6. Kapitel

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„Das kann nicht sein."

Irritiert blicke ich auf den Zeitplan hinunter, den Sam und Mike vom Ablauf der Tat erstellt haben. Detailliert und ganz ordentlich haben sie die Aussagen der Nachbarn aufgelistet und nach Uhrzeit sortiert. Deswegen kann ihnen kein Fehler unterlaufen sein. Dem Ergebnis dieses Planes nach, muss ihnen jedoch ein Fehler unterlaufen sein. Denn diese Auflistung, ergibt keinen Sinn.

Es fehlt eine gesamte Stunde. Zwischen den Schritten des Täters die Treppe herauf bis zum Schrei, sind laut den Nachbarn genau 65 Minuten vergangen.

Das würde bedeuten, dass der Täter sich eine gesamte Stunde in der Wohnung des Opfers aufgehalten hat, bevor er sie tötete. Was hat er eine Stunde lang dort gemacht?

Hat er sie beobachtet, ausspioniert und auf den perfekten Zeitpunkt gewartet, um sie zu ermorden? So wie er auch geduldig unten vor der Haustür stand und darauf gewartet hat, dass einer der Nachbarn sie von innen öffnet, da er das Haus verlässt? Oder ist der Mord komplett anders abgelaufen, als ich angenommen habe?

Hat der Täter gar nicht gewartet, sondern wurde von Serena erwartet? Hatten sie eine Verabredung, die ausgeartet ist und mit ihrem Tod endete? Ist das logisch? Ich weiß es nicht.

Ich weiß gefühlt gar nichts mehr, dieser Mordfall treibt mich an den Rand der Verzweiflung. Es gibt keine guten Hinweise, keine hilfreichen neuen Erkenntnisse. Alles was wir herausfinden, stürzt uns nur mehr ins Chaos, anstatt es zu beseitigen.

Konzentriert rufe ich mir das Profil des Täters ins Gedächtnis. Gestern Abend hatte ich das Gefühl, seine Gedankengänge nachvollziehen zu können. Ich muss versuchen, erneut so wie er zu denken. Der Täter entscheidet sich niemals für den leichten Weg. Er macht nicht das, was offensichtlich wäre, sondern genau das Gegenteil.

Die offensichtlichste Lösung für diese 65 Minuten wären, dass er eine geheime Affäre mit dem Opfer hatte. Vielleicht war er ein Gast in der Bar gewesen, sie hatten sich gut verstanden und sich verabredet. Er ist zu ihr nach Hause gekommen, sie hat ihm womöglich sogar die Türen geöffnet. Nach dem Sex ist irgendwas passiert, durch das er die Kontrolle verlor und sie tötete. Er verlor die Nerven und flüchtete. Das wäre alles logisch. Aber in diesem Mordfall ist es nicht diese Art von Lösung, die uns ans Ziel bringt. Ich muss denken wie der Täter.

Dieser wartet geduldig im Schatten des Hauses, bis fast schon zufällig ein Nachbar es verlässt und er sich in den Hausflur schleichen kann. Er wählt bewusst die oberste Wohnung im Dachgeschoss aus, obwohl das am riskantesten ist. Er ist geduldig, er hat keinen Zeitdruck. Was wiederum bedeutet, dass diese Tat nicht spontan erfolgt. Er hat die gesamte Nacht Zeit, um sein Opfer zu töten. Also kann er auch versteckt in ihrer Wohnung darauf warten, dass sich ihm die perfekte Gelegenheit bietet, um der Frau das Messer in die Augen zu stechen.

Dieser Kerl ist krank. Er hat eine fast schon perverse Geduld, dieses Warten auf seine Chance, scheint bei ihm der gleiche Nervenkitzel zu sein, wie das Töten an sich. Er ist sehr überzeugt von sich und seinen Fähigkeiten. Er weiß, dass ihm kein Fehler unterlaufen wird, dass er unentdeckt bleibt, bis er sich dazu entschließt, sich zu zeigen und sein Werk zu vollenden.

„Das kann doch sein", korrigiere ich mich, als mir bewusst wird, wie entsetzt mich meine beiden Kollegen ansehen. Sie haben einige Stunden in diese Auflistung investiert und wollen natürlich als Rückmeldung nicht hören, dass sie absoluter Blödsinn ist. Ein Lob bekommen sie aber auch nicht von mir, dafür bin ich einfach nicht der Typ.

Um meine Vermutung zu untermauern, rufe ich Kathy, unsere Gerichtsmedizinerin an. Es dauert ein wenig, bis sie den Anruf entgegennimmt. „Darren, was kann ich für dich tun?"

Ohne eine Begrüßung weiß sie sofort, dass ich etwas von ihr möchte. Sie kennt mich nach all den Jahren einfach schon zu gut. Daher unterlasse ich die üblichen Höflichkeitsfloskeln ebenfalls und falle direkt mit der Tür ins Haus. „Kannst du bitte überprüfen, ob Serena Whitman kurz vor ihrem Tod Geschlechtsverkehr hatte?"

„Ich melde mich, sobald ich was weiß." Bevor ich darauf noch etwas antworten kann, hat sie schon aufgelegt. Ich rechne damit, dass sie sich in ein paar Stunden bei mir mit den Ergebnissen melden wird.

Während ich auf ihren Anruf warte, gehe ich mit Jenny den Pressebericht durch, sodass sie danach endlich die nervenden Reporter mit Neuigkeiten füttern kann.

Es ist schon fast Abend, als sich Kathy endlich bei mir meldet. Es wundert mich nicht, dass sie meine Frage verneint. Serena hatte keinen Geschlechtsverkehr vor ihrer Ermordung. Das bestätigt meine Theorie, dass der Täter wirklich 65 Minuten lang in ihrer Wohnung stand, bevor er zuschlug. Bei der Vorstellung, dass sich jemand in meiner eigenen Wohnung aufhält und mich beobachtet, ohne dass ich es merke, schleicht sich eine Gänsehaut über meinen Nacken.

Es erschreckt mich, wie gut ich mich in den Täter hineinversetzen kann. Und gleichzeitig schockiert es mich, wozu er in der Lage ist. Er ist definitiv ein Psychopath, den ich schnell hinter Gitter bringen muss.

Da mein Team und ich heute genug erreicht haben, schicke ich sie früher als sonst nach Hause. Nur Caleb und Jeremy waren nicht erfolgreich gewesen, was mich aber nicht wundert. Der Täter ist schlau, die Tatwaffe wird nicht leicht zu finden sein. Wenn wir sie überhaupt irgendwann finden sollten.

Die einzige Möglichkeit, heute doch noch an ein paar weitere Antworten zu kommen ist, zurück zu der Bar am Strand zu fahren. Mein Kopf fühlt sich schwer an, das Wirrwarr an Gedanken in meinem Schädel ruft langsam Kopfschmerzen hervor. Daher entscheide ich mich, mir dort ein paar Drinks zu genehmigen und nebenbei vielleicht mit ein paar Leuten zu quatschen, um mein Gewissen zu beruhigen. Es ist kein offizieller Besuch, sondern ein privater mit Hintergedanken. Daher spricht auch nichts gegen etwas Alkohol, ich bin schließlich nicht im Dienst.

Als ich die Bar eine halbe Stunde später betrete, ist sie deutlich besser gefüllt als heute Mittag. Fast alle Tische sind besetzt, die Leute trinken gut gelaunt ihre Cocktails oder essen ein paar Kleinigkeiten. An der Theke sind nur noch ein paar Stühle frei, sodass mir keine große Auswahl bleibt.

Ich setze mich neben einen etwas untersetzten Kerl, der mit leicht gesenktem Kopf sein Glas umklammert hält. Glücklicherweise hat er schon so viel intus, dass er mich gar nicht zu bemerken scheint. Perfekt, dann muss ich nicht mit ihm reden. Er sieht mir aus wie ein Säufer, von dem ich sowieso keine gehaltvollen Informationen bekommen würde.

„Ahh, sind Sie ja doch nochmal hergekommen", freut sich Carol, als sie mich erblickt. Ihre Augen blitzen erfreut auf und ihre vollen Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Mittlerweile sieht ihre Frisur nicht mehr ganz so sortiert aus wie heute Mittag. Ein paar Strähnen hängen wirr aus ihrem provisorischen Zopf heraus und fallen in ihren Nacken. Durch die hochgesteckten Haare gibt sie mir einen grandiosen freien Blick auf ihre helle, nackte Haut. Bestimmt eine ziemlich empfindliche Haut.

Ich räuspere mich, um meine eigenen Gedanken zu verdrängen.

„Was kann ich Ihnen bringen?"

„Einen Schnaps. Einen doppelten", bestelle ich und sie nickt. Kurz darauf stellt sie mir das Glas vor die Nase, in dem kleine Eiswürfel klimpernd gegen den Rand stoßen. Der starke Geruch des Alkohols zieht in meine Nase und ich schließe kurz genießerisch meine Augen. Wie sehr habe ich es vermisst...

Nachdem ich einen großen Schluck getrunken habe, verkneife ich es mir, wohlig aufzuseufzen. Stattdessen blicke ich in das leicht amüsierte Gesicht von Carol, die gemerkt hat, wie sehr ich es genieße, diese Flüssigkeit zu trinken.

Sie tritt direkt vor mich, damit ich sie besser verstehen kann. Irgendwer scheint mittlerweile die Musik lauter aufgedreht zu haben.

„Schade, dass mein Chef heute nicht hier ist. Der hätte Ihnen bestimmt noch mehr zu Serena erzählen können", teilt sie mir mit. Ich winke mit der Hand ab. „Ach nicht schlimm, für heute bin ich mit Arbeiten fertig. Und wenn ich noch etwas von ihm wissen will, kann ich ja nochmal herkommen", zwinkere ich und wundere mich dabei über mich selbst, wieso ich das tue.

Bevor ich mich dafür schämen kann, zu unbedacht gehandelt zu haben, lacht Carol amüsiert und streckt frech ihre Zunge zwischen ihre Zähne. „Sie dürfen natürlich jederzeit wiederkommen, Detektiv."

Neckisch nennt sie mich bei meiner Berufsbezeichnung. Bei jeder anderen Person hätte ich es nervig gefunden, bei ihr jedoch finde ich es heiß. Es erinnert mich an die bescheuerten Rollenspiele, die ich in meiner Jugend ausprobiert hatte.

„Auf das Angebot werde ich bestimmt zurückkommen", grinse ich und trinke das Glas dann langsam aus.

Carol bedient die anderen Gäste, schenkt mir zwischendurch immer wieder nach, bis ich damit aufgehört habe zu zählen, wie viel ich schon getrunken habe. Ich merke den Alkoholpegel in meinem Körper nur daran, dass ich die laute Musik mit der Zeit nicht mehr so anstrengend finde und auch die anderen Menschen um mich herum nicht mehr so stark nerven.

Leider entpuppen sich alle Gäste als nicht nützlich für weitere Forschungen, aber das ist mir auch egal. Ich habe mich wirklich genug mit diesem Fall beschäftigt, da steht es mir wohl noch zu, wenigstens an diesem einen Abend meine Gedanken schweifen zu lassen.

Durch die steigende Promillezahl in meinem Blut wird Carol mit jeder verstreichenden Stunde hübscher und ich frage mich, wieso die anderen Kerle nicht mit ihr flirten. Sie hat einen gut geformten Körper, ist nicht zu dick, aber auch nicht zu dünn. Ihr Lächeln ist süß und sie kontert gut auf Sprüche. Egal wie hektisch es um sie herum wird, sie schafft es, die Ruhe zu bewahren, jeden Gast trotzdem zu bedienen und dabei nichts zu vergessen. Ich beneide sie um dieses Talent.

„Ist es nicht langsam genug?", fragt sie mich, während sie mir das Glas erneut auffüllt. Eine Prise ihres Parfüms weht zu mir herüber und ich hebe den Blick, um ihr in die Augen zu sehen. Diese mustern mich abschätzend, ich meine auch ein bisschen Skepsis in ihnen erkennen zu können. Das stört mich, da ich vor ihr nicht wie ein Säufer wirken möchte. Denn das bin ich nicht.

„Das ist das letzte Glas", versichere ich ihr. Sie zieht ihre Augenbrauen hoch. „Das waren die drei Gläser davor auch. Also ist das hier wirklich das Letzte", beschließt sie mit einem gewissen strengen Unterton. Brummend nicke ich, da ich insgeheim weiß, dass sie recht hat. Ich habe heute zu viel getrunken. Und mir damit auch eine spontqne Affäre mit ihr versaut. Grandios.

Zufrieden nickt sie und bekommt später ein wenig Trinkgeld von mir, als ich meine Sauftour bezahle. Sie lächelt mich freundlich an und wünscht mir höflich einen guten Weg nach Hause.

Ich bedanke mich bei ihr und verlasse leicht schwankend die Bar. Die kalte Abendluft schlägt mir ins Gesicht und ich bleibe stehen, um meinen Kreislauf zu sammeln. Warum merkt man immer erst wenn man steht oder frische Luft bekommt, wie viel man eigentlich getrunken hat?

Ich ärgere mich über mich selbst, während ich umständlich zu meinem Wagen laufe und mich seufzend hinter das Steuer setze. Ich weiß selbst, was für eine dumme Idee es ist, jetzt mit dem Auto zu fahren. Aber anders komme ich nicht nach Hause und morgen zur Arbeit. Also muss ich fahren.

Anstatt dieses Vorhaben aber wirklich in die Tat umzusetzen, bleibe ich noch einige Minuten einfach nur im Auto sitzen und beobachte die Leute, die die Bar ebenfalls verlassen. Einige entfernen sich zu Fuß, andere steigen in ihre Autos und fahren gut gelaunt davon.

Sehr zu meiner Freude regnet es nicht, sodass ich alles um mich herum gut im Blick habe. Daher fällt mir auch auf, als Carol Feierabend hat und die Bar selbst verlässt. Sie läuft zu Fuß die Straße herunter und verschwindet nach einigen Minuten in der Dunkelheit.

Da es im Auto mittlerweile ziemlich kalt ist, starte ich nun doch den Motor und fahre langsam los. Ich konzentriere mich auf die Straße und bete, dass ich keinen Unfall baue.

So richtig durchatmen kann ich erst, als ich bei mir zuhause ankomme und völlig erschöpft in mein Bett falle.
Der Wecker am nächsten Morgen reißt mich aus zusammenhanglosen Träumen und ich sitze senkrecht im Bett vor Schreck.

Brummend fasse ich mir an meine pochende Schläfe und stocke, als ich meine Hand genauer betrachte. Mein Herzschlag beschleunigt sich, Panik wallt in meinem Körper hoch.

Denn an meinen Händen klebt getrocknetes Blut.

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