(44) Zweifel

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Hicks

Unsere Blicke schnellten zu dem Getränk.
Unschuldig dampfte das Bisschen, was sich noch in unseren Tassen befand, vor sich hin.

Mit einem Satz sprang Astrid von ihrem Stuhl auf, überquerte mit einer Art Drehhocke den Tisch und hielt Selma ihren Dolch an die Kehle.
Ihr Stuhl schlug zusammen mit der Decke klappernd auf dem Boden auf und die drei Tassen, die noch auf dem Tisch lagen, rollten in den verschütteten Teeresten leicht hin und her. Der Buchstapel in der Mitte des Tisches war von Astrid umgestoßen worden und ganz langsam nahmen die Seiten der Bücher den Tee auf.
Wir anderen saßen da wie erstarrt und auch ich konnte nichts Anderes tun, als das Geschehen zu verfolgen, so überrumpelt war ich.
„Was hast du in Tee getan?!"
Astrids Stimme zitterte leicht, vermutlich vor Anspannung. Hoffentlich vor Anspannung und nicht aus einem anderen Grund.
Selma schüttelte seufzend den Kopf.
„Es ist immer das Selbe. Man sollte doch meinen, ich würde dazulernen, aber dafür bin ich anscheinend schon zu alt."
Die Augen meiner Verlobten sprühten fast schon Funken.
„Was. Hast. Du. In. Den. Verdammten. Tee. getan?!"
Verständnislos sah Selma sie an.
„In den Tee? Wenn du den Dolch runternimmst, kann ich dir die Teeblätter-"
Demonstrativ drückte Astrid die Klinge noch etwas mehr an den Hals der alten Dame.
„Die Teeblätter interessieren mich einen Yakdung. Was hast du zusätzlich in das Getränk gemixt?"
„Was hätte ich denn-"
„Nur, damit du mich nicht falsch verstehst: Ich habe keinen einzigen Tropfen dieses Gemisches zu mir genommen. Also würde ich dir empfehlen, nicht länger die Scheinheilige zu spielen!", fauchte Sturmpfeils Reiterin schon fast.

Das erklärte, weshalb sich eine so große Pfütze um die Scherben von Astrids Tasse gebildet hatte.
Wieso war ich nicht auch darauf gekommen, den Tee nicht wirklich zu trinken? Moira hatte uns sogar noch gewarnt.
Andererseits hatte Selma nicht so gewirkt, als würde sie uns vergiften wollen oder uns irgendwie anders hintergehen. Und ich Schafskopf war auch noch auf ihre freundliche Art hereingefallen.
Wenn jemand zu nett war, dann war es doch immer eine Falle. Absolut immer. Ohne Ausnahme. Warum kapierte ich das einfach nicht? Nein, ich fiel jedesmal erneut darauf rein. Aber sobald man mir gegenüber abweisend war, musste ich mehr erfahren und begann, Dinge zu hinterfragen. So waren wir überhaupt erst in diese Situation gekommen.
Ich hasste es.
Warum musste meine Neugier immer stärker sein als meine Vernunft?

Das einzig Positive in diesem Moment war, dass Ohnezahn nicht hier war. Wenn ihm etwas zustoßen würde, weil ich einen Fehler begangen hatte, würde ich mir das nie verzeihen.
Allerdings galt das Gleiche auch für meine Freunde, insbesondere Astrid. Tja, und die waren leider fast alle anwesend. Nicht nur das, die meisten hatten so wie ich auch den vergifteten Tee getrunken.

Anstatt Astrid zu antworten, sah Selma uns der Reihe nach an. Noch immer konnte ich in ihrem Gesicht keine Freude oder Boshaftigkeit erkennen, sie sah eher ein bisschen traurig aus.
„Fühlt ihr euch denn vergiftet?"
Mir fielen augenblicklich an die zwanzig Dinge ein, die ich der alten Frau jetzt am liebsten an den Kopf werfen würde. Nicht bei allen handelte es sich nur um Worte. Unsere Situation erinnerte mich stark an einen anderen Vorfall, in dem Händler Johann nicht unbeteiligt gewesen war.
Mein Verstand sagte mir immer und immer wieder, dass wir in eine Falle getappt waren, dass wir vergiftet worden waren, dass wir Selma überwältigen mussten.
Aber irgendetwas hielt mich davon ab, wie Astrid aufzuspringen und mein ebenfalls im Schuh verstecktes Feuerschwert auf die Frau zu richten.
Meine Nerven waren zwar zum Zerreißen gespannt und jeder Regentropfen, der die Hauswand traf, ließ mich innerlich zusammenzucken, aber ich konnte und wollte irgendwie nicht meinen Ort wechseln. Etwas tief in mir drin war einfach der Meinung, dass es falsch wäre. Noch dazu fand ich, so sehr ich auch suchte, nichts Verdächtiges in diesem Raum. Von dem Zeichen an der Wand mal abgesehen. Keine versteckten Waffen, keine Netze, Seile oder sonstige Hinweise auf Kampfausrüstung. Nichts, was auf weitere Personen, die sich bisher versteckt hatten, hinwies. Es gab nichtmal eine Axt, um Feuerholz zu hacken.
Auch an oder besser in mir selbst kam mir nichts verdächtig vor. Mein Hals brannte nicht, kein einziger Muskel verkrampfte aus einem nicht erkennbaren Grund.
Die Wahrheit war, dass ich mich ganz normal fühlte.

Dennoch. Laut Moira konnten wir dieser Frau nicht trauen und es war auch so einfach alles perfekt für eine Falle geeignet.
„Noch nicht.", antwortete ich deshalb.
„Ihr glaubt also wirklich, ich hätte euch vergiftet?"
In Selmas Augen konnte ich immer mehr den Schrecken erkennen.
„Offensichtlich.", antwortete Astrid prompt, „Ich frage dich das jetzt noch ein allerletztes Mal; was hast du in den Tee gemischt?"
Die alte Frau holte einmal tief Luft und atmete dann langgezogen aus.
„Kräuter aus meinem Garten und heißes Wasser. Wenn Dir das als Antwort noch nicht reicht, dann denke bitte daran, dass ich aus genauso einer Tasse wie ihr den selben Tee getrunken habe. Selbst wenn ich Gift hineingetan hätte, ich hätte die Tassen niemals auseinanderhalten können."
Astrid sah nicht so aus, als würde sie auch nur ein einziges dieser Worte glauben.
Selbst Selma musste das mitbekommen haben, aber sie blieb -was auch sonst- gelassen.
„Ich verstehe, dass du mir nicht einfach so glaubst. Aber ich versichere dir, ich bin kein Unmensch. Ich hintergehe niemanden und ich vergifte erst recht keine Gäste."
„Komisch. Moira hat uns da etwas komplett Anderes erzählt."
Verwundert blinzelte die alte Dame.
„Tatsächlich? Und ausgerechnet du glaubst ihr?"

Damit hatte sie Astrids wunden Punkt getroffen.
„I-ich..."
Verzweifelt suchte meine Verlobte nach den richtigen Worten, aber vergebens.
„Nein.", murmelte sie schließlich.
Dann sah sie ein paar Sekunden lang einfach nur in die Gegend, bevor ihr Blick wieder kalt wurde.
„Aber ich verlasse mich auf mein Urteilsvermögen."
Daraufhin wiegte Selma nachdenklich den Kopf hin und her, darauf bedacht, sich nicht selbst an dem Dolch zu schneiden.
„Weißt du, manchmal sagt man Sachen über Menschen, um Andere daran zu hindern, zu diesen Menschen zu gehen, weil sie mehr über einen wissen, als einem lieb ist und man verhindern möchte, dass die Anderen diese Dinge erfahren."
Jetzt hatte sie endgültig Astrids Neugier geweckt. Ich wusste, dass sie Selma keinen Meter weit traute, aber Moira noch weniger. Sie würde also jede Möglichkeit nutzen, etwas über unsere Verbündete zu erfahren, selbst, wenn sie dafür in die Höhle des Löwen gehen müsste.
„Und was weißt du über Moira, das sie geheim halten will?"

Zack, da war Selmas Lächeln wieder. 
„Viel, sehr viel."
Astrid öffnete sofort ihren Mund und ich konnte schon fast ihre Aufforderung hören, als mein menschlicher bester Freund nervös das Wort erhob.
„A-astrid... Ich habe ein komisches Gefühl bei der Sache... Vielleicht... V-vielleicht sollten wir... du... das n-nicht machen."
Ängstlich knetete Fischbein seine Hände.
„Oh man, Fischnase! Jetzt zieh doch nicht gleich den Schwanz ein!"
Ich dachte erst, Fischbein würde unter Rotzbakkes genervtem Blick nachgeben, aber diesmal war es anders. Der Ingermann setzte sich gerader hin und sprach mit erhobener Stimme weiter.
„Nachdem uns die Schnellen Stacheln fast erwischt hatten, warst du der Meinung, Moira würde uns hintergehen, Rotzbakke. Du hast uns sogar vorgeworfen, auf sie hereinzufallen. Und jetzt sind wir drauf und dran, wirklich reinzufallen. Wir sollten das nicht tun. Was auch immer Selma weiß, wir sollten es nicht hören. Zum Einen könnte es eine Lüge sein, zum Anderen... naja..."
Unruhig sah er zwischen uns allen hin und her. Fischbein war noch nie gut mit zu viel Aufmerksamkeit klargekommen, und gerade in diesem Moment sahen ihn alle an.
„I-ich... d-das... es... wäre f-falsch."
Mit jedem Wort war er leiser geworden, sodass ich die letzten Worte nur noch mit Mühe verstehen konnte.
„Ach, komm. So schlimm kann das doch gar nicht-"
„Ich stimme Fischbein zu."
Überrascht sah Rotzbakke zu mir.
„Ernsthaft?"
Dann blickte er zu Astrid, die noch immer halb auf dem Tisch hockte, um Selma den Dolch an die Kehle zu halten.
Ihr Blick war nachdenklich auf die alte Dame gerichtet.
„Ist das euer Ernst? Fischnase hat einfach nur Muffensausen, so wie immer."
„Der Junge hat gar nicht so unrecht mit dem, was er sagt. Hier solltet ihr vorsichtig sein."
Als sich selbst Selma auf Fischbeins Seite schlug, legte Rotzbakke freundschaftlich eine Hand auf dessen Schulter.
„... Und natürlich stimme ich dir da voll und ganz zu, Fischbein. Ich hatte exakt die selbe Idee."

Während Astrid die Augen verdrehte, der Gronkelreiter verwirrt zu dem Jorgenson sah und ich am liebsten den Kopf geschüttelt hätte, machte Selma den Eindruck, als würde ihr jemand erklären, Wasser sei trocken.
Schließlich fasste sie sich aber wieder.
„Aber ich hätte euch auch so nicht viel erzählen können. Es gibt nur eine einzige Sache, die ich euch guten Gewissens mit auf den Weg geben kann; sie wird euch einweihen, wenn die Zeit reif ist. Und weder sie noch ich würde jemals jemanden hinterlistig umbringen."
Mit einem vielsagenden Blick sah sie zu Astrid. Jedoch war meine Verlobte niemand von der Sorte, der schnell nachgab.
„Woher sollen wir wissen, dass du uns nicht doch die ganze Zeit über belügst?"
„Das ist eine gute Frage, auf die ausnahmsweise keine Antwort kenne. Es ist eure Entscheidung, wem und was ihr glaubt."
„Könntest du mir vielleicht mal eine konkrete Antwort geben?!"
Selmas Lächeln wurde wieder breiter.
„Aber das habe ich doch bereits."

„Argh!"
Frustriert trat meine Verlobte gegen die Strohmatte, die uns als Nachtlager diente.
„Noch ein einziges Rätsel und ich schwöre dir, jeder einzelne Baum auf dieser verdammten Insel wird zu Holzstücken in Stiftgröße!"
Beruhigend legte ich ihr eine Hand auf die Schulter.
„Hey, wir kriegen das schon irgendwie hin, so wie immer."
Zweifelnd sah sie mir in die Augen, aber wenigstens hörte sie auf, die Matte zu attackieren.
„Zusammen.", fügte ich hinzu und löste meine Hand von ihrer Schulter, um sie in eine Umarmung zu ziehen.
Allmählich merkte ich, wie ihre Anspannung nachließ. Bei dem heutigen Tag war es eigentlich ein Wunder, dass bis jetzt nur die Matte ihre Wut und Frustration zu spüren bekommen hatte.
„So wie früher immer."
„Wenn wir dabei wieder fast draufgehen, werde nicht ich das Valka erklären, verstanden?", meinte sie trocken, lächelte dabei aber.

Als die Tür aufflog und gegen die Wand schlug, zuckten wir auseinander.
„Wir sind wieder da und ratet mal, was wir dabei haben! Oh."
Rotzbakke blieb im Rahmen stehen und sah uns empört an.
„Könnt ihr euer Hickstrid-Zeugs bitte verschieben? Ich bin nämlich ziemlich müde und diese muffigen Decken hier werden auch nicht gerade leichter."
„Zeigt da etwa jemand Schwäche?"
Und da war sie wieder, meine Astrid.
„Der große Rotzbakke Jorgenson scheitert an ein paar alten Wolldecken. Wer hätte das gedacht?"
„Ich bin nicht der große- ich meine, natürlich bin ich der große Rotzbakke Jorgenson, aber- ach, nenn' mich einfach nicht so!"
Schnaubend schnappte sich meine Verlobte die zwei Decken von Rotzbakke und warf eine davon mir zu.
Insgeheim musste ich Rotzbakke zustimmen. Diese Teile wogen definitiv mehr als die, die wir auf Berk benutzten, aber es ließ sich aushalten.
Der Jorgenson nahm sich eine der beiden Decken, die Fischbein trug, und machte es sich auch sofort auf der Strohmatte bequem.
Doch als sich auch nach mehreren Sekunden niemand zu ihm gesellt hatte, drehte er sich wieder zu uns um.
„Was ist? Worauf wartet ihr denn noch? In wenigen Stunden geht schon die Sonne auf!"
Anstatt zu antworten, schloss Astrid die Tür. Die Antwort nahm ich ihr ab.
„Einer von uns sollte wach bleiben und Wache halten."
„Zwei wären besser.", wurde ich jedoch schon von meiner Verlobten verbessert, „Solange wir uns nicht sicher sind, auf welcher Seite Selma steht, sollten wir vorsichtig sein."
Hakenzahns Reiter verdrehte die Augen.
„Okay, aber die Erste mache ich definitiv nicht."
„Das hat auch keiner erwartet. Ich übernehme die erste Wache allein, danach wechseln wir uns ab und es übernehmen immer zwei von uns eine Wache. Dann schläft auch keiner während seiner Wache ein."
Vielsagend sah Astrid zu Fischbein.
„Astrid, du solltest erstmal schlafen. Ich kann die erste Wache übernehmen."
„Nein, Hicks, das kriege ich schon hin."
Aus Erfahrung wusste ich, dass sie diesbezüglich nicht mit sich reden lassen würde. Nicht, wenn dieser Satz kam. Aber sie hatte den Schlaf dringender nötig als ich, das zeigten ihre dunklen Augenringe deutlich an.
Und einen Trumpf hatte ich noch.
„Ich übernehme die erste Wache und ihr erholt euch. Nach zwei Stunden tauschen wir-"
„Ich-"
„Astrid, ich bin immer noch euer Häuptling. Und das ist ein Befehl."
Sie öffnete den Mund, um mir zu widersprechen, gab dann allerdings nach. Mit einem Blick, der mir klar machte, dass sie morgen nochmal auf dieses Thema zurückkommen würde, faltete sie ihre Decke auseinander und legte sich schlafen. Fischbein tat es ihr gleich.
Ich setzte mich ebenfalls auf die Unterlage, blieb aber wach und versuchte, meine Gedanken zu ordnen.
Heute war einer dieser Tage gewesen, an denen es einem so vorkam, als lägen Geschehnisse von vor ein paar Stunden schon mehrere Wochen zurück. Es war einfach viel zu viel passiert. Die Ereignisse waren in etwa so auf uns niedergeprasselt wie der Regen draußen auf die Hütte. Zu viel auf einmal, um alles wirklich wahrzunehmen.

Obwohl, eigentlich waren es zwei Tage gewesen, schließlich waren wir gestern nach Sonnenuntergang aufgebrochen.
Vorher waren Astrid und Moira laufen gewesen und noch davor hatten wir die Donnertrommlerdrillinge wiedergetroffen und eine Nachricht an Berk geschickt.
War das wirklich erst vor so kurzer Zeit passiert?
Da war noch alles in Ordnung gewesen, zumindest im Vergleich zu jetzt.
Dann hatte Astrid mir ihre Gedanken über Moira mitgeteilt und alles war ins Wanken geraten. Und obwohl sie mir eine Menge erzählt hatte, auch Astrid verschwieg mir etwas. Ich hatte nicht vergessen, wie sie auf meine Frage, was beim Joggen passierte wäre, reagiert hatte. Moira gab sowieso schon zu wenige Informationen preis, aber von Astrid war ich das eigentlich nicht gewöhnt. Vorhin hatte ich mir vorgenommen, morgen nachzuhaken, aber jetzt war ich mir nicht mehr so sicher, ob das gut wäre. Ich hatte Angst, dass jemand Falsches uns belauschen könnte.
Und auch Moiras Reaktion auf Astrids Vorwürfe hatten in mir Zweifel ausgelöst. Wahrscheinlich hatte sie es nicht so gemeint und es war ihr einfach herausgerutscht, aber sie hatte meiner Verlobten angedroht, Sturmpfeil gegen das Gegenmittel einzutauschen. Ich glaubte zwar nicht, dass sie vorhatte, ihre Drohung in die Tat umzusetzen, aber tief in mir drinnen hatte ich eine erschreckende Erkenntnis getroffen.

Ich würde es Moira zutrauen.

Es war fast schon abartig, aber ich würde ihr wirklich zutrauen, das Gesagte umzusetzen.
Das hieß im Endeffekt nichts Anderes, als dass auch ich ihr -entgegen meiner eigenen Einschätzung- nicht voll und ganz vertraute.

Und jetzt waren wir hier. In einem Raum in der Hütte einer seltsamen Frau, die entweder aus Valhalla zurückgekehrt oder eine unserer Feinde war und aus einem unerklärlichen Grund wusste, wer wir waren, während draußen ein fürchterlicher Sturm tobte und wir keinen blassen Schimmer hatten, wo sich unsere drei Freunde aufhielten und wie es ihnen ging.
Wobei Freunde vielleicht der falsche Begriff war, zumindest für eine von ihnen. Denn in dem unwahrscheinlichen Fall, dass Selma die Wahrheit sagte, würde Moira uns belogen haben, und zwar gewaltig. Ich war mir selbst nicht sicher, welche Möglichkeit mir lieber war.

Was stellte diese Insel bloß mit uns an? Nicht nur, dass sich unsere Gruppe kurzzeitig gespalten hatte, in mir selbst keimten auch immer mehr Zweifel auf, als würde dieser Ort uns damit verseuchen.
Aus Erfahrung wusste ich, dass aus Zweifeln oft Misstrauen und Unmut wurden und diese führten dann oftmals dazu, dass man das Wesentliche aus den Augen verlor und sich zu sehr auf alles andere konzentrierte, was letztendlich zu Versagen und Scheitern führte.
Das war nun wirklich das Letzte, das ich erreichen wollte.
Glücklicherweise kannte ich etwas, das äußerst zuverlässig gegen Zweifel half; Wissen.
Dieses konnte mir im Moment jedoch leider nur die Person vermitteln, über die ich selbst zu wenig wusste.
Es war zum Haareraufen.
Moira würde mich eher in Brand setzen, als zu antworten. Und vielleicht sagte Selma ja doch die Wahrheit, immerhin hatte sie unseren Tee wirklich nicht vergiftet gehabt. Andernfalls wirkte das Gift erst sehr spät und wir hätten ein gigantisches Problem mehr.

Apropos Gift: einen Plan oder auch nur eine Idee, wie wir Nachtblitz helfen konnten, hatte ich auch nicht. Um von dem seltsamen Rätsel, das durch die neuesten Ereignisse immer weiter ins Unwichtige verschoben wurde, mal gar nicht erst zu reden.
Natürlich hatte Moira recht mit dem, was sie gesagt hatte. Wenn wir der falschen Person davon erzählten, dann war's das.
Aber es schien so einfach zu sein, so verdammt einfach. Selma würde bestimmt wissen, was die Worte zu bedeuten hatten. Immerhin gab sie selbst fast nur Rätsel von sich, wenn man eine klare Antwort brauchte.
Oder ihre Antwort warf mehr Fragen auf, als sie beantwortete.
Denn was hatte Berk mit dem hier zu tun?

Ja, es war zu einem Kampf zwischen den beiden Stämmen gekommen und nur Moira hatte diesen wirklich überlebt. Aber zu dieser Zeit hatte niemand mehr das komische Zeichen als Wappen verwendet.
Und überhaupt; wieso hatten die Drachenjäger das Zeichen übernommen? Berk hatte nie gezielt Jagd auf Drachen gemacht.
Zwar war das, was wir getan hatten, in keiner Hinsicht besser gewesen, aber wirkliche Drachenjäger waren wir nicht gewesen.
Aber vor allem fragte ich mich, weshalb Moira es an die Wand gemalt hatte. Das ergab nun absolut keinen Sinn.
Andererseits ergab hier gerade so gut wie nichts einen Sinn.

Frustriert ließ ich meinen Kopf hängen.
Wäre Ohnezahn hier, würde er wissen, wie er mich aufmuntern konnte. Doch er war nicht hier, sondern irgendwo auf dieser Insel in irgendeinem Wald, zusammen mit den anderen Drachen. Nur die Taschen hatten wir mitnehmen können, die Sättel trugen unsere Drachen noch.
Wie von selbst stand ich auf und wurde von meinen Füßen zu dem kleinen Fenster getragen.
Die vielen Regentropfen sorgten dafür, dass sämtliche Konturen der sowieso schon dunklen Welt verschwammen. Das Rauschen des Windes war fast schon zu spüren.
Dann riss für einen kurzen Moment die Wolkendecke auf und helles Mondlicht überflutete die vom Sturm gepeitschte Natur.
Gebannt starrte ich den zunehmenden Mond an. An einer anderen Stelle auf dieser Insel tat mein Freund es mir gleich, da war ich mir mehr als nur sicher. Ich bildete mir sogar kurz ein, einen Schatten vor dem Licht durch die Luft fliegen gesehen zu haben.
Ohne es wirklich zu wollen, legte ich meine Handfläche gegen die Fensterscheibe. Fast sofort beschlug das Glas in der Nähe meiner Hand und ich spürte die Kälte, die langsam meinen Arm hinauf wanderte.

Ich weiß nicht, wie lange ich es so ausgehalten hätte, doch ein Geräusch von vor der Tür riss mich aus meiner Trance. Etwas hatte geknarrt.
Langsam nahm ich meine Hand von der Scheibe und holte mein Feuerschwert hervor. Dann lauschte ich wieder.
Ruhe, bis auf die Geräusche des Sturms und das Atmen meiner Freunde.
Mehrere Sekunden lang blieb das so, dann klapperte etwas.
Vorsichtig, um möglichst wenige Geräusche zu verursachen, schlich ich zur Tür, das Feuerschwert angriffsbereit vor meine Brust haltend.
Da war es wieder. Ein Geräusch, diesmal eindeutig ein Schritt.
Noch einer und noch einer. Jemand näherte sich dem Zimmer.
Ich atmete einmal tief durch, sah kurz zu meinen Freunden, aktivierte das Feuerschwert und stieß die Tür auf.

Ein Schritt und ich war in dem vollgepackten Raum, in dem wir vorhin noch Tee getrunken hatten. Die Hand mit der brennenden Klinge ließ ich in die Richtung schnellen, aus der ich die Schritte gehört hatte.
Ich hatte richtig geschätzt. Das flackernde orange Licht meiner Erfindung spiegelte sich in zwei Augen wieder.
Die Spitze der Klinge war nur wenige Zentimeter von dem Hals meines Gegenübers entfernt, sodass ich in dem matten Licht ihr Gesicht erkennen konnte.
Die Farbe war vom Regen aufgeweicht und verwischt worden, von ihren Wimpern fiel ein Wassertropfen in die Flammen und verdampfte zischend.
„Pass auf, dass du nicht aus Versehen noch etwas in Brand setzt."
Komplett unbeeindruckt sah sie mir in die Augen.
„Me... Mealla?", fragte ich überrascht.
Was machte die „Tänzerin" hier?
Wütend schüttelte Mealla den Kopf. Von ihren Haaren mussten Wassertropfen spritzen, ich hörte, wie sie auf dem Holz aufkamen.
„Sie kann aber auch absolut gar nichts für sich behalten. Was ein Wunder, dass ausgerechnet du hier anzutreffen bist."
„Wie meinst- Was machst du hier?"
Provozierend zog sie eine Augenbraue hoch.
„Hm... Lass mich mal kurz überlegen..."
Sie machte eine Kunstpause und tat übertrieben so, als müsse sie sich stark konzentrieren. Kurz darauf riss sie die Augen auf und wedelte mit ihrer einen Hand durch die Luft, sodass die vielen Armbänder im Feuerschein funkelten.
„Ich hab's! Ich stehe triefnass und mit dem wohl dämlichsten Kleidungsstück des gesamten Archipels ausgestattet in einer muffigen Holzhütte, wo ich mich von einem Einbeinigen mit einem Feuerschwert bedrohen lasse!
Was dachtest du denn?", fauchte sie schließlich.

Nachdem ich tatsächlich angesetzt hatte, ihr zu antworten, hatte ich kurz die Situation in der Gaststätte vor ein oder zwei Stunden vor Augen und beschloss, ihre Gegenfrage ebenfalls mit einer Frage zu beantworten.
„Und warum bist du hier?"
„Aus ganz genau dem selben Grund wie ihr. Könntest du jetzt endlich dein Spielzeug runternehmen? Es blendet ein bisschen."
„Spielzeug?", fragte ich empört, „Sieht das für dich etwa aus wie ein Spielzeug?"
„Im Moment schon. Du kannst mich damit nicht einschüchtern, nicht in einer Holzhütte, die sowohl dir und deinen Freunden als auch Selma und mir den derzeit einzigen Schutz vor dem Unwetter bietet."
So gesehen hatte sie recht. Sobald die Flammen das Holz berührten, würde das ganze Gebäude brennen.
„Im Moment richte ich es aber nicht auf Brennmaterial, sondern auf dich."
Genervt atmete Mealla aus und ging einfach um mich herum. Dass meine Klinge ihr folgte, interessierte sie offensichtlich nicht.
„Und, was hat Selma euch noch so erzählt?"
Vor einem Regal blieb sie stehen und nahm ein Buch heraus, in dem sie dann scheinbar wahllos herumblätterte.
„Nicht viel."
Es kostete mich eine Menge Selbstbeherrschung, ihr nicht das Buch aus der Hand zu reißen. Anstatt auch nur irgendeine Art von minimalem Respekt vor meiner Waffe zu zeigen, machte sich die Tänzerin das Licht zunutze, um sich die Zeichnungen anzusehen.
„Lügner."
„Das ist keine Lüge."
Leise klappte sie das Buch zu, stellte es zurück und zog ein anderes hervor.
„Selma kann viel. Schweigen zählt aber definitiv nicht dazu."
Wieder wanderte das Buch zurück und ein neues wurde aus dem Regal genommen. Sie machte das eindeutig nur, um mich zu ärgern. In so kurzer Zeit hätte sie niemals mehr als einen Satz lesen können.
„Warum willst du wissen, was sie uns erzählt hat?"
„Warum nimmst du dein Schwert nicht runter?"
Natürlich, was auch sonst. Misstrauen.

Und dann, bevor ich es verhindern konnte, rutschte mir der Satz: „Moira hat das Wappen ihrer Feinde hier an die Wand gemalt." heraus.
Mealla erstarrte.
Meine Klinge war noch immer auf sie gerichtet und in ihrem Licht sah ich, wie die Hand der Tänzerin auf dem Gegenstand ruhte, den Fischbein vorhin entdeckt hatte und dessen Geschichte Selma uns nicht erzählen wollte.
Dann drehte sie ruckartig ihren Kopf zu mir.

Der Sturm draußen war nichts im Vergleich zu dem, was ihre Mimik aussagte.

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