(48) Verzweiflung und Hoffnung

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Hicks

„Unmöglich.", murmelte ich vor mich hin, ohne es zu bemerken.
Erst Moiras Antwort machte mit klar, dass ich soeben überhaupt etwas gesagt hatte.
„Doch, Hicks, sieht ganz so aus, als wäre das möglich.
Jetzt verstehe ich auch, was das vorhin zu bedeuten hatte..."
Die schwarze Kriegerin war leicht blass geworden, ihr Blick dagegen sprühte nur so vor Entschlossenheit.
„Ich hatte euch sogar noch gewarnt.
Selma ist unberechenbar."
„Ich bringe sie um, wenn Sturmpfeil auch nur eine Schramme hat!", knurrte Astrid. Dann rannte sie los, quer über die Wiese, den Dolch erhoben, auf die baufällige Hütte zu.

Sie war schon drauf und dran, die Tür einzutreten, doch ich hielt sie zurück.
Gerade noch rechtzeitig, denn kurz darauf drangen Geräusche aus der Hütte.
„Hicks! Lass mich los!"
Nach Luft ringend -es war verdammt schwer, sie einzuholen-  schüttelte ich den Kopf und bedeutete Astrid, ruhig zu sein.
Den Mund hatte sie schon zur Widerrede geöffnet, da knallte in der Hütte etwas auf den Boden.
Sofort schloss sie ihren Mund wieder.
Auch unsere restliche Truppe, die nun ebenfalls an Selmas Hütte ankam, lauschte angestrengt.
Beim Schrei zuckten wir alle zusammen.

„Wehe, WEHE, du denkst auch nur daran, das zu sagen! Ich habe es nicht aus dem Grund getan, den du gerne hättest, sondern einfach, WEIL ER SONST VERDAMMT NOCHMAL ERTRUNKEN WÄRE! Es ist mir sowas von egal, wer er ist oder was auch immer er vielleicht mal getan hat, hörst du? ES IST MIR EGAL! Wann kapierst du endlich, dass sie gestorben ist?! Sie existiert nicht mehr, klar?! Was auch immer du glaubst zu wissen, es ist falsch!"
Eine kurze Pause folgte, gerade mal lang genug, um zu blinzeln.
„SIE IST WEG! Glaub mir, ich weiß das von allen Personen auf dieser dämlichen Insel am besten! UND SIE KOMMT NIE, NIE WIEDER ZURÜCK!"
Wieder Stille.
Dann sprach jemand Anderes, allerdings um einiges leiser. Nur Wortfetzen erreichten meine Ohren.
„Sie... du... nie... ändern... ein Teil..."
„Spar dir deine Geschichten doch lieber für deine neuen Freunde auf, hm? Mal sehen, wann du auch die Drachenreiter vergrault hast. Lange dauert's bestimmt nicht mehr."
Das war der Augenblick, an dem wir die Tür aufrissen.
Zischend entzündete sich mein Feuerschwert, auch die übrigen Waffen waren auf die beiden Frauen in der Hütte gerichtet.

„Ach, sieh mal einer an. Da sind sie ja schon, was ein Wunder."
Meallas ganze Erscheinung strahlte eine so starke Wut aus, als würde sie am liebsten alles zusammenschlagen.
Im Gegensatz zu ihr starrte Selma uns nur verblüfft an.
Die eine Hand zur Faust geballt, die andere auf den auf den Tisch gelegt, mit halb geöffnetem Mund, als wollte sie noch etwas zu Mealla sagen, so stand sie da.
Kein Lächeln.
Nichtmal das warme Funkeln in ihren Augen konnte ich entdecken.
„Schön, euch wiederzusehen. Ich würde euch gern hereinbitten, doch der Zeitpunkt ist gerade äußerst unangemess-"
„Verschwindet einfach."
„Mealla, achte auf deine Wortwahl."
Abfällig schnaubend verdreht die Angesprochene ihre Augen.
„Meine Wortwahl kann dir egal sein."
Sie sprach zu der alten Frau, ihr Blick ruhte währenddessen allerdings auf Moira.
„Ich gehe jetzt jedenfalls, bevor er aufwacht. Viel Spaß euch noch!"
Abrupt drehte sie sich um und verschwand, so wie auch heute Nacht, in einen anderen Raum.
Selma seufzte, während die Tür krachend ins Schloss fiel.
Ihre zur Faust geballte Hand öffnete sich und sie strich sich mit ihr durchs Gesicht.
„Ich nehme an, ihr seid aus einem Grund hier?"

„Wir haben verdächtige Schreie gehört und Spuren gefunden, die uns direkt hierher gebracht haben."
Es war wieder einmal Astrid, die zuerst sprach.
Und ihre Antwort war perfekt. Kein Wort über unsere Drachen, nur die nötigsten Informationen und ob Mealla mit unserer Identität richtig lag, erwähnte sie ebenfalls nicht.
„Schreie?", fragte Selma ungläubig nach.
Ich nickte knapp, woraufhin sich ihre Augen weiteten.
„Wo kamen sie her?"
In ihrer Stimme schwang ein besorgter Ton mit, was mich mehr als nur verwirrte. Machte sie sich wirklich Sorgen oder täuschte sie das nur vor?
„Vom Strand. Wie gesagt, die Spuren haben uns hier her geführt."
„Die Spuren haben euch- Wann habt ihr die Schreie gehört?"
„Ist das wichtig?"
Bevor Selma antworten konnte, fuhr Moira fort: „Wir sind zu dem Ort, von dem sie gekommen sind und von dort aus den Spuren hinterher. Hier enden sie.
Vielleicht solltest du uns lieber sagen, was hier los ist, anstatt uns zu fragen."

Selma seufzte erneut.
„Die Spuren sind nicht das, wonach ihr sucht.
Aber wenn die Schreie vom Strand kamen, solltet ihr euch große, sehr große Sorgen um eure Drachen machen. Besonders du.", sie deutete auf mich, „Nachtschatten sind etwas sehr Besonderes, wie du sicherlich weißt.
Sie wissen das auch.
Und wenn sie wieder hier sind, dann hoffe ich für euch, dass ihr ein paar sehr gute Pläne auf Lager habt."

Kaum hatte sie geendet, hob sie ihre Hand abwehrend hoch.
„Astrid, nicht ich bin euer Feind. Anstatt dich auf mich zu stürzen, solltest du nochmal zum Strand und eure Drachen retten."
Wieder brach die Panik mit aller Macht aus dem hintersten Winkel meines Kopfes hervor. Ohnezahn und die anderen Drachen waren in Gefahr, nur weil ich unbedingt Antworten von Moira hatte bekommen wollen. Hätte ich sie nicht später fragen können, wenn wir alle wieder in der Luft waren?
Wie hatte ich derartig meine Selbstbeherrschung verlieren können?
Wieso hatte ich uns alle ein weiteres Mal unnötig in Gefahr gebracht? Hatte die letzte Auseinandersetzung mit den Drachenjägern etwa nicht gereicht?
Musste ich es wirklich solange darauf anlegen, bis wir endgültig verloren hatten?
Bis es endgültig aus war?
Wann würde ich endlich aus meinen Fehlern lernen, wie ich es Moira einst gesagt hatte?

Dass wir aus unseren Fehlern gelernt haben.
In Dauerschleife kreisten Moiras Worte durch meinen Kopf.
Das habe ich.
Hatte ich das wirklich? Oder redete ich mir das die ganze Zeit über nur ein?
Wie von selbst fiel mein Blick auf das verblasste Drachenjägerzeichen an der Wand und holte mich damit zurück in die Wirklichkeit.
Ob ich aus meinen Fehlern gelernt habe kann ich mich später fragen.
Unsere Drachen waren in Gefahr. Nur das zählte.

Wir mussten handeln und uns boten sich zwei Wege an; Selma einfach blind vertrauen oder sie als Feind betrachten.
Nur einer davon war richtig, der andere würde und direkt ins offene Schwert führen.
„Wenn ihr eure Identität vor mir geheim halten wollt, solltet ihr das nächste Mal auf die Wahl eurer Begleitung und eurer Waffen achten."
Die Antwort kam schon, bevor Astrid ihre Frage überhaupt stellen konnte.
„Wenn das hier eine Falle ist, bringe ich dich um."
Die blauen Augen meiner Verlobten spiegelten sowohl Wut und grenzenlose Entschlossenheit als auch große Sorge und Angst wider.
„Ich weiß."
Damit stand unser Weg fest.

Hoffentlich war das nicht der falsche.

Wir stürmten zurück in den Wald.
Unter anderen Umständen wäre er wunderschön gewesen; große, grüne Pflanzen, kleine Blumen, hohe, gesunde Bäume, deren Blätter das Sonnenlicht in goldenen Streifen auf den Boden fallen ließen.
Der Geruch nach Regen hing noch in der Luft und überall schimmerten Wassertropfen und kleine Pfützen. Selbst die deutlichen Zeichen des Sturm  letzte Nacht konnten das Bild nicht verunstalten.
Aber nirgendwo war ein Hinweis auf unsere Drachen.
Auch am Strand fanden wir keine weiteren Spuren. Nur die, die zu Selmas Hütte führten.
„Ich bringe sie um, ich bringe diese verdammte Lügnerin-"
„Psst!"
Rotzbakke deutete auf den Waldrand.
„Hört ihr das?"
Keiner bewegte sich, Astrid unterbrach ihre Drohungen.
Dann bewegten sich die Zweige eines großen Busches auseinander.
Ein Schrecklicher Schrecken streckte uns seinen Kopf entgegen, stieß sich vom Boden ab und flog schnell mit den Flügeln schlagend aufs Meer hinaus.
Fast so, als würde er fliehen.
Anschließend war alles wieder ruhig, nur das Rauschen des Meeres war zu hören.

In mir breitete sich ein beklemmendes Gefühl aus. Irgendwas war komisch.
Kein Vogel zwitscherte, kein Blatt bewegte sich.
„Was genau versuchen wir nochmal zu hören?"
„Pscht! Wir lauschen der Stille und den nicht hörbaren Geräuschen, Schwesterchen. So können wir uns aufs Wesentliche konzentrieren und werden nicht vom Unnötigen abgelenkt.
Das ist ein wichtiger Bestandteil der taffschen Entspannungsmethode. Aber keine Sorge, sobald wir damit fertig sind, widmen wir uns der unfassbar schönen Kunst des-"
„Taffnuss Thorston, jetzt halt endlich mal deinen Mund!"
„Nein Rotzbakke, gerade du brauchst diese Entspannungskur. Schließe einfach deine Augen und..."
Taff quasselt noch weiter auf Rotzbakke ein, dem gar nichts Anderes übrig blieb, als sich seinem Schicksal zu fügen.
„Findest du die Stille nicht auch bedrückend?", flüsterte meine Verlobte mir zu.
Meine Antwort war ein Nicken.
Von Taffnuss' Gerede mal abgesehen, war es hier verdammt ruhig.
Keine Hinweise auf irgendwas, wir hätten uns genauso gut in einem steinernen Raum befinden können. Und doch lag etwas Unheilvolles in der Luft, als würde jeden Moment noch etwas aus dem Wald gestürmt kommen, etwas, vor dem der kleine Drache geflohen war.

„Es... es hat keinen Sinn mehr. Wir werden sie hier nicht finden."
Niedergeschlagen sah Fischbein uns an.
„Aber hier muss doch etwas sein! Sie können doch nicht einfach so verschwinden..."
Raffnuss weigerte sich, das Offensichtliche zu akzeptieren. Hastig drehte sie ihren Kopf hin und her, auf der Suche nach dem, was wir schon seit mehreren Stunden nicht fanden.
Dann entdeckte sie etwas und rannte voller Hoffnung darauf zu.
„Seht mal! Fußspuren! Ich wusste doch, dass wir was finden!"
Astrid und ich tauschten einen Blick.
Berks beste Kriegerin holte noch einmal tief Luft, ihre Verzweiflung verbarg sie hinter einem kleinen, traurigen Lächeln.
Als sie den ersten Schritt in Raffs Richtung machen wollte, ertönte hinter uns ein leises Murmeln.
„Lass nur, ich mach das."
Taff klang genauso, wie wir uns alle fühlten: hoffnungslos und tief betrübt.
Langsam ging er an uns vorbei und auf seine Schwester zu, die als einzige von uns noch ehrlich lächelte.
„Er wird's ihr sagen, oder?"
Unser schwarzhaariger Freund stellte sich neben uns. Auch ihm sah man Sorge und Verzweiflung deutlich an.
Astrid deutete ein Nicken an. Ich glaube, sie wollte nicht, dass ihre Stimme versagte.

Mitleidig sahen wir dabei zu, wie Taff seiner Zwillingsschwester eine Hand auf die Schulter legte.
Der leichte Wind machte es uns unmöglich, seine leisen Worte zu verstehen, aber wir wussten auch so, was er ihr sagen würde.
Die Fußspuren waren nicht von Drachenjägern. Es waren unsere eigenen.
Niemand sagte es laut, aber ich bin mir sicher, dass wir alle daran dachten: Wenn hier keine Spur mehr von unseren Drachen war, dann hatten die Drachenjäger sie direkt auf ihr Schiff gebracht. Da wir kein Schiff sehen konnten, mussten sie direkt weitergefahren sein und wie saßen auf dieser Insel fest. Die Chance, unsere Drachen jemals wiederzusehen, lag dann so tief, dass nicht einmal Flüsternde Tode sie finden konnten.

Als die Zwillinge wieder bei uns ankamen, wischte sich Raffnuss die Tränenspuren von der Wange.
Schweigend machten wir uns auf den Weg zurück ins Dorf. Irgendwo mussten wir die Nacht schließlich verbringen.
„Was zum...?!"
Astrid rannte los, blieb aber wenige Meter weiter stehen.
„Weg.", murmelte sie.
„Was ist los?"
„Deine Prothese. Du hast sie hier verloren, aber hier ist nichts mehr."
Jetzt erkannte auch ich die Stelle wieder.
„Und es gibt keine Fußspuren.", fügte sie hinzu.
Moiras Gesicht erhellte sich augenblicklich.
„Dann..."
„Genau!" Fast schon freudestrahlend sah Astrid mich an.
„Könnte uns einer von euch vielleicht erklären, was daran so toll sein soll?"
Ausnahmsweise mal musste ich Rotzbakke zustimmen. Das ergab noch keinen Sinn.
„Jemand muss die Prothese mitgenommen haben, es muss also jemand hier gewesen sein. Theoretisch hätte derjenige also auch Fußspuren hinterlassen müssen. Das hat er nicht, was bedeutet-"
„Dass er durchs Wasser gelaufen ist, natürlich!", vollendete Fischbein Moiras Satz.
„Und die Wellen haben die Spuren weggewischt... Also könnten sie noch hier sein!" Jetzt stahl sich auch auf meine Lippen ein Lächeln.
„Oder sie haben sie wirklich direkt auf ihr Schiff verladen.", gab Fischbein uns allen einen Dämpfer.
„Nein."
Überzeugt schüttelte Moira den Kopf.
„Das haben sie so oder so nicht. Zum Einen ist es hier viel zu flach, zum Anderen hätten wir ein Drachenjägerschiff gesehen, so schnell sind die nicht. Entweder sie haben die Drachen über den Luftweg transportiert oder sie sind noch hier."
„Und dann sind sie wahrscheinlich am Hafen."

Mit neu gewonnener Energie rannten wir Moira, die den Weg zu kennen schien, hinterher.
Erst, als wir das Dorf sehen konnten, bremsten wir ab und gingen, obwohl jedem anzusehen war, dass er am liebsten weitergerannt wäre. Doch wenn wir unsere Drachen retten wollten, durften wir kein Aufsehen erregen. Oder zumindest nicht mehr, als wir schon hatten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir den Hafen, eine Ansammlung von mindestens zehn breiten Stegen. Hier gab es so gut wie jede Art von Schiff oder Boot zu sehen. Große Händlerschiffe, kleinere Fischerboote, unförmige Konstruktionen, deren Zweck man nicht genau bestimmen konnte, alles drängte sich dicht aneinander.
„Wow, das..."
„... ist nicht so viel, wie es aussieht. Ein Großteil der Schiffe wird nicht genutzt. Viele sind überhaupt nicht mehr seetüchtig, mehr Wrack als Schiff."
Bei genauerem Hinsehen hatte Moira recht. Lediglich ein paar Händlerschiffe und an die zehn Fischerboote machten einen stabilen Eindruck.
„Warum hat man einen so großen Hafen, aber so wenige Schiffe?"
Ein Schatten legte sich über Moiras Gesicht: „Das willst du nicht wissen, Fischbein. Außerdem sind die Drachen wichtiger."

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Der Junge schlug die Augen auf.
„Wo- wo bin ich?"
„In Sicherheit, vorerst."
Der Klang dieser Stimme kam dem Jungen bekannt vor. Er wusste nur nicht sofort, woher.
Als sich seine Sicht schließlich klärte, erkannte er die Sprecherin.
„Selma?!"
Ungläubig starrte er die Frau an. Nie und nimmer hätte er damit gerechnet, sie wiederzusehen. Nicht nach allem, was er getan hatte. Was er ihr getan hatte.
Und doch saß sie auf einem Stuhl vor ihm, hielt einen nassen Lappen in der Hand, mit dem sie seine Stirn abtupfte, und lächelte ihn an.
„Willkommen zurück."

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