40 》Ein Schlussstrich

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Ich wusste nicht, wie lange ich auf den kalten, harten Betonboden lag: schluchzend, die Arme über den dröhnenden Kopf geschlagen, getränkt in Blut, umgeben von Körpern, die allesamt bis vor Kurzem noch geatmet und lebendig vor mir gestanden hatten, und gefangen in heimtückischen Gedanken von Reue und Panik. Ich hatte dieser Frau mitten ins Herz geschossen. Ich hatte sie getötet. Mit meinen eigenen Händen. Es war meine freie und überlegte Entscheidung gewesen. Ich war eine Mörderin. War das die einzige Möglichkeit gewesen, die mir geblieben war? Hätte es keinen anderen Weg gegeben, statt ihr das Leben zu nehmen? Ich durfte nicht über das Schicksal anderer richten. Das konnte ich nicht. Und das stand mir nicht zu.

Das Schluchzen versiegte irgendwann und auch die Tränen waren mittlerweile längst vertrocknet. Meine Augen brannten und juckten stark, während mein gesamter Körper so schwer war, dass es mir unmöglich erschien, jemals wieder aufstehen zu können. Aber das müsste ich früher oder später tun. Denn es war an der Zeit, einen Schlussstrich ziehen. Ich durfte nicht ein weiteres Mal in meinen Zweifeln, Ängsten und Schuldgefühlen ertrinken. Ich wollte an mir und meinem Leben arbeiten. Ich wollte mich nicht mehr fühlen, als wäre das einzige, was ich war, ein verbitterter Haufen Elend. Mein altes Leben war Geschichte, das war mir nun klar. Ich konnte nicht mehr umkehren, dafür war viel zu viel geschehen. Ich musste meinen Blick nach vorne richten - auf die ungewisse Zukunft, die hoffentlich nicht so dunkel wie die Vergangenheit war. Ich wollte hoffen: auf Liebe, Freundschaft, Vergebung und Akzeptanz. Ich wollte wieder glücklich sein - auch wenn dieser Wunsch in weiter Ferne zu liegen schien. Aber ich wollte es unbedingt.

Ganz plötzlich und wie aus dem Nichts huschten die Worte, die Tony während des Trainings so oft zu mir gesagt hatte, dumpf durch meine Ohren: "Du musst lernen, dich und deine Fehler zu akzeptieren. Du darfst den Menschen, der du bist, niemals hassen. Denn du kannst ihn ändern - du kannst dich ändern; an dir arbeiten. Du wirst immer wieder Fehler machen. Aber Aufgeben ist was für Schwächlinge. Du musst dem Leben bloß zeigen, wo es lang geht."
Tony wusste, wovon er sprach. Er hatte zweifelsohne eine Last zu tragen, die jeden anderen längst in die Knie gezwungen hätte. Doch Tony war so viel stärker als die meisten. Ganz alleine kämpfte er gegen seine Ängste, gegen die Dämonen, die ihn Tag und Nacht heimsuchten. Allein aus diesem Grund war er für mich ein Held. Denn Helden kämpften gegen das Böse - gegen das, was uns in Angst und Schrecken versetzte.

Ich erinnerte mich noch genau daran, wie ich ihm auf diese Worte hin spielerisch gegen den Arm geboxt hatte, während er mich bloß angestrahlt hätte, als wäre mein Augenverdrehen das, was ihn am meisten amüsierte.

Ich vermisste ihn so sehr.

Tony war für mich der Mensch geworden, ohne den sich leben falsch anfühlte. Mit ihm war einfach alles besser. Alles war lustiger, einfacher, erfüllender und lebendiger. Er war mein ganz persönlicher Sauerstoff, ohne den ich ersticken würde. Und das tat ich gerade - ganz langsam und kaum merklich. Das, was zwischen uns vorgefallen war, hatte ich längst vergessen. Ich hatte überreagiert. Nach dem, was Mick mir beinahe angetan hatte, hatte ich tatsächlich gedacht, Tony hätte ähnliche Absichten. Die aufgestauten Gefühle hatten sich in dem Moment entladen, als er mich geküsst hatte wie nie zuvor. Ich hatte ihn angeschrien, weil ich von der Angst übernommen worden war, dass er genau so schrecklich sein könnte wie Aiden, Mick, Carlos und die anderen Männer, die mich in der letzten Zeit gequält hatten.

Dabei kannte ich die einzige Wahrheit: Ich brauchte Tony. Ich brauchte seine Nähe, seinen Verstand, seine kessen Bemerkungen, seine beschützenden Arme, die mich behutsam an seine warme Brust drückten. Ich brauchte seine Küsse, die dank seines Bartes ein wohliges Kribbeln auf meiner rauen Haut hinterließen, und ich brauchte seine braunen Augen, die mich voller Fürsorge musterten. Ich brauchte seine wunderschöne, melodische Stimme, die mir ins Ohr flüsterte, dass er für mich da war und alles wieder gut werden würde.

Ich brauchte einfach alles von ihm.

Wie vom Blitz durchzuckt, setzte ich mich kerzengerade auf und öffnete meine schwer und dick gewordenen Augenlider. Meine triefend nassen Hände stießen sich vom klebrigen Boden ab und vorsichtig - mit zittrigen Beinen - wagte ich es, aufzustehen. Ich wankte gleichgewichtigslos hin und her, ehe ich einen sicheren Stand fasste und einen tiefen Atemzug nahm. Die stickige Luft brachte mich zum Aufkeuchen und ich hatte Angst, in dem Hustenanfall zu ersticken.

Denk an ihn. Nur an ihn. Du schaffst das.

Zögernd schleppte ich mich einige Schritte nach vorne, hielt meinen Blick starr an die Decke gerichtet, presste meine Nasenflügel mit den Fingern zusammen und atmete durch den Mund. Ich wollte diesen Geruch nicht riechen - nie wieder. Ich wollte diese Brutalität nicht sehen - nie wieder. Ich wollte bloß flüchten - aus diesem Raum und diesem Leben. Ich wollte das alles hinter mir lassen - für immer.

Mit der vagen Ahnung, wohin ich gehen musste, bewegte ich mich bedacht und mit wackeligen Schritten voran. Alles schien sich zu drehen und ich wusste, dass mein Kreislauf kurz davor war, endgültig zu versagen, doch genau im richtigen Moment legte sich meine Hand an eine Klinke, die ich mit meiner letzten Kraft hinunter drückte. Ich lehnte meinen Körper gegen das kalte Metall und schaffte es so, die Türe aufzustemmen. Das helle Tageslicht ließ mich ruckartig zusammenzucken und ein gequältes Lachen entwich meiner staubtrockenen Kehle. Ich schnappte nach der frischen, warmen Luft, als fürchtete ich, sie könnte mir sonst ausgehen. Doch ohne dass ich es verhindern konnte, klappten meine Beine plötzlich ein und meine Sicht wurde in tiefe Schwärze eingetaucht.

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"Hallo, Miss?", rief eine aufgeweckte Stimme, die in meinem Kopf donnerte wie eine Kirchenglocke. Schmerzend zog ich meine Augenbrauen zusammen und schlug mir die Hände über die Ohren. Finger legten sich auf meine Augenlider und schoben diese sanft auf. Ich blickte in das besorgte, vom Dreck beschmierte Gesicht eines kleinen Jungen, woraufhin ich verwundert meine Hände sinken ließ.
"Ich-", setzte ich röchelnd an, "Was ist passiert?"
"Ich hab Sie gefunden, hinter dem alten Kino. Eigentlich darf ich da nicht spielen, sagt Derek, aber da gibt es so tolle, kleine Hügel, über die mein Monstertruck springen kann. Willst du ihn mal sehen? Er ist ferngesteuert und superschnell!", flink sprang er auf und hüpfte durch das überschaubare Kinderzimmer, in welchem wir uns befanden. Die Wände waren mit bunten Postern zugeklebt und gegenüber von dem Bett, in welchem ich lag, war eine große Legostadt aufgebaut. Die Einrichtung war eher karg, doch es war alles vorhanden, was ein Kind brauchte - schätzte ich mal. Der Junge schnappte sich ein rotes Rennauto von der halb eingekrachten Kommode, kehrte zu mir zurück und präsentierte es mir stolz.
"Guck', das ist rot-gold lackiert, genau wie-", begann er, doch ich musste ihn unterbrechen.
"Kleiner, wie hast du mich hierher bekommen? Du siehst zwar stark aus, aber ich bin sehr, sehr schwer, weißt du?", ich sah ihm eindringlich in die großen, braunen Augen, die zu mir aufsahen.
"Ich bin nicht stark", widersprach er mir sofort, "Aber ich bin schnell. Ich bin zurück zu Derek gelaufen und habe ihm gesagt, dass du Hilfe brauchst."
"Ist das dein Vater?", wollte ich wissen, richtete mich schwerfällig auf und streifte die Wolldecke von meinen Beinen, mit der ich zugedeckt worden war. Sofort sprangen mir die dunkelroten Flecken an meiner Hose ins Auge und ich wendete meinen Blick schluckend ab.
"Nein, Derek ist mein Bruder. Er ist Bastler, ein ganz großer! Und er ist fast so stark wie Hulk! Aber er ist nicht grün. Und er brüllt auch nicht. Oh, aber er ist schlau! Superschlau! Derek?", er erhob seine aufgebrachte Stimme und sah in Richtung des Türrahmens, in dem jedoch keine Türe, sondern bloß ein zerfleddertes Handtuch hing.
"Ist sie wach?", ertönte eine weitere Stimme von außerhalb des Raumes.
"Ja!", entgegnete der Junge und wendete sich dann wieder an mich.
"Ich heiße Manuél. Aber alle nennen mich Manny", er reichte mir seine kleine Hand und schenkte mir ein breites, überwiegend zahnloses Lächeln.
"Elli", ich schüttelte kurz seine Hand, die ich mit meiner vollständig umschließen konnte, ehe ich schließlich an die Bettkante rutschte und meine Füße auf den dunkelblauen Teppichboden stellte.
"Ah, du bist endlich wach!", ich sah auf, als ich die freundliche Stimme von Mannys Bruder wahrnahm. Dieser lehnte im Türrahmen und warf mir ein mattes Lächeln zu. Er war jung - höchstens zwanzig. Seine Haut war genau wie die seines Bruders mittelbraun und seine schwarzen Haare waren verworren aufgestellt. Ein paar Härchen bedeckten sein Kinn und seine buschigen Augenbrauen waren in die Höhe gezogen. Er sah tatsächlich recht stark aus, denn seine Oberarme waren sehr trainiert und auch sonst war er überraschend breit gebaut für einen Jungen seines Alters.
"Du bist also Derek?", erkundigte ich mich vorsichtig und hoffte, dass er und sein quirliger Bruder keine bösen Absichten hatten, sondern zu dem kleinen Teil der Menschheit gehörten, die Gutes taten und anderen halfen.
"Der bin ich", er schenkte mir ein ehrliches Lächeln und verschränkte die Arme vor der Brust, "Ich hoffe, es war in Ordnung, dass ich dich hierher gebracht habe. Neben dir lagen zwei Leichen und eine Polizeieskorte war auf dem Weg, um das Kino zu stürmen. Sie hätten dich sicherlich gefunden und mitgenommen."
Zwei weitere Leichen? Viktor und Carlos? Sie waren wohl als erstes ausgeschaltet worden. So viel Leid und Tragik - und wofür? Für rein gar nichts.

"Warum hast du es nicht zugelassen? Dass sie mich mitnehmen? Immerhin lag ich neben zwei Toten, blutverschmiert", ich runzelte verständnislos die Stirn. Es ergab keinen Sinn. Er musste doch irre sein, einfach so eine fremde Frau von einem Tatort zu sich nach Hause zu schleppen. Damit verstieß er vermutlich gegen zahlreiche Gesetze und ging ohne Gegenleistung ein Risiko ein, welches ihn einfach alles kosten könnte.
"Ich dachte, du könntest Hilfe brauchen. Und ich hatte einfach das Gefühl, dass du nicht wie die anderen bist", erwiderte er und ließ seinen aufmerksamen Blick kurz über mich schweifen, "Willst du dich vielleicht umziehen? Ich hätte hier noch ein paar Kleider, die passen müssten..."
Ich drückte mich von der harten Matratze ab und schwang mich auf die Beine.
"Du hattest also bloß ein Gefühl, mh. Und nein, möchte ich nicht", murmelte ich noch immer skeptisch und verengte meine Augenlider zu schmalen Schlitzen. Hier war doch etwas faul. Wer setzte sein Leben für ein Gefühl auf's Spiel? Der Typ hatte doch eine Meise.

Keine Sekunde später ertönte ein lautes Klopfen und wir alle schreckten kurz auf.
"Familie Cordero? Hier ist die Polizei, wir hätten einige Fragen an Sie!", meldete sich eine Stimme zu Wort - gedämpft, aber dennoch laut genug, um sie zu hören. Derek warf mir einen entschlossenen Blick zu.
"Du gehst in den Schrank!", befahl er mir mit leisem, schneidendem Ton, "Manny, mach' sofort das Bett. Und tu' so, als würdest du spielen."
Der Kleine nickte und fuhr sofort herum. Auch ich schob schnell die Falttüre des in die Wand eingelassenen Schrankes zur Seite und schlüpfte in diesen. Ich versteckte mich zwischen den Klamotten und hielt angespannt die Luft an. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und nun, wo ich mich in dieser dunklen, beengten Kammer befand, stieg mir der abartige Geruch des getrockneten Blutes wieder in die Nase. Ich versuchte, mich auf die entfernten Stimmen zu konzentrieren und bekam tatsächlich einige Wortfetzen von dem Gespräch zwischen Derek und den Polizisten mit. Diese fragten die Anwohner, ob sie etwas von dem mitbekommen hatten, was sich im und vor dem Kino ereignet hatte. Seltsamerweise verneinte Derek alle Fragen und beteuerte, er hätte weder etwas gesehen noch gehört. Er deckte mich. Einfach unfassbar.

Ich hörte, dass eine Türe ins Schloss fiel und einige Sekunden später öffnete Manny mit einem nach oben gestreckten Daumen den Schrank.

"Derek hat alles geklärt", versicherte er mir aufmunternd und ich war auf einmal so überwältigt von dem, was er und sein Bruder für mich getan hatten, dass ich ihm von Erleichterung erfüllt durch die lockigen, dunklen Haare wuschelte.

"Vielen Dank", ich schenkte ihm ein schwaches, aber ehrliches Lächeln, und sah, dass Derek ins Zimmer trat.
"Danke Derek. Das hättest du wirklich nicht tun müssen", wandte ich mich an ihn, doch er grinste bloß.
"Bedank' dich nicht zu früh. Wir sind noch nicht fertig", begann er mit einem halb fröhlichen, halb angespannten Seufzen, "Wir müssen dich noch wegschaffen. Denn wir beide wissen, dass du nicht hierbleiben kannst. Wo kommst du her? Beziehungsweise: wo musst du hin?"
Ich ließ meinen Blick über Mannys Kopf hinweg durch den Raum schweifen und riss die Augenlider auf, als ich das bunte Poster an der Wand entdeckte, das niemand geringeren als die Person zeigte, die mein einziges Ziel war.
"Zu ihm!", mit entschlossenem Fingerzeig deutete ich auf das Plakat und erntete dafür bloß einen irritierten Blick von Derek.
"Zu Iron Man? Naja, ich meine: wer wäre nicht gerne bei ihm? Aber dir ist schon klar, dass-"
Ich verdrehte die Augen und wollte nichts mehr von seiner Skepsis hören, weshalb ich zwischen seine Gedankengänge pfuschte, die soviel sagten wie: die hat sich wohl ordentlich den Kopf gestoßen.
"Ich kenne ihn, Derek!", versicherte ich ihm aufgebracht.
"Du kennst Iron Man?!", Mannys Augen wurden so groß, dass ich Angst hatte, sie sprüngen gleich aus seinem Kopf.
"Ja, ich kenne ihn. Ich bin sowas wie seine Freundin...denke ich."
"Denkst du? Also weißt du: Manny denkt auch, ich wäre sowas wie Hulk. Zwischen denken und wissen liegen Welten", widersprach mir Derek stirnrunzelnd.
"Google es doch einfach", schlug ich ihm vor und rieb mir kraftlos über die nasse Stirn.
"Googlen?", wiederholte er mich kopfschüttelnd und als wäre ich nun vollkommen verrückt.
"Ja, googlen! Sowas kann man hier in Mexiko doch, oder?", spottete ich, fühlte mich aber prompt schuldig, weshalb ich es zurücknahm, "Tut mir leid. Ich bitte dich doch nur, mir zu vertrauen. Und ich bin mir sicher, dass es irgendwo im Internet ein Foto gibt, was dir dabei helfen könnte."
Derek rang sichtlich mit sich selbst und atmete nach einer Weile laut auf.
"Na schön. Ich vertraue dir. Egal, ob mit oder ohne Foto. Immerhin bist du auch nicht direkt abgehauen, sondern hast uns vertraut."
"Danke, Derek", ich nickte ihm zum Dank zu und konnte es kaum abwarten, wieder Zuhause sein - bei Tony.

Hätte ich jedoch gewusst, was mich dort erwartete, wären meine Glücksgefühle sofort versiegt und all meine Ängste zurückgekehrt.

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Immer noch kein Tony, tut mir echt leid...aber ich verspreche, dass er wiederkehren wird. Sehr, sehr, sehr bald. Danke für eure Geduld :D

Habt ihr Vermutungen, was dieser letzte Satz bedeuten könnte? Wenn ja, immer ab damit in die Kommentare ;D

Und wie zum Teufel kann es sein, dass wir mittlerweile schon über 12 Tausend Reads haben? Ich meine...12 TAUSEND!!! Und warum ist diese Geschichte auf Platz 1 beim Tag Iron Man??? Ich bin so überwältigt von allem, mir kommen immer und immer wieder die Tränen...

Vielen, vielen, vielen Dank außerdem an barnesthor- für diese wunderschöne Gif am Anfang! Ich liebe es einfach!❤

Wie immer würde ich mich sehr über konstruktive Rückmeldungen freuen! :)
Bis zum nächsten Mal!

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