54. Das Essay, in dem ich echt gut argumentiert habe

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„Ich hab keine Ahnung, Toby", grummele ich in mich hinein und beobachte ihn dabei, wie er ein Sandwich mit Ketchup bestreicht und zwei Scheiben Käse aus der Packung holt. Kurz schaut er ratlos auf das Essen in seinen Händen, dann zuckt er mit den Schultern und holt eine weitere Scheibe raus, nachdem er eine andere in den Mund geschoben hat. „Und es wäre echt hilfreich, wenn du das hier ernst nehmen würdest", fahre ich ihn an, weil ich mich so echt nicht konzentrieren kann. „Zoe-Schatz, nimm' s mir nicht übel; ich war die letzten siebzehn Jahre gerne dein Kummerkasten, aber im Ernst, du brauchst 'ne beste Freundin, mit der du darüber reden kannst." Meine Brust zieht sich zusammen. Der Magen wird kalt wie Eis. Gleich muss ich kotzen.„Ich hab' doch dich", schlucke ich alles runter, was mir auf die Brust drückt, auf die linke Seite, und mein Bruder grinst mich an.„Du bist meine Schwester und Matty ist mein Freund. Wenn ich weiterhin den Seelenklempner für einen von euch beiden spiele, geht das nicht gut aus." Ich murre in mich hinein. Das Problem ist, dass ich ihn sogar verstehen kann. „Red' doch einfach mit ihm darüber", sagt er nur noch, drückt eine Scheibe Toast oben auf seinen Berg und schultert mit der anderen Hand seinen Rucksack. Draußen redet er nicht mehr mit mir und jedes Mal, wenn ich was sagen möchte, kaut und schmatzt er so laut, dass ich meine eigenen Worte nicht verstehe. Erst kurz vor der Schule ist er fertig mit essen und dann müssen wir in unterschiedliche Kurse. Anthony fehlt in Englisch.Am Nachmittag haben wir wieder eine Sonderprobe. Die meisten üben ihren Text oder lernen für die letzte Klausur. Wenn ich das vorhin richtig verstanden habe, müssen wir in Englisch ein Essay über Jane Austen schreiben. Mehr wurde nicht gesagt. Meine Güte, ich muss echt dieses scheiß Buch lesen. Birch ist heute hauptsächlich damit beschäftigt, die letzten Kostüme zu begutachten und er beschließt, dass die Tauben noch graue Federn brauchen. Toby ist begeistert und das meine ich nicht ironisch. Ich muss den Großteil des Stücks ein hässlich olivgrünes Kleid und eine graue Schürze tragen. Eigentlich hätte ich noch ein Tuch um den Kopf binden müssen, wie in dem Disneyfilm. Aber wir waren einstimmig der Meinung, dass ein Kopftuch vielleicht etwas anderes signalisieren würde, bei meiner Haarlänge. Und der Vorgeschichte. „Es reicht ja auch, wenn wir dir ein bisschen grauen Lidschatten auf die Wangen schminken", gibt Jesus sich zufrieden. Wir üben bis zum frühen Abend und ehrlich gesagt, ist es gar nicht so schlecht. Ich kann Matty zwar nicht in die Augen sehen, aber was soll' s. Daran kann ich jetzt auch nichts ändern. Das einzige wirkliche Problem stellt mein Hochzeitskleid dar. Es ist viel zu klein und eng. „Wer zur Hölle soll denn da rein passen?" Toby, der sich gerade von einem Mädchen mit Federn bekleben lässt, fängt an zu lachen, als Liam am Reißverschluss zerrt. „Tja Zoe, die Pubertät setzt ein. Du wirst langsam fett", feixt er und ich werde wütend.„Lustig, Toby", fauche ich und mit einem Ruck ist das Kleid zu. Liam legt mir beschwichtigend eine Hand auf die Schulter und meint, dass Birch das Kleid sicherlich aus dem Kindergarten ausgeliehen hat. Ich möchte lachen, aber habe Angst, dass der Reißverschluss platzt.„So kann ich doch nicht auf die Bühne", jammere ich und komme mir vor, als hätte jemand meinen Brustkorb in Gips gegossen. Liam schlägt vor, das ganze nicht komplett zu schließen und irgendwie mit Sicherheitsnadeln zu improvisieren. Als wir das Birch vorschlagen, der gerade die böse Stiefmutter mit einer extrem hässlichen und riesigen Perücke, ist der alles andere als begeistert.„Das sieht doch blöd aus, meine Liebe. Ich meine – oh, entschuldige Herzchen -" (er hat der Stiefmutter mit einer Haarspange knapp über das Auge gepiekt) „...also was ich sagen wollte: Glaub mir, es wird sich lohnen, wenn du das Kleid zu machst. Ich meine, jetzt funktioniert es doch auch", sagt er und sieht an mir herab. Ginger, die eine Stiefschwester spielt stellt sich zu uns und wartet offensichtlich, dass Birch Zeit für sie hat. „Alles klar", murre ich, weil die Diskussion eh nichts bringt. Ich wende mich ab und gehe wieder zu Liam, der das Kleid wieder aufmachen soll.„Bist du verrückt? Das ist wie so ein komisches Flaschenschiff", springt mein Bruder in Strumpfhose dazwischen und erwartet, dass wir verstehen, was er meint. Dann rollt er mit den Augen. „Einmal drin, sollte man die Dinger nicht mehr rausholen." Kopfschüttelnd zieht Liam den Reißverschluss runter und dann sind plötzlich zwei Hände an meiner Taille und ein Kinn auf meiner Schulter. Matty duftet so gut, verdammt.„Wird meine zauberhafte Freundin etwa von 'nem anderen ausgezogen?", grinst er und mir bleibt das Herz stehen. Ich sehe mich hektisch um und dann fällt mir wieder ein, dass Anthony ja nicht da ist.„Alles okay, Baby?", fragt er sehr leise und ich nicke, obwohl das eine riesengroße Lüge ist. Er spielt mit dem Reißverschluss meines Kleides rum und ich spüre seine Finger an meiner nackten Haut. „Willst du nachher noch mit zu mir kommen?" Hilflos sehe ich zu den anderen, die plötzlich ganz geschäftig irgendwas anderes machen. Toby lässt sich weiter bekleben und redet mit dem Mädchen, Liam dreht sich zur Tonanlage und sonst ist hier keiner.„Ich...ich muss lernen." Schlechteste Ausrede überhaupt. Seine Lippen streifen meinen Nacken. „Ach komm Zoe, als ob du wirklich lernst." Ruckartig mache ich einen Schritt nach vorne und das Kleid rutscht runter, hängt an meinen Hüften. Fahrig zerre ich es wieder hoch und drehe mich wütend um.„Woher willst du das denn wissen, hä? Ich bin nicht so blöd wie ich aussehe und manchmal gibt es auch Sachen, die mir wichtiger sind als vögeln." Ich weiß genau, dass sie alle gucken. Und vor der Bühne haben sie es sicherlich gehört. Matty weiß gar nicht was er sagen soll und ich lasse ihn verdattert stehen.„Zoe!", höre ich Birch noch rufen, als ich die Aula im Brautkleid verlasse. Toby und Liam sind mir hinter her gerannt. Er trägt noch die Federn und die Strumpfhose und er sieht absolut dämlich aus. Wir schaffen zwar den Bus, aber ich wäre eigentlich lieber gelaufen. Ein verrücktes Mädchen im Presswurst-Brautkleid, ein Typ in Strumpfhose, der aussieht wie ein gerupftes Huhn und noch so ein Typ, bei dem keiner versteht, warum er nicht flieht, solange er noch kann. Mom ist Zuhause. Sie sitzt auf der Veranda, trinkt O-Saft und liest ein Buch als wir kommen. Als das Gartentor zufällt, sieht sie auf und zieht die schön gezupften Augenbrauen zusammen. Sie öffnet den Mund, schließt ihn dann aber wieder und wirft Liam einen fragenden Blick zu.„Bekommt ihr da Drogen in der Schule?" Und dann lachen wir. „Nicht so starke, Mrs Morell", antwortet Liam nach einer Weile und Mom legt das Buch zur Seite.„Am besten zieht ihr beiden euch mal um und ich mache uns was zu essen", schlägt sie vor und geht voran ins Haus.„Du kannst mir helfen, Liam", sagt sie und Toby und ich gehen die Treppe hoch. Ich brauche eine halbe Ewigkeit, weil es so scheiße eng ist an der Hüft und den Oberschenkeln und als ich oben angekommen bin, kommt mir Toby schon in Shorts und T-Shirt wieder entgegen.„Also habe ich das richtig verstanden? Du spielst eine Taube und du Aschenputtel und das ist dein Brautkleid?" Wir nicken, kauen und schlucken. Meine Mutter stochert auf ihrem Teller im Essen rum und dadurch entsteht ein nicht ganz so schöner Brei. Sie sieht uns an und merkt das gar nicht.„Und was spielst du, Liam?" Liam grinst zufrieden.„Ich mache nur die Technik."„Und Tony?" Ich verschlucke mich und sie klopft mir den Rücken. Tony spielt das Arschloch, den Unerreichbaren, den, den ich haben konnte.„Der ist mein Handlanger", versucht Liam das ganze ins Lächerliche zu ziehen und das klappt auch bei allen außer bei mir. Ich sehe auf die Uhr über dem Kühlschrank. Die Probe wäre jetzt zu Ende.-Es ist drei Minuten vor Klausurbeginn und ich kann nichts. Wo ist er? „Ich teile jetzt gleich die Bögen aus und dann werdet ihr anfangen. Wer abschreibt, signalisiert mir damit automatisch, dass er gerne ein F in der Notenliste hätte und weil ich ein ganz großartiger Lehrer bin, erfülle ich natürlich diesen Wunsch." Wo ist er? Er ist gut in Englisch, er braucht nicht schwänzen.„Achso, wer spickt, dem rate ich, dass er sich nicht erwischen lässt", fügt der Typ noch hinzu und dann klingelt es. „Edwards immer noch nicht da?" Nein, ist er nicht. „Gut, dann fangen wir an." Er teilt die Blätter aus und ich sehe nach links aus dem Fenster. „Viel Erfolg. Oder Glück. Was auch immer Sie brauchen." Da ist er. Er steht auf dem Campus, da unten. An der Bank, auf der Toby, Liam und ich sonst oft unser Mittag essen. „Miss Morell? Gibt es ein Problem?" Sie ist bei ihm. Ihre schwarzen Haare sind lockig, sie sieht schön aus, die blöde Schlampe. Er hat seine Arme verschränkt und sie reden.„Miss Morell?" Sie reißt die Arme hoch, er berührt ihre Schulter und dann knallt sie ihm eine.„Miss Morell!" Ruckartig drehe ich mein Gesicht nach vorne. Mein Englischlehrer steht direkt vor meinem Tisch und hat beide Hände aufgestützt. Er sieht mich an, der Schweiß läuft an seiner Schläfe herab und er stinkt.„Ja?" Er stöhnt genervt auf.„Sehen Sie sich in der Lage, die Prüfung zu schreiben?" Nein.„Nein."„Möchten Sie einen Arzt aufsuchen?„Nein." Ich sehe wieder zur Seite. Aus dem Fenster. Anthony ist weg, Vanessa auch. Sie stehen nicht mehr an der Bank. Sie sind beide weg.„Was möchten Sie dann tun?" Es klopft und mein Englischlehrer schließt kurz die Augen. Der hat sowas von keinen Bock auf irgendwas. Er dreht sich Richtung Tür und ruft „Herein!". Als Anthony rein kommt, stehe ich auf. Keine Ahnung warum. Die Blicke meiner Mitschüler wandern zwischen meinem Lehrer, Anthony und mir hin und her. Rechts, links, rechts, links.„Sie sind zu spät. Die Prüfung hat begonnen." Er hält meinen Blick fest, hat er von Anfang an. Sofort als er reingekommen ist. Er sieht mich an.„Ich muss Sie bitten, den Kurs zu verlassen. Die Prüfung gilt als nicht bestanden." Anthonys Mundwinkel bewegen sich. Ich weiß nicht, ob nach oben oder nach unten. Seine Augen lächeln. Er hat eine rosige Wange. Das war ihre Hand. Und dann geht er. Es fühlt sich an, als würde er mich noch ansehen, als er gar nicht mehr da ist.„Miss Morell? Wieso stehen Sie?" Ich setze mich wieder und dann schreibe ich die Prüfung meines Lebens. Ja klar.„Du hast was?" Wir sitzen auf der Bank, an der Vanessa und Anthony sich gestritten haben. Sie haben Schluss gemacht. Toby hat Chemie geschrieben und weil er wusste, wo ich schreibe, hat er vor meinem Raum auf mich gewartet. Bevor er irgendwas sagen konnte, als ich mit einem Strom der letzten Schüler raus gekommen bin, habe ich es ihm erzählt.„Verstehe ich das richtig?" Ich trete von einem Fuß auf den anderen und nicke, vergrabe die Hände in den Taschen der Jeansshorts. „Du solltest ein Essay über die Figurendingsda in Jane Irgendwas schreiben und du hast im Ernst ein Essay über Tony geschrieben?" Ich setze mich hin, stehe aber gleich wieder auf, weil ich so hibbelig bin.„Naja, nicht direkt. Eigentlich darüber, dass er ein Idiot ist und warum. Und..." über unseren Kuss. Ich kann den Satz nicht laut beenden. Scheiße Zoe, was ist nur mit dir passiert?„Ich finde, ich habe das ziemlich gut argumentiert", nuschele ich und Toby schüttelt entgeistert den Kopf.„Bin gespannt, was dein Lehrer dazu sagt." Was, wenn er es wüsste? „Ich hoffe er liest ihn laut vor, weil du so dämlich bist." Wütend stemme ich beide Hände in die Hüften und ziehe die Augenbrauen zusammen.„Verdammt, Toby, was hätte ich denn tun sollen? Ich falle so oder so durch. Shit happens. Meine Fresse, ich steh halt auf den Typen."

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