068 ** Sorgen ** Do. 21.11.2019

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Jetzt langts mir aber. Dass Toni das letzte Mal sooo ausgeflippt ist, ist jetzt vier Jahre her. Ich glaub ihr ja, dass Max niedlich und unschuldig und einfach nur völlig verpeilt ist. Aber dass es Toni so mitnimmt, dass es all ihre Kraft absorbiert und ihre Schutzmauern einreißt, das geht einfach nicht. Ich weiß nur nicht, was ich jetzt machen soll. Wenn ich Toni richtig verstanden habe, weiß Max gar nicht, was damals war. Ob sie ihn damit auf Abstand halten, ihn schonen oder sich selbst eine Chance geben will, doch noch irgendwann mal den Kopf und diese verfluchte Stimme abschalten zu können – keine Ahnung. Jedenfalls ist jetzt genau das passiert, was sie verhindern wollte – das Grauen hat sich mit Max verbunden, obwohl der überhaupt nichts dafür kann. Es wird Zeit, dass sie da raus kommt.
Hoffentlich einigen sich die Schulleiter bald mal, wie sie es handhaben wollen ...

Ich habe sie am Dienstag gezwungen, zu Hause zu bleiben und für den Rest der Woche die Nachhilfe abzusagen. Aber im Grunde schleicht sie noch immer rum wie eine Leiche. Sollte ich mit Max reden? Dann köpft sie mich. Sollte ich sie nochmal zu ihrer Therapeutin scheuchen? Das macht sie nie mit. Sollte ich die Eltern einweihen? O.K. - stop, ich bin keine Verräterin. Und mit Lennart darf ich auch nicht drüber reden, das wäre noch schlimmerer Verrat.
Ach, Toni. Könntest du jetzt bitte mal auf mich hören???

Sorgen 

Irgendwas ist anders. Meine Sportklausur ist geflutscht. Und da gings der Süß noch völlig gut. Aber am Dienstag war sie nicht da, die Klausuren haben wir von Frau Tucher bekommen. Seit gestern schleicht die Süß hier wieder durchs Gebäude – aber sie sieht aus, als hätte ihr jemand Vater und Mutter erschlagen. Sie zuckt dauernd zusammen. Die Pausenaufsicht war heute für sie ganz offensichtlich eine Tortur. Und ich habe keine Ahnung, warum. Aber da ich gestern nochmal nicht zur Nachhilfe kommen sollte – habe ich den Verdacht, dass das irgendwie mit mir zusammenhängt. Nur ich habe keine Ahnung, warum. Über die 9 Punkte in der Matheklausur kann ich mich jedenfalls kaum freuen, weil mich die traurigen Augen und die tiefen Augenringe von Frau Süß völlig irre machen.

Kurz entschlossen gehe ich nach den Sportstunden und dem Umziehen nochmal zurück in die Halle. Frau Süß ist noch da. Sie hat die Augen zu und Kopfhörer auf. Und sie bewegt sich – aber total zaghaft, ängstlich, schwankend, als würde sie gleich umfallen. Und als ich näher hinschaue, sehe ich, dass ihr unaufhörlich stumme Tränen übers Gesicht laufen.
Au weia!
Ich fühle mich total hilflos. Ich kann sie so nicht alleine lassen, eine Nummer von Frau Tucher habe ich nicht, aufscheuchen darf ich sie nicht, wer weiß, wie sie dann reagiert.
Das wäre ja bei mir dann auch so ...

Ich will schon gehen, da sehe ich Milly alleine und ziemlich irritiert im Flur stehen und zu uns reinkucken.

Dich schickt der Himmel!
Ich schleiche mich wieder raus und nehme sie beiseite.
„Milly, ich habe keine Ahnung, was los ist, aber es scheint Frau Süß überhaupt nicht gut zu gehen. Und irgendwie erinnert mich das verdammt dolle an den Tag, wo ich da so alleine getanzt habe."
„Hm. Deshalb bin ich ja auch stehen geblieben. ... Sie sieht so traurig aus dabei."
„Pass auf. Ich befürchte, dass ... Mist! Ich spüre, dass ich ihr grade nicht helfen kann. Könntest du ..."
„... mittanzen, so wie Moritz und Paul es bei dir getan haben? Ich kanns versuchen."

Milly schlüpft wieder aus ihren Boots und Socken und schmeißt ihre Jacke in die Ecke. Leise gehen wir rein, und ich verstecke mich bei den Mattenwagen. Milly wartet erst etwas, um sich einzugrooven, dann fängt sie einfach an, sich zu bewegen. Dabei gerät sie automatisch in Frau Süß' Blickfeld. Es dauert eine ganze Weile, bis die Süße auf Milly reagiert. Zu meiner Erleichterung werden ihre Bewegungen bald ruhiger und sicherer, sie interagiert mit Milly und ist dann schließlich wieder im Hier und Jetzt.

„Danke, Milly!"
„Frau Süß? Ich habe das Gefühl, dass es Ihnen grade gar nicht gut geht. Kann Ihnen irgend jemand helfen?"
Ich krieche noch tiefer unter den Mattenwagen und halte die Luft an.
„Ja und nein, Milly. D... der ... November ist kein schöner Monat für mich. Ich habe eine nicht so schöne Erinnerung, die dann immer hochkommt. Manchmal kann ich sie in Schach halten. Aber dieses Jahr ... Du hast mir eben gut getan."
„Da bin ich froh. Ich mag Sie so sehr. Geht es Ihnen jetzt etwas besser?"
Frau Süß lächelt.
„Mit der Max-Methode? Ja, das war genau richtig. Komm, wir dürfen endlich nach Hause!"

Uuuups. Hoffentlich schließt sie mich hier nicht ein.
Aber Milly ist auf Zack.
„Gehen Sie sich schonmal umziehen, ich schließe so lange die Umkleiden ab."
„Danke, Milly!"
Kaum ist die Süße um die Ecke, winkt sie mir, und ich flitze so schnell wie möglich aus der Halle auf den Hof. Ein paar Minuten später treffen wir uns an den Fahrradständern.
„Auch von mir ein Dankeschön. Du hast ihr tatsächlich helfen können."
Einen Moment überlegt sie still.
„Max? Warum hast du nicht getanzt?"
„Ich ..."

Super. Wie komm ich da denn jetzt wieder raus???
„Ich weiß nicht. Das war reiner Bauch. Sie ist ja meistens so frech. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie sich bei Frauen wohler fühlt als bei Männern."

Wir verabschieden uns, und ich radele gedankenverloren nach Hause. Meine eigenen Worte hallen in mir nach.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie sich bei Frauen wohler fühlt als bei Männern.
All das Wissen meiner Facharbeit ist noch frisch, und deshalb klingelt da was in meinem Kopf. Nur leider viel zu leise und zu weit weg. Aber ich hatte ihr ja eh versprochen, dass ich nicht fragen und nicht forschen werde, bis sie selbst mir erzählen will, was „damals" passiert ist.

Trotzdem ist das kein Zustand, und darum schreibe ich zu Hause als erstes einen kurzen Brief an Frau Tucher, tüte ihn in einem Umschlag ein und stecke das in meinen Ranzen. Ich will mit ihr reden. Ich bin mir ja sicher, dass sie über uns beide Bescheid weiß. Und sie soll mir auch nichts verraten, was mich nichts angeht. Aber ich bin mir grade keiner Schuld bewusst und kann das einfach nicht mehr mit ansehen.

Sorgen  **  Fr. 22.11.2020

Langsam wird's absurd. Vor drei Tagen haben alleine die Gedanken an Max sie so sehr getriggert, dass Toni ein heftiges Flashback hatte. Gestern hat dann Milly ihr geholfen, indem sie mit ihr getanzt hat. Und heute fische ich einen Brief von Max aus meinem Schulpostfach, dass er gerne mit mir reden würde, weil er sich so Sorgen um Toni macht.
WAS. GEHT. HIER. AB???
Zum Glück bin ich gerne viel zu früh da. Also sause ich auf den Schulhof und krabbele auf die Eiche, damit ich in Ruhe telefonieren kann.

Er hat mir seine Handynummer aufgeschrieben, und so piepe ich ihn an.
„Max hier?"
„Max, ... hier ist Frau Tucher."
„Woah, danke, dass Sie mich anrufen. Das ist ja gar nicht mehr mit anzusehen. Ich ... ich will keine Geheimnisse aus Ihnen rausfragen, ich will einfach wissen, ob es was mit mir zu tun hat, ob ich irgendwas tun kann, ob ... - naja – und so."
Mir bleibt die Luft weg, als das alles aus ihm raussprudelt.

Was ist denn in den jetzt gefahren? Bereut er es endlich?
„Max, ich bin ehrlich. Jain. Du hast Toni so sehr verletzt mit der Attacke nach der Busfahrt, dass ich nicht weiß, ob sie da drüberweg kommen kann. Du hast damit was aufgewühlt, was lange zurückliegt, und was ..."
„Ich weiß, dass da mal was war. Aber ich habe A... Anni versprochen, dass ich nie danach fragen oder rumbohren werde. Sie bestimmt das Tempo. Ich will es gar nicht wissen. Ich will nur wissen, ob ich Schuld an ihrem momentanen Leid bin."

„Du nennst sie Anni? Süß. Im Grunde muss ich leider ja sagen. Sie wartet sehnsüchtig darauf, dass du dich endlich entschuldigst. Es hat sie zutiefst verunsichert."
„Aber ... gut, vielleicht stelle ich mich wirklich dämlich an. Aber sie hat mir in der Eifel hoch und heilig versprochen, dass ich vor der Hartmann sicher bin. Und dann das!"
„Oh Mann, Männer. Max, der einzige Fehler, den sie gemacht hat, war, dir etwas zu versprechen, was nicht in ihrer Macht stand. Max, sie konnte doch nicht ahnen, dass diese Frau so viel kriminelle Energie an den Tag legen und einen offiziellen Brief der Schule fälschen würde. Toni. Kann. Nichts. Dafür! Sie hat sich all die Wochen Beine ausgerissen für dich, hat dich verteidigt, hat dir wieder und wieder und wieder geholfen und Mut gemacht und dir den Rücken gestärkt. Krieg das endlich in deinen sturen Kopf rein. Sie hätte sich steinigen lassen, um DAS zu verhindern!"

Stille am anderen Ende.
„Das ... O.K. - ich bin wirklich dämlich. Ich war so durch den Wind wegen der furchtbaren Botschaft von Tante Jana, dass ich völlig pauschal und ungerechtfertigt um mich geschlagen habe. ... Oh Gott! Was hab ich da bloß getan!?! Ich ... Sch... - wie ... Und jetzt hat sie Kopfkino, weil ich so ein Arschloch war? Oh nein!"

Endlich!!!
„Es tut mir leid, das zu sagen, Max. Ja, du hast etwas in ihr ausgelöst, was du bestimmt nicht wolltest. Aber es hat sie so gründlich wie seit Jahren nicht mehr aus der Bahn geworfen."
„Darf ich doch was fragen?"
„Nur zu. Ich muss ja nicht antworten."
„War ... war 'das Furchtbare' ... auch im ... November?"
Ich schnappe nach Luft.

Rechnen kann er vielleicht nicht – aber 1 und 1 zusammenzählen, DAS kann er!
„Ja, Max. War es."

„Gott sei Dank hab ich nicht mit ihr getanzt gestern. Sondern hab Milly da reingeschickt."
„Du warst dabei?"

"Ich ... habs nicht mehr ausgehalten, ihr zuzusehen, ich wollte sie drauf ansprechen. Da hab ich sie tanzen sehen. Wie mich vor ein paar Monaten. Und mein Bauch hat mir gesagt, dass ich jetzt einfach der Falsche bin. Also hab ich Milly abgefangen und zu ihr reingeschickt. Ja, ich habe es gesehen. Aber das sollte sie vielleicht nicht wissen, oder?"
„Ganz bestimmt nicht! Aber ... du erstaunst mich immer wieder. Du warst so arschig, entschuldige bitte. Und jetzt bist du wieder so einfühlsam. Warum zum Henker kriegt ihr das nicht miteinander hin?"
„Weil ich ein Idiot bin? Weil ich kindisch und krank und verwirrt war? Weil ich eben vielleicht doch zu jung und einfach nicht der Richtige für sie bin? ... Auch wenn es mir das Herz im Leibe rumdreht, das auch nur auszusprechen ..."
Der letzte Satz kommt nur noch geflüstert, und endlich kann ich hören und ihm abkaufen, dass er genauso leidet und es wirklich bereut.

„Ich fürchte ... so schwer es dir fallen wird ... aber du solltest sie jetzt ein bisschen in Ruhe lassen. Ich fange sie wieder ein und stelle sie auf die Füße. Sobald ich spüre, dass sie bereit dazu ist, gebe ich dir einen Schubs. Und dann entschuldigst du dich. Vielleicht habt ihr noch'ne Chance. Aber du wirst sehr viel Geduld brauchen, verstehst du? Sie hat dir vertraut, und das war eigentlich ein halbes Wunder. Das wird nicht leicht werden."
Vom anderen Ende höre ich ein zerknirschtes „hmmm ...".

„Kopf hoch! Ihr seid beide so stark. Zerfleische dich jetzt bitte nicht selbst vor lauter Schuldgefühlen. Das ist total doof gelaufen, aber sie wird sich erholen. O.K.?"
„... O.K. ..."

Ich glaub dir kein Wort. Vielleicht war ich zu hart, aber er MUSSTE das jetzt endlich kapieren.
„Max, die erste Stunde fängt gleich an. Und ... danke, das du so mutig warst, mich zu fragen. Du hast echt Schneid."
Ich gehe zurück ins Lehrerzimmer und flitze dann mit meinen Unterlagen zum Physiksaal, wo mich Lennart mal wieder in die Mangel nehmen wird.
Das kann ja heiter werden. Da hab ich doch jetzt gar keinen Kopp für!

Sorgen

Auch für mich fängt jetzt der Unterricht an, aber ich bin wie gelähmt. Ich hocke auf der Schulmauer neben den Fahrradständern und möchte mich am liebsten selbst ... keineAhnungwas.

Ich IDIOT! Ich himmelschreiender IDIOT! Wie konnte ich nur. Anni legt mir ihr Herz zu Füßen, kümmert sich aufopferungsvoll um mich, riskiert ihren Job wegen mir, weil sie mich aufrichtig liebt – und ich?
Ich will auf der Stelle im Boden versinken oder mich in Luft auflösen.

Das darf doch nicht wahr sein! DAS haben alle gemeint.
Alle haben kapiert, dass ich völlig ungerechtfertigt durchgedreht bin, sie haben auch alle versucht, es mir zu sagen. Und ich? War stur wie ein Betonklotz und hab gar nichts gerafft. Hab mich in Selbstmitleid gesuhlt. Hab ihre Versöhnungsversuche abgeblockt. Hab ihr dann auch noch den Resetknopf vor den Latz geknallt. Und dann geheult, weil sie mich plötzlich gesiezt hat. An ihrer Stelle hätte ich wahrscheinlich sofort die Nachhilfe beendet.

Das war eigentlich ein halbes Wunder ..."
Ja, die Tucher hat recht. Das werde ich jetzt aushalten müssen, dass Anni, meine arme, liebe Anni, eine Weile brauchen wird, um mir vielleicht!!! wieder zu vertrauen. Das ichs vergeigt habe.
Nicht wir. Ich IDIOT! ICH habs vergeigt.
Ich schäme mich in Grund und Boden. Dann speichere ich Frau Tucher mit ihrer Nummer ein und rase in den Geschichtsunterricht.

Eigentlich mag ich ja das Getippsele auf'm Handy gar nicht. Aber da auch heute die Nachhilfe ausfällt, nutze ich die Freistunden, um Onkel Uwe eine Mail zu schreiben. Hinterher tun mir gewaltig die Daumen weh, aber ich muss jetzt einfach alles beichten. Dass ich kapiert hab, was ich angerichtet hab. Was ich da bei Anni ausgelöst hab. Dass ich mir so Sorgen mache. Dass ich Hilfe brauche, jetzt richtig mit ihr umzugehen. Dass ich alles wieder gradebiegen will – sofern das überhaupt geht.

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21.11.2020

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