97 - Befreiungsschlag

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Der Wecker klingelt wieder viel zu früh, aber wir haben bis zur Gala nur noch 36 Stunden. Und wir müssen ja irgendwie umschalten von Jimins vorsichtigem Mut zu dieser nächsten großen Herausforderung. Also werfe ich entschlossen die Bettdecke zur Seite, schwinge schon sehr viel weniger entschlossen die Beine aus dem Bett und beschließe ziemlich unentschlossen, dass ich auch in fünf Minuten noch aufstehen kann. Stattdessen gähne ich, dass es 'Yoongi Löwengähnen' alle Ehre gemacht hätte, und recke mich ausgiebig.
Man sagt doch 'eine Minute richtig recken ersetzt eine halbe Stunde Schlaf.' Oder so.

Mein Körper sieht das anders und sackt trotz ausgiebigen Streckens wieder auf der Bettkante zusammen. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen wie ein kleines Kind. Hinter mir kichert es. Doch Namjoon wird schnell wieder ernst.
"Ich versteh dich ja - das war gestern wirklich extrem herausfordernd. Aber wir müssen heute die Kurve kriegen, sonst wirds morgen eng. Huschhusch, unter die Dusche."
Mit einem Küsschen und erstaunlich viel Energie schiebt er mich von der Bettkante und zwingt mich so, tatsächlich aufzustehen. Ich schleiche ins Bad und gönne mir eine heiße Dusche.

Noch vor dem ganz großen morgendlichen Ansturm auf Seouls Straßen stellen wir eine Stunde später das Auto auf den Parkplatz am Zaun der Villa und machen uns zu Fuß auf den Weg nach oben. Diesmal sind die Teams der Fernseh- und Radiosender rechtzeitig da zum Aufbau und schaffen es darum friedlich, die vorgegebenen Plätze wie gebucht aufzuteilen. Der Caterer testet die Grenzen der Kühlmöglichkeiten aus, Jin steckt mittendrin. Ein penetrantes Piepen deutet an, dass im Saal grade die hydraulische Bühne umgestaltet wird.

Lieferwagen spucken Menschen und Kisten aus, Lebensmittel, Tombolapreise, Technik, dekorative Pflanzen. Werbematerial der eingeladenen Einrichtungen und Vereine wandern entlang einer Kette von fleißigen Menschen zügig die Treppe rauf.
Oben wird die Tombola aufgebaut. Aus dem ersten Stock dringen Hiphop-Klänge.
Hm. Dann sind die Tänzer da, um zu üben. Und ... dann ist auch Hoseok da! Nicht jetzt, Nelli. Grade sind alle so gut eingespielt!

Namjoon verschwindet in sein Büro, ich gehe in den Saal - und bleibe erstaunt stehen. Der Durchblick in den Park ist immer wieder schön, aber was ich da grade sehe, hätte ich niemals erwartet. Draußen befreien Jimin und Taehyung die große Terrasse und alle Ebenen bis runter zum Garten von Schnee, Eis, Dreck und dem letzten Laub vom Herbst. Jimin hat ein Gerät, das mit Hochdruck und heißem Wasser wirklich alle Reste davonschwemmt, Tae folgt ihm auf dem Fuße mit etwas, das wohl heiße Luft produziert, denn statt spiegelglatt zu gefrieren, sind die Natursteinfliesen kurz darauf trocken. Jimin entdeckt mich im Saal, winkt mir kurz zu und lächelt, mein Herz macht einen Hüpfer vor Freude. Allerdings bin ich auch verblüfft.
War das gestern für ihn der Befreiungsschlag? Kein Misstrauen, dass wieder was schiefgeht? Keine Panik vor Menschengewühl und Presse? Das ist ein Wunder!

Mittendrin in dem ganzen geschäftigen Chaos steht Yoongi wie ein Fels in der Brandung, koordiniert alles, beantwortet Fragen, weist den Weg - und hat die Ruhe weg.
"Guten Morgen, mein Lieber! Was würden wir nur ohne dich tun?"
"Moment, Nelli - ja, die Garderobe ist dort rechts. ... Bitte. -
Naja, wen anderen hier hinstellen, was sonst?"
Er grinst mich an, hält jemand die Tür zum Saal auf, unterzeichnet einen Lieferschein, hakt etwas in einer Liste ab, dirigiert den Getränkelieferanten in die Küche, damit Jin sich kümmern kann, und geht nach draußen. Ich folge ihm. Ich bekomme allmählich eine Ahnung davon, wie er es geschafft hat, drei Studiengänge parallel in Regelstudienzeit durchzuziehen.

"Au Mann, Nelli. Man sollte meinen, dass die es gewohnt sind, für alle vernünftig zu parken. Kuck dir dieses Hauen und Stechen an."
"Jupp. Allmählich wirds voll. So schön und elegant dieses vordere Gelände geworden ist. Eine Sache haben wir vollkommen verpennt. Die Auffahrt ist zu schmal, um zwei Autos aneinander vorbei zu lassen. Deshalb müssen die ständig aufeinander warten. Wir bräuchten eine zweite Möglichkeit, wo die abfahrenden Wagen gleichzeitig wieder runter fahren können."
Ratlos lasse ich meinen Blick durch den Park schweifen. Yoongis Antwort dauert einen Moment, kommt aber sehr überzeugt rüber.
"Haben wir doch."
"Und wo?"
"Na da!"
Er zeigt in Richtung Pförtnerei und schickt gleich darauf einen Haufen Leute mit Stangen, Seilen und großen Planen um die Villa nach hinten. Ich stehe etwas auf dem Schlauch.

"Wir haben zwei Tore, Nelli. Und wir haben den gesamten Platz hinter der Hecke so gestaltet, dass man mit einem Auto oder Transporter bis hoch zur Werkstattbahn fahren kann. Also kann man da auch rausfahren."
Ich steige wieder runter vom Schlauch und strahle Yoongi an.
"Das ist genial! Dann muss hier keiner mehr wenden, alle kommen schneller weg, und ... und das gleiche gilt für morgen Abend auch!"
Yoongi grinst schon wieder und hilft zwei Fahrern, aneinander vorbei zu rangieren.
"Kümmerst du dich drum?"
"Bin schon unterwegs!"

Zunächst flitze ich ganz nach oben, um Namjoon über diese Lösung zu informieren. Der strahlt mich an - und geht zum hundertsten Mal heute ans Telefon. Dann gehe ich zu Tae und Jimin.
Über der gesamten Terrasse, der breiten Treppe und dem Tombolagewinn-Auto wird grade ein gigantisches Zelt aufgebaut. Aus Sägespänen wird ein Weg um das Auto drumrum gestreut, Scheinwerfer werden positioniert, drei Leute von Hyundai wienern und polieren die Luxuskarosse, der gesamte Rand von Terrasse, Treppe und Weg wird mit lauter gleichen kleinen Töpfen mit irgendwas Immergrünem vollgestellt, so dass eine hübsche Begrenzung entsteht.

Schnell frage ich die beiden, ob sie mit der Ausfahrt direkt vor ihrer Nase einverstanden sind. Jimin denkt einen Augenblick nach.
"Ich ... penne sowieso bei Tae drinnen. Autos sind also okay. Wir sollten nur irgendwie verhindern, dass da auch Leute rumlatschen."
Das ist ein völlig neuer Jimin!
"Danke, Jimin. Du bist großartig!"
Ich will mich schon wieder umdrehen, aber Jimin hält mich zurück.
"Nelli?"
"Ja?"
"Ich hab ... heute Morgen Anzeige erstattet. Und daraufhin hat sich auch meine Mutter getraut. Ich glaub, jetzt muss ich keine Angst mehr vor ihm haben. ... Oder?"
Mein Herz macht noch einen Freudenhüpfer bei dieser Neuigkeit.
"Du bist der tapferste Mensch, den ich kenne. Prima!"

Jimin bleibt lieber hier, aber Taehyung folgt mir, um mir bei der Organisation der Einbahnstraße zu helfen. Wir improvisieren drei Einbahnstraßenschilder, die wir unten am Haupttor, oben am Rondell und hinter der Hecke runter zum zweiten Tor aufstellen.
"Sollen wir unser Gelände jetzt schon verrammeln?"
"Ich würde sagen, dass wir da im Frühjahr die Hecke ummodeln und zusätzlich einen Zaun hinstellen. Aber für diesmal frage ich glaube ich Jimins Chef, ob dem was einfällt. Dafür, das aufzubauen, ist aber morgen noch Zeit."

Während Taehyung hier die Ausfahrt freiräumt und vorsichtshalber ein paar Eimer Rollsplit darauf verteilt, das Tor öffnet und alles mit Flatterband abtrennt, telefoniere ich erfolgreich mit der Gärtnerei. Die werden sich was Schönes ausdenken und morgen aufbauen.
Währenddessen hat Yoongi die Fahrer über die Änderung informiert, und ein erster entladener Transporter rollt an uns vorbei. Der Mitarbeiter der Gärtnerei, der die vielen kleinen Töpfe gebracht hat, kommt auf mich zu, um sich die improvisierte Ausfahrt anzusehen. Dann kann er nachher mit seinem Chef besser überlegen, was sie hier hinstellen wollen.

Ich selbst packe zwar hier und da mit an, versuche, nicht im Weg zu stehen, aber ich habe nichts richtiges zu tun. Es geht auf Mittag zu, mein Magen knurrt, das Tohuwabohu ist unverändert groß. Ach ja - mein Magen knurrt.
Ich sollte was essen. ... WIR alle sollten was essen.
Ich greife zum Telefon.
"Jin? Ist heute und-oder morgen eigentlich eine Verköstigung dieser ganzen Meute vorgesehen?"
"Nicht, dass ich wüsste."
"Gut, dann mach ich das. In einer Stunde gibts Essen."
Ich überlege kurz. Hier springen grade bestimmt fuffzig Leute rum. Wenn nicht mehr. Also ordere ich zehn riesige Familienpizzen, Berge von Reis und zwei Saucen mit und ohne Fleisch. Ich dirigiere alles direkt zum zweiten Tor, zur Pförtnerei, baue hier sowas ähnliches wie ein Buffet auf, koche hektoliterweise Tee und lasse dann in der Villa die Nachricht verbreiten, dass sich alle zur Pause hierher begeben sollen. Kaum ist das Essen da, strömen die Massen. Die meisten trinken den Tee zum Aufwärmen direkt aus ihren eigenen Bechern, essen die Pizza von der Hand und halten mir ihre eigenen Brotdosen entgegen für Reis und Saucen. Dann gehen die Männer und Frauen wieder an ihre Arbeiten.

Als es wieder ruhig wird in der Pförtnerei, beginne ich, das Schlachtfeld zu beseitigen. Da stehen plötzlich Hoseok und seine jugendlichen Tänzer in der Tür.
"Hat der Heuschreckenschwarm uns was übrig gelassen?"
"Hobi! Kommt rein, es ist noch genug da. Setzt euch."
Die jungen Leute quetschen sich um den großen Tisch und stürzen sich auf Pizza und Reis. Hobi kommt erstmal zu mir, um mich richtig zu begrüßen. Versteckt hinter einer dicken Umarmung flüstert er mir was ins Ohr.
"Tausend Dank für alle Tipps, fürs Mitfiebern, Händchen halten und Mut machen. Wir wollen es wagen."
Wir zwinkern uns an, bevor er sich zu seinen Kids setzt. Mein Herz macht schon wieder einen Freudenhüpfer, diesmal für So-Ra und Hoseok.
Die Kids schaffen es, die gar nicht so wenigen Mittagsreste bis auf den letzten Krümel zu vertilgen, räumen für mich die Küche auf, dann ziehen sie wieder ab nach drüben.

Ich lasse mich aufs Sofa fallen, um einen Moment Pause zu machen. Nur allmählich kehrt Ruhe ein in meinem durcheinander gewirbelten Kopf. Aber trotz der Anstrengung des Vormittags ist es beruhigend zu wissen, dass selbst eine so große Veranstaltung so zielstrebig, strukturiert und sorgfältig vorbereitet wird. Ich kann mich wirklich auf jede und jeden absolut verlassen. Also erlaube ich meinen Gedanken, auf Wanderschaft zu gehen.

Manchmal frage ich mich, ob das Leben nicht mal bitte einen Gang runterschalten könnte. War Heilig Abend nicht schon voll genug? Eigentlich hätten wir alle jetzt eine echte Pause verdient! Und nicht noch lauter Aufreger innerhalb von zwei Tagen obendrauf.
Auf der anderen Seite ist Jimins neues Selbstbewusstsein wundervoll anzusehen. So ganz trau ich ja dem Braten noch nicht, aber dass er gestern von selbst zu uns gekommen ist und uns die ganze Qual offenbart hat, ist auf jeden Fall ein großer Schritt in die richtige Richtung. Ich muss unbedingt Tae fragen, wie es dazu gekommen ist. Ob er nachgeholfen hat?
Jimin ist also im Ghetto aufgewachsen. Wie verrückt, dass er auch nur in Betracht gezogen hat, ausgerechnet DA lang zu flüchten. Vielleicht hat er das gemacht eben, weil er sich da auskennt, aber verrückt war es trotzdem. Kein Wunder, dass er hinterher so fertig war. Und die Typen mit dem Hund waren wahrscheinlich alte Bekannte. WIE gut, dass Tae da nicht locker gelassen hat!

Sein Chef muss ein besonderer Mensch sein, dass er es geschafft hat, aus einem ferngesteuerten Zombie einen so freundlichen Me... Andererseits. Jimin wird von klein auf wie ein ausgetrockneter Schwamm alles und jedes aufgesaugt haben, was ihm helfen könnte. Damit er wirklich gründlich lernt, wer sich wann wie benimmt, was von ihm erwartet wird. Vielleicht hat dieser Vater sogar selbst auf seine furchtbar verquere Art dafür gesorgt, dass Jimin immer höflich und aufmerksam und was noch alles war. Immerhin hat neun Jahre lang kein Lehrer, kein Ladenbesitzer - niemand außen kapiert, wie dieser Junge leben musste.

Hoffentlich wird dieses Monster wirklich langfristig aus dem Verkehr gezogen. Dann kann Jimin sich endlich wie ein normaler junger Mensch bewegen, in die Stadt gehen, sich kaufen, was er braucht. Und eine Therapie machen natürlich.

Mann, was bin ich müde. Das war echt früh heute morgen. Aber andererseits ... wäre ich vor zwei Monaten unter dieser Herausforderung längst zusammen geklappt. Jetzt habe ich wieder die Kraft, so zu powern.

"Nelli? Bist du in Ordnung?"
"Shhhht - sie schläft einfach nur. Sei leise!"
Zu spät, mein Schatz. Gukkies Organ weckt Tote auf ...
"Ups! Sorry, Namjoon."
Ich beschließe, mich nicht zu rühren.
Keine Ahnung, wie spät es ist, aber wenn Guk da ist, werden hier bald alle eintrudeln, dann ist es mit der Ruhe eh vorbei.
Jeongguk schlendert raus, sicher in sein Zimmer. Namjoon scheint sich an den Tisch gesetzt zu haben, den Geräuschen nach zu urteilen. Ansonsten ist es still. Nacheinander kommen noch drei Leute rein. Einer schleicht in die Küche, die beiden anderen wollen offensichtlich gleich wieder rückwärts aus der Tür, aber Namjoon bremst.
"Bleibt hier, das passt schon. Sonst schläft Nelli heute Nacht nicht genug."

"Wie geht es dir heute, Jimin? Ich habe gestern kaum was mitbekommen vor lauter Arbeit. Aber dass du selbst dein Leben völlig auf den Kopf gestellt hast mit ganz viel Mut, das ist zu mir durchgedrungen. Ich bin riesig stolz auf dich."
Mehrere Stühle rutschen, dann unterhalten die drei sich leise weiter.
"Ich habe bei Tae im Zimmer gesessen und gezittert vor Angst. Aber dann ist irgendwas passiert in meinem Kopf. Mir ist bewusst geworden, dass ich schon lange keine solche Panikattacke mehr hatte wie gestern. Und trotzdem war ich während der gesamten Zeit in der Lage wahrzunehmen, dass Tae da ist. Mein Vertrauen in ihn war tatsächlich größer als die Panik."
Jetzt würde ich ja zuuu gerne Taehyungs Gesicht sehen!

"Es war wie ein Dominoeffekt in meinem Kopf. Oder das Häuten einer Zwiebel. Danach konnte ich auch wahrnehmen, dass dieser Polizist von damals schon immer wirklich mit mir mitgefühlt und nicht nur seinen Job gemacht hat. Der Anwalt stellt sich so toll auf mich ein. Yoongi gibt mir Sicherheit. Das alles hat mich schnell runtergeholt.
Wir beide haben viel geredet, und dabei habe ich noch mehr verstanden. Dass ich bis heute 18.00 Uhr auf jeden Fall sicher bin, ganz egal, was danach kommt. Und, dass es in meiner Hand liegt, ob er wieder rauskommt, oder ob ich weiterhin sicher sein kann. Tae hat mir dann Mut gemacht, alles zu erzählen."

Meine Augen sind längst offen, so gebannt habe ich gelauscht, was Jimin zu erzählen hat. Mein Blick trifft den von Joon, und er lächelt mich an.
Dann kann ich auch aufstehen und mich dazusetzen.
Taehyung und Jimin erschrecken ein bisschen, weil das Sofa knarzt beim Aufstehen. Aber dann freuen sie sich, dass ich ihnen Gesellschaft leiste.
"Erzähl ruhig weiter, ich will dich nicht unterbrechen."
"Schon okay. Ich war fertig."
"Hast du denn heute schon was vom Anwalt oder der Polizei gehört?"
"Hm. Von beiden. Sie haben mich einfach bei jedem ihrer Schritte informiert, um mir Sicherheit und Klarheit zu geben. Inzwischen weiß ich, dass der Haftrichter ihn weiter hinter Gittern lässt. Dass der Anwalt erreichen konnte, dass zusätzlich zur neuen Anzeige auch der alte Fall wieder aufgerollt wird.
Es wird untersucht werden, warum er kurz nach Namjoon auf freien Fuß kam. Und sie haben meine Mutter gefunden. Sie konnten mit ihr reden und sie überzeugen, mit zu machen. ...
Ich möchte so gerne meine Schwester kennen lernen."
Die Sehnsucht in Jimins leiser Stimme ist unendlich groß.

Taehyung schüttelt den Kopf.
"Seltsam, dass du erst jetzt darüber nachdenkst. Du wusstest doch, dass sie gegangen ist, weil sie schwanger war."
"Eigentlich ... Als sie ging, wusste ich überhaupt nichts. Und als sie mich angesprochen hat damals, da habe ich das Mädchen gesehen und abgespeichert - aber nicht verstanden. Das ... ist mir erst gestern beim Sprechen so richtig klar geworden."
Warum ist er eigentlich bei all dem - außer der Schwester - so sachlich und leidenschaftslos? Ist das ein Schutzmechanismus? Hat sich der sechsjährige Jimin nicht von seiner Mutter verraten gefühlt? Bedeutet diese Schwester für ihn nicht, dass die Mutter ihn hat im Leid stecken lassen, damit das andere Kind nicht leiden muss? Hat er vor seinem Vater wirklich nur Angst, oder gibt es da irgendwo auch noch richtige Wut? Ich sollte mit Yoongi darüber reden.

Jin kommt aus der Küche und fragt, wer heute alles mit isst. Alle natürlich. Nur ich habe plötzlich das Bedürfnis, den Abend allein zu verbringen und Atem zu schöpfen vor dem ganz großen Event.
"Nehmt es mir nicht übel, Leute, aber ich mache die Biege. Wir sehen uns morgen Mittag."
Namjoon kuckt ein bisschen wehmütig, als ich ihm zum Abschied einen Kuss gebe. Er wird heute Nacht hier schlafen und hatte wohl gehofft, ich würde auch bleiben oder erst viel später fahren. Ich tätschele ihm den Kopf.
"Nicht schmollen, Schatz. Ich bin ganz bald wieder da."
Joon dreht gespielt die Augen zur Decke, und die anderen Jungs brechen in schallendes Gelächter aus.

Kaum bin ich zu Hause, lasse ich mich aufs Sofa fallen und lege die Füße hoch. Die müssen morgen noch genug leisten. Jetzt ist Feierabend.
Apropos Feierabend. So-Ra müsste jetzt grade auf dem Weg nach Hause sein. Die piepe ich mal an.
Ich schnappe mir mein Handy und tippe los.

"Kuckuck, Besti! Ein kleines Vögelchen hat mir heute gezwitschert, dass Du frisch vergeben bist. Ich freu mich riesig mit Dir und Euch. Nur Mut!"
"<<<<<<<3 Im Moment fühlt es sich richtig an. Herz, was willst du mehr?
Aber mal was ganz anderes. Was ziehst Du morgen Abend an? Kenne ich das Kleid, oder hast Du Dich extra in Unkosten gestürzt?"

In Un... ... Ähm. ... Scheiße!

"Erde an Nelli?"
"Scheiße!"
"Wie, sch... Aaah! Ohhh! Scheiße! Und jetzt?"
"Keine Ahnung. Aber ich sollte mich wohl schleunigst auf die Socken machen."
"Viel Erfolg!"

Ich springe vom Sofa auf und renne wie ein aufgescheuchtes Huhn ins Schlafzimmer. Da klingelt mein Handy. Es ist nochmal So-Ra.

"Bist du noch zu Hause? Dann setz dich. Das ist ein Befehl."
Ich bin verblüfft, setze mich aber gehorsam auf die Bettkante.

"Und jetzt?"

"Jetzt holst du tief Luft, sichtest deine Schuhe und deinen Schmuck und entscheidest dich für eine Farbe. DANN fährst du los. Kapiert?"
"Kapiert ... Danke!"

Ich atme tief durch und werfe einen schnellen Blick auf meine schickeren Schuhe.
Die Schwarzen, die Sandalen, die Blauen, die Ro... ne, dazu hab ich nur Sommerklamotten, das Rot ist echt speziell. Die Grünen, die Weißen, ... - das wars.
Von meiner Mutter habe ich einiges an Schmuck geerbt, trage es allerdings selten. Für diese Kostbarkeiten habe ich mich immer zu jung gefühlt.
Morgen ist wohl der richtige Anlass für sowas.
Ich hole das Kästchen hervor und klappe es auf. Kleine Samtsäckchen in edlen Farben lächeln mir entgegen. Zum Teil sehen sie alt aus und tragen das Logo eines deutschen Juweliers.
Die sind sicher von meiner Großmutter.

Wahllos greife ich nach einem blauen Säckchen und finde die Perlen-Saphir-Garnitur, die ich zum Schulabschluss getragen habe. Meine Gedanken wandern zurück zu jenem Tag, an dem ich mich so geehrt und wunderschön und gleichzeitig so seltsam gefühlt habe.
Ich lege die Saphire zurück und öffne das grüne Säckchen. Und weiß sofort, dass ich nicht weiter suchen muss. Wie perlende Tropfen reihen sich Smaragde und Diamanten aneinander. Der Schmuck ist alt.
Wie gerne würde ich jetzt ein Foto sehen, auf dem Mama oder Oma das tragen!

Ich lege die Kette einmal an, damit ich weiß, welche Form der Ausschnitt haben muss. Dann probiere ich die grünen Schuhe an, ob ich es darin wohl acht Stunden lang aushalten werde. Schließlich ziehe ich los. Ein schickes Kleid zu kaufen, macht mit Freundin definitiv noch mehr Spaß, aber das habe ich ja leider verpennt, also geht es auch ohne.

Eine dreiviertel Stunde später rolle ich in die Tiefgarage des riesigen 'Time Square Seoul'-Einkaufszentrums, nobel und teuer, für Leute, die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld. Hier werde ich am ehesten fündig. Also begebe ich mich auf die Jagd nach grünen Träumen. Ich stelle fest, dass sich mein Geschmack kaum geändert hat. Am Ende drehe ich mich in einer tannengrünen, hauchzarten, bodenlangen Organzawolke vor dem Spiegel. Nur das Oberteil ist etwas auffälliger, mit vielen winzigen Strasssteinchen besetzt, die im Licht funkeln. Ich knipse mich im Spiegel und schicke das Bild an So-Ra. Danach bezahle ich mein gutes Stück und freue mich endgültig auf meinen Feierabend.

Noch auf dem Weg nach Hause gehen mehrere Nachrichten ein.
Hihi - meine Besti ist aber ungeduldig.
Trotzdem mache ich es mir zu Hause erstmal gemütlich, bevor ich So-Ra zurückrufe. Wir genießen es, mal wieder so richtig ausführlich zu schnuddeln. Ich erfahre etwas mehr über ihren Beziehungsstatus, der vorsichtig-hoffnungsvoll klingt, wir ratschen unsere Outfits durch, spekulieren über den Verlauf der Gala und den Erlös der Autoauktion. Und schließlich gehe ich müdesattzufrieden ziemlich früh ins Bett.

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31.1.2024 - 28.3.2024

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