94 - Unterm Weihnachtsstrauß

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Was für ein Tag! Wir haben eine Stiftung gegründet. Wir haben in der Pförtnerei gefeiert und gewichtelt. Mehrere Jungs haben heute ihre ‘Auswärts’-Premiere. So-Ra und Hobi haben all ihre Sehnsucht und Hoffnung in einem gigantischen Schneemann verbaut. Jin ist heute Abend alleine - bis auf den Besuch seiner Eltern, denen er sich ausgerechnet heute stellen will. Sie auf die Probe stellen will.
Ich sitze auf der Rückbank meines Autos, meine vom Fühlen und Grübeln erschöpfte Freundin im Arm, während Namjoon uns zu ihren Eltern fährt für die nächste Etappe - ein festliches Abendessen bei Familie Woo, bei dem die feinfühligen Eltern nicht spüren sollen, wie es ihrer Tochter grade geht.
Keine Ahnung, wie das funktionieren soll. Selbst, wenn sie nicht verweint aussehen würde.

“Liebes, sag mir doch mal, was dir gleich am liebsten wäre. Möchtest du mit Migräne in dein Zimmer flüchten, möchtest du, dass wir deine Eltern ablenken, möchtest du dich in brave, töchterliche so-tun-als-ob-Mithilfe stürzen, möchtest du dich deiner Mutter in die Arme werfen und ihr deinen Kummer ausschütten? Ich tue alles, was du willst und brauchst.”
Ich spüre, wie meine Worte ganz langsam in ihren Nebel sickern und schließlich bei ihr ankommen. Ruckartig setzt sie sich auf und dotzt erstmal gegen die Decke des Autos.
“Autsch!”
Schnell fast sie sich an den Kopf. Meine Fragen arbeiten in ihr.

“Mist! Du hast recht. Was mach ich denn gleich? … Uff. … Keine Ahnung?”
“Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, dass du nicht versteckst, wie du dich fühlst. Auf Nachfrage bittest du um Aufschub bis später. Wir feiern ein bisschen Weihnachten, plaudern beim Essen. Und wenn Joon und ich weg sind, dann schnappst du dir deine Eltern und schüttest ihnen dein Herz aus. Dann wissen deine Eltern von Anfang an, dass sie nur ein bisschen Geduld haben müssen, du weißt dich willkommen und geborgen bei ihnen und kannst darum etwas loslassen. Wir sind später in Gedanken bei dir. Und du kannst heute Nacht besser schlafen. Ich halte es für ausgeschlossen, dass deine wunderbaren Eltern darauf ‘falsch’ reagieren.
Und morgen ist dein Bruder auch da. Bis dahin kannst du das eh nicht unterm Deckel halten.”

So-Ra versinkt in Gedanken. Es ist ziemlich dunkel im Auto. Nur ab und zu huscht das Licht einer Straßenlaterne über ihr Gesicht.
Wenigstens weint sie nicht mehr so verzweifelt. Und sieht nicht mehr so hoffnungslos aus. Ihre Eltern sind sehr tolerante, geistig bewegliche Menschen. Hoffentlich bringt sie nachher den Mut auf und macht eine gute, hilfreiche Erfahrung.
Namjoon sagt zu alledem kein Wort, verzieht keine Miene. Wir haben heute Abend zu zweit noch genug Gelegenheit, darüber zu reden. Jetzt hält er mir nur den Rücken frei, indem er am Steuer sitzt.

Seouls Straßen sind leer, alle Häuser und Gärten sind festlich beleuchtet, aus vielen Fenstern scheint warmes Licht. Der sternenklare Himmel, die klirrende Kälte, der knirschende Schnee erzeugen eine ganz besondere Stimmung, als wir in der Einfahrt parken und aufs Haus zugehen. So-Ra scheint zu einem Entschluss gekommen zu sein. Sie richtet sich auf, lächelt mich an und antwortet kurz auf meinen letzten Vorschlag.
“Du hast recht. Alles andere funktioniert sowieso nicht.”
Kurz darauf tauchen wir ein in die herzliche, familiäre Atmosphäre bei Woos und machen es uns im Wohnzimmer beim Weihnachtsbaum gemütlich. Wir plaudern, reden noch mal über den Vormittag, tauschen Geschenke aus, beobachten die Flammen im Kamin. Ganz ungezwungen. Und trotzdem bin ich irritiert. Entgegen ihrer Aussage behält sich meine Besti gut im Griff, überspielt ihren Kummer.
Aber hatte sie nicht eben noch zugestimmt? Ach, Süße. Tu dir doch  nicht weh.
Es kommt, wie es kommen muss ... Denn ihre wachsame Mutter kann sie doch nicht täuschen.

Die kuckt sich das eine Weile mit an, dann steht sie auf, geht zu ihrer Tochter rüber und nimmt sie einfach in die Arme.
“So, meine Liebe. Und jetzt beenden wir dieses traurige Versteckspiel. Ich weiß, was das heißt, wenn du dich so komisch verhältst wie grade. Wie heißt der Kerl, der dir weh getan hat? Mit wem müssen wir in den Ring steigen?”
Wäre ich eine Außenstehende, würde ich mich jetzt wahrscheinlich über diesen treffsicheren mütterlichen Instinkt köstlich amüsieren. Aber ich bin keine Außenstehende. 
So-Ra seufzt. Dann lacht sie. Dann weint sie. Wir machen neben ihr Platz auf dem Sofa, damit ihr Vater sich dazu setzen kann.

So eingerahmt probiert sie ihre Antwort, denn aufschieben kommt jetzt nicht mehr in Frage.
“Wehe! Das hat er nicht verdient. Er kann überhaupt nichts dafür und ist genau so verwirrt wie ich.”
“Aha. Und warum bist du dann so resigniert, so verletzlich, und was ist stattdessen das Problem?”
“Das beschhhhh…eidene Timing.”
Leise mischt sich der Vater in die seltsame Konversation ein.
“Dann ist es wohl das beste, wenn du vorne anfängst, denkst du nicht auch?”

So-Ra zögert nicht mehr.
“Ihr kennt ihn. Es … ist Jung Hoseok, der Tänzer aus der Pförtnerei. Und er ist elf, zwölf Jahre jünger als ich.”
Ihre wundervollen Eltern nicken, verstehen sofort, lassen ihr aber alle Zeit der Welt weiterzusprechen. 
“Er ist eine durch und durch ehrliche Haut, sehr klar mit sich und seinen Plänen, überhaupt nicht klar mit seinen furchtbaren Eltern, treu und solidarisch gegen jede Ungerechtigkeit.
Er hat einen fantastischen Schulabschluss, gründet grade eine sozialintegrativ orientierte Tanzschule, macht alle möglichen Trainerlizenzen, nebenbei den Führerschein und muss irgendwann noch zum Militär.
Er … er ist wundervoll. Und ich hab einfach Angst. Er soll in seinem Tempo ins Leben finden, soll wachsen und reifen, soll glücklich vorwärts blicken. Und nicht wie das Kaninchen auf die Schlange auf meine biologische Uhr starren und sich unter Zugzwang fühlen.”
Wir schweigen. Was gibt es da noch zu sagen? So-Ra ist nämlich genau so klar und realitätsnah wie Hoseok. Im Grunde ist für sie die Frage damit beantwortet. Aber nicht für ihre Mutter, und das fasziniert mich unbeschreiblich.

“Mein liebes Mädchen. Versuche doch mal, meinen Gedanken zu folgen. Du bist demnächst 34, bist dreimal als hübsches, lebhaft funkelndes Schmuckstück missbraucht und dann fallen gelassen worden. Du wolltest nie allein sein, wolltest eigentlich eine Familie gründen, aber nicht mit einem Kerl, der von dir erwartet, dass du brav zu Hause bleibst, sobald ein Kind da ist. Für dich stand immer fest, dass du auch als Mutter weiter arbeiten würdest und Kinder nur dann sinnvoll sind, wenn der Partner da absolut mitzieht. Jetzt sag mir doch mal, wo dieser wundersame Prinz ist.”
So-Ra seufzt.
“Keine Ahnung.”

“Und wie wahrscheinlich ist es, dass der übermorgen um die Ecke kommt, dich aufrichtig liebt, seine Lebensplanung ganz darauf einstellt und sofort zusammen mit dir deine biologische Uhr überlistet?”
“Keine Ahnung. Und das ist nebenbei bemerkt eine ziemlich brutale Art, mir zu sagen, dass ich versagt habe.”
Autsch! Ist DIE mies drauf.
“Vielleicht wirkt es auf dich so, aber du solltest mich besser kennen. Du hast nicht versagt sondern im Gegenteil schon ziemlich viel erreicht. Ich denke nur, dass deine Vorstellungen von einem glücklichen, gelungenen Leben ein bisschen zu eng gefasst sind. Weite deinen Blick. Es sieht - im Moment - so aus, als ob du nicht beides haben kannst. Einen liebenden, passenden Partner und eine glückliche Familie. Wenn du dich entscheiden musst, was ist dann wichtiger für dein Leben - eine oberflächlich betrachtet heile Musterfamilie mit einem Torschlusspanik-Partner? Oder eine erfüllende Partnerschaft, bei der Kinder immer noch nicht gaaanz ausgeschlossen sind?”
“Hmpf.”
“Aha.”

So-Ra fängt an zu kichern.
“Schon verstanden. Freu dich an einem wundervollen Partner und lass den Rest auf dich zukommen. Hauptsache, euch beiden geht es gut damit. … Ich weiß gar nicht, ob ich mich mit dieser Konsequenz nicht längst abgefunden habe. So ganz leise innendrin. Vielleicht kann ich damit meinen Frieden machen. Dann muss ich Hobi davon überzeugen, dass er wichtiger ist als die biologische Uhr. Und dass ich ihn nicht ziehen lassen werde für irgendeine nebulöse Eventualität. Denn wenn ich Single bleibe, tickt die Uhr doch auch.”
Nervös schaut sie auf ihre Hände.
“Und … jetzt muss ich ‘nur noch’ meine verwirrten Gefühle davon überzeugen, dass mein Verstand recht hat.”
Rae-Jin schüttelt lächelnd den Kopf.
“Wie gut, dass Hoseok noch so viele Weichen stellen muss. Das gibt dir nämlich die Zeit, um dich mit deinen Gefühlen und Träumen zu versöhnen, den Blick zu heben und dein Leben neu zu träumen.”
Sanft und freundlich nehmen die Eltern ihre Tochter in die Arme.

Erleichterung pur! Das dürfte die Lösung sein. Wie schön für die beiden.
Gleichzeitig regt sich auch ein Gefühl in mir.
Das bedeutet es also, sich als erwachsenes Kind vertrauensvoll von der Weisheit und Lebenserfahrung der Eltern leiten zu lassen. Es fühlt sich absolut richtig an so. Und schon auch ein bisschen vertraut. Harry hat meine Abnabelung und Selbstfindung auf seine Weise genau so gut begleitet. Ich hätte das nur nicht so ausdrücken können. 

So-Ra wurschtelt sich aus der Umarmung ihrer Eltern, zieht ihr Handy aus der Handtasche und scrollt etwas durch. Ich ahne, was kommt.
“Schaut mal. Ich hab nach dem Wichteln die Anspannung nicht mehr ausgehalten und bin raus gegangen. Hoseok ist mir gefolgt. Wir haben geredet. Und dann haben wir den da gebaut. Der ist so riesig wie unsere Sehnsucht.”
Wusst ichs doch. Der Schneemann.
Der Vater schmunzelt.
“Der ist wirklich riesig. Da braucht man schon so einen großen Park, um so viel Schnee zusammen zu bekommen. Du siehst ja winzig daneben aus.”
“Wir hatten auch ‘etwas’ Mühe, die beiden Kugeln aufeinander zu bekommen. Wir haben schließlich eine Kiste geholt und mit zwei Brettern eine Rampe gebaut, damit wir die Kugel da hochrollen konnten. … Das hat Spaß gemacht.”

So-Ras Magen knurrt sehr plötzlich sehr laut.
“Und hungrig. Wollen wir essen? Ich brauche jetzt was Normales.”
Ihr Vater wuschelt ihr über den Kopf.
“Das kannst du gerne haben. Und es sieht schön aus, wenn du so lachst wie auf dem Bild. Ich glaube, er tut dir gut. Du kannst sicher sein, dass dieser Mann dich ganz bestimmt nicht als Schmuckstück missbrauchen oder sich bei dir einwanzen wird.”

Namjoon und ich atmen durch und fassen uns an der Hand, während wir aufstehen und den anderen folgen. Rae-Jin drückt mir Untersetzer für diverse heiße Gerichte in die Hand. Wir machen ein paar letzte Handgriffe an der zauberhaften Tischdekoration, während Familie Woo in der Küche wurschtelt und plaudert. Dann zieht Joon mich zum Fenster und nimmt mich in die Arme.
“War das das Geheimnis, das du mir nicht verraten durftest?”
“Ganz genau. Und da hatte selbst ich noch nur eine Ahnung, dass sich was anbahnt. Ich bin froh, dass die beiden das nicht auf die lange Bank geschoben sondern heute ausgesprochen haben.”
“So-Ras Eltern sind fantastisch. Und das wird auch Hobi gut tun. Tolerante Eltern mit Weitblick und gutem Gespür für Grenzen kennt er bisher nicht.”

Das Weihnachtsessen ist herrlich. Ich bin ja aufgewachsen mit beiden Traditionen. An Heilig Abend waren Woos immer bei uns, es gab einen Baum, klassische Dekoration, Lieder, Geschenke und Ente. Am 25. waren Harry und ich dann dort zu Gast, es gab Lichterspektakel, ein sehr festliches koreanisches Essen, Spiele, deren Geschenke und die dort übliche Weihnachtstorte. Im Laufe dreier Jahrzehnte haben sich diese beiden Traditionslinien vermischt. Aber der Höhepunkt war und ist die Torte. Die macht man nicht selbst, in vielen Wohnungen in Korea gibt es gar keinen Ofen. Diese Torte wird beim Bäcker gekauft und stolz präsentiert.

Rae-Jin trägt die Torte auf, während wir anderen schon völlig vollgefressen sind und in Zeitlupentempo den Tisch abdecken. Ich stapele Teller auf einem Tablett. Sie kommt mit zwei weiteren Torten zur Tür rein.
“Jetzt noch Torte? Äh … Torten!!! Wo soll das denn noch hinpassen?”
Rae-Jin strahlt mich voller Überzeugung an.
“Das, meine Liebe, ist mir egal. Ihr müsst auch nur ein Fitzelchen jetzt essen. Ohne kommt ihr hier nicht zur Tür raus. Aber eine davon nehmt ihr dann mit, damit ihr morgen bei euch auch eine habt. Weihnachten ohne Torte gibts nicht.”

Gnädigerweise schneidet sie uns wirklich nur kleine Probierhäppchen ab. Nach einem abschließenden Kaffee machen wir uns schließlich auf zu unserem letzten Ziel für heute. Zum Abschied nehme ich meine Besti fest in die Arme und flüstere ihr ins Ohr.
“Frohe Weihnachten! Mach das beste draus.”
So-Ra nickt bloß und schiebt mich zur Tür raus. Aber sie sieht viel zuversichtlicher aus als heute Nachmittag. Das ist schön zu sehen. Beruhigt krabbeln wir in mein kaltes Auto und fahren nach Hause.

Erschöpft vom vielen Feiern und Schlemmen lassen wir uns aufs Sofa plumpsen. Ich muss mich richtig aufraffen, die Heizung ein bisschen aufzudrehen, leise Musik anzustellen, einen Keksteller, Wein und zwei Gläser aus der Küche zu holen - und natürlich meinen selbst gebastelten Gutschein für Namjoon. Er hat inzwischen eine Papierrolle mit dicker Schleife herbeigezaubert und auf den Tisch gelegt.
Joon öffnet die Flasche Wein und schenkt uns beiden ein.
Sein verschmitztes Lächeln bringt beinahe mein Hirn zum Schmelzen. So müde ich auf einmal bin - diesen strahlenden Augen kann ich nicht widerstehen.
“Und? Worauf stoßen wir jetzt an?”
“Hm. … Ich würde sagen - die Stiftung wurde heute genug gefeiert. Also - auf uns.”
Wir schauen uns tief in die Augen, während wir anstoßen. Ich lehne mich an Joons Schulter und lasse den ganzen langen Tag von mir abfallen.
Ich bin so satt vom vielen Tun und Fühlen und Achtgeben - viel passt da heute echt nicht mehr obendrauf. Tut das gut, einfach nur loszulassen!

“Na, da wird aber grade jemand um zwanzig Kilo leichter. Und ich versteh dich. In diesem Tag war so viel drin an Vorfreude, Orga, Verantwortung, Sensibilität, Freude, Schmerz, Dankbarkeit und noch tausend anderen Gefühlen. Wir können echt stolz auf uns alle sein.”
Ich antworte gar nicht groß. Ich gebe meinem größten Schatz einen Kuss und kuschele mich noch näher an ihn. Joon kichert, lehnt sich zurück und krault mich im Nacken.
So darf dieser Abend gerne ausklingen!
Ich glaube, ich bin schon halb dabei wegzudämmern, als Namjoon mir was ins Ohr flüstert und mich damit schnell wieder wach bekommt.
“Nicht einschlafen, Liebes. Ich hab noch was für dich.”
Ich setze mich auf.
“Ach ja, richtig! Und ich für Dich. Ich bin gespannt, was dir eingefallen ist.”
“Na, dann los!”

Auf dem Wohnzimmertisch liegen nebeneinander unsere beiden festlich verpackten Kreativ Events, denn das steht ja eigentlich schon fest. Fragt sich nur, was drin steckt.
Was will ich denn zuerst? Hm. … Seins!

Ich greife nach der Papierrolle, zupfe die Schleife ab und entrolle das Papier. Es ist ein Stück edles, handgeschöpftes Papier, in dem winzige Sterne eingeschlossen sind.
Ob die Verpackung was bedeutet?
Tut es. Innen drin finde ich die Anmeldung zu einem Kurs, in dem wir alles über die Herstellung von Papier erfahren und anschließend selbst große Bögen schöpfen werden.
“DAS ist ja eine tolle Idee! Das können wir gut brauchen für die Fenster im neuen Haus. Oder für zarte Deko. Da bin ich echt gespannt. Dankeschön!”

Namjoon gibt mir einen glücklich-leichten, kribbeligen Kuss. Ich schließe für einen Moment die Augen und bin nur noch Gefühl.
“Gerne! Auf der Homepage von dieser Firma waren Bilder und Texte, die mir gradezu eine sinnliche Erfahrung von Papier vermittelt haben. Ich hab da gesessen und wollte das sofort ganz unbedingt anfassen. Dieses Sternenpapier ist auch von denen. Der Kurs ist im späten Frühling, weil wir viel Platz brauchen und deshalb zum Teil draußen arbeiten werden.”
“Na, ob ich mich so lang gedulden kann?”
“Wir können jederzeit vorher an einem Wochenende eine Besichtigungstour mitmachen, so als kleinen Vorgeschmack.”
“Das klingt gut. So machen wirs.”

Schnell halte ich Namjoon meinen Umschlag hin.
“Frohe Weihnachten, Joonie. Ich musste im Kopf einige Runden drehen, bis ich bei dem hier rausgekommen bin.”
Lächelnd nimmt Joon den Umschlag an, öffnet die Lasche und zieht die quadratische Karte heraus. Er schmunzelt über meine kleine Collage auf der Außenseite, öffnet die Karte und liest mein Briefchen. Ich sehe ihm an, dass er neugierig ist, aber er lässt sich Zeit, um den Moment auszukosten. Ich dagegen zerspringe fast vor Anspannung, weil ich wissen will, was er davon hält. Jetzt zieht er die klein gefaltete Anmeldung hinter dem Werkzeugkasten hervor, faltet sie auseinander und liest.
“Schnitzen! Das ist eine spannende Idee. Aber was? … Ein Siegel. Tolle Idee! Deins? Und meins?
Oder … unser … Siegel?”

Wir halten beide die Luft an.
UNSER Siegel. Das ist … wie ein Familienwappen. … Das ist das wievielte Mal, dass wir uns beide offen als ‘Paar für immer’ wahrnehmen? Allmählich …
Wir sehen uns an. Namjoon atmet aus. Lächelt, erst etwas unsicher, dann mit immer mehr Freude in den Augen. Ich genieße seinen liebevollen Blick.
Plötzlich steht er auf und geht nach nebenan. Ich höre ihn grufteln. Schließlich kommt er wieder, mit einer alten, bunten, ausgeleierten Kindersocke in der Hand. Er setzt sich wieder zu mir. Räuspert sich.

“Das hier” - Er hebt kurz die Socke an. “Das hier habe ich von meiner Oma geerbt, als ich noch nicht das schwarze Schaf der Familie war. Zum Glück ist es nicht den Gerichtsvollziehern in die Hände gefallen. Das soll jetzt dir gehören, … wenn du es annehmen willst.”
Seine Stimme wird immer leiser, die Luft scheint zu knistern. Ich spüre eine Aufregung in mir, eine Unruhe, ein Kitzelnkribbelnpurzelbäumeschlagen. Mir schießen so viele Gedanken und Gefühle durch den Kopf - ich kapiere absolut gar nichts mehr. Außer, dass dies ein besonderer Moment ist.

“Halt bitte mal deine Hände auf.”
Ich gehorche brav. Im nächsten Moment dreht Namjoon die kleine Socke um und lässt etwas in meine Hände gleiten.
Ein Ring. Ein … Ring. Von seiner Großmutter!
Der Ring ist schmal und schlicht, aus Gold, ohne Stein und anderen Schnickschnack.
Das ist …
“Danke. Was … was ist das für ein Ring? Hatte er für deine Oma eine besondere Bedeutung?”
Namjoon nickt. Ich höre ein leises Zittern in seiner Stimme. Er flüstert.
“Das ist ihr Verlobungsring.”

Mein Herz bleibt stehen. Glaube ich zumindest. Oder so. Dann schlägt es weiter. Ich habe schon in Berlin auf So-Ras Frage danach ganz klar mit ‘ja’ geantwortet. Also gibt es keinen Grund zu zögern. Ich flüstere zurück.
“Den möchte ich sehr, sehr gern annehmen. Du beschenkst mich - so sehr!”
Ich blicke ihm in die strahlenden Augen, versinke in seinen ozeantiefen Grübchen und fühle mich, als ob ich schwebe.
Vorsichtig nimmt Joon mir den Ring aus den Händen und lässt ihn mir auf den Finger gleiten.
“Dann bitte ich dich, meine Frau zu werden. Und mich als deinen Mann anzunehmen.”
“Ja. Sofort!”
Er zieht mich zu sich ran, nimmt mich in die Arme und küsst mich schwindelig, so sanft, so wild, so einzigartig.

“Ich bin der glücklichste Mann auf der Welt. Ich hab jetzt nur ein Problem. Wir sind beide aufgekratzt und trotzdem beide sehr müde. Wenn ich auf die Uhr schaue, denke ich, wir sollten ins Bett gehen. Gleichzeitig habe ich aber Angst, dass ich das hier nur träume und dieser Traum zerspringt, sobald wir uns bewegen. Was kann man da denn machen?”
Verschmitzt grinst er mich an. Dann pustet er die Kerzen aus, hebt mich hoch, knipst mit meinem großen Zeh das Licht aus und trägt mich ins Schlafzimmer. Kurz darauf liegen wir aneinander gekuschelt im Dunklen und halten ganz still, damit der Traum nicht doch noch zerspringt.

“Ich liebe dich, Joonie. So sehr!”
Seine Antwort ist ein glücklich explodierender Kuss. Der Moment ist so magisch. Und gleichzeitig so real - da zerspringt gar nichts mehr. Das ist alles ganz, ganz echt.

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15.1.2024    -    19.1.2024
28.3.2024

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