037 ** Klausurenzirkus ** Mo. 9.9.2019

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Max hat letzte Woche etwas den Schlendergang eingelegt und war am Mittwoch tatsächlich sowas wie erholt. Er hat sich Montag und Dienstag bewusst was Kleines von seiner Bucket List gegönnt und wohl viiieeeeeel geschlafen. Ehrlich gesagt hatte ich schon früher mit so einem Kräftehänger gerechnet, zumal ja die ganzen Attacken von Frau Hartmann noch obendrauf kamen. Aber wenn er es weiterhin schafft, dass er sich nur einmal im Monat eine Pause gönnen muss, darf, wieauchimmer, dann wird er ziemlich weit kommen.

Sebastians Verhalten ändert sich merklich. Er hat sich dem Tänzertrio und Milly angeschlossen, wirkt offener und wird vom LK dafür mit Freundlichkeit, Geduld und Interesse belohnt. Er blüht auf. Spricht mich immer wieder an, um sich zu vergewissern, dass er auf der richtigen Spur ist. Unser Gespräch hat ihm offenbar Mut gemacht, sich auf die Suche nach seinem eigenen Weg zu machen, und die anderen machen es ihm leicht, sich auszuprobieren. Zu Hause hält er sich wohl noch bedeckt, aber ich glaube, es ist eine Frage der Zeit, dass er auch da aus seiner Deckung kommen wird.

Am Mittwoch hätte ich dann mit der Truppe am liebsten eine Flasche Sekt geköpft. Ich habe Post bekommen – unter gewissen Auflagen haben wir die offizielle Genehmigung in der Tasche, dass die Tänzer und Milly ihre praktische Abiturprüfung für Sport gemeinsam ablegen dürfen. Weil dadurch viel Zeit gespart wird, können danach alle noch kurz einzeln rangenommen werden und bekommen auch jeder ihre eigene Note. Dabei bekommt dann auch jede und jeder von ihnen eigene Fragen zu ihrem gewählten Thema der Facharbeit und zur Theorie, die wir im Laufe der Jahre durchgenommen haben. Der Jubel war entsprechend groß, als ich ihnen das berichtet habe.

Außerdem hatte ich in der Woche noch zwei sehr spannende Plauderstunden in einem Café mit Annika und im Grugapark mit Kolja und Olga, die das Angebot zum Gespräch gerne angenommen haben. Vor allem die Zwillinge sind sich beide noch nicht so sicher, wo sie eigentlich hinsteuern wollen mit ihrem Leben. Sie sind wohl ihr ganzes Leben lang als Doppelpack definiert worden und tun sich jetzt damit schwer, sich auseinanderzusortieren. Also bitten sie mich darum, dass ich ihnen spiegele, wen und was ich in ihnen sehe, was sie gemeinsam haben, und wobei sie sich unterscheiden und wie. Das tue ich natürlich gerne. Das Gespräch ist hoch spannend, weil sie sich wirklich sehr nahe stehen und sich bei aller individuellen Sinnsuche nicht aus den Augen verlieren wollen.

Weniger erfreulich war das Gespräch, zu das ich Fatih gezwungen habe. Es hat schon gedauert, bis ich ihn überhaupt zu fassen gekriegt und einen Termin mit ihm gemacht hatte. Er kommt sehr unregelmäßig zur Schule und bleibt meistens nicht für den gesamten Schultag da.
Zum Gespräch kam er zu spät, hat sich in den nächsten Stuhl gelümmelt, hatte demonstrativ keinen Bock, hat mich nicht hinter die Fassade schauen lassen und musste darum am Ende schlucken, dass seine Chancen aufs Abitur rapide schwinden. Ich habe ihm mitgeteilt, dass ich seine Eltern zum Gespräch einladen werde. Zum Glück ist er noch nicht achtzehn, sonst hätte ich nicht mal diese Möglichkeit, hinter die Kulissen zu schauen. Es ist total frustrierend, wenn man sich so Mühe gibt, jedem Schüler gerecht zu werden, und dann so aufläuft und einen Schüler sehenden Auges ins Verderben rennen lassen muss.

Weitere Anfragen zum persönlichen Gespräch habe ich erstmal nicht, aber das könnte an der bevorstehenden Klausurenwelle liegen. Vielleicht kommt danach noch jemand. Oder es entwickeln sich Gespräche im Rahmen der Kontakte für die Facharbeiten. Ich warte das einfach ab, es ist ja keiner dazu gezwungen. Aber allein, die Möglichkeit zu haben, hat meine Sportler nochmal ein Stück mehr aufgeschlossen.

Das Wochenende habe ich damit verbracht, für die verschiedenen Klassen die Klausuren und Klassenarbeiten zu planen. Mathe in der Fünften und Sechsten hab ich ja aus dem Ärmel geschüttelt. In Sport gibt's bei den Kleinen sowieso noch keine Arbeiten. Aber bei der zehnten und zwölften Klasse musste ich schon mehr Hirn reinstecken und die Arbeiten gut vorbereiten. Dabei habe ich gaaaanz weit nach hinten geschoben, dass Max das, was in der Mathe-Klausur gefordert wird, unmöglich schon können kann. Mein Sport-LK hat netterweise geschlossen den Weg gewählt, die erste Klausur durch die Facharbeit zu ersetzen. Die Arbeiten müssen am Tag nach den Herbstferien bei mir sein. Aber so musste ich wenigstens keine Sportklausur vorbereiten.

Und schon war das Wochenende rum. Jetzt ist es Montag Morgen, und meine Sportler sitzen vor mir.
„Guten Morgen! Ich hoffe, Sie hatten neben all der Klausuren-Paukerei auch noch ein bisschen Wochenende. Einige schreiben ja schon heute die erste Klausur. Ich werde Sie also nicht weiter quälen. Wie letzte Woche angekündigt, können Sie jetzt einfach ihre Notizen oder Laptops rausholen und an ihren Facharbeiten weitermachen. So kann ich mir einen Eindruck verschaffen, wie weit Sie schon gekommen sind, Fragen beantworten und Tipps geben. Wer Musik braucht – bitte ganz leise und in die Ohren, damit die anderen nicht gestört werden."

Die meisten haben tatsächlich ihre Unterlagen dabei und machen sich ans Werk. Auch Max klappt sein Laptop auf, legt ein Buch daneben und studiert einige Zitate, die er einbauen will. Milly hat sich einfach Literatur mitgebracht, liest und macht sich ab und zu Notizen.

Moritz verzieht sich in die hinterste Ecke, damit er niemand stört, packt sich Musik aufs Ohr und übt offensichtlich bestimmte Bewegungen, immer wieder und jedes Mal ein bisschen geschmeidiger und selbstverständlicher. Annika und Lore stecken die Köpfe zusammen, Sandra und Laura auch.

Sebastian hat sich nach unserem Gespräch und ein paar Tagen Bedenkzeit ein neues Thema gewählt. Er will nun über die Bedeutung von Breitensport für die Gesellschaft und die Gesundheit schreiben. Er hat dadurch zwar etwas Zeit verloren, aber er wirkt beim Lesen so zufrieden, dass ich sehen kann, dass diese Entscheidung richtig war. Leise und wahrscheinlich noch unbemerkt von seinen Eltern stellt er die Weichen in seinem Leben neu, zum ersten Mal selbst. Es macht richtig Spaß, ihm dabei zuzusehen.
Und es tröstet mich ein bisschen über das vorprogrammierte Fiasko bei Fatih hinweg.

Ich gebe ihnen noch die Klassenlehrerstunde dazu, schaue über Schultern, begutachte Lektüren, lese Passagen, beantworte Fragen ... Es herrscht zwei Stunden lang eine so konzentrierte Arbeitsatmosphäre, dass alle gut vorwärts kommen. Naja – bis auf Fatih, der nach der Standpauke zwar da ist, aber mit dem Kopf auf den Armen vor sich hindöst. Am Ende wirken alle zufrieden mit dieser zusätzlichen Zeit.
„So. Wer von Ihnen schreibt denn heute schon eine Klausur? Es melden sich einige Schüler, die heute in Bio oder Chemie ranmüssen.
„Na, dann wünsche ich Ihnen jetzt eine entspannte Pause und danach gute Konzentration. Ich drücke Ihnen die Daumen!"

Ich selbst muss jetzt zunächst eine Siebte in Sport ans Stromnetz anschließen, damit sie sich überhaupt bewegen. Und dann schreiben meine Fünfte und meine Sechste ihre Klassenarbeiten. Vor allem in der Fünften herrscht große Aufregung. Sie sind ja neu an der Schule und können mich noch nicht so gut einschätzen. Aber ich beruhige sie gleich wieder. Es ist eine nette Klasse, und von diesen Kindern steht eigentlich keiner so richtig dolle auf dem Schlauch.
„Das wird schon. Konzentriert euch gut, dann schafft ihr das."
Wie immer bei Klausuren und Klassenarbeiten lege ich jedem Schüler ein Minitütchen Gummibärchen auf den Tisch, und schon schauen die Kleinen wesentlich entspannter aus der Wäsche.
Manchmal beneide ich ja die Klassenlehrer der Unterstufe – die sind noch so niedlich. Aber wenn sie dann in die Siebte kommen, hört es mit dem Neid ganz schnell auf ...

Als ich mittags nach Hause radele, habe ich zwei Satteltaschen voll mit Mathearbeiten, die ich auch gleich nach dem Mittagessen in Angriff nehme. Ich halte nichts vom Klausurenstau auf meinem Schreibtisch. Ich mach das lieber gleich. Ich kenne auch keine Schüler, die es NICHT hassen, wochenlang auf die Rückgabe der Arbeit warten zu müssen. Also bringe ich es hinter mich. Ich weiß schon, warum ich nicht solche Fächer wie Deutsch, Geschichte oder Politik studiert habe. Die armen Kollegen sitzen unvergleichlich viel länger an ihren Korrekturen, weil sie Texte formal und inhaltlich beurteilen und sachlich richtig einsortieren müssen. Das ist echt was anderes als: 2 + 2 = 5 ist falsch.

Mit dem ersten Durchlauf für beide Klassen werde ich grade so fertig, als es klingelt. Also werde ich die zweite Durchsicht heute Abend erledigen. Ich lasse Max rein und stürze mich gleich wieder mit ihm auf Mathe. Wir schwimmen weiter im Zeitraffer irgendwo zwischen neunter und zehnter Klasse rum. Und ich kann spüren, dass er das wirklich will. Es geht immer zügiger, denn manche Sachen flutschen jetzt echt, obwohl er sie vorher nicht konnte. Die gründlich gefüllten Lücken zahlen sich langsam aus, weil er manchmal Zusammenhänge begreift und von alleine weiß, welche Rechenwege die Klügsten sind. Auf dieses jetzt endlich stabile Fundament kann er dann die neuen Themen sicherer draufsatteln.

Er selbst hat allerdings dauernd das Gefühl, dass er nichts dazulernt, weil natürlich ständig Neues kommt. Darum lobe ich ihn jedes mal und zeige ihm auf, wo er grade wieder etwas angewendet hat, was er erst hier in der Nachhilfe verinnerlicht hat. Das hilft ihm, seine eigene Leistung realistisch einzuordnen, und spornt ihn immer auch ein bisschen an.
„Lass dich nicht verunsichern! Dass du ständig was nicht kannst, liegt daran, dass du das letzte Thema kapiert hast und ich deshalb zum nächsten Thema gehen kann. Du machst das wirklich super."

Damit er nun allmählich Anschluss an den Kurs bekommen kann, mache ich schließlich mit ihm noch die Hausaufgaben für morgen. Max schaut mich skeptisch an.
„Echt? Sie meinen, ich krieg das jetzt hin?"
„Wahrscheinlich nicht. Aber wir sollten wenigstens versuchen, eine Sechs in der Klausur zu vermeiden, indem du zumindest Ansätze hinschreiben kannst. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass da nicht mehr gar nichts stattfindet in deinem Kopf."
Und so besprechen wir das Grundprinzip von Statistik und bearbeiten ein paar einfache Aufgaben. Auch hier mache ich ihn immer darauf aufmerksam, wenn er etwas frisch Gelerntes schon anwenden kann. Ich kann es rattern sehen hinter seiner Stirn. Es ist ein riesiger Haufen an neuen Informationen, und lange nicht jedes Puzzlestück fällt gleich an die richtige Stelle. Ich muss einfach aufpassen, dass er sich nicht verkrampft.

Am Schluss plaudern wir noch ein bisschen über seine Facharbeit, weil mich das, was ich heute morgen erlunzt habe, schon wirklich neugierig gemacht hat. Max lebt richtig auf, als er zu erzählen beginnt, aus was für Quellen er seine Informationen schöpft und was dabei in ihm abgeht. Ich kann jetzt schon absehen, dass er viel tiefer und persönlicher einsteigen wird in das Thema, als es Siebzehnjährige normalerweise tun. Seine momentane Situation zu Hause ist sicher auch ein Motor. Aber er ist einfach auch der Typ, der immer weiter fragt und Zusammenhänge ganz erfassen will. Und seine Ausdauer dabei beeindruckt mich echt ziemlich.

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21.10.2020    -    23.4.2021

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