12 - Das Pförtnerhaus

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Nach und nach finde ich in einen Rhythmus aus meistens ausreichend Schlaf, meinem Job, mit So-Ra, der inneren und äußeren Baustelle mit den Jungs und ausreichend entspanntem Privatleben, das natürlich auch den fröhlichen Kino-Abend beinhaltet. Wir stylen uns, gehen essen, ziehen uns den wirklich guten Film, einen groooßen Eimer Popcorn und viel zu viel Cola rein und genießen den unbeschwerten Abend.

Zwei Wochen lang sind der Architekt, die Maurer, Maler, Zimmerleute, Glaser und Dachdecker schwer beschäftigt mit Planungen, Vermessungen, technischen Zeichnungen, Baugenehmigungen. Die Jungs arbeiten sich weiter durch den Dschungel, einmal misten Jeongguk, Taehyung und ich die Garage aus, die Wege werden ausgegraben und fotografiert, bevor alle Steine an den Grundstücksmauern gestapelt werden. Die Betten werden geliefert. Endlich ist der obere Flur wieder frei, denn Jin wird kurzerhand und ungefragt zu Hoseok ins Zimmer verfrachtet.

Tae und Guckie albern viel miteinander rum, es macht Spaß, ihnen zuzusehen. Und manchmal hängt Taehyung an mir wie ein treues Hündchen, wirkt unbeschwert und zuversichtlich. Er denkt viel nach, sucht Bestätigung und schreibt Satz für Satz und Wort für Wort seine beiden Briefe.

Yoongi ist viel außer Haus. Er wirkt immer unausgeglichener, zieht sich immer mehr zurück. Nur für Jeongguk nimmt er sich viel Zeit, versucht, seine Vorlieben und Fähigkeiten aus ihm herauszulocken. Es ist berührend.

Jin lässt keinen Zweifel daran, dass er vom Leben nichts mehr erwartet. Aber er ist doch in winzigen Schritten wacher, präsenter, gesprächiger. Wir können ihn sogar dazu bewegen, von allen Bäumen im Park das Totholz zu sammeln und klein zu sägen oder mit Pflastersteine zu stapeln. Einmal treffe ich ihn an, wie er versonnen in der von Bäumen und kaputten Kacheln befreiten Küche steht und den alten, verrosteten Gasherd anstarrt.

Hoseok koordiniert weiter unter der Woche die diversen Tätigkeiten und macht einen guten Job. Gleichzeitig sehe ich, wie er sehr wachsam beobachtet, dass Taehyung sich verändert, nicht mehr so gebrochen wirkt, immer mehr aus sich herausgeht. Hoseok hat nicht mehr den pragmatischen, zielorientierten Tunnelblick wie am Anfang. Er beginnt, rechts und links zu schauen, den Weg als das Ziel zu betrachten, seine Mitbewohner einzubeziehen, statt sie rumzukommandieren.
Hobi wird ... weicher? Ist das das richtige Wort?

Ein paar Tage später stehen wir zwei Seite an Seite im Gemeinschaftsraum der Pförtnerei und reißen die alte Tapete von den Wänden. Plötzlich hält Hoseok inne und schaut mich stumm an. Ich warte einfach ab. Schließlich bricht es aus ihm heraus.
"Was hat sich zwischen Ihnen und Tae verändert? Was ist passiert, dass Sie so locker miteinander umgehen? Dass er sich Ihnen gegenüber so öffnet? Ich komm einfach nicht drauf!"
Ich höre auf zu arbeiten, hocke mich auf den Fußboden an die Wand und klopfe neben mir in den Staub.

"Setzen Sie sich. Nachdem Sie mir neulich meine drei Erinnerungsstücke gegeben hatten, wollte ich ja nach Hause. Aber neben meinem Auto saß ein verängstigter, trauriger Taehyung. Wir hatten vorher in der Runde noch über ein Leben in der Legalität gesprochen. Erinnern Sie sich? Jedenfalls hat er mir dann erzählt, wie sehr er sich selbst verachtet, und wie viel Angst er gleichzeitig hat, dass alle anderen ihn auch ablehnen. Und irgendwann hat er sich mir dann anvertraut. Er hat mir die Scherben seines Lebens hingehalten und feststellen dürfen, dass ich ihn weder verachte noch hier rauswerfe. Es war eine ziemliche Quälerei, aber er hat endlich mal alles ausgesprochen, ohne Erniedrigung zu ernten. Das hat sich verändert. Er will jetzt Kontakt zu seiner Familie aufnehmen."

Eine Weile schweigt Hoseok neben mir. Ich kann es förmlich hinter seiner Stirn rattern hören.
"Er hat Ihnen seine ganze Geschichte erzählt? Wow! Das hat noch keiner geschafft. Ich weiß auch nur einen Zipfel der Wahrheit."
"Er möchte seinen Eltern einen Brief schreiben. Es hat ihn wirklich viel Überwindung gekostet, darüber zu reden. Aber er hat es geschafft. Ich bin unheimlich froh darüber für ihn."

Stille. Sein Gesicht zeigt Verwirrung.
"Sagen Sie mal, Frau Cho. Sind Sie ein Engel oder so? Wie machen Sie das? Wo nehmen Sie die Geduld her? Wieso sind Sie nie misstrauisch oder sauer oder genervt oder ... was weiß ich? Wie halten Sie uns aus? Das ist doch nicht normal!"
Nanu! Hoseok zeigt Nerven und spricht über seine Gedanken. Jetzt nicht drängeln, Cornelia.
"Definiere normal. Der Tod meines Onkels hat mich aufgerüttelt und mir bewusst gemacht, wie privilegiert mein Leben bisher war. An Ihnen allen kann ich nun sehen, was die nackte Realität, was das Leben noch alles bereithält, wenn man eben nicht so behütet aufwächst wie ich. Jin ist gebrochen worden. Yoongi wurde zum Verstummen gebracht. Jeongguk ist auf der Flucht, Taehyung hat vollkommen seine Selbstachtung verloren."

"Und Sie ..."
Wie formuliere ich das jetzt?
"... Sie sind hart geworden. Hier bin ich, da ist mein Ziel, das ist der grade Weg da hin. Rechts und links stehen mir nur im Weg. Basta.
Ich weiß nicht, ob mein Bild von Ihnen stimmt. Es ist nur mein Eindruck. Dass Sie vom Leben gezwungen wurden, diesen Tunnelblick einzunehmen, damit Sie Ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren. Und ich betone ausdrücklich, dass ich jetzt nicht erwarte, dass Sie mir Ihre Geschichte erzählen."
Hoseok hatte sich angespannt, aber nach meinem letzten Satz kann er wieder loslassen.

"Ich verstehe von Ihnen allen fast nichts, weil Sie so verschwiegen sind, auf Ihre Selbstbestimmung und Ihren Schutz bedacht sind. Ich respektiere das. Auch wenn ich gerne helfen würde. Ich hab ein paar mal schon gedacht, ich gebe auf und ziehe hier auch nur mein Ding durch. Aber Taehyung hat es nicht mehr ausgehalten - die Möglichkeit zur Umkehr zum Greifen nah und doch so unendlich fern. Darum musste er jetzt endlich alles loswerden."
Der junge Mann neben mir nickt, ringt mit sich, sagt schließlich nur den einen Satz.
"Mit Ihrer Einschätzung von uns liegen Sie wahrscheinlich gar nicht so verkehrt."
Dann steht er auf, ohne mich anzusehen.
"Tapete?"
"Tapete!"

Am folgenden Wochenende stellen Hoseok und Taehyung die Wände für die beiden neuen Zimmer in die Garage. Sie freuen sich, dass sie jetzt mit ihrem Wissen und Können vom Bau einen wirklich wertvollen Beitrag für die Gemeinschaft leisten können. Die Zimmerdecken sind nur aus Holz, einer Wärmedämmung und nochmal Holz und reichen nicht bis oben zum offenen Dachgestühl. Die beiden Zimmer stehen also wie ein großer Bauklotz in der Garage. So entsteht auf diesen Zimmerdecken ein bisschen Stauraum, der von der verkleinerten Werkstatt her nutzbar ist. Die beiden Zimmer haben jeweils ein Garagenfenster abbekommen. Und die Zimmertüren öffnen sich zu dem Flur hin, den man durch die Haustür betritt. Es gibt jetzt keine direkte Verbindung von der Garage zum Wohnhaus mehr, aber die paar Schritte können wir auch außenrum gehen.

Das Dach ist nun dicht, vier große Jungs schwingen zu lauter Radiomusik fröhlich die Kleisterpinsel, kleben Tapeten an die Wände, toben sich mit Farben aus und schmettern dabei manche Popsongs mit. Sogar Jin lässt sich von der guten Laune anstecken. Nur Yoongi ist mal wieder in der Stadt.
Ich putze nebenan die fertig geflieste und gestrichene Küche, damit morgen der große Kühlschrank rübergebracht und die Küchenzeile geliefert werden können.
Ich freue mich einfach mit und staune nicht schlecht.
Taehyung hat eine tiefe, samtigweiche Soulstimme. Jeongguk dagegen singt mit einem hellen, klaren Tenor. Aber auch Hoseok und Jin können sich hören lassen. Zu viert klingen sie einfach fantastisch.

Am Nachmittag stößt doch noch Yoongi dazu. Er muss schon eine ganze Weile da in der Tür stehen und sich an der fröhlichen Truppe freuen. Er lächelt entspannt. Aber in dem Moment, in dem ich ihn entdecke, klappt sein Gesicht zu wie eine Auster, er zeigt nur noch den üblichen gelangweilten Ausdruck und geht bald wieder. Ich schaue ihm hinterher und sehe zu meinem Erstaunen, wie er offensichtlich wütend einen Stein am Wegrand wegkickt und schimpft. Der Mann wird für mich immer rätselhafter. Irgendwas rumort in ihm, aber er gibt sich sehr erfolgreich Mühe, nichts davon nach außen dringen zu lassen.

Am Abend tragen die Jungs noch gemeinsam den Kühlschrank rüber und schieben ihn feierlich an seinen zukünftigen Platz. Der Pizzabote darf mal wieder den inzwischen gewohnten Weg den Berg rauf zu uns fahren, die verkleisterten Tapetentische werden mit Folie abgedeckt, und bald sitzen wir gemeinsam um die großen Schachteln herum. Der Umzug wird für Mittwoch Nachmittag festgelegt. Es ist wie ein Etappensieg. Die Stimmung ist ausgelassen.

Spontan halte ich eine kleine Rede, lobe ihren Einsatz, zeige ihnen meine ehrliche Freude an ihren Fortschritten.
"Sorry, Jungs. Ich muss grade mal kurz rührselig werden. Ich bin unglaublich froh, dass Sie da sind, dass Sie so viel mit anpacken, dass Sie mir so vertrauen. Ich bin froh, dass ich am Anfang auf meine Intuition gehört und Sie nicht vertrieben habe.
Ich ... habe meinen Onkel sehr geliebt. Er war ein wundervoller Mensch. Aber weil er in den letzten Jahren in Berlin gelebt hat. In Deutschland ... Ich hab nicht mal mitgekriegt, dass er am Schluss dement war. Das tut ganz schön weh. Die Nachricht von seinem Tod hat mich ziemlich von den Beinen gesägt. Es tut einfach gut, das hier mit Ihnen gemeinsam durchzuziehen."

Meine Stimme ist immer leiser geworden, und jetzt tropfen Tränen auf meine dreckigen Jeans. Aber ich fühle mich wohl in dieser Runde. Nicht mehr allein mit einer riesigen Aufgabe. Schnell fasse ich mich wieder.
"Morgen kommen zwei Kräne, mehrere Bagger und anderes schweres Gerät zur Villa. Anschließend wird diverses Baumaterial palettenweise die ganze Auffahrt hoch abgestellt. Zwischendurch wird hierher die Küche geliefert. Das wird den ganzen Tag lang andauern. Mittwoch ist der Umzug hier runter. Und dann gehts richtig los. Warten Sie einen Moment bitte."

Ich flitze nach nebenan in die Garage und hole die fünf Werkzeugkästen, die ich auf den Decken der neuen Zimmer versteckt hatte.
"Ich habe hier etwas für Sie als Dankeschön und Motivationsspritze. Der gesamte Inhalt gehört ab sofort Ihnen."
Feierlich stelle ich vor jedem meiner Untermieter einen Werkzeugkasten ab. Die vier anwesenden jungen Männer staunen ihr Geschenk an. Ich fange laut an zu lachen beim Anblick ihrer verblüfften Gesichter.

Yoongi ist natürlich informiert worden, dass es Pizza gibt. Aber er kommt nur kurz vorbei, lädt sich schweigend einen Teller voll und verschwindet wieder.
Es ist so schade, dass er selbst sich so ausgrenzt. Und warum hat er sich heute Nachmittag gefreut, so lange er unbeobachtet war, aber dann sofort dicht gemacht, als er sich entdeckt fühlte? Warum wirkte er danach so wütend? Das ergibt doch alles keinen Sinn! Ich glaube, an Yoongi werde ich niemals rankommen.

Als ich am nächsten Tag nach der Arbeit zur Baustelle fahre, herrscht dort rege Geschäftigkeit. Der ganze Park steht von unten bis oben mit Paletten und Maschinen voll. Ein Kran steht schon, und mit dessen Hilfe wird grade der zweite aufgerichtet. Ich parke bei den Müllcontainern und suche mir eine Abkürzung zur Pförtnerei. Unterwegs winken mir Hobi und Tae von der Villa aus zu, und meine Schritte werden sofort beschwingter.
Ich mag meine Untermieter.

In der Küche finde ich Jeongguk und Jin, die gemeinsam an den Küchenmöbeln rumschrauben. Ich überlege kurz, ob die Kombination so gut ist, aber die beiden arbeiten konstruktiv und zügig. Im Moment scheint es also zu passen.
"Hallo, das sieht ja schon toll aus. Danke für Ihren Einsatz!"
Jeongguk grinst stolz und wirkt, als sei er um drei Zentimeter gewachsen. Jin brummt vor sich hin, während er die Bauanleitung studiert.
"Muss ja. Ist auf jeden Fall besser als vorher."
"Miesepeter."
Ich bin erleichtert, dass Jin auf diese freche Bemerkung von Jeongguk nur mit einem Lächeln reagiert. Die beiden raufen sich zusammen. Das bringt viel Ruhe in die Gruppe.

Ich schaue mich ein bisschen um. Die Haustür wurde erneuert, die alte Garderobe ist wieder ordentlich an der Wand befestigt. Das Ende vom Flur füllt ein Schrank mit Bettwäsche, Putzmitteln, einem Staubsauger und Handtüchern für Küche und Bad. Daneben stehen ein grooooßer Wäschesack und mehrere Wäscheständer.

Ich laufe rüber in die Garage. Hier ist es viel heller als vorher, weil ja alle Fenster freigeschnitten wurden. Das noch brauchbare Werkzeug hängt geordnet an der Wand und füllt einige Schubladen der Werkbank. Der Schrott und Unrat ist weg. Boden und Wände sind gefegt. Neben dem Waschbecken steht die neue Waschmaschine. Und das Mofa steht fahruntüchtig, aber blitzblank geputzt in der Mitte wie ein wertvolles Museumsstück. Jeongguk hat sich wohl richtig in das Teil verliebt.
Vielleicht sollte ich eine Werkstatt suchen, wo er eine Lehre machen und das dann tatsächlich für sich selbst reparieren kann? Aber auch dafür müsste er legal sein. Hmpf. Schon wieder eine Sackgasse.

Ich stecke nur noch kurz den Kopf in die Küche und verabschiede mich. Dann schlendere ich hoch zur Villa. Hoseok finde ich im Keller, wo er mit zwei anderen grade an der Entgiftung der Grundmauern arbeitet. Es stinkt bestialisch nach nicht wirklich gesunder Chemie. Schnell halte ich mir den Ärmel vor die Nase. Als er mich auf der reparierten Holztreppe sieht, kommt er mir sofort entgegen und schiebt mich wieder hoch. Er selbst und seine Kollegen haben einen Schutzanzug an und Spezialmasken auf, die Augen, Nase und Mund schützen.

"Oh nein, Frau Cho. Hier kommen Sie nicht ohne Maske runter. Sie wollen doch keine Verätzungen an Augen und Schleimhäuten haben, oder?"
Ich gehorche freiwillig. Oben im Gang nimmt er die Maske ab und lächelt verlegen.
"Tschuldigung, dass ich grade so energisch war. Aber Sie dürfen hier wirklich nicht mehr überall hinspazieren, ohne nachzufragen. Das ist jetzt für eine Weile ziemlich gefährlich."
"Sie rennen offene Türen ein, Hoseok. Ich will mich ja auch nicht in Gefahr bringen."
"Soll ich Ihnen das am Wochenende mal zeigen? Dann hab ich auch eine Schutzmontur für Sie da."
"Ja, gerne."

Unschlüssig bleibt er noch einen Moment stehen.
"Wollen Sie gleich wieder weg? Taehyung hat mich gebeten, ihm Bescheid zu sagen, wenn Sie da sind. Er ist in einem der anderen Kellerräume. Er möchte Ihnen ... ich weiß gar nicht. Ich glaube, er möchte Ihnen was zeigen. Soll ich ihn hochschicken?"
"Wenn er abkömmlich ist ..."
Hoseok setzt sich seine Maske wieder auf, steigt die Treppe runter und biegt unten in den Gang nach links ab. Kurz darauf sehe ich eine ebenso vermummte, schlanke Gestalt hochkommen.

"Taehyung?"
Er nickt bloß, tritt oben in den Flur, nimmt die Schutzmaske vom Kopf und zieht mich ins Wohnzimmer.
"Ich ... hab den Brief an meine Eltern fertig. ... Darf ich Sie fragen, ob Sie den einmal lesen könnten? ... Ich bin so unsicher."
Ich bin am Überlegen. Ich will noch kurz runter zum Architekten und dann eigentlich nach Hause.
"Jetzt gleich? Oder halten Sie es bis morgen aus?"
"Vielleicht könnten Sie den Brief mitnehmen und zu Hause lesen? Wenn das in Ordnung ist! Dann krieg ich das nicht mit ..."
Oh nein, mein Freund. Da musst du schon über deinen Schatten springen!
"Alles klar. Dann lesen wir den Brief morgen gemeinsam. Das ist besser für Sie. Sie müssen keine Angst vor meiner Reaktion haben. Okay?"
Kim Taehyung schluckt, nickt dann, dreht sich um und klettert wieder in den Keller.

Auf dem Weg zum Tor lasse ich meinen Blick an der Fassade der Villa entlang wandern.
Noch so viel zu tun. Aber schon so viel geschafft! Übermorgen ziehen die Jungs um und machen die Villa frei, damit mit den Arbeiten am Dach begonnen werden kann, sobald das Betreten des zweiten Stocks möglich ist.

Der Architekt empfängt mich mit den Genehmigungen für mehrere Bauabschnitte. Wir besprechen die nächsten Schritte. Ich erfahre, wie es möglich ist, ein vierzig Jahre altes Gemäuer zu dämmen, ohne dass Kältebrücken oder Staunässe entstehen.
Und er reicht mir umfangreiche Zeichnungen der neuen Ausgestaltung der Zimmerdecken mit Stuck, die seine Frau nach alten Fotos gemacht hat. Der Architekt erläutert mir, dass sie vorhat, insgesamt im Barock zu bleiben, aber in jedem Raum Elemente einzuarbeiten, die vom früheren Zweck des Raumes erzählen. Das berührt mich richtig.

Ich nehme mir ein bisschen Zeit, um die Zeichnungen von den neuen Stuckelementen genauer anzusehen, und komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Kunsthistorikerin hat sich die Fotos offenbar stark vergrößert, denn in ihren Zeichnungen finden sich winzige Details wieder, die ich als Kind immer besonders geliebt habe. Aber zusätzlich hat sie eben kleine Dinge integriert, die meine Kindheit sofort wieder lebendig werden lassen. Im unteren Erkerzimmer an der Bibliothek zum Beispiel tummeln sich kleine Vögel, Mäuse, Käfer und Eichhörnchen im Blattwerk. In der Bibliothek selbst finden sich zwischen den stilisierten Ranken Bücher, Siegel, Schreibfedern, einzelne Buchstaben, Würfel, Spielkarten und Zahlen.

"Das ist wundervoll. Wie ist Ihre Frau nur auf diese zauberhafte Idee gekommen? Die Räume werden später vielleicht völlig anderen Zwecken dienen, aber ich kann dann trotzdem mit einem Blick zur Decke in Erinnerungen schwelgen. Ich freue mich jedenfalls sehr darauf!"
Ich muss wohl ziemlich enthusiastisch wirken, dass sogar dieser steife Mann anfängt zu lächeln.
"Es freut mich zu hören, dass sich die Mühe gelohnt hat. Sie ist mit der Lupe an die Fotos gegangen, hier auf Leitern an der Decke entlang gewandert und hat ihre Funde mit einer Bildersammlung von europäischen Stuckleisten verglichen. Es ist sicher nicht alles genau wie früher, aber ..."
"Aber sie hat ganz wunderbar die Stimmung in den einzelnen Räumen eingefangen - dazu noch die passenden Farben. Das ist alles, was für mich zählt. Richten Sie ihr bitte meine Freude und meinen Dank aus."
"Das will ich gerne tun, Frau Cho."

Ich spüre selbst das Strahlen in meinem Gesicht, als ich zu meinem Auto laufe.
Siehst du mich, Onkel Harry? Siehst du, wie viel Mühe ich mir gebe, um dein Andenken zu wahren? Siehst du, wie schön alles wird?
Leicht und zuversichtlich fühle ich mich, innerlich offen für neue Gedanken, neue Gefühle, neue Wege, ein neues Ich, das längst überfällig war. Mir ist mal wieder nach einer ausgiebigen Schreibsession auf meinem Lieblingsbalkon.

................................

4.1.2023    -    18.3.2024

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro