Herzgrenzen

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Herzgrenzen

Scrisă de: tornalar

„Love starts as a feeling, but to continue is a choice. And I find myself choosing you, more and more every day."

„Liebe fängt als Gefühl an, aber weiterzumachen ist eine Entscheidung. Und ich erkenne, dass ich mich für dich entscheide, jeden Tag ein wenig mehr. - Justin Wetch

„Liebe auf den ersten Blick." Jen machte eine abrupte Handbewegung, als würde sie das Band an der Startlinie eines Rennens durchschneiden. „Zwei Minuten. Go!"

Ich verbrachte mindestens fünf kostbare Sekunden damit, mit dem Löffel gegen den Rand meiner Teetasse zu klopfen. Der zarte Laut ging im Wogen des Lärms um unseren Tisch fast unter. Es war kurz nach zwölf und Studenten aus der nahe gelegenen Uni drängten sich an der Theke des Cafés.

Jen beobachtete mich, ohne ein Wort zu sagen, den Bleistift in der Hand. Nur ihre Augenbrauen wanderten langsam in die Höhe, ein wortloses Fragezeichen.

„Das ist ein blödes Thema", sagte ich schließlich.

„Das kannst du ja meiner Lehrerin erklären", erwiderte sie trocken. „Aber wenn ich ein leeres Blatt abgebe, kriege ich keine Credits. Und es geht nun mal um spontanes Illustrieren abstrakter Themen." Sie klopfte mit dem Bleistift auf die leere Seite im Zeichenblock vor sich. „Also los, die Zeit läuft. Erzähl was."

„Ich glaube nicht an Liebe auf den ersten Blick", sagte ich. „Zumindest nicht für mich."

Sie setzte bereitwillig den Stift an. Ich seufzte und klimperte noch etwas mit meinem Löffel herum. Gegen meine Schläfen klopfte ein leiser Kopfschmerz, als wollte er sich einen Weg nach draußen bahnen. Am liebsten wäre ich nach Hause zu meinen Büchern zurückgegangen, aber sich jetzt schon von Jen zu verabschieden kam nicht infrage. Wir sahen uns nicht mehr so oft wie früher, als sie in derselben Straße gewohnt hatte und wir jeden zweiten Abend gemeinsam auf der Couch verbrachten. Jetzt musste ich an jedem Treffen festhalten, solange ich konnte. Auch wenn sie mich für ihre Hausaufgaben von der Kunsthochschule benutzte.

„Ich brauche zum Verlieben mehr als einen Blick", sagte ich schließlich. „Menschen attraktiv finden reicht mir nicht. Ich muss wissen, dass ich ihnen vertrauen kann. Ich muss verstehen, was ihnen wichtig ist und warum. Ich muss ihre Nähe auf mich wirken lassen und herausfinden, ob sie mich nährt oder auszehrt."

Jens Bleistift flog über den Block. Ich lehnte mich vor, um einen Blick auf die Zeichnung zu erhaschen, aber sie schirmte das Blatt mit ihrem Arm ab.

„Was kannst du denn daraus schon für ein Bild machen?", fragte ich skeptisch.

„Hast du etwa kein Vertrauen in mein Talent?" Sie sah auf, nur für einen Moment. Wie immer traf mich die Farbe ihrer Augen wie ein Stoß gegen die Brust: ein tiefes Grün, warm und lebendig. „Komm, erzähl weiter", forderte sie mich auf. „Wenn es nicht auf den ersten Blick ist, wie verliebst du dich dann?"

Sie war die letzte Person auf Erden, mit der ich über Liebe sprechen wollte. Normalerweise mied ich das Thema in ihrer Gegenwart. Aber ich konnte sie nicht abweisen, nicht wenn ich endlich etwas für sie tun durfte. Ich fand kaum noch Ausreden dafür, seitdem sie weggezogen war.

„Ich lerne jemanden kennen", sagte ich. Da ich Jens Zeichnung nicht sehen durfte, ließ ich meinen Blick durch das Café wandern. Der flirtende Barista hatte bestimmt kein Problem mit dem Thema Liebe auf den ersten Blick oder er tat zumindest so.

„Wir werden Freunde." Ich sollte das nicht sagen. Ich tat es trotzdem.

„Wir verbringen Zeit miteinander und lernen uns gut kennen." Jen kannte mich so gut wie niemand sonst. Absurd, dass sie mich nicht schon vor Jahren durchschaut hatte.

„Ich denke jeden Tag an diese Person." Jede Stunde. Ich hasste es, nicht jedes Detail ihres neuen Lebens zu kennen, mir nicht jede Minute ihres Tagesablaufs ausmalen zu können. Egal wie viel sie erzählte, es war nie genug. Ich war zu gierig.

„Ich lasse mir Dinge einfallen, die ich für sie tun kann, Kleinigkeiten, mit denen ich ihr eine Freude bereiten kann." Es war eine Gratwanderung, jetzt mehr als zuvor. Ich konnte ihr nicht jede Woche Blumen schicken oder Bücher, von denen ich dachte, dass sie ihr gefallen würden. Aber ich teilte witzige Zitate mit ihr oder fotografierte hübsche Taschen im Schaufenster, die gut in ihre Sammlung passen würden. Ich fragte jeden Tag nach, wie es ihr ging, und munterte sie auf, wenn sie im Stress war oder Heimweh hatte.

Ich hatte immer Heimweh. Nach ihr.

Selbst wenn sie mir gegenübersaß wie jetzt, war ich innerlich schon wieder dabei, mich zu verabschieden.

„Und irgendwann sehe ich diese Person an und stelle fest, dass ich sie liebe."

Es war einer unserer üblichen Abende auf der Couch. Ich wusste nicht mehr, welche Serie wir uns ansahen, aber ich erinnerte mich genau an das Gewicht von ihrem Kopf auf meiner Schulter. Ihre weichen Haare streiften mein Gesicht. Sie war so warm.

Da wusste ich es. Dieses Gefühl, am liebsten die Zeit anhalten zu wollen, damit dieser Augenblick nie zu Ende ging: Das war Liebe.

Ich war nicht überrascht. Ein Teil von mir hatte es schon vorher gewusst. Dieses Gefühl war über lange Zeit in mir gewachsen, verborgen wie der Samen in der Erde, der Wurzeln ausstreckt und auf den ersten warmen Tag wartet, um an die Oberfläche durchzubrechen. Ehe ich die Gestalt dieses Gefühls erkannt und benannt hatte, hatte ich mich an sein Gewicht in meiner Brust gewöhnt. Es hatte direkt in meiner Herzwand gekeimt.

„Und dann?", fragte Jen. Ihr Bleistift ruhte, ihre Aufmerksamkeit galt ganz allein mir.

Ich nahm einen Schluck Tee. Ich wusste nicht, was sie in meinem Gesicht sah.

Und dann. Dann erinnerte ich mich daran, dass sie hetero war. Und vergeben. Sie dachte sich nichts dabei, sich an mich zu lehnen und die Muttermale auf meinem Handrücken zu berühren. Ich war eine Freundin – vielleicht ihre beste, vielleicht auch nur eine aus ihrer Heimat und daher eine wertvolle Verbindung zu früher.

Was ich nicht war: jemand, an den sie jeden Tag dachte.

„Und dann treffe ich eine Entscheidung", sagte ich. Der Darjeeling hatte zu lange gezogen und schmeckte bitter. Ich ließ den Geschmack über meine Zunge rollen. „Ich liege nachts wach und frage mich, ob ich dieses Gefühl weiter pflegen und hegen oder es mitsamt Wurzeln ausreißen soll."

Jen schnaubte.

„Geht das denn so einfach?"

Sie dachte vermutlich an ihren Ex. Seit einem Jahr waren sie nun schon getrennt, aber ich wusste, dass sie immer noch wild zwischen Wut, Trauer und der Hoffnung, wieder mit ihm zusammenzukommen, schwankte. Eine Achterbahnfahrt, deren Auf und Ab ich genau kartierte. Ich schwankte auch – zwischen Freude und schlechtem Gewissen. In solchen Momenten klaffte der Abgrund zwischen dem, was eine beste Freundin sein sollte, und dem, was ich war, besonders weit auseinander.

„Es ist nicht einfach, aber es geht", antwortete ich. „Ich habe es schon mal gemacht – mich dagegen entschieden."

Das war noch in der Schule, eine andere Hetero-Freundin, die ich zu nah an mich herangelassen hatte. Aber vielleicht hatte ich es früh genug bemerkt oder das Gefühl hatte seine Wurzeln nicht tief genug in mich geschlagen – jedenfalls konnte ich Nein sagen. Ich hatte mehr Zeit mit anderen Freunden verbracht, mich in Büchern vergraben, Poster von Hollywood-Schauspielerinnen aufgehängt und die Kurven ihrer Lippen bewundert. Es ging vorüber, wie eine Grippe.

„Ich könnte das nicht", sagte Jen.

Die zwei Minuten waren längst um, aber sie schaute nicht mehr auf die Zeitanzeige auf dem Display ihres Handys. Ihre Augen waren gesenkt, ihre Leuchtkraft wirkte auf einmal wie gedimmt. Ich wollte über den Tisch hinweg nach ihrer Hand greifen.

Stattdessen stieß ich sie leicht mit dem Fuß an.

„Willst du eine heiße Schokolade?"

Hinter jeder noch so beiläufigen Frage der ewige Balanceakt: War das okay? Ging es zu weit? Taten Freundinnen das?

Jen sah auf und lächelte mich an.

„Später. Nachdem du zu Ende erzählt hast." Sie stupste mich mit ihrem Fuß zurück und beugte sich wieder über ihren Zeichenblock. „Was passiert, wenn du dich dafür entscheidest?", fragte sie.

Das hier, wollte ich antworten. Dann sitze ich hier mit einem Maßband und messe den Abstand zwischen uns – nicht zu nah, nicht zu fern. Wie viel Distanz kann ich ertragen, wie viel muss ich durchsetzen? Wie oft darf ich dir Nachrichten schreiben? Wie lange darf ich dir in die Augen sehen? Wie viel Vertrautheit darf ich mir herausnehmen, bevor es aufdringlich und peinlich wird? Wo liegen deine Grenzen? Was ist normal?

Das hier war mein Normal. Jedes Treffen, jedes Gespräch. Und vorher jedes Mal die Frage: Tue ich mir das an? Sollte ich nicht einfach absagen und fernbleiben und dieses Gefühl in meiner Brust aushungern, verfaulen lassen?

Aber ich entschied mich jedes Mal anders.

„Dann lebe ich damit", sagte ich. „Ich wache mit diesem Gefühl auf und trage es durch den Tag. Manchmal tut es weh, aber meistens ist es einfach da."

Jen presste die Lippen zusammen. Vielleicht war ich diesmal zu weit gegangen.

„Das klingt furchtbar", sagte sie leise. „Wäre es nicht doch besser, es loszulassen?"

„Es ist ein Teil von mir. Ich weiß nicht, was ich ohne dieses Gefühl wäre."

Leer. Blass. Unvollständig.

Jen schüttelte den Kopf.

„Ich verstehe das nicht", gab sie zu. „Wenn es dich so belastet, warum tust du dir das dann an? Du bist so ein wundervoller Mensch, voller Ideen und Geschichten – das wärst du auch ohne dieses Gefühl. Du brauchst es nicht."

Irgendwann hatten wir aufgehört, über ihren Arbeitsauftrag für die Hochschule zu reden. Später, zu Hause, würde ich unser Gespräch noch mal in meinem Kopf durchspielen und den Zeitpunkt herauszufinden versuchen, an dem sie mir auf die Schliche gekommen war.

In diesem Augenblick sah ich ihr jedoch in die forschenden Augen und antwortete ehrlich:

„Aber ich will diese Person in meinem Leben haben. Egal in welcher Form. Und sie hat es verdient, geliebt zu werden. Jeden Tag mehr."

Sie hatte es verdient zu wissen, dass ich immer für sie da sein würde. Dass diese Liebe für immer in meinem Herzen wachsen würde. Auch wenn sie mit Dornen besetzt war.

Jen lächelte schwach, sah mich aber nicht an. Sie legte ihren Bleistift beiseite und schob ihren Stuhl zurück.

„Ich hole uns jetzt beiden eine heiße Schokolade", sagte sie resolut, ohne mir eine Chance zu geben, ihr etwas zu spendieren.

Vielleicht war das ihre Art, eine neue Grenze zu ziehen.

Ich schaute in meine Tasse mit dem bitteren Tee und atmete tief durch. Meine Hände fühlten sich eiskalt an.

Vielleicht wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um eine Entschuldigung vorzuschieben und zu gehen. Die Kopfschmerzen wären nicht einmal gelogen.

Ich sah herüber auf Jens Handydisplay, um zu sehen, wie viel Zeit sie noch hatte, bevor ihr Zug fuhr. Doch mein Blick blieb an ihrem Zeichenblock hängen. Es war eine chaotische Skizze, aber ich erkannte es trotzdem.

Mein kleines Wohnzimmer, mein Sofa. Wir beide unter einer Decke, ihr Kopf auf meiner Schulter.

Was passiert, wenn du dich dafür entscheidest?

Jeden Tag begann ich damit, dass ich ihr einen Guten Morgen wünschte. Und jeden Tag antwortete sie innerhalb von fünf Minuten und wünschte mir dasselbe.

Vielleicht war ich nicht die Einzige, der sich dabei Dornen immer enger ums Herz schnürten.

Vielleicht war es an der Zeit, die Grenzen zwischen uns zu durchbrechen.

Vielleicht war ich nun an der Reihe, ihr eine Frage zu stellen.

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