8. Die Olle, die mir meine Pizza nicht gegönnt hat

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Ich schrecke mitten in der Nacht auf, zumindest habe ich das Gefühl. Mein Rücken ist schweißnass, keine Ahnung wo ich bin. Aufsetzen bereitet die altbekannte Übelkeit. Ich sehe mich um und suche nach Anhaltspunkten. Licht. Eine Nachttischlampe. Blaue Bettwäsche. Toby' s Zimmer. Gott sei Dank, er hat auf mich gehört. Die Rollos seiner Fenster sind geschlossen, keine Ahnung wie spät es ist. Mir ist schlecht. Vorsichtig stehe ich auf und versuche das scheiße nochmal starke Vibrieren in meinem Schädel zu ignorieren. Schaffe ich es noch bis zum Bad? Ein Schritt, zwei Schritte, drei, vier, fünf. Komm schon, Zoe. Reiß dich zusammen. Hey, ich kriege es tatsächlich hin. Das Badezimmer riecht frisch, gleich nicht mehr. Mit den Schultern auf die Brille gestützt würge ich einige Male.

„Man Z“, murmelt hinter mir jemand und streicht mir über den Nacken. Ich bin klitschnass, so eine Scheiße.

„Wie spät is' es?“, flüstere ich und schmecke Galle.

„Sechs durch. Mom kommt bald. Hab ihr gesagt, sie soll Pizza mitbringen.“

Er lacht trocken auf, ich lache mit.

„Was ist mit Dad?“, räuspere ich mich.

„Schläft. Hat heute Nachtschicht. Hab ihm nichts von vorhin gesagt“, sagt er und ich höre ihn fast mit den Schultern zucken.

„Danke.“

„Sei nicht so nett, Z. Steht dir nicht“, beißt mich seine Ironie trocken in den Hintern.

„Halt' s Maul, Toby.“ Er lacht und dann hilft er mir auf. Etwas Komisches liegt in seinem Blick. Ich kann es nicht deuten, sehr seltsam. Er führt mich zum Waschbecken und ich putze mir die Zähne.

„Willst du schlafen, Zoe?“, fragt er mich und lässt meinen Ellenbogen nicht los.

„Ich will eine Nashornkuh“, antworte ich und spucke ins Becken. Er füllt einen Becher mit Wasser und drückt ihn mir in die Hand. Ich trinke alles aus, gleich kommt mir wieder alles hoch. Das Kleinkind in meinem Kopf ballert mit seiner Rassel auf mein Zentrum für Kopfschmerzen und Brechreiz. Arschlochkind nennt man das in der Fachsprache. Ich sehe ihn an, bestimmt bin ich unglaublich hässlich.

„Hau ab, ich will duschen“, murmele ich.

„Hab dich ja noch nie nackt gesehen“, grinst er und zieht die Augenbrauen spöttisch hoch. Er verschränkt die Arme vor der Brust, er provoziert.

„Das letzte Mal waren wir Kinder, Toby. Ich hab mich verändert. Bin jetzt 'n Krüppel“, antworte ich leise und bin erstaunt, wie feucht die Worte auf meiner Zunge sind. Wie schwer meine Lunge in diesen Sekunden arbeitet. Wie viele Soldaten die Dämme halten müssen, bevor sie aufgeben und brechen. Und Toby, Toby hält mich fest. Er zieht mich an seine Brust, er riecht gut. Ich will auch so gut duften.

„Halt die Klappe, Z. Du bist tausend Mal schöner als jede Olle, die ich gevögelt habe.“

Geduscht und mit frischen Klamotten sitzen Toby und ich unten im Wohnzimmer. Football läuft, ich habe keine Ahnung davon. Toby auch nicht, wir schalten um. Er ist genau genommen ein schlechter Junge, wie kann man als Typ nicht die Football-Regeln kennen? Wir finden einen Horrorfilm. Irgendeine Olle läuft durch eine Mine, hinter ihr taucht ein Kerl mit einer Riesenmaske auf dem Gesicht und einer Sense auf. Ihr Blut spritzt weit, es ist zu hell. Ich weiß, wie Blut aussieht. Dunkelrot. Sehr satt, sehr heiß, sehr dick. Die, die verreckt, hat rosa Blut. Wie unrealistisch. Ihr Darm platzt auf und Toby lacht. Mein Kopf tut weh. Schlüssel rasseln in der Tür, Mom kommt. Es riecht nach Pizza.

„Du hast ihr echt gesagt, sie soll Pizza mitbringen?“

„Klar, du lebst doch dauernd zwischen essen und kotzen“, drückt er mich an sich und küsst die Stachelhaare auf meinem Kopf.

Absätze machen klackernde Geräusche auf dem Boden und eine Tasche wird achtlos auf die Kommode im Flur geworfen.

„Toby?“, ruft sie. Ihre Stimme ist heiser, sie hat geraucht.

„Jap“, antwortet er ihr und lässt mich los. Wir drehen uns zeitgleich Richtung Tür, die Decke rutscht dabei von meinen Beinen. Mir fällt auf, wie hart die Couch ist. Mom steht in der Tür, sie sieht schön aus. Ihre Haare sind hochgesteckt, sie trägt ein Etuikleid. In der einen Hand hält sie einen Pizzakarton, in der anderen ihr Handy. Ich wusste nicht, dass sie so hübsch sein kann. Letztes Mal war sie echt hässlich.

„Zoe Schatz“, lächelt sie schon fast. Sie kommt zu mir, verspürt das Bedürfnis mir die Haare mit einer Hand elektrisch aufzuladen, nachdem sie das Handy auf die Couch geworfen hat.

„Wie geht’s dir?“, fragt sie und kniet sich hin. Im Fernsehen stirbt der nächste Typ, er schreit. Mom interessiert das nicht. Toby lacht.

„Gut“, antworte ich.

„Sie hat sich auf die Fresse gepackt“, feixt mein Bruder.

„Hat sie sich verletzt?“, fragt sie und mustert Toby. Ist ja nicht so, dass ich auch noch da bin.

„Ich tippe auf Gehirnerschütterung. Wir haben gewettet, wie lange sie durchhält, nicht zu kotzen.“

Mom überrascht das nicht. Weder die Wette, noch Toby' s Lachen, noch mein Schädeldröhnen. Fühlt sich an wie Drogen.

„Willst du ins Krankenhaus, Z?“, fragt sie und löst ihre Frisur. Schade, davor war sie schöner. Jetzt hat sie nur noch ihr Etuikleid, das rettet es ein wenig.

„Nö, ich will Pizza.“

„Du musst davon spucken, Zoe“, belehrt sie mich und zieht die Augenbrauen hoch.

„Und wozu hast du sie dann gekauft?“, frage ich trotzig. Toby will nach ihr greifen, aber Mom nimmt sie außer Reichweite.

„Ich wusste nicht, dass du eine Gehirnerschütterung hast“, zuckt sie mit den Schultern.

„Hab ich nicht.“

„Wenn du kotzen musst, bist du selbst Schuld“, informiert sie mich und gibt mir die Pizza.

„Jaja“, murmele ich und beiße in das erste Stück. Selbst wenn ich spucken muss, das ist es wert. Es schmeckt fantastisch. Im Krankenhaus habe ich mal ein Buch über ein Mädchen bekommen, dass jahrelang im Wald festgehalten wurde und dann flieht. Meine Oma hatte es mir geschenkt, sie dachte ich lese gerne. Das Mädchen wusste nicht mal, was Pizza ist. Wie hat sie es genannt? Pizzi? Gott, die hat in ihrem Dasein bis dahin echt was verpasst. Scheiß jetzt mal darauf, dass sie schlechte Zähne und schlechteren Körpergeruch bekommen hat – sie wusste nicht, was Pizza ist. Unvorstellbar. Ich hab mir mal im Krankenhaus mit Toby zusammen eine bestellt. Damals hatte ich noch ein Doppelzimmer. Bis dahin mochte mich meine Zimmernachbarin. Lag vielleicht daran, dass sie auf Toby stand und sich allen Ernstes Hoffnungen gemacht hatte mit ihrer Wollmütze auf der Glatze und den brüchigen Fingernägeln. An dem Tag, als wir die Pizza bestellt haben, ging es ihr schlecht. Sie hatte Fieber und hing dauerhaft an der Transfusion. Ihr Geheule hat mich genervt. Als sie uns dann auch noch angeschrien hat, dass wir die Pizza sofort aus dem Zimmer schaffen sollen, hab ich an ihrer Zurechnungsfähigkeit gezweifelt. Als ob das Miststück die einzige war, die an der Nadel hing und nicht aus dem Zimmer durfte. Ich hätte also nicht mal raus gekonnt und draußen essen können. Toby hat das Problem gelöst, er hat sich mit der Pizza verpisst. So ein Arsch. Danach habe ich ein Einzelzimmer bekommen. Keine Ahnung ob das Mädel verreckt ist oder gesund geworden ist. Hat mich nicht sonderlich interessiert. Ich weiß nur, dass ich seitdem meine Pizza noch mehr schätze. Weil sie sie mir nicht gegönnt hat. Pizza muss man genießen. Vielleicht wurde „Zurück ins Leben“ deshalb mein Lieblingsbuch. Weil das Mädchen Pizza so geliebt hat wie ich. Uns verbindet halt viel.

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