33 - Fortschritte

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Montag Morgen.
Müüüde. Blöder Wecker.
Ich quäle mich aus dem Bett. Und bin schlagartig wach, denn auf meinem Nachttisch liegt ein Zettel mit hingekrakelten Notizen. In meiner Schrift. Kaum lesbar, aber eindeutig im Zusammenhang mit der Stiftung.
Schlafwandele ich neuerdings? Wann hab ich DAS denn geschrieben? ...

Namjoon: Geschäftsführer
Jin: Caterer
Facility Manager
Gärtner
Haushalt

Wofür ist das denn? ... Wer weiß, was ich heute Nacht zusammengeträumt habe. ... Die Liste ist auch noch unvollständig. Naja - müssen ja nicht alle. Und werden auch nicht alle. Die wollen sicher ganz was anderes. ... Klingt aber ganz vernünftig. Also aufheben. Vor allem das erste!

Die Liste wandert in die Mappe mit allen unsortierten Notizen. Und die ist heute ungewöhnlich dick. Ich mache Daumenkino und finde die Massen von Ideen, Stichworten und Adressen, die So-Ra und ich gestern Abend zusammengetragen haben. Staunend stelle ich fest, wie konkret unsere Überlegungen für die Stiftung schon sind. Ich lasse einige dieser Gedanken noch einmal durch meinen Kopf wandern, während ich unter der Dusche stehe.
Ja, das passt jetzt alles zusammen. Ich bin gespannt, ob das juristisch auch alles so möglich ist, wie wir uns das vorgestellt haben.

Kaffee machen, anziehen, Beautyroutine, Frühstück. Immer wieder blättern meine Hände in der Mappe. Ein Blick zur Uhr, ein bisschen Hektik, rennen zur U-Bahn - grad noch geschafft. Ich versuche, mich abzulenken, indem ich darüber nachgrübele, was zur Zeit bei der Arbeit eigentlich alles auf meinem Schreibtisch liegt. Klappt nicht. Ich starte in die neue Woche mit Neugierde wegen der Stiftung, Vorfreude auf schöne Stunden mit Namjoon, Daumendrücken für Taehyungs Praktikumsstart, der Hoffnung, diesen Jimin zu finden - und einer schier endlosen ToDo-Liste zu allem.

Freudestrahlend erzähle ich So-Ra von der Idee, Namjoon den Posten des Geschäftsführers zu geben. Sie zeigt mir einen Vogel.
"Nichts gegen Namjoon. Er ist inzwischen ein wirklich netter Typ. Aber welcher Sponsor will seinen guten Namen mit einer Stiftung in Zusammenhang gebracht haben, deren Geschäftsführer ein Betrugs-Ex-Knacki ist?"
"Ganz ehrlich? Genau darum geht es doch. Vertrauen wagen, Türen öffnen, Zukunft ermöglichen. Wer mehr Angst um seinen guten Namen hat als Respekt gegenüber Benachteiligten - der sollte sowieso seine Finger davon lassen."

"Hei, der Slogan gefällt mir. Sofort aufschreiben! Wie war das? Vertrauen wagen, Zu... - nein, anders. ... Ach ja. Vertrauen wagen, Türen öffnen, Zukunft ermöglichen. Klingt gut. Da steckt tatsächlich alles drin. Trotzdem hast du eine rosa Brille auf."
Wie gut, dass wir miteinander über alles lachen können. Wie gut, dass So-Ra immer so ehrlich ist. Und wie gut, dass sie trotzdem bei allem bedingungslos hinter mir steht!

Passend in der Frühstückspause klingelt mein Handy. Es ist Dr. Lee.

"Entschuldigen Sie bitte die Störung bei der Arbeit, Frau Cho. Ich habe eine schnelle Frage wegen Kim Taehyung. Er ist grade anderweitig beschäftigt und hört nicht zu ..."
"Kein Problem. Er hatte ein scheußliches Wochenende. Fragen Sie einfach."
"So einen Verdacht hatte ich schon. Er stellt sich gut an, erfasst schnell. Aber eben ist auf dem Weg zu einem Kunden ein Krankenwagen an uns vorbeigefahren. Allein das Geräusch hat gereicht, dass Taehyung ... nun ... er ist weinend in den Fußraum des Autos gerutscht und seitdem kaum noch aufnahmefähig. Was ist passiert?"

"Oje! Die Kurzfassung: er hat ein Feuer gesehen, die Feuerwehr gerufen und ist wegen seiner Vorgeschichte direkt selbst verhaftet worden. Die Polizeibeamten haben sich sehr erniedrigend benommen, nur ein rechtzeitig auftauchender Zeuge konnte mit seiner Aussage das Ruder noch rumreißen. Und das Ganze mitten in der Nacht."
"Verstehe. Der Ärmste! Diese Angst sitzt tief. Gut, ich werde mich darauf einstellen, damit er schnell wieder Boden unter den Füßen bekommt. Danke für die Auskunft."
"Ich danke Ihnen! Sie müssten sich nicht damit befassen. Aber Taehyung wird es helfen. Das freut mich sehr."

Meine gute Laune und Vorfreude haben einen deutlichen Dämpfer bekommen durch dieses Telefonat. Aber damit ist Tae auch nicht geholfen. Seufzend begebe ich mich wieder an die Arbeit.
Noch einer, der einen Therapeuten braucht. Wenn ich nur wüsste, wo ich anfangen soll. Erst die Therapeuten, erst die Stiftung, erst das Netzwerk, erst die Villa? Als allererstes ein Anwalt, der sich damit auskennt und das alles mit mir sortiert!

Das Treffen mit dem Architekten bringt dagegen heute endlich Bewegung in den Innenausbau. Neben der üblichen Wochenbesprechung stelle ich ihm unsere Idee von einer Stiftung vor, die ein Netzwerk aus sozialen Projekten aufbaut, die daran beteiligten Projekte bezuschusst, Fort- und Weiterbildungen, Supervision und Hilfen bei der Vereinsgründung anbietet, für das Netzwerk und die angeschlossenen Projekte die Öffentlichkeitsarbeit unterstützt durch einen richtig guten Internetauftritt. Und der auch Rechtsbeihilfe für benachteiligte Einzelpersonen und ganze Projekte anbietet. Es sollen eine breite, fachübergreifende Zusammenarbeit entstehen, eine nicht zu überhörende politische Stimme erklingen, Wege zu einer gerechteren und toleranteren Gesellschaft aufgezeigt werden. Die Idee mit Namjoon als Geschäftsführer verschweige ich lieber erstmal.

Herr Lee hört aufmerksam zu und macht dann einen ersten Versuch, diesen Zweck mit der vorhandenen Architektur zu verbinden.
"Ich spreche jetzt mal ins Unreine: das Erdgeschoss muss ausreichend sanitäre Anlagen und eine veranstaltungstaugliche Küche bieten. Die große Zimmerflucht zum Garten hin macht unterschiedliche Nutzungen wie Stiftungssitzungen, Fachvorträge, Konzerte, Benefizveranstaltungen möglich, lässt sich aber durch breite Schiebetüren auch in kleinere Räume aufteilen. Die technische Ausstattung sollten wir einplanen, eventuell sogar bewegliche Bühnenelemente vorsehen."
"Das klingt einleuchtend."

"Im ersten Stock entstehen Seminar- und Konferenzräume, dazu wäre auch eine kleinere Küche sinnvoll. Wieder sanitäre Anlagen, eine gute technische Ausstattung. Im Dachgeschoss würde ich die Büroräume der Stiftung unterbringen. Hier nur eine Teeküche und ein paar Toiletten. Im Keller bringen wir das Archiv unter, Werbematerial, Veranstaltungslogistik."
"Was bedeutet Veranstaltungslogistik?"
"Trennwände, Flipcharts, Stehtische, Hussen für Tische und Stühle, ein Rednerpult. Werbebanner und -Aufsteller. Sowas alles. Ich frage mich dann allerdings allmählich, ob wir einen Fahrstuhl einbauen sollten, damit auch Menschen mit Behinderungen alle Räume erreichen können. Wenn es einen Aufzug gäbe, könnten auch die Bühnenelemente in den Keller."

"Das wäre sinnvoll, ja. Was taugt eine Stiftung, die für barrierefreie öffentliche Gebäude eintritt, im eigenen Haus aber keine Rollstuhlfahrer zu den Seminarräumen bringen kann? Ich bin erleichtert, dass meine Idee Ihnen gefällt und mit unseren bisherigen Plänen für das Haus vereinbar ist. Barrierefreiheit sollte generell angestrebt werden."
"Das hatten wir schon relativ am Anfang einmal notiert, dem steht also nichts im Wege. Gut, dass Sie sich entschieden haben, Frau Cho. Dann kann ich jetzt ganz anders planen und viel konkreter werden. Ich werde Ihnen so schnell wie möglich meine Vorschläge unterbreiten. Und ... Was halten Sie davon? Den Fahrstuhl stelle ich in den Raum hinter dem Kelleraufgang, in das kleinere Zimmer vor der Bibliothek. Da könnten wir dann auch noch einen Garderobenbereich unterbringen."
"Sehr gute Idee. Danke!"

Beim anschließenden Abendessen mit den Jungs erzähle ich von meiner Idee, und wir köpfen darauf spontan eine Flasche Cola. Aber auch hier sage ich nach So-Ra's Reaktion lieber erstmal nichts von meinem Plan mit Namjoon. Die Jungs sind begeistert und sprudeln sofort über vor lauter Ideen. Ich höre mir das einfach alles an und schreibe einige der Vorschläge auf.

"Eine Sache muss ich dann allerdings aussprechen. Ich hatte lange vor, dass ihr alle zurück in die Villa ziehen könnt. Aber mit diesem Vorhaben ist der Plan gestorben. Ihr werdet, so lange ihr das braucht, weiter gemeinsam hier im Pförtnerhaus ausharren oder aber euch nach und nach ein bürgerliches Leben irgendwo in der Stadt aufbauen müssen. Deshalb frage ich euch jetzt ganz offiziell, ob ..."
Namjoon zeigt mir einen Vogel und nimmt mich in den Arm. Hoseok schüttelt den Kopf.
"Ach, Nelli. Dachtest du, das wäre uns nicht allen schon ganz lange klar? Am Anfang war dieses Experiment neu und durcheinander und offen. Da haben wir dieses Gefühl von Sicherheit gebraucht. Aber je mehr wir einbezogen wurden, je besser wir hier unten miteinander klar gekommen sind, je offener wir alle geworden sind - desto mehr Zukunftsperspektiven haben sich für uns geöffnet. Und damit die Möglichkeit, eben nicht hier am Berg kleben zu bleiben. Du hast alles richtig gemacht. Und du vertreibst uns nicht. Uns wirst du sowieso nie wieder los!"

Allgemeines Gelächter löst die Stimmung. Wir überlegen gemeinsam, was für Fachleute wir bei der Umsetzung brauchen. Angefangen beim Geschäftsführer bis hin zu Raumpflegerinnen, einem Hausmeister für das Haus und ein Gärtner für den großen Park drumrum. Ein Hausjurist, eine PR-Abteilung und jemand für die pädagogische Leitung. Da kommt so viel zusammen, dass wir gleich auch noch Angestellte für die Buchhaltung und eine kleine Personalabteilung einplanen.
Allmählich wird mir bewusst, auf was ich mich da einlasse. Es werden jedes Jahr unvorstellbare Summen Geldes bewegt werden. Die Instandhaltung der Villa, das Personal und natürlich die Fördergelder, die ausgeschüttet werden sollen. Da kommt ganz schön was zusammen. Und damit ist auch klar, dass ich als erstes die Juristen brauche. Es soll alles Hand und Fuß haben.

Taehyung ist zum Abendessen noch nicht zurück. Also warte ich auf ihn und genieße die Zweisamkeit mit Namjoon.
Wer weiß, an welchem entlegenen Fleck von Seoul Dr. Lee unseren Taehyung in den Feierabend losgeschickt hat. Oder wieviel Spannendes heute Nachmittag noch passiert ist. Hauptsache, er hat sich wieder gefangen. Etwas besseres als Dr. Lee konnte ihm gar nicht passieren.
Als Tae erst nach 19.30 wieder auftaucht, habe ich inzwischen das Schlimmste befürchtet. Aber er kommt eigentlich ganz fröhlich zur Tür rein. Er hat Hunger wie ein Bär und Redebedarf. Zum Glück hat Jin ihm das Essen warm gehalten. Er zieht sich schnell um und sitzt bald bei uns am Tisch.

"Das war so spannend heute! Das alte Theater wird sehr interessant werden. Da kommen ganz andere Materialien und Techniken zum Einsatz. Und da wird es viel mehr Handarbeit geben. Aber genau dabei verstehe und lerne ich dann die Grundlagen ganz praktisch. Das Gebäude besteht fast ausschließlich aus Holz, Stoff und Papier."
...
"Ich habe auch schon die Architekten kennen gelernt. Die haben ganz große Ohren bekommen, als ich von dem Dachdecker hier erzählt habe. Es hat riesig Spaß gemacht."
...
"Naja ... - bis auf den Krankenwagen. Ich hab mich sooo geschämt. Aber Dr. Lee hat mich ganz schnell wieder rausgelockt aus der Schreck- und Schamecke. Sie ist so freundlich."

Zwischen den Sätzen vertilgt Taehyung Berge von Nudeln, Gemüse und Hühnerbruststreifen. Satt und zufrieden lehnt er sich schließlich zurück.
"Das hat jetzt gut getan."
Sein Gesicht wird nachdenklich. Ich vermute, dass da noch mehr raus will.
"Ich hab versucht, Jimin zu treffen. Deshalb bin ich auch so spät. Wir haben seinen Weg ganz richtig vermutet. Er wollte durch die Unterführung, hat bei meinem Anblick aber sofort kehrt gemacht. Also bin ich ein Stück weggegangen und habe mich vor den Supermarkt gesetzt, damit er wenigstens durch den Tunnel kommt. Als er mich da gesehen hat, hat er sofort eine Vollbremsung gemacht und mich stumm angeschaut. Nur diese Augen! Himmel, hat der eine Geduld.
Ich habe ausprobiert, wie nah ich an ihn ran darf. Er hat mich ziemlich schnell gestoppt. Wir haben uns zwar nicht grade anbrüllen müssen, um uns zu verstehen. Aber ein richtiges Gespräch war das auch nicht. Er hat sich gefreut, dass ich gemerkt habe, wieviel Kraft ihn diese Aktion gekostet hat. Aber er möchte niemandes Freund sein. Immer wieder hat er gesagt:'ich kann das einfach nicht.' Am Schluss hab ich ihn gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn ich ab und zu mal wiederkomme, um zu sehen, ob es ihm gut geht. Da hat er ganz kurz gelächelt. Also - ich darf nach ihm sehen, aber ich darf ihm nicht zu nahe kommen oder folgen."

Kurz schließt Taehyung die Augen.
"Aber mein Gefühl sagt: Ich habe einen hohen Preis bezahlt für meine Dummheit. Und trotzdem seid ihr alle geduldig und aufmerksam für mich da. Ihr habt einfach gewartet, bis ich bereit war, zu erzählen und mich auf was Neues einzulassen.
Was auch immer Jimin quält - ich möchte für ihn der Mensch sein, der erreichbar ist, der geduldig und freundlich abwartet, bis Jimin bereit ist, seine Geschichte zu erzählen und sein Leben zu verbessern. Denn eines ist klar: so viel Angst hat man nicht aus Spaß.
Ich werde also jetzt öfter mal so spät kommen. Damit ich seine Zeiten rausfinden kann. Und vielleicht sein Vertrauen gewinnen kann."
Taehyung hat ganz leise gesprochen am Schluss - als lausche er seinen eigenen Worten, um zu spüren, ob das so richtig ist, wie er sich das denkt.

Die folgenden Tage sind angefüllt mit tausend ToDo's. Ich telefoniere mit Juristen, Steuerberatern, Ämtern. Ich mache mal wieder einen Besuch bei meiner Bank, um mit denen den Stand meines Vermögens und die Voraussetzungen für eine Stiftung durchzukauen. Herr Lee stürzt sich auf die baulichen Aspekte. Seine Frau nimmt die Veränderungen sofort in ihre Pläne auf. Im Moment stehen alle Ampeln auf grün. Das ist ein gutes, ein sicheres Gefühl.

Taehyung wartet still und beharrlich auf Jimin. Sie sehen sich fast jeden Tag. Sie nicken sich zu und gehen ihrer Wege. An die Brandstelle gehen beide nicht mehr. Jimin hat sich einen neuen Weg nach Hause gesucht. Und Taehyung will keine schlafenden Hunde in seiner Seele wecken. Zumindest noch kann er das nicht.

Am Freitag kommt er wieder sehr spät. Diesmal ist er ziemlich wütend.
"Irgendwas stimmt da nicht. Da stand ein Typ mit scharfem Hund am Ausgang vom Tunnel. Und Jimin stand mit Fahrrad mittendrin. Er hat sich keinen Millimeter gerührt und hatte offensichtlich Angst. Also hab ich mich gemeldet, damit er sich nicht umzingelt fühlt, hab nur gesagt 'komm' und bin dann so mit ihm gelaufen, dass ich zwischen Jimin und dem Typ mit Hund war. Ich war froh, dass er mir gefolgt ist. Und dass ich ihm dabei so nahe kommen konnte. Der Typ hat ziemlich dumm aus der Wäsche gekuckt. Wer weiß ... Das Gesicht merk ich mir."

Am Samstag ist Taehyung schon lange verschwunden, als ich zum Frühstück komme. Namjoon hat nur mitgekriegt, dass Tae die Gärtnerei suchen will, bevor er zu seinen Eltern fährt. Dann fällt er sofort ins Koma, weil wir heute Nachmittag mal sowas Normales wie "Pärchen geht in der Stadt bummeln" machen wollen.

Später gibts dann empörte Nachrichten von Taehyung.

"Gärtnerei gefunden. Große Sch... Der selbe Typ, diesmal ohne Hund. Wollte Jimins Fahrrad klauen. Hat kein Schloss. Muss ich unbedingt besorgen. Vielleicht kann Guk am Montag eins mitbringen? Kollege hat das Rad dann reingestellt."

Die Lösung ist viel einfacher. Jeongguk trifft sich später mit seinem Bruder in der Stadt. Da wird er kurz an seiner Werkstatt aussteigen und ein gutes Schloss besorgen.

Namjoon und ich genießen unseren Bummel. Die wochenlange Rekord-Hitzewelle scheint endlich vorbei zu sein, es bleibt aber sommerlich warm. Beim Schaufenster-Hopping merke ich richtig, wie Joonie still versucht, meinen Geschmack kennen zu lernen. Ich verkneife mir das Grinsen und tue ihm den Gefallen. In einem großen Klamottenladen fange ich an, wild durcheinander Sachen anzuprobieren und mich zu verkleiden. Je absurder, bunter und verrückter, desto besser. Irgendwann fängt er aus lauter Verzweiflung an zu lachen.
"Und was davon würdest du wirklich anziehen? Wenn du grade nicht in Alberlaune bist?"
Spitzbübisch grinse ich ihn an.
"Warum willst du das wissen?"
Seine ehrliche Antwort verblüfft mich.

"Weil ich dich erleben, verstehen, aufmerksam behandeln können möchte. Weil in allem, was du sagst, tust, lässt, trägst, vermeidest, anpackst, ein Stückchen von der Frau verborgen ist, die ich jeden Tag ein kleines oder auch größeres Bisschen mehr liebe. Weil du Mensch Sarang Namja für mich bist wie eine Schatztruhe. Ich bin neugierig, was darin verborgen ist. Manchmal darf ich schon reinlunzen, in anderen Momenten finde ich den Schlüssel nicht und schau dir deshalb nur von außen zu. Und ich genieße jeden Augenblick mit dir."

Ich stehe auf einmal ganz still und lausche. Jedes seiner Worte hüllt mich sanft ein und lässt mich fühlen, als ob ich schwebe. Ich schaue Namjoon nur mit großen Augen an. Mein Herz ist randvoll, aber so durcheinander, dass ich kein Wort antworten kann. Nach einer sehr stillen halben Ewigkeit löse ich meine Augen von seinem intensiven Blick, ziehe mir stumm all die Sachen aus, die ich grade gegriffen hatte, und nehme Namjoon mitten in diesem Kaufhaus in der Abteilung für Herren Accessoires ganz fest in die Arme.
"Du lieber Freund! Du beschenkst mich so reich. Du lässt mich so geliebt und geborgen fühlen bei diesen Worten. In deinen Augen bin ich etwas besonderes, und das ist für mich wie ein Wunder. ... Namjoon?"
Seine Stimme klingt leise, unsicher und zerbrechlich wie dünnes Glas.
"Ja?"
Ich muss lächeln.

"Ich wusste bisher nicht, was es bedeutet, wie es sich anfühlt zu lieben. Von dir und mit dir lerne ich es. Es ist unglaublich spannend, mit dir Hand in Hand unseren Weg zu suchen und uns dabei immer tiefer zu erleben. Ob es unser gleichschwingender Humor ist oder unser beider Wunsch, den anderen zu stärken und zu halten. Ich bin glücklich mit dir."
Das Staunen und dann Strahlen in seinem Gesicht ist das Schönste, was ich seit langem gesehen habe. Er greift meine Hände und hält sie ganz dicht an sein Herz.

Dann ändert sich sein Gesichtsausdruck plötzlich. In einer seltsamen Mischung aus glücklich-weich und verblüfft-unsicher schaut er mich an.
"Heißt das ... Ich meine ... Ich ... Scheiße, wie fragt man sowas? Heißt das, dass ich der erste bin ...?"
Verstehe. Ja, bist du, du wunderbarer Mensch.
Wieder muss ich lächeln.
"Ja - ganz genau das heißt es. Es hat mich bisher einfach noch nie interessiert. Aber mit dir will ich diese Reise gerne erleben. Ich freu mich drauf."

Grübchenalarm. Sowas von! Himmel, was für eine wirkungsvolle Waffe in den Händen eines Charmeurs. Und es scheint ihm selbst gar nicht bewusst zu sein. Was es um so sympathischer macht.
"Lass uns von hier verschwinden, Liebes. Ich brauche jetzt Luft zum Atmen und Weite. Sonst platze ich gleich vor Glück."
Wir räumen in Windeseile das Chaos auf, das wir angerichtet haben, und verlassen Händchen haltend den Laden.

Wir bummeln durch einen Park und schließlich am Han entlang. Plötzlich lässt Namjoon meine Hand los, nimmt einen Meter Abstand, senkt den Kopf und verschnellert sein Tempo. Ich purzele runter von Wolke Sieben und schaue ihm sehr verwirrt hinterher.
Was wird das denn jetzt? Hab ich was Falsches gesagt oder getan? Eigentlich ... hab ich die letzten Minuten gar nichts gesagt oder getan! Er wirkt so gehetzt und verkrampft. ... Das will ich jetzt kapieren!
Zügig schließe ich zu Namjoon auf und packe den Stier bei den Hörnern.
"Alles in Ordnung mit dir?"
Nervös schüttelt er den Kopf, seine Augen huschen hin und her.
"Soll ich dich in Ruhe lassen?"
Er steuert eine Bank an.

Kaum habe ich mich daneben gesetzt, fängt er mit gesenktem Kopf an zu flüstern.
"Da waren grade mein ehemaliger Chef und ein paar Kollegen. Ich weiß nicht, ob die mich erkannt haben. Aber ich will jedenfalls nicht, dass du in der Öffentlichkeit mit mir in Verbindung gebracht wirst. Das könnte dir schaden, und das will ich nicht."
Ähhh ..... - ich glaub, es hackt! Was soll das denn jetzt!?!
Ich muss nur kurz überlegen, wie ich Namjoon klar machen kann, dass er grade ziemlichen Unsinn verzapft. Dann rutsche ich nah an ihn ran, drehe ihn energisch zu mir rum und küsse uns beide um den Verstand. Es dauert eine ganze Weile, bis er seine Schrecksekunde überwinden und seine Anspannung loslassen kann. Aber dann legt er auch seine Arme um mich und erwidert den Kuss ganz entspannt.
Besser so. Viel besser!

Und das findet er offensichtlich auch, denn er löst sich nur widerwillig aus der Umarmung und schaut mich kopfschüttelnd an.
"Du total verrücktes Wunderweib! Danke für deine Treue."
"Ich wäre schön blöd, wenn nicht. Du bist nämlich einmalig. Und ich will nicht, dass solche Momente wie vorhin in dem Laden einmalig bleiben müssen. Kommt gar nicht in Frage."

........................
14.2.2023 - 23.3.2024

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