7. Der Asphalt, der meinen Kopf küsste

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Toby reißt freudestrahlend die Tür auf und macht eine Art Verbeugung. Wie ein kleiner Butler. Er reißt den Mund weit auf und wackelt mit den Händen, ABBA würde ihn bestimmt aufnehmen.

„Zoe, das ist verdammt anstrengend“, quetscht er dann hervor, behält aber die ausladende Gestik. Ich bin mir nicht sicher, was ist, wenn ich jetzt aussteige? Das hier ist doch die reinste Irrenanstalt. Man brauch sich nur mal meinen gestörten Bruder ansehen, der immer noch am explodieren ist. Der Junge hat zu viel Energie, eindeutig. Ich könnte einfach im Auto sitzen bleiben und die Luft anhalten. Irgendwann bleibt mir der Sauerstoff aus und wenn ich richtig gut bin, werde ich ohnmächtig. Mit ganz viel Glück würde ich mir irgendwo den Kopf aufschlagen und elendig glücklich verbluten. Wäre ja schrecklich schade. Ich habe mal gehört, dass man sich selbst nicht durch Luftanhalten ersticken kann. Wie schade. Wäre so viel einfacher. Toby scheint die Schnauze voll zu haben. Kurzerhand legt er beide Arme um mich und ignoriert mein lautes Aufquieken. Eins muss man ihm lassen, er ist ganz schön stark. Dafür, dass er so dünn ist, meine ich. Übertrieben ächzend hebt er mich über seine Schulter und ich hoffe, dass er zusammenbricht und verreckt.

„Toby, lass den Scheiß“, schreie ich ihn an. Mein Shirt rutscht und die Sonne brennt auf meinen Rücken herab.

„Stell dir mal vor ich krieg 'n Sonnenbrand. Wie hässlich ist das denn?!“, meckere ich weiter, gebe aber mittlerweile meine Abwehr auf. Er ist tatsächlich stärker als ich.

„So hässlich wie du“, lacht er und ich kann mich mit Mühe so hochdrücken, dass ich wenigstens einen Teil meiner Umgebung erkennen kann.

„Toby, mach sie nicht gleich kaputt, wo sie wieder Zuhause ist“, feixt mein Vater und läuft hinter uns her. Er trägt meine Taschen.

„Die kann man nicht so leicht zerstören“, murmelt Toby und bleibt stehen. Wir stehen auf der Veranda, nun ja, er steht. Ich blicke auf unseren peinlich gemähten Vorgarten mit der kleinen Hollywoodschaukel und den Bäumchen. Viel verändert hat sich ja nicht. Toby verlagert mein gesamtes Gewicht auf seine linke Hand und öffnet mit der anderen die Tür. Wie schafft er das? Jetzt wirklich, er sieht aus wie eine Antilope auf Diät. Physikalisch ist das unmöglich, was er da gerade macht. Aber davon versteht er ja eh nichts, also hebt er mich ins Haus und selbst an der Treppe macht er nicht Halt. Er will mich in mein Zimmer bringen, er denkt, dass dann alles wie früher ist. Er ist süß. Oben vor meiner Tür lässt er mich runter. Früher haben wir immer in einem Bett geschlafen. Wir hatten ein Hochbett, aber ich hab mich nicht getraut alleine zu schlafen. Dann bin ich nachts immer zu ihm runter geklettert. Er war irgendwie Halt. Bis ich Anna kennengelernt habe, war er mein einziger Freund. Und jetzt, jetzt hält er mir die Tür zu einem Zimmer auf, dass ich seit sechs Jahren nicht mehr richtig bewohnt habe. Als ich elf Jahre alt war und ins Krankenhaus musste, war mein Zimmer Rosa. Also so richtig Mädchen-Rosa. Die Fensterseite zum Garten hatte helle Vorhänge. Direkt daneben stand mein Bett, von der Sonne geküsst. Ich hatte helle Schränke. Ich hatte ein Barbie-Haus. Keins aus Plastik, ein selbst gebautes. Was ist, wenn mein Zimmer immer noch genau so aussieht wie früher. Das wäre ziemlich beschissen, ich bin keine elf mehr. Ich meine, wer spielt denn mit siebzehn Jahren noch Barbie? Wenn es immer noch da steht, verbrenne ich es. Das verspreche ich.

„Hast du auch vor, da noch rein zu gehen?“, reißt Toby mich aus den Gedanken. Habe ich das? Ich hab' s ja nicht mal hingekriegt aus dem Auto zu steigen.

„Nö“, antworte ich daher und gehe zurück zur Treppe.

„Wo ist Mom?“, frage ich, während ich sie herabsteige.

„Arbeiten“, bekomme ich als Antwort.

„Ich will Skateboard fahren.“

„Okay, lass uns skaten.“

Ich fliege hin. Andauernd packe ich mich auf die Fresse und Toby lacht mich aus. Meine Knie und die Handflächen sind schon aufgeschürft und an einigen Stellen blutet es ein bisschen. Doch ich gebe nicht auf und steige immer wieder auf das Brett. Toby sitzt am Straßenrand mit einer Cola und schaut mir dabei zu, wie ich kläglich versage.

„Gib mir mal die Cola“, rufe ich ihm zu.

„Du sabberst da doch rein“, antwortet er trotzig. Hatte ich tatsächlich vor. Schade. Da ich ja keine Cola kriege, stelle ich mich erneut auf das Board und nehme mit dem einen Bein kräftig Schwung. Ein letztes Mal. Anscheinend war das etwas zu heftig, denn ich verliere komplett das Gleichgewicht und falle rückwärts runter. Mit den Händen pralle ich als erstes auf den heißen Asphalt, aber da ich ja keine sonderlich ausgeprägte Armmuskulatur habe, kann ich mich nicht abfedern und schlage mit dem Hinterkopf auch auf.

„Scheiße Zoe“, höre ich Toby durch den Knall in meinem Schädel fluchen. Ich bleibe liegen und warte darauf, dass irgendwas passiert. Wenn ich im Krankenhaus gestürzt bin oder etwas passiert ist, kam gleich das Sondereinsatzkommando und hat mich versorgt wie einen Schwerverletzten. Jetzt beugt sich nur das schöne Gesicht meines Bruders über mich. Seine Augenbrauen sind schon fast besorgt zusammen gezogen und er wischt sich eine Strähne aus der Stirn. Ich möchte mich aufsetzen, aber er hält mich fest.

„Bleib so, du Idiot. Wer weiß ob du nicht 'n Schädelbruch oder sowas hast.“

„Das würde ich schon merken, glaub mir“, antworte ich trocken. Er legt seinen Arm unter meinen Rücken und hebt ihn vorsichtig an.

„Du bist ziemlich hart aufgekommen, Z.“

„Hab ich gespürt.“

„Nein, ernsthaft. Das war echt extrem“, sagt er und stützt mich halb hoch. Meine Beine geben etwas nach und kurzerhand legt er seine Hand in meine Kniekehlen. Er trägt mich zu seiner Cola und setzt mich auf seinen Schoß.

„Küsst du mich jetzt und leben wir dann bis an unser Lebensende glücklich und zufrieden?“, frage ich ihn und mustere ihn ernst.

„Du hast dir ganz schön stark den Kopf gestoßen, Zoe“, meint er nur. Sonst hätte er gelacht, aber er macht sich Sorgen.

„Willst du 'ne Cola?“, fragt er stattdessen und tastet meinen Kopf ab. Er findet das Horn ziemlich schnell. Ich werde ein kleiner Teufel, sagt er.

„Wenn ich jetzt trinke, muss ich kotzen.“ Bei der Chemo musste ich auch immer spucken. Da habe ich den ganzen Tag nichts gegessen. So fühlt es sich jetzt auch an.

„Sollen wir rein gehen?“

Ich schüttele den Kopf. Er streicht mir über das Haar. Es wird immer länger unter seiner Berührung. Wie eine Pflanze, ein Blätterbaum. Es knistert.

„Wir sollten rein gehen“, beschließt er und hilft mir auf. Von ihm tragen lasse ich mich nicht mehr, er darf nur meine Hand nehmen beim Laufen. Der Baum auf meinem Kopf wird immer schwerer und Toby schlingt nur noch einen Arm um meine Taille, bevor ich auf den Rasen kotze. Das ist bestimmt ein guter Dünger.

„Du bist 'n Idiot, Zoe“, murmelt er und schleppt mich rein.

„Nicht in mein Zimmer“, fasele ich noch, bevor ich tatsächlich und echt wegen dem beschissenen Asphalt, der meinen Kopf küssen musste, ohnmächtig werde.

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