechen die Kratzer deutlich hervor. Macht ihn ja mal total verwegen.

„Es gibt eine Cafeteria. Da kannst du dir was kaufen. Wenn du Glück hast, bist du sechzehn Uhr Zuhause. Vorausgesetzt du erwischt den Bus.“ Achja, zurück muss ich den ja auch nehmen.

„Und wenn ich den verpasse?“, frage ich panisch.

„Dann läufst du halt.“ Ja klar, super Plan. Ich stehe auf und will gehen, aber er ruft mich zurück.

„Du packst das schon. Liam fährt nicht mit dem Bus, der kommt mit Moped. Aber ich hab ihm gesagt, dass er dich irgendwo aufsammeln soll, wenn du nicht mehr weißt, wo du bist.“ Ich ziehe die Augenbrauen hoch.

„Wann war das? Bevor er verschwunden ist? Kein besonders gutes Argument, Toby.“ Er überlegt, weil ich Recht habe.

„Der wird schon kommen. Ist hart im Nehmen. Wenn nicht, dann such dir halt Freunde.“ Das ist ja mal eine ganz neue Idee.

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