Alles meine Schuld

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,,Du bist aber was gemein...'', stieß mein Großvater leicht frustriert auf. Noch während er die Karten aufnahm, begann ich frech zu grinsen und legte noch eine +2-Karte auf den Stapel. Er zog die Augenbrauen nach oben und nahm auch diese wortlos auf.
,,Du schummelst doch beim Mischen. Das kann doch nicht sein, dass du immer die ganzen guten Karten hast.'', schüttelte er fassungslos mit dem Kopf und sah völlig ratlos auf sein Deck, in dem sich nicht eine einzige passende Farbe oder Zahl befand.
,,Ich hab' halt ein glückliches Händen, das ist alles.'', zuckte ich grinsend mit den Schultern. ,,Wo wir schon dabei sind... Uno!'', legte ich triumphierend vor mich hinlächelnd meine letzte Karte ab, ehe ich mich entspannt zurücklehnte.

,,Das kann doch nicht sein...'', fluchte Opa leise, schmiss die Karten auf den Tisch und legte sie dann zusammen, um sie zu mir rüber zu schieben. Er erhob sich vom Stuhl, griff nach meiner Tasse und kochte uns neuen Tee auf.
Nachdem wir uns noch etwas über Lukas unterhalten hatten, sind wir irgendwann rein, weil es langsam etwas frischer wurde. Sofort hatte ich Opa gefragt, ob wir nicht eine Runde Karten spielen wollten, weil wir das schließlich immer machten, wenn ich bei ihm war.
Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich warf einen kurzen Blick auf mein Handy. Ich drückte den Knopf an der Seite, doch hatte noch immer hatte ich keine Benachrichtigung von Lukas. Aber das ist okay, er sollte die Zeit mit seiner besten Freundin genießen.

Wir würden uns schließlich schon am Montag wiedersehen und da hatte ich ihn ganz allein' für mich. Ich freute mich schon sehr darauf, auch wenn sich bei dem Gedanken, Lukas unter die Augen zu treten, ein unbehagliches Gefühl in mir breit machte.
Die Angst, dass er doch etwas mitbekommen könnte, saß mir andauernd tief in den Knochen. Ich versuchte wirklich alles, um nicht aufzufallen, aber es konnte ja immer passieren, dass es da etwas gab, was ich übersehen hatte.
Meistens sind das die simpelsten Dinge, die einem erst einfielen, wenn sie schon längst geschehen waren. Eventuell hatte Lukas ja doch etwas herausgefunden und wartete nur noch den perfekten Moment ab, um mich auffliegen zu lassen.

Ich schüttelte mit dem Kopf und versuchte mich zu beruhigen, denn was sollte Lukas schon mitbekommen haben. Ich machte mir so viele Gedanken und achtete auf jedes noch so kleine Detail.
Wenn Lukas Verdacht schöpfen sollte, hätte ich das schon längst mitbekommen. Er hätte es mir gezeigt und nochmal wesentlich kritischer nachgeharkt, wenn ich ihm versicherte, dass wir in dieser Stunde mal wieder nichts aufgeschrieben hatten.
Ich sollte aufhören mich damit verrückt zu machen, denn dafür ist gerade keine Zeit. Ich weiß, dass ich es nicht vor mir herschieben sollte, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür, jetzt verbrachte ich erstmal Zeit mit meinem Großvater.

,,Timi Schatz, was kann Alex denn so gebrauchen? Auch wenn ich bei eurer Party nur kurz vorbeischaue, will ich wenigstens was mitbringen.'' Der Wasserkocher hörte auf, irgendwelche Geräusche zu machen und er nahm diesen in die Hand, um das aufgekochte Wasser in die Tassen zu gießen.
,,Du musst ihr nichts schenken. Hauptsache du bist da, mehr wollen wir nicht.'', erwiderte ich lächelnd und nahm den riesigen Stapel an Karten zwischen meine Finger, um diese zu mischen.
,,Ach komm', irgendwas wünscht sie sich doch. Schminke? Kamerazubehör? Klamotten? Sag' mir schon, was sie möchte.'' Er drehte sich fragend zu mir und sah mich mit bittenden Augen an.

,,Sie möchte nichts, außer dass du da bist.'', antwortete ich lächelnd, legte die fertig gemischten Karten ab und erhob mich vom Stuhl, um meine Tasse von der Theke zu nehmen und einmal mit ihm anzustoßen.
,,Und was möchtest du dann haben? Dass ich da bin hat sich Alex schon gewünscht, das fällt also schon mal raus.'', fragte Opa lachend, aber in einem leicht verzweifelten Unterton, weil er wusste, dass ich nicht so einfach mit der Sprache rausrücken würde.
,,Du hast mir doch schon was zum Geburtstag geschenkt und das reicht auch. Ich wünsche mir, dass du etwas länger bleibst und einen mit mir trinkst.'', erwiderte ich lächelnd und nahm ihn einmal in den Arm.

,,Na gut, weil du es bist...'', gab Opa sich seufzend geschlagen und wuschelte mir lachend durch die Haare. Ich klopfte ihm auf die Schulter und wir setzen uns wieder zurück an den Tisch, wo er dieses Mal die Karten austeilte, damit ich nicht schummeln konnte.
,,Aber soweit habt ihr alles beisammen, oder braucht ihr noch irgendwas? Hat Alex schon die passenden Ohrringe zum Kleid?'', griff mein Großvater doch nochmal fragend das Thema auf, als wir schon mitten im Spiel waren.
,,Ja, wir haben alles, keine Sorge. Wir sind wunschlos glücklich.'', erwiderte ich lachend und ein noch viel breiteres Lächeln legte sich auf meine Lippen. In knapp 2 Wochen würden Alex und ich unseren Achtzehnten Geburtstag feiern.

Ich freute mich schon riesig auf den Tag und konnte es kaum noch erwarten, endlich die Sau rauszulassen und das Leben zu feiern. Schon seit Jahren träumten wir von diesem Tag, hatten uns alles genaustens ausgemalt und endlich ist dieser zum Greifen nah.
Jeden Tag besprachen Alex und ich Dinge miteinander, organisierten die letzten Sachen und überlegten, was man noch verändern oder verbessern könnte. Wir wollten, dass Alles perfekt wird. Ein unvergesslicher Abend, an den sich jeder noch mit Wehmut zurückerinnern würde.
Aber besonders freute ich mich auf einen ganz bestimmten Gast. Nach Absprache mit Alex, die bei dieser Antwort natürlich nicht lange fackeln musste, hatte ich Lukas gefragt, ob dieser nicht Lust hätte, zu kommen.

Selbstverständlich hatte er dem sofort zugestimmt und sich riesig darüber gefreut, dass ich an ihn gedacht und ihn eingeladen hatte. Aber klar hatte ich ihn eingeladen, denn ich konnte keine Party feiern, an dem ich mein Baby nicht an meiner Seite hatte.
Außerdem wollte meine beste Freundin ihn endlich mal kennen lernen, weswegen Lukas dazu verpflichtet ist, zu kommen, vollkommen egal, was noch passieren sollte, die Party würde nicht ohne ihn steigen.
Ich strahlte über beide Enden und konnte es kaum noch erwarten. Aber jetzt spielte ich erstmal einige Runden UNO mit Opa, in denen er mit unterschwelligen Fragen herausfinden wollte, was Alex und ich uns denn wünschen würden.

Doch immer wieder blockte ich gekonnt ab, denn ich hatte alles, was ich brauchte. Ich fand es wirklich süß, was für Gedanken er sich schon wieder machte, aber in diesem Moment hatte ich tatsächlich alles, was ich jemals haben wollte.
Okay... zumindest fast. Ich hatte mich bereits auf dem richtigen Weg zum Ziel befunden, bin in den letzten Wochen aber leider vom Pfad abgekommen und musste erstmal wieder zurückfinden.
Ich wollte nicht darüber nachdenken, denn je mehr ich diese Gefühle verdrängte, desto stärker wurden sie. Ich musste mich langsam wirklich zusammenreißen, bevor es zu spät ist und jeder mitbekommen würde, was ich in letzter Zeit abgezogen hatte.

,,Na, gibst du dich endlich geschlagen, oder wollen wir noch eine Revanche machen? Verkraftest du eine weitere Niederlage?'' Bevor die Gedanken ausarten konnten, besiegte ich meinen Großvater, mit dem ich mittlerweile seit einer Stunde spielte, in einer weiteren Runde.
,,Ach, lass' gut sein, Junge. Du hast doch heimlich geübt, sonst hast du nie so oft gewonnen. Die Karten sind manipuliert!'', meckerte er beleidigt, schmiss seine Karten auf den Stapel und lachend packte ich alles zusammen. ,,Beim nächsten Mal schlägst du mich wieder, keine Sorge.''
Ich ging ins Wohnzimmer, verstaute das Spiel in der Schublade und sofort legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Ich musterte das Bild, welches eingerahmt in der Glasvitrine stand und welches mein Herz höher schlagen ließ.

Das Bild zeigte mich und meine Mama. Wir befanden uns im Krankenhaus, wo ich erst vor einigen Stunden auf die Welt gekommen war. Ich lag friedlich schlummernd auf ihrer nackten Brust, während sie lächelnd auf mich herab sah und mir über den Kopf streichelte.
,,Du, Opa? Wie ist das für euch gewesen, als...ähm...als ihr von mir erfahren habt?'', fragte ich etwas unsicher, als dieser seine Pfeife mit Tabak stopfte.
,,Wie meinst du das, mein Schatz?'', fragte er nach, zündete sich die Pfeife an und ging mit mir zusammen auf den Balkon, wo wir uns wieder auf den Stühlen niederließen. Mittlerweile hatte die Sonne sich auf diese Seite gedreht, weshalb es etwas wärmer war.

,,Timi?'', sagte mein Großvater, als ich eine Zeit lang nichts mehr von mir gegeben, sondern ein Reh mit seinem Kind auf dem Feld beobachtet hatte.
,,Hmmm?''
,,Was genau meinst du mit deiner Frage?'' Mein Opa drehte sich zu mir und legte den Kopf schief.
,,Na, wie ist das für dich und Oma gewesen mit der ganzen Schwangerschaft und so. Wie habt ihr überhaupt davon erfahren? Wie habt ihr reagiert?'', erklärte ich ihm etwas genauer und er zog nachdenklich an der Pfeife.

Sofort hatte ich Angst, etwas Falsches angesprochen zu haben. Es konnte ja sein, dass ich das nicht hören wollte und mein Großvater nach den passenden Worten suchte, weil es da doch die ein oder andere Sache gab, die mir jahrelang verheimlicht wurde.
Wenn ich mal nach der Schwangerschaft gefragt hatte, hatte ich immer nur die Seite meiner Mutter gehört. Ich kannte ihre Gefühle, wie sie mit der ganzen Situation umgegangen ist und welche Hürden sie zu meistern hatte.
Wie meine Großeltern aber darauf reagiert hatten, das hatte ich nie erfahren.Ich hatte mich irgendwie nie getraut zu fragen, denn eventuell hatte meine Mama die ganzen Geschichten immer etwas ausgeschmückt, damit ich mich nicht noch schlechter fühlte.

,,Ohje, da fragst du mich aber was. Also... Hmmm.. Wie ist das denn für uns gewesen?'' Mein Opa pustete den Rauch aus und sah grübelnd aufs Feld, während er die Spitze der Pfeife langsam gegen sein Kinn stieß.
,,Also wirklich erfreut sind wir von der Nachricht nicht gewesen. Deine Mama war ja auch noch sehr jung und da hat ein Kind irgendwie nicht reingepasst. Du weißt, dass sie gerne mal rebelliert hat und Verantwortung keine große Bedeutung für sie hatte.''
,,Da konnten wir uns erstmal nicht vorstellen, dass das was wird. Sie hatte ja auch sehr viele Probleme mit sich selber, in der Schule und wir hatten Angst, dass ein Baby das Alles nur noch verschlimmern würde. Das ist sie komplett durchdrehen würde.'' Ich nickte stumm und spannte mich leicht an. Na super...

,,Deine Mama kam aber schon sehr früh damit zu uns, das hat uns dann doch sehr überrascht. Sie hat erst mit Oma geredet und gesagt, dass sie schon seit vier Wochen überfällig wäre und es sich nicht so anfühlt, als würde da noch was kommen.''
,,Sie hat dann auch sofort zugegeben, dass da etwas passiert ist, was genau in diesen Zeitraum passt und sie da schon eine Vorahnung hätte, weil sie nicht verhütet haben und sie die Pille danach nicht mehr nehmen konnte.''
,,Wir sind jetzt aber nicht ausgerastet, oder so. Natürlich fällst du nach so einer Beichte erstmal aus allen Wolken und machst dir Gedanken darüber, wie das denn jetzt weitergehen soll.'' Mein Großvater legte seine Pfeife zur Seite und musterte mich.

,,Aber es muss ja nicht immer gleich was heißen. Ich bin dann aber trotzdem direkt zur Apotheke, hab' was besorgt und wir haben dann getestet. Deine Mama hat sich da zwar anfangs etwas gegen gesträubt, weil sie das Ergebnis nicht wahrhaben wollte, aber herausgefunden hätte sie es ja so oder so.'' 
,,Als wir sie dann etwas beruhigt hatten, hatte sie den Test schlussendlich gemacht, der logischerweise positiv ausgefallen ist.'' Ich krallte mich an den Lehnen fest und mein Großvater streichelte mir beruhigend über die Schulter. ,,Und wie hat Mama reagiert? Was habt ihr gemacht?'' Ich wollte es wissen, hatte gleichzeitig aber auch die Sorge, dass ich noch nicht bereit dazu wäre.
,,Es hat sie nicht unbedingt gefreut. Sie hat dann erstmal geweint und sich schon total die Gedanken gemacht, was jetzt passiert. Sie hatte schon Angst, dass wir sie rauswerfen würden und wollte direkt in ihr Zimmer gehen, um ihre Sachen zu packen, weil wir ja angeblich kein Verständnis dafür hätten und uns schämen würden so eine Tochter zu haben.''

,,Wir haben sie dann schnell wieder runtergebracht und ihr versichert, dass egal, was jetzt kommen sollte, wir immer hinter ihr stehen und sie unterstützen werden. Dass sie nicht alleine ist und es auch nicht sein wird, weil wir trotzdem noch stolz auf sie sind.''
,,Am nächsten Tag sind deine Oma und Mama dann zum Gynäkologen, um sich das Ganze mal anzusehen. Die Tests liegen in den meisten Fällen schon richtig, aber es muss ja nicht gleich das sein, was man denkt.''
,,Das muss doch nicht leicht für sie gewesen sind, oder? Da zu liegen und die Bestätigung zu bekommen.'', fragte ich seufzend und Opa nickte. ,,Auf keinen Fall. Aber wie sollst du auch mit 15 darauf reagieren? Da bist du mit dem Kopf doch noch total woanders. Da denkst du meistens noch nicht mal über den nächsten Tag nach.''

,,Nachdem Termin hatte deine Mama wieder die Sorge, dass wir das jetzt nicht mehr dulden würden, wo feststand, was da los ist. Es hat noch eine Weile gedauert, bis sie das verstehen wollte, aber sie wäre wirklich niemals auf der Straße gelandet und in der Situation alleine gelassen worden.''
,,Wir waren immer für sie da und haben sie unterstützt, wo es nur ging. Bei allen Frauenarztbesuchen, den Vorbereitungskursen, beim Babysachen aussuchen und natürlich auch bei der Entbindung. Wir sind ihr wirklich keine Minute mehr von der Seite gewichen und wenn jemand was Doofes gesagt hat, wurde sofort zurückgefeuert.
Mein Großvater lächelte mich an, streichelte mir beruhigend über die Schulter und griff nochmal nach seiner Pfeife, um einen tiefen Zug von dieser zu nehmen und nochmal nachdenklich aufs Feld zu sehen.

,,Warte mal...'' Opa drückte fest meine Hand, sah mich aufmunternd an und erhob sich dann aus dem Stuhl, um ins Wohnzimmer zu gehen. Völlig verwundert sah ich ihm hinterher und wurde noch stutziger, als er in der Schublade mit seinen wichtigsten Dingen nach etwas suchte.
Ich lehnte mich zurück und ließ ihn einfach machen. Immerhin klang die Geschichte nicht ganz so schlimm und düster, wie ich es immer erwartet hatte. Ich fühlte mich schon schlecht, dass Leben so durcheinander gebracht zu haben, aber wenigstens standen meine Großeltern immer hinter ihr.
Ich bin wirklich sehr glücklich, dass die zwei ihr so zur Seite gestanden und so viel Verständnis dafür hatten. Ohne die zwei wäre meine Mama völlig aufgeschmissen gewesen und das hätte ich mir niemals verzeihen können.

,,Guck' mal, das haben sie von dem ersten Termin mitgebracht.'', kam mein Großvater wieder zurück und legte mir breit lächelnd etwas auf den Schoß.
,,Oh mein Gott, bin ich das?'', fragte ich mit großen Augen nach und musterte das Ultraschallbild in meinen Händen.
,,Ja, die kleine Erbse bist mal du gewesen. Gerademal vier Wochen alt.'', lächelte mein Opa über beide Ohren und streichelte mir übers Knie.
,,Wow...''

,,Aber trotzdem krass die Bestätigung zu bekommen, obwohl man nur auf eine dumme Vermutung gehofft hat.'', seufzte ich leise und eine Träne rollte mir über die Wange. Mein Großvater wischte sie mir sofort weg und nahm mich einmal fest in den Arm.
,,Es ist nicht leicht gewesen. Wir haben sie aber nicht dafür verurteilt und ihr irgendwelche Vorwürfe gemacht, das hätte in der Situation keinen von uns weitergebracht. Trotzdem fragst du dich da auch als Elternteil, ob der Fehler nicht an dir gelegen hat.''
,,Aber im Endeffekt hätte es auch trotz Verhütung und in jedem anderen Alter passieren können, da steckt keiner drin. Es hätte nur nicht unbedingt dieser Dreckskerl dein Vater sein müssen.'' Ich musste lachen, aber nickte zustimmend.

,,Aber wäre es für dich besser gewesen, wenn das nicht passiert wäre? Hättest du eine Abtreibung bevorzugt?'', harkte ich unsicher nach und biss mir auf die Unterlippe, während mir ein ekeliger Schauer über den Rücken lief.
,,Wir haben ihr die Entscheidung überlassen. Wofür sie sich am Ende entschieden hätte, hat keine Rolle gespielt. Wir hätten sie in allem unterstützt und ihr beigestanden. Wir haben ihr da nichts eingeredet, ihr stand jede Tür offen.''
,,Aber ich bin mehr als froh darüber, dass sie sich für dich entschieden hat. Damit hat sie mir das wohl schönste Geschenk gegeben, was ich mir jemals hätte vorstellen können.'', lächelt mein Opa und wuschelte mir durch die Haare.

,,Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel Rotz und Wasser ich geheult habe, als ich dich das erste Mal in den Armen halten durfte. Du warst so klein und süß. Jetzt bist du schon so groß, aber immer noch ein Schatz.''
,,Ach, jetzt hör' auf! Ich werd' schon ganz verlegen.'', erwiderte ich lachend und spürte, wie ich einige Nuancen dunkler wurde. Ich versteckte mich hinter dem Ultraschallbild und mein Großvater nahm mich einmal fest in den Arm.
,,Ja, aber ist doch so! Du kamst etwas früh, aber es macht mich verdammt glücklich, dich zu haben. Du zweifelst das zwar oft an, aber es ist toll, dass du da bist.'', grinste er über beide Ohren und ich erwiderte sein strahlendes Lächeln.

,,Teilweise zumindest...''
,,Was meinst du denn mit teilweise, mein Schatz?'' Sofort wandelte sich sein Blick und er sah mich besorgt von der Seite an, während mir eine Träne nach der Anderen die Wange hinunterrollte.
,,Ich hab' dir doch von meinen Erfolgen in der Schule erzählt, oder? Also, dass ich so viel mit Lukas mache, regelmäßig hingehe und mittlerweile gute Noten schreibe.'' Er nickte und gab mir ein Taschentuch.
,,Es ist alles gut, mein Schatz.''
,,Nein, nichts ist gut!'', erwiderte ich zickig und und vergrub die Hände im Gesicht. ,,Ich bin ein Idiot...''
,,Sag' doch sowas nicht, Timi. Du bist toll.''
,,Nein, bin ich nicht. Ich bin ein dummes Arschloch!''

,,Was ist denn passiert?'' Mein Großvater streichelte mir sanft übers Knie und sah mich auffordernd an.
,,Ich hab' ganz große Scheiße gebaut, Opa. Richtig, richtig dumme Scheiße. So blöd kann kein Mensch sein.'', schnaubte ich auf und fuhr mir die Tränen aus dem Gesicht.
,,Ich hab' geschwänzt und Lukas angelogen. Ich... Verdammte Scheiße, ich hab' den Anschluss total verloren und... Ich kann nichts mehr... Ich hol' mir Tafelbilder da und... Versteck mich überall... und...'' Er legte mir seinen Finger auf die Lippen und nahm mich in den Arm.
,,Sh...Bleib' ruhig...'', flüsterte er mir ins Ohr und streichelte mir über den Rücken. Ich krallte mich wie ein Ertrinkender an ihm fest und mein Herz zerbrach in tausend Teile. Warum konnte ich nicht normal sein?

,,Nochmal ganz ruhig und langsam. Was genau ist jetzt passiert?'' Opa drückte mich etwas von sich weg, sah mir in die Augen und strich mir beruhigend über die Schultern. ,,Du hasst mich nicht, wenn ich das jetzt erzähle? Versprochen?''
,,Ich kann dich nicht hassen, Timi. Ich könnte dir manchmal den Kopf abreißen, aber lieben werde dich dich immer. Sag' schon, was ist vorgefallen.'', auffordernd sah er mich an und gab mir ein neues Taschentuch.
Ich seufzte leise, zerrupfte es in meinen Händen und brauchte einige Minuten, ehe ich mich gesammelt hatte. Ich wollte nicht, dass er ausflippen würde, aber ich wusste, dass er es nachvollziehen und mir einen Rat geben könnte. Er ist meine letzte Hoffnung...

[...]

,,Ach, herrje...'', seufzte Opa mit großen Augen auf, nachdem ich ihm einen ausführlichen Bericht über die letzten Wochen gegeben hatte. ,,Timi, das kann so nicht weitergehen. Du bist doch auf dem richtigen Weg. Mensch, was soll das denn?''
,,Ich weiß doch auch nicht...'', zuckte ich mit den Schultern und sah schuldbewusst auf die Taschentücherbox, die auf meinen Beinen lag. ,,Ich möchte es gerne ändern, aber der, der mir dabei helfen könnte, ist Lukas und den lüge ich an...''
,,Warum lügst du ihn denn überhaupt an? Das ist doch ein vernünftiger Kerl, ihr könnt' doch scheinbar über alles reden. Der zeigt so viel Verständnis, mein Schatz.'' Mein Großvater setzte sich auf und musterte mich fragend von der Seite.

,,Ich habe Angst ihn zu enttäuschen. Er freut sich immer so, wenn ich ihn von meinen Erfolgen erzähle. Er ist richtig glücklich und das macht mich auch voll happy. Wenn ich da jetzt sowas bringe, ist das nicht mehr so.''
,,Aber es gehört dazu, Timi. Lukas erwartet sicherlich nicht, dass du jetzt einen 1,0 Abschluss machst. Natürlich freut ihn das, das ist ja auch schön zu hören, wenn du dich besserst. Aber du weißt, dass auf die Fresse fallen dazu gehört.'' Er sah mich eindringlich an und ich nickte.
,,Ja schon. Aber nicht, dass er denkt, irgendwann mal was für mich umsonst gemacht zu haben, weil es nichts wird, oder so. Jetzt strengen wir uns an und am Ende reicht es nicht aus. Da hätte Lukas so viel bessere Dinge tun können.''
,,Das denkt er nur, wenn du deine Chance nicht nutzt und schwänzt, Timi. Wenn du dich weiterhin dran versuchst, könnt' ihr immer noch sagen, dass ihr das probiert habt. Würde Lukas seine Zeit so wichtig sein und würde er nicht an dich glauben, würde das nicht mitmachen.''
,,Ich weiß...''
,,Aber?''
,,Aber keine Ahnung...'' Verzweifelt raufte ich mir durch die Haare und boxte gegen die Taschentücher.

,,Er wird jetzt eh wütend auf mich sein. Ich belüge ihn schon so lange. Das wird er mir niemals verzeihen können.'' Eine Träne nach der Anderen rollte mir wieder über die Wange und mein Großvater strich mir diese behutsam weg.
,,Noch kannst du mit ihm reden, Timi. Noch ist nichts verloren. Er wird sauer sein und erstmal nicht mit dir reden wollen, aber er wird sicher wieder einkriegen. Du musst ihm nur zeigen, dass du es Ernst meinst. Du bist ihm wichtig, der lässt dich nicht alleine'', erwiderte Opa einfühlsam.
,,Das Schwänzen ist nicht okay, aber klär' das bitte mit Lukas. Er kann dir helfen und bringt dich wieder auf den richtigen Pfad. Versau' dir das wegen dem inneren Schweinehund nicht mit ihm. Er ist ein Guter.''


Mit Tränen in den Augen und stark an der Zigarette ziehend dachte ich an das Wochenende mit meinem Großvater zurück. Wir hatten noch so viel miteinander geredet, gelacht und die gemeinsame Zeit genossen, die uns geboten wurde.
Es hatte wirklich gut getan, mal wieder bei ihm zu sein und alles herauslassen zu können, was mich gerade bewegte. Ein gutes Gespräch ist so viel wert und vor allem er hatte immer die richtigen Worte für mich.
Er sah viele Dinge nochmal anders und half mir, eine andere Sichtweise zu bekommen, die ich so noch gar nicht betrachtet hatte. Ich gab viel auf seine Meinung und sie hatte mich noch nie enttäuscht.

Wir hatten wieder über so viele Themen philosophiert - Klimawandel, Seelenverwandtschaft, meine Kindheit und trotzdem gab es nur ein einziges Thema, was mir andauernd im Kopf herumkreiste.
Mal wieder saß ich unter der Brücke, die in der Nähe des Bahnhofs lag und rauchte eine Zigarette nach der Anderen, obwohl ich gerade im Unterricht sitzen müsste. Laut Stundenplan hatte ich gerade Biologie, so viel wusste ich noch.
Was wir dort drin gerade hatten, davon hatte ich keine Ahnung. Nach wie vor holte ich mir die Tafelbilder meiner Mitschüler, damit die Lüge nicht aufflog, aber verstehen tat ich davon mal so gar nichts.

Ich ging es hier und da mal mit Lukas durch, mehr aber auch nicht. Ich hatte keinen Plan von irgendwas mehr, denn ich hatte den Anschluss völlig verloren. Es hatte alles so gut angefangen, aber es zerbrach immer mehr, wie alles in meinem Leben.
Ich hasste mich. Mal wieder stand ich vor einer bitteren Enttäuschung, die ich selbst zu verantworten hatte. Hätte ich einmal im Leben das Richtige getan, müsste ich jetzt nicht in dieser Situation sein.
Ich hatte Lukas noch immer nichts von den Fehlstunden gesagt. Nach wie vor kaufte er mir die Lügen ab, die ich, mittlerweile ohne mit der Wimper zu zucken, von mir gab. Er fraß mir regelrecht aus der Hand und würde nie auf die Idee kommen, zu zubeißen.

Aber es ist auch kein Wunder, denn ich hatte genug Zeit, um mir diese auszudenken. Ich konnte mir über jedes noch so kleine Detail, sämtliche Gedanken machen und das Gespräch, was ich mit Lukas führen würde, in meinem Kopf immer wieder durchgehen.
Ich wusste, was ich zu sagen hatte und er könnte mir niemals auf die Schliche kommen. Ich hatte alles in meinem Kopf gespeichert, sodass es niemals zu Missverständnissen oder Verwechselungen kommen könnte.
Lukas konnte versuchen, mich hinters Licht zu führen, aber es würde nicht klappen, denn ich bin ihm immer zwei Schritte voraus. Ich hatte dafür genug Zeit, obwohl ich diese nicht haben sollte, weil ich verdammt nochmal in der Schule sitzen sollte.

Ich sollte endlich mal das machen, was ich mir schon so lange vorgenommen hatte. Aber statt meinen Versprechungen nachzugehen, saß ich lieber unter der Brücke meine Zeit ab und wartete, bis ich mich in der Öffentlichkeit wieder blicken lassen konnte.
Hin und wieder ließ ich mich für einige Stunden in der Schule sehen, glänzte aber nicht mit meiner Anwesenheit. Ich saß meistens nur abwesend da, hatte den Kopf auf den Tisch und zwang mich dazu etwas mitzuschreiben, damit ich es Lukas zeigen konnte.
Wenn Lehrer versuchten mir was zu sagen, blockte ich sofort ab, gab meinen Kommentar von mir, der alles andere als Respekt und Verständnis zeigte und ignorierte alles, was sie mit mitgeben wollten.

Ich wusste, dass sie es gut meinten, denn sie hatten mit ihren Worten Recht. Ich sollte mich zusammenreißen, bevor es zu spät und alles verloren ist. Noch hatte ich die Chance etwas zu ändern, aber lange würde ich diese nicht mehr haben.
Sie sollten mir eigentlich so um die Ohren fliegen, aber ich wollte nichts davon hören. Ich wusste, dass das hier falsch ist. Ich sollte in der Schule sein und das machen, was ich mir immer vorgenommen hatte.
Aber ich konnte das nicht. Ich würde niemals all das aufholen können, was ich in den letzten Stunden verpasst hatte. Der Berg wurde immer riesiger und irgendwann, würde er mich einholen und mich für immer verschwinden lassen.

Ich konnte von Glück reden, wenn ich mit dem Wissen, was ich noch hatte, wenigstens die Abschlussprüfungen irgendwie bestehen würde. Momentan befanden wir uns in der Vorbereitungszeit für diese.
Es ist so eine Ironie, denn eigentlich wäre es gerade jetzt wichtig, in der Schule zu sein, schließlich hängt meine gesamte Zukunft davon ab. Ich sollte mich vorbereiten und einmal nicht nachdem Motto leben, dass das irgendwie schon gut gehen wird.
Wenn ich so weitermachte, würde es alles sein, aber nicht gut. Ich würde mir in den Hintern beißen und mir wünschen, diese Scheiße niemals gesagt zu haben, denn ich konnte bei solchen wichtigen Stunden nicht fehlen.

Aber es brachte doch eh nichts, völlig egal, ob ich da jetzt sitze, oder nicht. Es würde sich nichts ändern, außer der Tatsache, dass ich niemanden enttäuschen würde, wenn ich es doch nicht schaffte. Ansonsten raffte ich nichts und die Stunden würden pure Zeitverschwendung sein.
Ich schnipste die Zigarette weg, zündete mir die Nächste an und warf die leere Packung neben mich. Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und entsperrte dieses. Sofort rollte mir eine Träne über die Wange, als ich mein Hintergrundbild sah, dass Lukas mit seiner Gitarre zeigte.
Ich sollte es ihm sagen, er hatte die Wahrheit verdient. Aber nicht heute und auch nicht morgen. Auch nicht in den nächsten Wochen und auch nicht in den nächsten zwanzig Jahren, denn ich würde ihn viel zu sehr damit verletzen.

Ich wollte mir seine Reaktion darauf nicht ausmalen, denn je mehr ich darüber nachdachte, desto schlimmer wurde es. Er könnte mir eine scheuern, aber im allerschlimmsten Fall würde er mich verlassen.
Das würde ich auf gar keinen Fall verkraften, auch wenn ich Schuld an dieser ganzen Situation bin. Ich hatte mir die Scheiße eingebrockt, da sollte ich sie gefälligst wieder ausbaden. Ich musste für diesen Fehler gerade stehen, in den ich mich immer tiefer hinein ritt.
Ich seufzte leise, legte das Handy neben mich und rauchte die letzte Zigarette zu Ende. Ich starrte nachdenklich auf die Gleisen und nahm mein Handy sofort wieder zur Hand, als Lukas' Nachrichtenton ertönte.

Lukas, 13:00 Uhr:,,Hey, Baby! ♥ Wir machen doch noch etwas länger, das passt noch nicht ganz so, wie wir uns das vorgestellt haben. 😆 Wären gegen 16 Uhr fertig, dann könntest du mich abholen kommen, wenn das passt. Ich hoffe, das ist nicht schlimm. Freue mich schon auf dich. ♥''

Ich schulterte mir den Rucksack über, schrieb ihm, dass das OK wäre und ging die Treppen herunter, um daraufhin den kleinen Weg entlang zu gehen. Augenblicklich legte sich ein Lächeln auf meine Lippen, als ich vom Weitem das Maisfeld sah.
Mein Bauch begann ganz angenehm zu kribbeln und mit rasendem Herz erinnerte mich an den Tag zurück, an dem ich Lukas mit zu diesem Ort genommen und wir am Ende knutschend und kuschelnd in diesem gelegen hatten.
Die Bilder, die an diesem Tag entstanden waren, waren immer noch meine Liebsten von uns und wenn ich könnte, würde ich Zeit zurückdrehen. Zurück in die Zeit, als ich noch kein verlogenes Miststück gewesen bin.

In dem ich Lukas noch ins Gesicht sehen konnte, ohne direkt von Schuldgefühlen geplagt zu werden, weil aus meinem Mund die nächste Lüge sprudelte, während mein Inneres danach schrie, ihm bitte die Wahrheit zu sagen.
Es machte mich krank, ihm nichts davon sagen zu können. Ich wollte das Alles für immer rückgängig machen, denn ich hätte niemals mit dem Schwänzen und mit diesen ganzen Lügen anfangen dürfen.
Hätte ich von Anfang an etwas gesagt, hätte es niemals soweit kommen brauchen. Lukas hätte mich wieder zurück auf den Boden der Tatsachen geholt und mir nochmal ins Gewissen gerufen, dass seine Hilfe und ein schlechter Tag nicht das Ende der Welt sind. Du bist so ein Idiot!

Ich wendete den Blick vom Maisfeld ab, ging an der Gartenanlage vorbei und stieg in die nächste Bahn, um nach Hause zu fahren. Ich musste mir sowieso noch eine neue Packung Zigaretten holen und das Wiedersehen mit Lukas würde ja eh noch etwas dauern.
In der Zwischenzeit konnte ich ja schon mal die Tafelbilder abschreiben, die eine Klassenkameradin mir netterweise hat zu kommen lassen, damit ich nicht wieder die Ausrede benutzen musste, dass ich den Hefter in der Schule hab' liegen lassen.
Ich musste da wirklich aufpassen, denn Lukas durfte nicht stutzig werden und damit anfangen, dass Alles irgendwann zu hinterfragen. Er vertraute mir, aber wenn ich mich am Sichersten fühlte, konnte es doch mal böse enden.

Zuhause angekommen, stieg ich aus der Bahn, ging die paar Meter bis zum Haus und checkte den Briefkasten. Ich nahm den Inhalt von diesem an mich, schloss die Haustür auf und warf sie auf den Wohnzimmertisch.
Ich wollte dieses gerade wieder verlassen und die Treppen nach oben gehen, als ich einen blauen Brief zwischen all den Zeitschriften bemerkte. Mit großen Augen nahm ich diesen in die Hände und mir stockte sofort der Atem.
Allein' am Briefkopf erahnte ich, dass es nichts Gutes zu heißen hatte und mir wurde plötzlich ganz schlecht. Mit zittrigen Fingern öffnete ich diesen und kippte fast um. 'Schulverweis des Schülers Tim Wolbers von der Hauptschule'. Fuck...



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