065 ** die 2. Klausurenwelle ** Mo. 11.11.2019

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Puh, das war ein Gerödel, bis wir Antoine ohne finanziellen Schaden aus diesem Stipendium rausgeeist hatten! Der Amtsschimmel hat ja sowas von laut gewiehert! Deutscher Pass her, Krankschreibung hin – wenn er nicht in die Schule geht, kriegt er das Stipendium nicht mehr. Er muss also seine Finanzierung komplett irgendwie anders geregelt kriegen.

Sogar seine Eltern sind angerauscht gekommen und haben ihn in die Mangel genommen. Am liebsten hätten sie ihn gefesselt und geknebelt und abgeschleppt. Aber wir hatten das kommen sehen, und darum war Antoine nicht in seiner Wohnung, als sie ankamen, sondern bei Moritz. Und das Treffen mit seinen Eltern fand bei Hugo Berg statt. Das letzte, was seine Mutter zu ihm sagte, bevor die beiden stinksauer zur Tür rausgerauscht sind, war eine offensichtliche Drohung.
"Wag es nicht! Und glaub bloß nicht, dass wir unter diesen Bedingungen weiter die Wohnung für dich bezahlen!"

Das Coole war – ich mein', eigentlich ist es traurig. Aber Sebastian hat sich bei uns im Kurs so freigeschwommen, dass er es nach und nach gewagt hat, sich zu Hause aufzulehnen gegen die Diktatur seiner Eltern. Und als sie ihn zurückstecken wollten in die familiäre Zwangsjacke, tauchte bei uns grade die Frage auf, wer um Himmels Willen denn die Wohnung von Antoine finanziert, während er in der Klinik ist. Die Lösung war ganz einfach. Sebastians Eltern haben seinen Auszug akzeptiert – wenigstens das - und ihm einen vernünftigen Lebensunterhalt zugesagt. Also ist er zu Antoine gezogen.

Die Bude ist zwar winzig und abgewrackt. Aber die beiden haben sich ein Wochenende Zeit genommen, um Zimmer und Miniküche so umzuräumen, dass sie darin leben können, ohne sich auf die Nerven zu gehen. Sie haben sich ein Stockbett angeschafft, den Schreibtisch verlängert und den Kleiderschrank aufgeräumt. Nach dem IKEA-Motto „leb vertikal, wenn du wenig Quadratmeter hast" haben sie jeden Zentimeter auch in die Höhe genutzt und fühlen sich nun wohl. Ein paar gemeinsame Spielregeln haben gereicht, weil beide ähnliche Bedürfnisse haben.

Sebastian arbeitet fleißig weiter aufs Abitur zu, während Antoine eigentlich nur noch zur Schule geht, solange das Stipendium noch läuft, weil ihm der Kontakt zu uns gut tut und er die Zeit bis zum Klinikaufenthalt sinnvoll füllen will. Er wird einfach so lange weiter lernen, bis sein Termin kommt, und hinterher wahrscheinlich nicht wieder einsteigen. Beiden tut diese Mini-Männer-WG unglaublich gut, weil sie im Grunde ein Schicksal teilen – übergriffige Eltern, die ihre Kindheit geraubt und ihre Persönlichkeitsentwicklung behindert haben.

Moritz hat am Ende der Herbstferien seine Führerscheinprüfung bestanden und fährt jetzt ab und zu das Auto seiner Mutter, damit er Übung hat. Sehr spannend finden Lasse, Paul und ich, dass Moritz seine Abwesenheit bei gemeinsamen Unternehmungen neuerdings nicht mehr mit Fahrstunden sondern mit „da bin ich mit Milly im Kino" begründet.

Und lange kann er das auch nicht unter dem Deckel halten. Er ist toooooootal verliebt in seine Zirkusmaus, wie er sie nennt, und Milly ist auch „nicht abgeneigt". Entsprechende Feuerblicke erntet Lasse im Sonntagstraining, wenn er mit Milly Chacha trainiert für die Aufführung. Aber Milly ist sowieso schon so sehr Teil unserer Clique geworden, dass sie nun einfach ganz reinrutscht, und Lasse lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Frau Hartmann wurde Anfang November von heute auf morgen in den Ruhestand geschickt. Stattdessen haben wir sofort einen jüngeren Mann als Ersatz zugeteilt bekommen, der sich schnell beliebt macht bei den Klassen, die er von der „Schreckschraube" übernommen hat. Viele, viele Schüler sagen schon nach wenigen Wochen, dass Mathe auf einmal Spaß macht.

Und ich? Sehe Papa morgens wegfahren und abends wiederkommen. Ich besuche ab und zu Tanja und bewundere ihre wachsende niedliche kleine Kulle. Naja – mein wachsendes Geschwisterchen. Ich lebe im Moment nur fürs Tanzen und die Schule und komme erstaunlich gut damit zurecht. Es scheint so, dass man so ziemlich alles schaffen kann, wenn man das nur wirklich will.

Die Termine mit der Süß sind erschreckend sachlich und effizient geworden. Ich hab mich an ihr Sie gewöhnt. Ohne jeden Bezug zu unserem Privatleben sagen wir "guten Tag" und "auf Wiedersehen", und dazwischen geht es ausschließlich und konzentriert nur um Mathe.

Nur im Mathe-Unterricht in der Schule, wenn sie vor dem ganzen Kurs Du sagt, dann wird mir warm, und ich muss mir je nach Situation das Grinsen oder die Tränen verkneifen. Ich bin, was den alten Stoff angeht, echt übern Berg und kann mich jetzt aktiv am Unterricht beteiligen. Es ist immer noch viel, aber ich schwimme mich frei.

Letzte Woche Donnerstag hab ich einen Teil einer komplexen Aufgabe an der Tafel fehlerfrei vorgerechnet. Annika hat ziemlich empört gekuckt.
„Kannst du mir mal verraten, wo man das kaufen kann?"
„Hä? Was?"
„Na, das Mathewissen, das du neuerdings hast. Das hast du dir doch niemals in nur drei Monaten draufgeschafft. Los, sag mir deinen Dealer!"
Da ich eh noch vorne an der Tafel stand, hab ich, ohne drüber nachzudenken, Frau Süß an den Schultern gefasst und sie lachend in Richtung von Annikas Tisch geschoben.
„Klar, kein Problem. Das hier ist mein Dealer. Mit dem nötigen Kleingeld kriegst du so viel Mathe, wie du nur tragen kannst."

Dann sind wir beide zusammengezuckt, und ich hab meine Hände eingezogen, als hätte ich mich verbrannt. Nur mühsam hat sie es geschafft, breit zu grinsen und eine Formelsammlung von Annikas Tisch zu greifen.
„Hier. Das ist die billigere, aber mühsamere Variante des Deals. Ansonsten müsstest du zu mir nach Hause kommen. Da gibt's dann teure Einzelbetreuung. Wähle klug."
Annika hat geseufzt und ihre Formelsammlung wieder entgegengenommen, während der ganze Kurs sich gekringelt hat und ich unauffällig zurück zu meinem Platz flüchten konnte. Der Rest der Stunde war gelaufen für mich, und sie hat mich danach auch in Ruhe gelassen, weil sie es wohl selbst gemerkt hat.
Hoffentlich hat sie mich nicht als übergriffig empfunden.

Am Freitag hab ich vor lauter anderem Trubel gar nicht daran gedacht während der Nachhilfe. Aber heute Nachmittag fällt es mir zum ersten Mal seit längerem schwer, an ihrer Tür zu klingeln. Und es dauert auch länger als sonst, bis sie aufmacht. Allerdings hat sie ein Handy in der Hand. Sie wedelt damit zum Zeichen, dass sie grade in einem Gespräch ist und ich schonmal ins Wohnzimmer gehen soll.
Vielleicht war es doch keine Absicht ...

Frau Süß kommt kurz nach mir in den Raum.
„So, Max. Wir haben noch heute und Mittwoch. Am Donnerstag ist die Mathe-Klausur. Ich hoffe, ich mache Ihnen Mut, wenn ich sage, dass Sie bei diesem Thema keinen nennenswerten Rückstand zum Kurs mehr haben und das gut schaffen werden. Nutzen wir doch diese beiden Termine, um ganz bewusst hinzuschauen, was wir nochmal wiederholen sollten, damit Sie sich sicher fühlen."

Krampfhaft versuche ich, mich auf diese Frage zu konzentrieren, aber mein Kopf ist da anderer Meinung. Ich schaue sie an und sehe, dass sie den selben Pullover anhat wie am Donnerstag. Plötzlich kribbeln meine Hände, und ich fange an zu stottern.
„Ich ... könnten Sie ... Ich brauche grade mal frische Luft, darf ich auf den Balkon?"
Und schon bin ich draußen.

Schwachsinn! Ich komme grade von draußen, es regnet, es ist scheißkalt auf dem Fahrrad, und wenn ich jetzt irgendwas NICHT brauche, dann ist es noch mehr frische Luft!
Aber ich kriege dieses Bild von meinen Händen auf ihren Schultern letzte Woche nicht weg. Es hat sich so richtig angefühlt, endlich mal wieder miteinander albern zu sein.

Es war schön, sie zu berühren. Aber es ist so falsch!
Oder so ...

Lange kann nicht nicht draußen bleiben. Zu auffällig.
Obwohl – wem mache ich hier was vor? Sie durchschaut wahrscheinlich jedes einzelne meiner Ausweich- und Ablenkungsmanöver.
Aber immerhin kann ich ein paarmal tief Luft holen und mit neutralem Gesicht wieder reingehen. Wir spüren einigen Unsicherheiten in Mathe nach und konzentrieren uns darauf, die zu beseitigen.

Als wir uns verabschieden, lächelt sie in der offenen Wohnungstür.
„Max?"
„Ja?"
„Es war in Ordnung, es war schön, mal wieder zusammen albern zu sein."
Ich bin sehr erleichtert, aber gleichzeitig weiß ich kaum, wo ich hinsehen soll.
„Ach, und nächsten Montag gibt's die Facharbeiten zurück."
„Und?"
„Seh ich so aus, als dürfte ich verraten, dass für ... Sie extra die Null als Note erfunden werden müsste?"
Ich ignoriere gekonnt, dass sie grade fast Du gesagt hätte ...
„Null??? So schlecht?"
„Nein, du Spinner! So gut! Herr Recksing hat sie mir nach dem Gegenlesen wiedergegeben mit den Worten 'wollte Maximilian Gersten eine Doktorarbeit schreiben?' Ich konnte mir grade noch das Ja verkneifen."
Peinlich berührt sehen wir beide auf den Boden, aber mich flutet eine Welle von Glück.
„Na, dann. Bis Morgen."
Und schon bin ich durchs Treppenhaus runtergeflitzt.

Mit übermenschlicher Geschwindigkeit, angetrieben von reinen Fluchtgedanken, radele ich durch den Nieselregen nach Hause. Dort schreie ich die Wände des Fahrradschupperns an, weil ich es einfach nicht mehr aushalte.
„Ich will sie wieder haben!"

Tja. Habs mir ja selbst verbockt. Und dann sie. Und überhaupt.
Drinnen rutsche ich zu den anderen an den Abendbrottisch und verhindere das Ausgefragtwerden durch konsequentes „den Mund voll haben". Jetzt noch Hausaufgaben und dann ab ins Bett. Morgen ist die Englisch-Klausur. Heute war schon Bio. Donnerstag kommt Mathe und Freitag Geschichte.
Die haben echt'n Rad ab. Aber was solls. Genug schlafen, dann wird das alles schon.

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18.11.2020

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