Unsterblichkeit und Nüsse

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          Als Nahem später zurückkehrte, war er genauso steif und teilnahmslos wie zuvor. Ana widerstand dem Bedürfnis, sich bei ihm für ihr und Mika'ils Verhalten zu entschuldigen und wurde auch nicht darauf angesprochen. Aber sie wollte ihm von Salem erzählen. Von seiner Reise quer durchs Land und ihrer gemeinsamen Flucht. Dass er seinen Bruder suchte und sie ihn retten würde. Doch Nahem wollte nichts davon hören.

Er fragte erst am nächsten Tag wieder, ob Ana ihre Meinung geändert hätte. Und als sie verneinte, stellte er das Frühstück ab und ging wortlos wieder. Aber Ana wusste, dass sie die Entscheidung nicht mehr lange würde rausschieben können. Sie musste Salem, Lucah und Gabby retten. Und dazu blieb ihr nicht mehr viel Zeit.

„Wie gut kennst du dich mit magischen Vereinbarungen aus?" Mika'il lehnte gegen ein Buchregal und hatte einen Fuß dagegen gestemmt. Er nahm das Buch vor seiner Nase nicht einmal herunter, als er seine Frage stellte, aber Ana war sich sicher, dass er sie seit seinem Aussetzer beobachtete.

Sie saß auf der anderen Seite des Raumes, auf einer kleinen Bank vor einem Bodentiefen Fenster und hatte den schweren Vorhang zur Seite geschoben. Nur ein kleines Stück. Sie hielt ihn umklammert wie eine Rettungsleine. Aber sie konnte hier sitzen. Selbst ohne Gitter. Konzentriert beobachtete sie die Sonnenstrahlen, wie sie einzeln und zögerlich über die ersten Baumwipfel krochen. Sie waren wie eine Wand gegen die schlechten Erinnerungen und Ana klammerte sich an jedes noch so winzige positive Gefühl, das sie in ihr auslösten.

„Ich vermute mal, genauso gut, wie du von mir erwarten würdest", drehte sie sich schließlich zu dem Weltenwandler um.

„Ich würde an deiner Stelle den Deal annehmen", Mika'il senkte sein Buch, „Nimm ihn an, lass das Band trennen und dann verschwinden wir in deine alte Welt, bevor sie merken, dass du niemals vorhattest, Prinz Charming zu meucheln."

Ana blinzelt langsam. Das war eine beknackte Idee. 
„Du kannst nicht bestimmen, in welcher Welt... Du hast nicht einmal einen Schlüssel." 

Mika'il grinste- sie wusste es, ohne sein Gesicht zu sehen. 
"Nur ein Wort: Dämonenstein." 

Ana blieb unbeeindruckt. 
"Du hast keinen."

„Ich werde einen bekommen", gab Mika'il mit einem Schulterzucken zurück, „Ich habe auch eine Vereinbarung mit ihnen."

Es überraschte sie nicht. Er war vorhersehbar wie Sanduhren. Und mit genau diesem Wissen war sie sich auch sicher, dass das nicht alles war. 

Und doch... Ohne das Buch direkt vor seiner Nase, nahm Ana sich die Gelegenheit ihn ebenfalls zu mustern. Glaubte er, dass es funktionieren würde? Die Seelenweberinnen hatten in ihr bisher eher den Eindruck erweckt, als würden sie einen derartigen Verrat hundert Meter gegen den Wind riechen. 

Mika'il öffnete den Mund, überlegte es sich jedoch anders und stellte stattdessen das Buch zurück ins Regal. Ohne ein Wort kam er zu ihr herüber und stellte sich neben die Bank. Nicht direkt ihr gegenüber, aber so, dass er den schweren Vorhang weiter zurückschieben konnte. Draußen vor dem Fenster tanzten winzige Lichter durch einen Steinkreis, jede einen regenbogenartigen Schweif hinter sich herziehend.

Mika'il zog die Nase kraus und ließ den Vorhang wieder los.
„Wenn ich aus diesem Loch verschwinde, ist die Hülle mein Mord. Weil ich gehen will. Ich biete dir nur eine Mitfahrgelegenheit", er warf Ana einen vielsagenden Blick zu und die Narbe durch seine Augenbraue zuckte, „Die eigentliche Frage ist eher wohin...", er verlor für den kürzesten Moment den Faden, „Es besteht die Chance, dass dein altes Leben zu klein für dich sein wird."

Ana runzelte die Stirn. Judy Sorgen endlich auflösen. Cassy Gute-Nacht-Geschichten aus dieser Welt zu erzählen... Von Magie. Und riesigen Wurzeln, die eine Stadt erobern wollten. Von riesenhaften Statuen und Cerriv. Eine Welt, in der sie nicht verrückt war.
Ihre Finger glitten in ihre Rocktasche, in der das winzige Monokular mit Cassys Otter kuschelte. Es schmiegte sich sofort an sie.

Mit einem Räuspern kehrte sie aus ihren Vorstellungen zurück.
„Wenn du das für mich machen würdest, würde ich freiwillig auf Entführungen, Morddrohungen und Mordangebote verzichten. Ich brauche meine Familie, mehr als Magie und Abenteuer." Ihr Herz schlug einmal. Laut. Kräftig. Als wolle es sie voll mit Wärme pumpen. Aber stattdessen brachte es die Erinnerung an Salem unter Deck zurück, der ihr sanft erklärte, dass sie nicht verrückt war. 

Mika'il lächelte, als wisse er genau, woran sie vorhin noch gedacht hatte. „Man gewöhnt sich an alles. Andere Menschen versuchen dich umzubringen, jemand setzt ein höheres Kopfgeld auf dich aus, für eine Straftat, die du nicht begangen hast und zack...", er wedelte mit der Hand durch die Luft, „... hast du die ersten Male bereits vergessen."

Er versuchte vom Thema abzulenken. Mit Leichtigkeit zu verschleiern, dass er gerade im Begriff war genau das zu tun, was er nie hatte tun wollen: Er rettete Ana. Er gab sich Mühe.

„Du hast nie vergessen, wie dich die Menschen behandelt haben", gab Ana sanft zurück. Es war schmerzhaft offensichtlich.

Mika'il warf ihr einen wenig amüsierten Blick zu und schnipste ihr gegen die Stirn.
„Ich kann mich nicht einmal mehr an die Namen meiner Eltern erinnern. Was interessiert es mich, was Menschen über mich dachten, die schon lange tot in einem anderen Universum sind?"

Ana schlug seine Hand weg und zog ebenfalls eine Grimasse. Sie hätte Geld darauf gesetzt, dass er genau wusste, wie seine Eltern hießen. Aber sie hatte auch genug Therapie besucht, um zu wissen, wie schmerzhaft Konfrontationen sein konnten.
„Dir sind die Menschen also egal?", im Licht seines Angebots kamen die Worte beinahe ironisch heraus.

Mika'il rollte mit den Augen und sah aus dem Fenster. Stück für Stück versuchte er wieder seine Mauer aufzubauen, doch Ana war bereits zu nah dran.
„Menschen sterben. Durch mich oder durch einen großen Steinfall ist meistens nur eine Frage von ein paar Jahrzehnten. Und niemand wird sich an irgendjemanden von uns erinnern. Also ist es egal. Meinungen. Taten. Glaube. Alles ist egal."

Ana überlegte kurz. „Dann würde es auch keinen Unterschied machen, wenn du-... wie heißt das Wort, das du so fürchtest noch mal? Wenn du nett  zu ihnen wärst."

Die Idee entlockte Mika'il ein schnaubendes Lachen.
„Ohhh, das ist ein großes Missverständnis. Ich helfe dir, nicht ihnen. Ihre Meinung ist in Stein gemeißelt. Ich könnte ein Heilmittel für Krebs entdecken und sie würden es in etwas egoistisches, grausames verwandeln." Er machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand, doch Ana fing sie mit ihren eigenen ein.

Er konnte so tun, als störe es ihn nicht. Aber sie hatte gesehen, wie sehr ihm Nahems Worte unter die Haut gegangen waren. 
„Irgendwann werden die Menschen sterben und du nicht. Du bist der Einzige, der sich erinnert und die Geschichte erzählen kann."

Mika'il versuchte sich loszumachen, doch sie hielt fest. Etwas glühte hinter seinen goldenen Augen als er zu ihr nieder sah.

„Du bist unsterblich", sie sagte es leichter, als es sich anfühlte. Mit einem kleinen Heben der Schultern und einem unschuldigen Lächeln, ehe sie mit sanftem Druck seine Finger losließ, „Du kannst sein, wer du willst."

Sie spürte seinen intensiven Blick auf ihrem Gesicht. Er starrte sie für fast eine ganze weitere Minute an, ehe er sich abrupt erhob und wortlos aus dem Zimmer stürmte.

Ana blieb schweigend zurück. Er wollte ihr helfen. Er würde sie zurück nach Hause nehmen. Sie musste nur den Deal mit den Seelenweberinnen annehmen.

Ohne es wirklich zu bemerken holte sie die Nuss aus ihrer Rocktasche und sah sie an. Inzwischen war sie sicher, dass sie diese Nuss aus tausend anderen Walnüssen herauspicken konnte. Jede Rille, jede Verfärbung.

Sie starrte die Nuss an, doch ihre Gedanken glitten fort. Nach Hause. Zu Judy in die Küche. Zu den gelben Vorhängen und dem Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee. Oh wie sehr sie dorthin zurückwollte. Zu den kalten Fliesen und dem-... Sehnsucht wuchs in ihr und füllte sie aus. Sie war so nahe dran. So nahe wieder Cassys Lachen zu hören und-...

Ein leises Flattern ließ sie zurück in die Realität kehren. Wie eine Träumerin blinzelte Ana für einige Sekunden ihre leere Hand an. Die Nuss war noch da... aber durchscheinend. Verschwindend als würde sie Teil eines der Bilder werden, die sie in ihrer alten Welt verfolgt hatten. Dann war sie fort.

Ana sprang mit einem Aufschrei auf.

Die Nuss war fort.

Mit laut pochendem Herzen ging Ana in die Hocke und sah auf dem Boden nach. Hinter den Vorhängen. Hinter einer Vase. Unter dem Teppich. Vollkommen blödsinnig. Sie hatte sie doch selbst gesehen.

Die Nuss war fort.

Sie klopfte sich selbst ab, schüttelte ihre Ärmel aus und sah sogar in ihrem Ausschnitt nach.

Die Nuss... Sie konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen. War sie das gewesen? Es hatte Ähnlichkeiten zu dem Feuer auf Adriels Schiff gehabt. Eine Art Fenster, das sich schloss.

Mit weit aufgerissenen Augen ließ Ana sich wieder auf die Bank nieder und starrte bewegungslos ins Leere.

Eine halbe Stunde später kam Nahem und holte sie für das Ritual ab. 

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"Voted, wenn ihr auch gerne manchmal verschwinden würdet." - Die Nuss. 

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