Kapitel 18 - Schatten der Schuld

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Eine unangenehme Mischung aus Blut, Schweiß, Urin und Angst hing in der feuchten Luft des Gefängnisgewölbes. Zusammengesunken wie ein geprügelter Hund saß Zane an der Wand seiner kleinen Zelle. Das verletzte Bein ausgestreckt, das andere dicht an sich gezogen, den Oberkörper nach vorn gebeugt. Nur die Ketten aus kaltgeschmiedetem Eisen hielten ihn gerade so aufrecht, dass er nicht nach vorn kippte und auf dem schmutzigen Stein liegen blieb.

Das Schluchzen und Stöhnen der Sklaven mischte sich mit dem Rasseln der Ketten und dem Husten der Kranken. Gefangene füllten die Zellen. Während über ihren Köpfen Waren, darunter auch Menschen, wie besondere Raritäten feilgeboten wurden, warteten hier unten andere darauf, auf die Bühne geführt zu werden, um den Besitzer zu wechseln.

Zweifellos hätte Kaie Mitleid mit diesen Wesen gehabt.

Der jüngere Bruder wäre beim Klang ihrer Angst ebenso verrückt wie wütend geworden und hätte alles getan, um sie zu befreien. Schließlich war es auch seine wahnwitzige Idee gewesen, die verräterischen Kreaturen zu befreien und in die Freiheit zu führen, die ihm am Ende das Leben geraubt hatten: die Menschen.

Aber wen interessierte das schon?

Kaie war als Ausgestoßener gestorben. Als Nichts und Verräter, der ihm freiwillig in die Verdammnis gefolgt war. Niemand würde sich an einen unbedeutenden Caith-Sith erinnern, geschweige denn an seinen Namen. Es gab keinen Grabstein, an dem man trauern konnte. Selbst wenn es jemanden gäbe, der um sie weinen würde.

Ihre Eltern waren vor langer Zeit gestorben, und alle, die sie Freunde nannten, waren im ersten oder zweiten Krieg gefallen oder hatten sich nach der Verbannung von ihnen abgewandt. Damals ... als er die Schuld auf sich nahm, obwohl er nichts getan hatte, um diese Schande zu verdienen.

Zane fühlte sich leer und kraftlos. Er wusste nicht einmal, wie viel Zeit vergangen war, seit man ihn wie einen Hund an der Leine in dieses Loch gezerrt hatte. Sein Kampfeswille war in dem Augenblick erloschen, als man ihm den Dolch aus der Manteltasche gezogen hatte.

Kurzzeitig hatte er sich gefragt, wie die Waffe, nach der er so beharrlich gesucht hatte, in seinen Mantel gelangt sein konnte. Und ja, die erste Antwort, die ihm einfiel, war die der hinterhältigen Strigoi. Sie war ihm so nahe... und er war abgelenkt. Aber der Gedanke verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Es hatte ohnehin keinen Sinn. Niemand würde ihm glauben, ob er es leugnete oder nicht. Er war ein Abtrünniger, der nun dem Tod entgegensah, ohne dass der Gerechtigkeit Genüge getan worden war. Er war der einzige Zeuge, der den Mord beobachtet und die fliehende Gestalt in den Katakomben gesehen hatte.

Er würde sterben, während der Mörder weiter durch die Welt zog, und der Geist seines Bruders würde nie Ruhe finden. Es war nur eine Frage der Zeit. Wenn der Vollmond unterging und die Auktion zu Ende war, würde sein Kopf rollen. Bis dahin diskutierten sie vielleicht noch darüber, wer die Ehre haben würde, sein Kopfgeld zu kassieren.

Alles, was ihm blieb, waren die wenigen Augenblicke bis zu seinem Ende. So kläglich sie auch sein mochten, er konnte sie mit den Erinnerungen schmücken, die ihm geblieben waren.

„Zane!"

Die Ketten rasselten leise, als er sich ein wenig aufrichtete, um den unangenehmen Druck auf seiner Brust zu lindern. Sein Kopf sank auf den kalten Stein hinter ihm, als er die Augen schloss.

Fast war ihm, als spürte er wieder die warmen Sonnenstrahlen auf seinem Körper. Die Erinnerung lullte ihn ein wie ein Schlaflied, und der kalte Stein wich dem Gefühl von Wärme und Moos. Weiches, grünes Gras, auf dem er seinen Körper gebettet hatte, kitzelte seine Pfoten und roch nach dem Duft der Natur...


„Zane! Zane!"

Die aufgeregte Stimme drang zu ihm durch. Sie ließ ihn die Augen aufreißen und schwerfällig den Kopf heben. Das Brummen glitt sanft aus der Brust des Kriegers, als er ein Auge einen Spalt weit öffnete und Kaie auf sich zustürzen sah.

Sein sonst so ruhiger und gelassener Bruder war sichtlich aufgeregt. Das dunkle Haar mit dem dunklen Bartschatten wirkte vom Wind und der Eile zerzaust. Die bernsteinfarbenen Augen, die in der Sonne fast golden schimmerten, waren weit aufgerissen.

Feine Falten zogen sich über das eben noch entspannte Gesicht. Sofort kehrte die Härte des Kriegers zurück, von der er sich für einen Moment hatte befreien wollen. Doch der schwere Atem seines Bruders, der von einem wilden Rennen zeugte, und der gehetzt wirkende Ausdruck in den sonst so warmen Augen, die stets vor Schalk und Unsinn funkelten, alarmierten den Krieger wie das Läuten von Glocken.

„Kaie?", hörte Zane seine eigene Stimme, als er instinktiv auf die Füße sprang. Sofort erwachte der kriegerische Instinkt in ihm. Wachsam glitten seine Augen umher, streiften die Silhouetten der Häuser rund um den winzigen grünen Fleck, auf den er sich zurückgezogen hatte. Er lauschte, sog die Luft tief in seine Lungen, rümpfte die Nase. Doch weder trug der Wind einen ungewöhnlichen Geruch herüber, noch vernahm er das Geräusch eines Angriffs.

„Kaie, was ist los?"

Endlich hatte der Jüngere ihn erreicht. Keuchend stemmte er die Hände in die Hüften, beugte sich vor und schnappte nach Luft. Sein Bruder war kleiner als er, sodass er auf ihn herabsehen konnte. Er war weniger durchtrainiert, obwohl Kaie wie fast alle Caith-Sith einen athletischen Körperbau besaß. Aber er war kein Krieger, kein Kämpfer. Niemand, der für den Kampf geschmiedet gewesen wäre.

„Sie kommen! Die Männer des Königs! Sie glauben, du hast sie verraten! Der König will deinen Kopf!", keuchte der dunkelhaarige Cait-Sith. „Du musst gehen! Schnell, komm!"

„Was?" Verwirrt schüttelte Zane den Kopf und starrte Kaie an, als hätte er ihm gerade einen Frosch zum Abendessen vorgesetzt.

Seit sie in der Menschenwelt waren, hatte Kaie wirklich angefangen zu spinnen. Das war sicher wieder einer seiner lächerlichen Scherze. Leise lachend ließ sich Zane zurück auf sein natürliches Bett fallen, bevor er genervt die Augen verdrehte. Schnaubend schob er die Arme unter den Kopf.

„Was soll der Unsinn?", brummte er gutmütig. „Damit scherzt man nicht, lass mich in Ruhe."

„Das ist kein Scherz!" Ein leises Rascheln von Erde und Gras begleitete die hektischen Schritte, bevor eine Hand unruhig nach dem Revers seiner Kleidung griff und ihn nach oben zog, sodass sich die beiden Brüder Auge in Auge gegenüberstanden. „Du verstehst nicht! Bruder! Bitte!"

Zane blinzelte langsam, als er dem gehetzten, ängstlichen Blick begegnete, und die Erkenntnis sickerte in seinen Kopf wie Honig aus einem Bienennest: Kaie machte keine Witze.

„Was hast du getan?", murmelte Zane langsam und zog jedes Wort in die Länge.

„Ich ... ich ..." Kaie schien immer unruhiger zu werden. Seine Augen irrten umher, seine Schultern zitterten. Die Schuld stand ihm so deutlich ins Gesicht geschrieben wie schwarze Buchstaben auf einem Pergamentblatt.

Sie waren Brüder. Sie kannten und verstanden sich. Eine Verbindung wie die von Zwillingen war etwas Besonderes. Kaies Gesichtsausdruck sagte Zane mehr als tausend Worte. Der Krieger schloss die Augen wieder, bevor er die Hand ergriff und sie behutsam von seinem Mantel löste.

„Geh, Kaie", flüsterte Zane leise. „Überlass das mir und versteck dich, sonst wirst du auch gejagt. Mach dir keine Sorgen. Ich diene Oberon schon sehr lange. Mir wird nichts geschehen."


Es war seltsam, dass von all seinen Erinnerungen ausgerechnet diese in seinem Kopf auftauchte.

Der Augenblick, der alles veränderte. Der ihn von seinen Ketten als Bluthund von König Oberin befreite und gleichzeitig ein neues, schweres Schicksal wie ein Netz über ihn warf.

Er hatte es schon damals gewusst, als er die Schuld auf sich genommen hatte, um seinen Bruder zu schützen: Dass sein Bruder ihm etwas verheimlichte. Kaie stahl sich ständig davon oder verschwand über Nacht. Aber er war ein erwachsener Mann und immer ruhelos gewesen.

Während Zane, wie viele andere der Wesen gerade im ersten Zyklus, eher unter seinesgleichen blieb, war der Jüngere viel zu neugierig. Deshalb hatte Zane sein Verhalten nicht hinterfragt, als der Jüngere aus dem Fenster geschlüpft war. Sie waren Brüder. Und Brüder hielten zusammen. Besonders Kaie und er, denn sie hatten nur einander.

Damals war sein einziger Gedanke gewesen, Kaie zu beschützen, als er dem Zorn seines Königs gegenüberstand. Er war auf die Knie gesunken, den Kopf geneigt und hatte sich dem Urteil ergeben. Zane war der Bluthund des Königs, ein Kriegsheld, geachtet und respektiert. Er konnte also mit einem... milden Urteil rechnen, nun ja, mehr oder weniger. Aber Kaie?

Kaie war einer von vielen. Entbehrlich, unbedeutend in den Augen des Königs. Er wollte ihn beschützen, auch wenn er sich vor ihn werfen musste.

Doch am Ende hatte er nur das Unvermeidliche hinausgezögert. Kaie war ihm gefolgt, aber er war für dieses Dasein nicht geschaffen. Ein Leben in den Trümmern einer fremden Welt, im Dreck mit dem Abschaum. Ständig gejagt und verfolgt.

Zane sah es daran, wie Kaie sich veränderte, nachdem sie sich in den Katakomben versteckt hatten. Das Licht schien aus den Augen des Jüngeren zu weichen und immer seltener zurückzukehren. Er sah all das Leid der Menschen und der versklavten Wesen, und sein weiches, mitfühlendes Herz zerbrach daran. Er wollte eine Schuld begleichen und bei ihm bleiben.

Vielleicht hatte diese untote Ratte, sosehr er Casimir auch hasste, irgendwie hatte er Recht: Er war ein Mörder, und am Ende klebte doch Blut an ihm, weil er seinen Bruder nicht zurückgeschickt hatte...

Mit einem Stöhnen sackte Zanes Kinn wieder nach unten.

Seine Kehle zog sich bei dem Gedanken zusammen, als wäre er mit einem Strick um den Hals eingeschnürt. So fest er auch die Zähne zusammenbiss, er konnte die heißen Tränen nicht zurückhalten, die sich ihren Weg über seine Wangen bahnten.

Er hatte versagt.

Er war verantwortlich für den Mord an seinem Bruder.

Er hatte den Tod verdient.

Vielleicht würde all das Leid, das ihm seit Kaie's Ableben die Seele zerriss, endlich ein Ende haben und er könnte wenigstens durch den Tod so etwas wie Frieden finden.

>>"Finde Myra... beschütze sie... versprich es mir... sie ist..."<<

Er öffnete die Augen, starrte auf den dunklen, grauen Stein und lächelte traurig. Damals hatte er es nicht gewusst, nicht einmal geahnt. Aber jetzt lagen die Teile des Puzzles so offen vor ihm, dass selbst ein Blinder sie nicht hätte übersehen können.

Sie war es.

Sie war der Grund.

Myra.

Sie hatte es selbst gesagt ... Kaie war immer wieder zu ihr gekommen.

Verloren in seinen Gedanken bemerkte der Caith-Sith nicht einmal die Schritte, die wie leise Trommeln von den Wänden widerhallten. 

Wortanzahl: 1.707 Wörter

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