7 🔯 Lebende Bücher und magische Schlüssel

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Mit einer ausholenden Bewegung verkündete er lautstark: »Die Suche kann hiermit beginnen, Untertanen der Sonne!«

»Die Suche nach was denn?«, entgegnete ich wenig enthusiastisch und trat in das dämmrige Zimmer. »Ich weiß immer noch nicht, wozu ich überhaupt hier bin, wieso ich das Tagebuch mitbringen sollte oder überhaupt irgendwas über diese Göttersache!« Während des Redens war meine Stimme immer lauter geworden, der Vorwurf darin war unüberhörbar. »Sorry«, fügte ich kleinlaut hinzu.

Doch Re lächelte unbekümmert. »Das ist vermutlich gewöhnungsbedürftig, die Welt auf einmal so zu sehen wie sie wirklich ist. Dennoch wirst du dich daran gewöhnen müssen. Ich werde dir helfen und ein bisschen etwas darüber erzählen.« Neben mir meldete sich nun wieder Nathan zu Wort. »Deinen ach so tollen Plan würde ich, um ehrlich zu sein, auch mal gerne erfahren.«

Leise seufzend ließ Re sich wieder auf sein Bett sinken. Es quietschte vernehmlich. »Vor ein paar Tagen tauchte ein Gott, der lange Zeit als verschwunden galt, auf und behauptete, ihm sei etwas gestohlen worden. Dabei handelte es sich um Aiueb Gnshal, auch 'das Auge zwischen den Welten' genannt. Er ist der Hüter des Weltenschlüssels, der unsere Welten verbindet.

Eben dieser Schlüssel wurde ihm gestohlen, und was könnte ich Besseres tun als einem Kollegen zu helfen?« Wenn er es so ausdrückte, klang es, als wäre er ein Held. Allerdings kannte ich den Grund für sein Handeln, was sein Vorhaben deutlich weniger rühmlich erscheinen ließ. »Der einzige Wegweiser zu diesem verschollenen Weltenschlüssel ist das Tagebuch der Evie Chander!«, verkündete Re abschließend.

Leise murmelte Nathan: »Ach deshalb warst du so scharf auf das Buch.«
»Was hat meine Mutter mit alldem zu tun? Wieso ausgerechnet ihr Notizbuch?« Ich wollte es endlich verstehen. Doch Re schüttelte nur den Kopf. »Alles was ich weiß, ist, dass ihr Buch uns zum Weltenschlüssel führen kann. Warum, hat mir Aiueb Gnshal nicht verraten.« Dieser Gott hatte einen wahrhaft seltsamen Namen.

Vermutlich würde ich ihn nie aussprechen können. »Also braucht ihr nicht mich, sondern das Buch«, fasste ich ernüchtert zusammen. »Stellst du die Worte eines Gottes infrage?«, empörte Re sich sofort. »Wenn ich sage, ich möchte dich dabei haben, dann meine ich das auch so!« Das erleichterte mich ein bisschen. Irgendwie hatte ich befürchtet, wieder nach Hause geschickt zu werden.

»Also gut.« Umständlich ließ ich den Rucksack zu Boden gleiten und suchte das Notizbuch heraus. Wie sollte dieses Ding uns zu einem verwunschenen Schlüssel führen? Re und Nathan stellten sich neben mich. Ihre Ungeduld schwappte wie eine Welle über mich hinweg und verpasste mir eine Gänsehaut. Mit zitternden Fingern klappte ich den Einband auf. Die verschlungenen Buchstaben des Namens meiner Mom tauchten auf der ersten Seite auf.

Beim Weiterblättern widerstand ich der Versuchung, die in winziger Handschrift verfassten Texte zu lesen. Sollten das doch die beiden Götter übernehmen. Die nächste Seite war gewellt vor getrockneter Feuchtigkeit. Beim Umblättern spürte man, dass die Seite etwas schwerer war als die anderen. Wieso war mir diese Seite nicht vorher aufgefallen? Auf der linken Seite des aufgeschlagenen Buches prangte ein großer, mit Tinte gezeichneter Kompass.

Der Hintergrund war komplett geschwärzt, weshalb das Blatt wohl schwerer war. »Das muss es sein«, murmelte Re. Andächtig strich ich über die Seite. Ein gezeichneter Kompass, was erwartete Re davon? Der Sonnengott streckte seine Hand nach dem Buch aus und reflexartig zog ich es weg. Dabei drehte ich es ein wenig, was die Zeichnung plötzlich zum Leben erweckte.

Fast hätte ich es fallen gelassen, doch ich quietschte nur kurz, wobei mir das Herz bis zum Hals schlug. »Da-da-das bewegt sich ja«, stotterte ich überrumpelt und versuchte mich zu beruhigen. Die beiden Götter schienen wenig überrascht. »Wie soll es uns denn sonst führen?«, fragte Nathan mit einem verächtlichen Blick. »Für mich ist das eben nicht so selbstverständlich«, zischte ich aggressiv.

»Ganz ruhig.« Beschwichtigend hob Re die Hände. »Morgan, in welche Richtung zeigt der Kompass?« »Nach Norden?«, gab ich unsicher zurück. Re schmunzelte, Nathan lachte leise in sich hinein. Sollten sie sich doch über mich lustig machen! Woher sollte ich denn wissen, wie man das Teil las. Abermals streckte der Sonnengott die Hände verlangend nach dem Buch aus.

»Keine Sorge, ich nehme es dir nicht weg«, beruhigte er mich. Widerstrebend übergab ich ihm den dünnen Einband. Er legte das Buch auf den Boden und drehte es, bis die rote Zeigerhälfte auf dem N stand. »Nach Südosten also«, stellte er fest. Jetzt glaubte ich, es auch verstanden zu haben. Außer den zwei Doppelzeigern gab es noch einen weiteren, der eine goldene Hälfte hatte.

Und ebendiese zeigte auf einen Punkt zwischen dem O und dem S. Nathan zog ein Handy aus seiner Hosentasche und tippte kurz darauf herum. »Wir könnten es in Richtung Yakima versuchen«, schlug er vor. Ich erhaschte einen Blick auf das Display. Google Maps war geöffnet und die Route zur nahen Stadt markiert. Re überlegte kurz und stimmte dann zu. »Alles klar! Schau mal, wann der nächste Bus fährt. Vielleicht schaffen wir es heute noch dahin. So weit ist es ja nicht.«

Auf einmal ging alles so schnell. »Moment mal!«, stoppte ich das eifrige Planen. »Heißt das, Nathan kommt auch mit?« Re zuckte mit den Schultern. »Warum denn nicht? Mein treuer Gefährte seit Urzeiten lässt mich in solch katastrophalen Zeiten mit Sicherheit nicht im Stich!« Bestätigend schielte er zu Nathan. »Ach, tue ich das nicht?« Der Totengott verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust.

Re verzog das Gesicht zu etwas, das wohl einen Hundeblick darstellen sollte. Beinahe wäre es mir misslungen, das Lachen zu verkneifen. »In vierzig Minuten geht eine Verbindung nach Ellensburg. Wir müssen dort zweimal umsteigen, aber sonst müssen wir bis morgen warten«, erklärte Nathan und steckte das Handy weg. »In vier Stunden wären wir dann in Yakima. Such ein gutes Hotel raus, Re. Dann bin ich dabei.«

Begeistert klatschte dieser in die Hände. »Ich wusste, auf dich ist Verlass, alter Kumpel!« Zerknirscht fügte er hinzu: »Aber weißt du, Thani, mein Handy ist leider kaputt gegangen und ich kann somit nicht ins Internet...« Oha. Re nannte ihn Thani? Das musste ich mir merken. Thani seufzte ergeben. »Also gut. Ich such uns was raus. Aber das mach ich besser, wenn wir den Bus bekommen haben.«

Re zog ein Bündel hinter der durchgesessenen Couch hervor, das wohl sein Gepäck darstellte. »Auf geht's!« Kam es mir nur so vor, oder funkelte in dem Moment wirklich eine Art Feuer in seinen Augen? Es ging die Treppe wieder hinauf, wo wir auf den - wie ich vermutete - Besitzer des Hauses stießen, der auf einmal gar nicht mehr feindselig wirkte. Nein, jetzt lächelte er freundlich und drückte dem Sonnengott sogar ein dickes Bündel Geld in die Hand, als dieser darum bat.

»Bis dann, Ronnie!«, verabschiedete Re sich, Nathan schaute nur grimmig und ich winkte zum Abschied. Die Tür schloss sich mit einem abschließenden Klicken hinter uns und es ging los, zur Bushaltestelle, an der unser Fernbus startete. So begann meine Jagd nach einem verwunschenen Schlüssel gemeinsam mit einem gesuchten Verbrecher und einem vermutlich drogenabhängigen Mitschüler, die zufällig auch Götter waren.

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Verbrauchte Luft und enge Sitzplätze nahmen mir ziemlich schnell den Spaß am Reisen. Eingequetscht zwischen dem staubigen Fenster und Re, der gut gelaunt vor sich hin summte, sah ich zurück auf die immer kleiner werdenden Wolkenkratzer Seattles. Ein genervter Mitfahrer trat gegen Res Sitz, der daraufhin beleidigt verstummte. »Könntest du dich nicht einfach wieder beamen?«, fiel mir ein. »Leider muss ich das verneinen«, seufzte Re traurig.

»Das kann ich nur zu bestimmten Menschen, ist etwas kompliziert.« »Ich dachte, dir wurden die Kräfte genommen?« Rätselnd legte ich den Kopf schief. »Wie gesagt, es ist kompliziert. Aber das Beamen, wie du es nennst, gehört nicht zu einer Art Kraft. Es verbindet die Götter mit den Menschen, früher erschienen diese auf diese Art vor Menschen, die zu ihnen beteten. Verstehst du?«

Ich schüttelte den Kopf. Gar nichts verstand ich, aber das würde sich wahrscheinlich auch durch weitere Erklärungsversuche nicht ändern. Die Fahrt erschien mir endlos, obwohl es nur zwei Stunden waren. Nach zweimaligem Umsteigen, bei dem wir einmal fast in den falschen Bus gestiegen waren, den anderen fast verpassten weil Re unbedingt noch Hotdogs kaufen wollte und einer weiteren Stunde Fahrt kletterte ich erleichtert ins Freie. Der Himmel verfärbte sich bereits in ein dunkles Orange, durchsetzt von rosanen Wolken.

Allesamt erschöpft schleppten wir uns den restlichen Weg zum Hotel. Dort angekommen inspizierte ich erst mal die Zimmer. Freundlicherweise hatte Nathan ein winziges Einzelzimmer für mich gebucht, aber ich wurde den Verdacht nicht los, dass er mich für den Rest des Tages einfach nur nicht mehr sehen wollte. Dennoch, ich war dankbar für ein eigenes Zimmer. Bevor ich mich zurückzog, holte ich erst wieder das Buch hervor und platzierte es auf dem Boden.

Nathan und Re warteten geduldig, bis ich den richtigen Zeiger eingenordet hatte. Noch immer zeigte der goldene Pfeil auf Südosten. »Das heißt wohl weiter in die Richtung«, stellte Nathan fest. »Mal sehen, wohin das Teil uns als Nächstes führt.« Angespannt starrte Re zu ihm. »Jaja, ich suche uns schon den Weg raus«, murrte der Totengott und warf sich rücklings auf sein Bett.

»Ich brauche nur...eine kleine...Pause.« Blitzschnell zog Re ihn am Kragen wieder hoch. »Die kannst du später noch machen! Nicht, dass du einschläfst, bevor du den nächsten Bus gegoogelt hast.« Mit einem Ruck entzog Nathan sich dem Griff des anderen Gottes. »Das mache ich morgen.

Bevor wir hier wieder abhauen, muss ich unbedingt einen Blick auf den Sportsman State Park werfen. Angeblich gibt es dort unglaublich hübsche Nymphen.« Ich hätte schwören können, dass Re daraufhin mit den Augen rollte.

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