15 - Ein Hintern aus Stahl

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Dass auch positive Worte lauter sprechen können als Taten, wird mir in dem Moment bewusst, in dem sich Miles Mundwinkel zu einem glücklichen Strahlen formen.

Ich muss ihm nicht die Hand geben oder ihn umarmen. Er hat auch so verstanden, dass meine Worte aus tiefstem Herzen kommen und der Wahrheit entsprechen.

Trotzdem kann er es sich natürlich nicht nehmen lassen, eine Nachfrage zu stellen. Das wäre ja sonst auch zu schön gewesen, um wahr zu sein ...

„Was ist denn so schlimm daran, mich zu mögen, Eiskönigin?", erkundigt er sich verwirrt bei mir. „Ich bin vielleicht ein Idiot, aber kein Monster oder Unmensch!"

Ich schlucke schwer. Meine Stimme zittert und hört sich ungewohnt kratzig und rau an, als ich zugebe: „Darum geht es gar nicht."

„Ach nein? Und worum dann?"

Verdammt! Will Mile den Rekord im Fragenstellen brechen, oder was? Er muss doch merken, wie unangenehm mir dieses Gespräch ist.

Na ja, wären unsere Rollen vertauscht, würde ich ihn wahrscheinlich auch quälen ...

„Weißt du ... Ich dachte die ganze Zeit, du würdest mich nicht mögen", versuche ich, mir die Wahrheit ein bisschen zurecht zu biegen. „Also wollte ich dich auch nicht mögen."

Um ehrlich zu sein, stimmt das nicht ganz. Eigentlich wollte ich ihn von meinem Herzen fernhalten, damit es nicht zerbricht. Denn es gibt nichts Schmerzhafteres als unerwiderte Gefühle.

Und nein, diesen Gedankengang werde ich nicht weiter ausführen!

„Oh man." Mile lacht und schüttelt seinen Kopf, sodass seine honigblonden Locken aufgeregt durch die Luft wirbeln. „Jetzt, wo du weißt, dass ich dich mag, darfst du mich auch sehr gerne mögen, Eiskönigin." Er zwinkert mir frech zu und wackelt danach anzüglich mit den Augenbrauen.

Halleluja! Wie es scheint, ist Mile Harrison nicht länger defekt.

Da sieht man mal, dass Worte Wunder bewirken können!

Auch wenn Mile die größte Nervensäge des Planeten ist, bin ich froh, dass er mich nicht mehr ignoriert und wir unsere Differenzen vorerst geklärt haben. Bestimmt werden wir uns zuhause nochmal zusammensetzen, um die Vergangenheit aufzuarbeiten, aber fürs Erste scheint unser Friedensabkommen beidseitig besiegelt zu sein.

Damit wir nicht aus Versehen doch noch tiefer in dieses emotionale Gespräch eintauchen, erhebe ich mich von meinem Stuhl und sage: „Es wird Zeit, zur nächsten App aufzubrechen." Nur wenige Sekunden später drücke ich auf den Pfeil in der rechten, unteren Ecke, der uns zurück auf den Startbildschirm meines alten Handys katapultiert.

Ein flüchtiger Blick auf den Akkustand verrät mir, dass nur noch 26% übrig sind.

Oh oh. So langsam wird die Zeit knapp.

Mile scheint ähnlich zu denken, wie ich, denn er tigert unruhig über den unscharfen Untergrund. Seine blauen Augen hüpfen von Kachel zu Kachel, bis er schließlich vor einer App stehenbleibt, auf deren Logo ein Frauen-Po in roter Sporthose zu sehen ist. Darunter steht Gesäß & Beine-Training.

„Dann wollen wir doch mal schauen, wie du zu deinem Knack-Hintern gekommen bist", grinst Mile vorfreudig, ehe er die besagte Kachel mit dem Zeigefinger berührt. Oder besser gesagt die linke Pobacke der animierten Frau.

Ich schaffe es gerade noch, meine Augen zu verdrehen, bevor ich von der Dunkelheit verschluckt werde. Wie eigentlich immer, wenn ich durch die schwarze Farbe gleite, genieße ich das Gefühl der Schwerelosigkeit und Freiheit.

Lange hält dieser atemberaubende Zustand aber nicht an, denn nach wenigen Sekunden lande ich auf einem harten Untergrund. Obwohl sich die Finsternis noch nicht komplett aufgelöst hat, verrät mir der ekelige Knoblauchsalamigestank, dass sich Mile unmittelbar neben mir befindet.

Er bestätigt meine Vermutung, indem er leise murmelt: „Ich bin echt gespannt, was uns hier erwartet."

„Po- und Beinübungen", antworte ich schmunzelnd.

Im Einklang mit meinen Worten verpuffen auch die letzten, dunklen Nebelschwaden, sodass die Startseite sichtbar wird. Im oberen Teil befindet sich ein grünes Rechteck, in dem ein wohlgeformter Frauen-Po zu sehen ist. Natürlich in Sporthose. Daneben steht in gut leserlichen Buchstaben geschrieben Grösserer Po. Baue Masse auf für einen attraktiveren Po. Unter diesem Slogan wird eine Fortschrittsleiste angezeigt, die aktuell noch bei 0,0% feststeckt.

Im unteren Teil der Startseite sind fünf Tage aufgelistet. Der vierte Tag ist mit dem Wort Ruhetag versehen, ansonsten erkenne ich überall die Bildunterschrift 9 Übungen.

Auch wenn ich mich nicht mehr an die einzelnen Sportaufgaben erinnern kann, weiß ich noch genau, warum ich mir diese App damals heruntergeladen habe: Um Mile zu beweisen, dass nicht alle weiblichen Eishockeyspielerinnen einen flachen Po haben.

Während ich in meinen Gedanken versunken bin und nur teilweise mitbekomme, was in der Realität passiert, tippt Mile auf die weiße Start-Kachel, die neben dem ersten Tag aufploppt. Sofort werden wir zu einer Auswahl an verschiedenen Übungen weitergeleitet, die eine Nettodauer von sechs Minuten und 20 Sekunden aufweisen.

Folgende neun Trainingsaufgaben sind hier aufgelistet: Kniebeugen, linkes Beinheben in Bankstellung, rechtes Beinheben in Bankstellung, Kickback gekreuzt mit dem rechten Bein, Kickback gekreuzt mit dem linken Bein, Ausfallschritt nach hinten, Superman, doppelseitige Knie-zum-Brustkorbdehnung und Quadrizeps-Dehnung.

Puh ... Hoffentlich hört sich das schlimmer an, als es in Wirklichkeit ist.

Ich drehe meinen Kopf zur Seite und schaue zu Mile, der mit gerunzelter Stirn auf die unterschiedlichen Aufgabenformate starrt. Obwohl wir vom Eishockeytraining viel schlimmere Übungen gewohnt sind, scheint auch er Respekt zu haben.

„Na, Honiglocke? Angst, dass du es nicht schaffst, alle neun Übungen durchzuziehen?", necke ich ihn.

„Pah, von wegen!", springt Mile direkt auf meine Provokation an. „Ich habe einen Hintern aus Stahl! Wirst schon sehen, Eiskönigin ..." Um sein viel zu großes Selbstbewusstsein zu unterstreichen, klickt er auf die grüne Start-Kachel, die sich am unteren Rand der Leinwand befindet.

Die Übungsauflistung verschwindet und wird durch eine animierte Frauenfigur ersetzt, die Kniebeugen macht. Wir haben zehn Sekunden Zeit, uns auf die Übung vorzubereiten, ehe wir gemeinsam mit der Comic-Frau 14 Kniebeugen durchführen sollen.

Also stelle ich meine Füße schulterbreit auseinander, schiebe meine Hüfte nach hinten und beuge meine Knie, während ich versuche, meinen Oberkörper aufrecht zu halten. Anschließend drücke ich mich aus dieser Haltung zurück in die Ausgangsposition.

Mile tut es mir gleich.

Sobald wir fertig sind, erfolgt eine Pause von 30 Sekunden. Die nächste Übung wird bereits am unteren Bildschirmrand vorgestellt: Linkes Beinheben in Bankstellung.

Da wir blöderweise - oder glücklicherweise?! - keine Bank zur Verfügung haben, sind Mile und ich so frei, die nächsten beiden Übungen zu überspringen, sodass nun der gekreuzte Kickback an der Reihe ist.

Zum Glück gibt es eine Aufgabenbeschreibung, die wir uns durchlesen können, denn die animierten Bilder schaffen es nicht, die vielen Fragezeichen in meinem Kopf aufzulösen.

Man beginnt auf allen Vieren, wobei sich die Knie unter dem Gesäß und die Hände direkt unter den Schultern befinden. Das rechte Bein nach hinten anheben, dann schräg nach links absenken. Wieder anheben und gerade absenken. Mit dem rechten Fuß nicht den Boden berühren. Alle Schritte wiederholen.

Ich bemühe mich zwar, der Beschreibung nachzukommen, aber irgendwie fühlt sich meine Ausführung falsch an. Steif und auch ein bisschen schmerzhaft.

Um mir eventuell Tricks abschauen zu können, schiele ich zu Mile hinüber. Entgegen meinen Erwartungen versucht er allerdings gar nicht, die Übung mitzumachen, sondern liegt wie ein Seestern auf dem Bauch und streckt alle Viere von sich.

„Ey!", tadele ich ihn. „Machst du etwa schon schlapp?"

„Nö." Mile grinst mich mit seinem typischen Honigkuchenpferd-Strahlen an. „Ich gucke einfach nur gerne deinem Po dabei zu, wie er sich bewegt."

„Igitt!" Ich gebe ein würgendes Geräusch von mir. „Hör sofort damit auf, Mile!"

„Ich kann nicht. Dein Po sieht zu gut aus!"

Mir schießen siedend heiße Blitze in die Wangen. Verlegenheit breitet sich wie ein Lauffeuer in meinem Körper aus und mein Herz schlägt plötzlich schneller. Viel schneller!

Auch wenn ich mir nichts auf Miles Worte einbilden sollte, fühle ich mich ein klitzekleines bisschen geschmeichelt.

Scheint so, als wäre es damals die richtige Entscheidung gewesen, diese App runterzuladen.

Weil ich Mile natürlich nicht die Genugtuung geben möchte, weiterhin auf meinen Hintern zu starren, beende ich die Übungsreihe und befördere uns zurück auf den Startbildschirm mit den vielen, bunten Kacheln.

Kaum sind wir auf dem unscharfen Untergrund gelandet, beschwert sich Mile gespielt empört bei mir: „Hey! Ich wollte dich noch ein bisschen beobachten!"

„Mich oder meinen Po?"

„Euch beide!"

Während ich meine Augen verdrehe, zwinkert mir Mile einmal zu.

Um ehrlich zu sein, finde ich es schön, dass er wieder der Alte ist und seine blöden Witze macht. Selbstverständlich werde ich ihm das niemals unter die Nase reiben, aber es macht mir Spaß, gemeinsam mit ihm von App zu App zu hüpfen.

Schwer zu glauben, dass ausgerechnet ich so etwas sage, oder?

Damit ich auf andere Gedanken komme, beschließe ich, die nächste App auszusuchen. Ich werde schnell fündig und entscheide mich für eine schwarze Kachel, in der ein bunter Schmetterling abgebildet ist.

Lumii - Photo Editor.

Für ein paar Sekunden werde ich orientierungslos durch die aufkommende Dunkelheit gewirbelt, bis ich wieder festen Boden unter den Füßen spüre und sich der schwarze Schleier langsam in Luft auflöst.

Wieder mal befindet sich eine riesige Leinwand vor Mile und mir, auf der mehrere Bilder aus meiner Galerie zu sehen sind. Dieses Mal sind sie allerdings nach dem Datum und nicht nach Alben sortiert.

„Was hältst du davon, wenn wir ein lustiges Geburtstagsfoto für Hayes designen?", frage ich Mile grinsend und deute dabei auf ein Bild von Mini-Hayes, das ihn mit Zahnlücke, bunter Afro-Perücke und Lippenstift-Herzen auf der Wange zeigt.

Bei dem Anblick seines besten Freundes, der schon immer ein riesiger Fan von Fasching war, bricht Mile in schallendes Gelächter aus. „Wenn wir wieder zuhause sind, musst du mir dieses Foto unbedingt schicken!"

„Wie du sagen würdest: Großes Eisköniginnen-Honiglocken-Ehrenwort!"

Für ein paar Sekunden grinsen sich Mile und ich stumm an, bis mir die Gefahr zu groß wird, mich in seinen blauen Ozeanaugen zu verlieren. Also räuspere ich mich einmal, wende den Blick ab und tippe bemüht konzentriert auf das Zahnlücken-Foto von Hayes.

Direkt werden wir zu den verschiedenen Bearbeitungstools weitergeleitet. Zuschneiden. Vorlage. Filter. Anpassen. Effekt. BG. Text. Aufkleber. Rand. Doodle.

Ohne uns absprechen zu müssen, entscheiden wir uns für die Aufkleber und suchen nach Luftballons, Konfetti und einem Partyhut. Obwohl es total albern aussieht, fügt Mile noch einen hellblauen Schnurbart hinzu, womit er Hayes in einen Mini-Mafiaboss verwandelt.

Mile ist gerade auf der Suche nach einem Happy-Birthday-Schriftzug, als er plötzlich innehält. „Moment mal." Sein Blick ruht auf den rot leuchtenden Teufelshörnern.

Ob ich ahne, was ihm gerade durch den Kopf schießt? Jap, zu eintausend Prozent sogar!

„Ist das hier die App, mit der du auch die ganzen Fotos von mir bearbeitet hast?", möchte Mile misstrauisch wissen.

Um ihn zu ärgern, zucke ich mit den Schultern. „Tut mir leid, aber das bleibt mein Betriebsgeheimnis."

„Na warte, Eiskönigin!", raunt mir Mile verschwörerisch zu. „Wenn wir mit Hayes' Foto fertig sind, bist du fällig. Verlass dich drauf!"

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro