War ja klar dass das Mädchen bald abdreht.
Dabei hat Siglinde es nur gut mit ihr gemeint, indem sie ihr sogar gewohnte Kleider bestellte.
„Tom! Das sind indische bollywood-Kleider! Wo und für wen sind solche Sachen hier in Deutschland bitte gewohnt?", mischte sich nun auch Gideon mal bissig ein.
Aber vielleicht sehe ich das ja nicht richtig... genau!? Rias Verwandte kommen aus Spanien. Kaufen wir ihr jetzt also nur noch Flamenco-Kleider zum anziehen? Und Irina vom Aussiedlerhof Sonnenschein kommt in zweiter Generation von den Philippinischen Inseln. Also dann Hulla-Röckchen und Blumenkranz?
Und was ist mit Aysel? Sie kommt auch nicht direkt aus der Türkei, aber ihre Eltern. Wenn man eurer verqueren Logik also folgt zwingen wir sie jetzt besser mal  Kopftuch und lange Sachen auch im Sommer zu tragen.
Wer außer mit hält das jetzt für rassistisches Gedankengut?", spottete Gideon kalt in den Link.
Dann müsste ich nun wohl den Killt anlegen, Gideon. Mein Vater kommt aus Schottland, frotzelten eine Männliche Stimme trocken.
Und ich müsste dann wohl Burka tragen, meine Großeltern kommen aus Afghanistan! - Nein Danke! Kann Renas Zorn echt gut verstehen. Haremskleider würde ich echt auch nicht tragen wollen. Schon gar nicht im Winter. Das ist voll creepy!
Oh... Ich aber! Zum Fasching! Ist schon nächsten Monat..., rief eine Mädchenstimme dazwischen.
Louisa! Du sollst doch nicht dazwischenquaken, wenn die Erwachsenen reden!, mahnte Tom nun seufzend im Link an. Wo bist du eigentlich gerade? Ich komme nach Hause und Mama sagt du bist schon seit Stunden weg.
Ich bin in der Klinik, Papa. Da ist es wenigstens warm. Mama möchte mich nicht mehr in der Nähe vom Baby haben, seit ich gedroht habe, es zu beißen, weil sie ja nur noch das Baby mag und mich nun gar nicht mehr. Nur weil ich jetzt ein verdammter Wolf sein muss.
LOUISA, WIE KANNST DU NUR SO ÜBER MAMA REDEN!? UND WENN DU DAS BABY BEIßT WIRST DU GETÖTET, VERDAMMT!
- WILLST DU DAS?

Rena atmete einmal ganz tief ein und schluckte hart.
Komm zu uns rein ins Rudelhaus, Louisa! Wenn deine Eltern nur noch Böse und gemein zu dir sind und dich nicht einmal mehr anhören oder dir helfen ohne zu schreien, dass du getötet wirst, nur weil du verzweifelt die Aufmerksamkeit deiner Mama suchst, dann komm besser zu uns und sei bei uns.
Heute ist es eiskalt draußen.
Und die unbarmherzige Göttin Kali macht keinen Unterschied zwischen Erwachsenen oder Kindern. Sie holt dich, wenn du nun ganz alleine im freien bleibst und erfrierst.", schaltete Rena sich wieder ein und sekundenlang herrschte Stille im Link, bis Tom zu Knurren begann.
Du nimmst uns ganz sicher nicht unsere Tochter weg, Migrantenmädchen! Was erlaubst du dir eigentlich?
Rena hat deiner Tochter Schutz vor der Witterung angeboten, Tom! Was hat das bitte mit wegnehmen zu tun?
Ich habe es dir außerdem schon in den letzten Tagen und Wochen immer wieder gesagt, ... deine Frau schmeißt Louisa einfach raus, und das nun auch noch bei dieser Kälte.
Sie will sie nicht bei sich oder dem Baby haben. Das ist ein zunehmend ernstes Problem.
Also wirst du das nun bitte endlich mit deiner Frau ausdiskutieren! Entweder sie akzeptiert ihre Tochter, so wie sie nun ist, und dann ist sie den ganzen Tag über zu Hause willkommen und darf bleiben, mit dem Baby spielen, mit ihrer Mutter sein, wird geliebt und versorgt, in den Arm genommen und getröstet ... oder aber wir nehmen sie hier bei uns im Rudelhaus auf. Und dich übrigens auch, wenn deine Frau dich nun ebenfalls rausschmeißt. Da sie ja scheinbar gar nicht mehr mit Gebissenen Menschen auskommen will und kann...
   Gideon, was laberst du da? Du bist selbst noch ein Kind..., mischte sich nun wieder Herrman seufzend ein.
„Er ist euer Alpha!",brauste Rena nun doch mal aufgebracht auf. „Er leitet dieses Territorium! Er hat euch alle mit seinem Handeln im Schwarzwald gerettet und hierher geführt und geht nun aus Vernunftgründen sogar eine Beziehung mit mir ein, die er gar nicht kennt, nur damit die übrigen gebissenen Menschen auch weiterhin ein zu Hause haben und nicht zurück zu den anderen Rudeln geschickt werden! Also würde ich es für meinen Teil begrüßen, wenn die Erwachsenen sich nun endlich mal darüber einig werden, ob sie ihn nur immer wieder kritisieren oder wirklich mal selbst was tun wollen.
Ob ihre gebissenen Kinder denn wirklich noch ihre Kinder sind, denn das bin ich auch nicht mehr für meine Eltern, seit ich mich zum ersten Mal verwandelt habe.
Ihre Angst vor mir war viel zu groß, also haben Sie die Polizei angerufen und die brachte mich nach Bonn.
Nun, Bonn gibt es nicht mehr.
Aber es gibt Gideon und dieses Territorium und jetzt irgendwie wohl auch mich. Und ich bin auch schon 17 Jahre alt, kann kochen, kann waschen, kann putzen, kann Medikamente einsortieren, wie es in einer Apotheke sein muss. Und weil ich eine gebissene Göre mit Migrationshintergrund und ohne Eltern bin, kann ich Louisas Leiden tatsächlich nachvollziehen und nun vielleicht sogar mal irgendwo ankommen und einfach die sein die ich nun bin.

Ich habe nicht vor Louisa eine Mutter zu sein, denn die bin ich nicht. Doch habe ich schon sehr vielen gebissenen Wölfen beim sterben zusehen müssen und das will ich nun nicht mehr!
Wenn Ria ihre Tochter nicht mehr will und Tom sie nicht beschützt, sondern nur anschreit, weil sie ganz allein sein und in einem Rohbau Schutz suchen muss, obwohl er ihr ebenfalls gebissener Vater ist, dann ist das tragisch. Und ich biete ihr hiermit meine Freundschaft an, mehr nicht."

Es pochte leise an die Zimmer-Tür und Gideon ging hin um zu öffnen. Da stand Louisa total verdreckt und zerzaust mit hochroten Wangen, Lila Lippen und roter Nase in einem viel zu Bleichen Gesichtchen.
„Bei Gott! Tom du lässt es wirklich drauf ankommen, oder? Louisa ist ja total verfroren!"
„Mach ihr besser mal einen warmen Kakao, Gideon, ich lasse derweil im Bad die Wanne einlaufen. Wir müssen sie schnell wieder warm bekommen ...", sprang Rena auf die Füße. Doch dann strauchelte sie gegen Gideon, der eilig vorgesprungen war um sie aufzufangen.
„Nein, du nicht! ... Abmarsch zurück ins Bett! Und Louisa?! Ausziehen und Kuschel dich dazu! Das Bett ist noch warm.
Ich mach jetzt Kakao und Wärmflaschen und du passt derweil auf, das Rena nicht wieder zu kalt wird und zittert. Wenn doch dann sag es mir sofort im Link!", befahl er dem kleinen Mädchen ernsthaft und sie nickte nur und zog sich die verschmutzte Jacke aus.
   Ich komme und hole meine Tochter ab, sagte Tom nun zähneknirschend.
„Ja das klingt gut! Vielleicht sollten sie aber auch noch ein paar warme Decken mitbringen ... und ihre Mutter könnte ihr schon mal eine heiße Suppe machen..."
   Du sagst uns garantiert nicht was wir mit unserer Tochter tun sollen, du freche Göre!

Rena sah das Gideon wieder aufbrausen wollte, doch sie schüttelte nur zu ihm hingewandt den Kopf. Also schluckte er nur sauer und knurrte leise auf.

„Jetzt und hier, in diesem seltsamen Rudel, in dem ich nun der Alpha sein muss, damit wir überleben können, gilt ab sofort: Wenn jemand von euch Hilfe braucht, Wärme, Essen, Kleidung, dann kann er jeden Werwolf im Rudel um Hilfe bitten. Und jeder von euch ist dazu verpflichtet zu helfen.
Wenn sogar kleine Kinder im Winter rausgeschmissen werden, weil sie gebissene Wölfe sind und ihre Eltern noch Menschen, dann sind sie hier bei uns herzlich willkommen.
Das bedeutet nicht, dass wir auch ihre Erziehung übernehmen. Das bedeutet nur, dass ich so wie immer die Verantwortung für alles übernehme.
Denn so steht es in den Werwolf-Gesetzen.
Denn auch hier hat Rena recht. Wir müssen aufhören, nur wieder jeder für sich zu leben.
Denn ob wir es nun wollen oder nicht, wir sind nun mal ein Werwolf-Rudel. Ein seltsames, menschliches, vielleicht auch total verkacktes und verrücktes Werwolf-Rudel, doch wir sind nun mal alle gebissene Menschen. Und daran führt leider kein Weg mehr vorbei."
   Hört, hört... so kindlich klingt der Junge ja gar nicht.
   Und Rena auch nicht. Sie wollte doch auch nur nett sein zu dem Kind, dass anscheinend fast erfroren ist.
   Ich finde es übrigens ein Unding, dass eine menschliche Mutter ihr gebissenes Kind verstößt...
   Hast recht, und die Frau sitzt auch noch im Rat! Sollte sie das überhaupt dürfen, wenn sie so rabiat ist?
   Ich finde die Idee gut, dass jeder, der hier irgendwo rausgeschmissen wird, zum Rudelhaus kommen kann. Dann kann ich Stefan vielleicht auch ab und zu mal rausschmeißen, wenn er mich zu sehr nervt, mischte sich eine junge Frauenstimme nun fröhlich ein.
Habt ihr vielleicht zufällig eine Xbox? Oder eine PlayStation?, fragte sie noch vergnügt weiter.

Gideon schüttelte nur prompt wieder belustigt den Kopf und die Anspannung wich von ihm.
„Das gilt eigentlich nur für Notfälle, Kora, aber generell, sollten alle, die über etwas reden möchten, die Sorgen oder Probleme haben, Ansprechpartner in den Häusern finden. Denn genau das wurde ja schon längst so eingerichtet.
Wenn ihr mit den Leuten aber nicht zurechtkommt, könnt ihr natürlich auch zu jemand anderen gehen. Findet Freunde untereinander, seid für einander da. Wir sind schließlich nicht aus den Konventionellen Rudeln geflohen, um dann hier noch immer jeder auf uns selbst gestellt zu sein.
Auch ich brauche ab und zu mal Hilfe. Also wäre es schön, wenn mich bald mal alle im neuen demokratischen System unterstützen und nicht immer noch gegeneinander kämpfen. Wenn es wieder so läuft wie gestern, dann muss ich eben mitunter erfinderisch werden um einen Genozid an euch zu verhindern.
Denn ja...
Ich hasse es ebenfalls einen Alpha-Bann über jemanden zu wirken, der nur Unglücklich ist und fliehen möchte. Aber ich werde es wieder tun, wenn ich es muss."
Das ist ein Skandal! Nun bedroht er auch noch die Menschen, genau so wie diese geborenen Viecher, erklang erneut Toms Aufgebrachte Gedankenstimme.
Rena nickte nur stoisch und seufzte leise aber hörbar auf.
„Das ist so typisch erwachsener Möchtegern-Politiker:
Ey! Das ist ein Skandal ... ein Demokrat bedroht den unfreien Rechtsstaat, der Mord und Totschlag, Bedrohung und Verhetzung zulässt! Steinigt ihn, bevor die Bürger noch das Mitbestimmungsrecht erhalten oder - um Gottes Willen - freie Wahlen, bei denen jeder eine Stimme hat und nicht mehr nur allein ein selbst ernannter Rat!", frotzelte sie trocken und eher zu sich selbst die Augen verdrehend.

Einen Moment lang war es noch still im Link... dann plötzlich lachten sowohl Gideon als auch unzählige andere Stimmen darin los wie die Bekloppten, derweil die Erwachsenen Stimmen von Herrmann Tom und Siglinde wüst zu schimpfen begannen.

Ah ja... das Asylanten-Mädchen riskierte da wohl mal wieder eine dicke Lippe...

Glaube ich nicht, Rena.
Glaube ich gerade ernsthaft und tatsächlich gar nicht!