085 ** Hör nie auf zu tanzen ** Di. 24.12.2019

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Der Familiengottesdienst ist wie immer aufgeregt-kribbelig-trubelig, aber Lotta ist eine tolle Maria. Wir lachen uns kringelig über den Unsinn, den Ole bei all den festlichen Liedern grölt. Nur bei „Ihr Kinderlein kommet" ist er sattelfest.
Das haben sie dann wohl im Kindergarten geübt.
Etwas schmerzhaft sind die Versuche des Flötenkreises, die Orgel zu ersetzen. Aber auch das geht vorbei.
Und es ist ja auch nur einmal im Jahr ...

Antoine hat viel Freude daran, echte deutsche Weihnachten zu erleben. Als wir am Ende vom Gottesdienst alle stehen bleiben, um gemeinsam das „Oh du Fröhliche" zu singen, staunt er etwas. Aber er spürt die besondere Atmosphäre dabei. Das Deckenlicht wird ausgemacht, weil ja sowieso alle den Text auswendig können (sollten), und das einzige Licht kommt von den hunderten von Kerzen, die alle in der Hand halten. Ich bin kein Kirchgänger und beschäftige mich vielleicht zu wenig damit. Aber dieser Weihnachtsmoment ist etwas ganz besonderes. Die Sehnsucht nach innerem und äußerem Frieden ist fast mit Händen zu greifen, und ich weiß in diesem Jahr viel zu gut, was das bedeutet.

Antoine und ich gehen nach dem Gottesdienst nach vorne und schauen uns die Krippenfiguren der Gemeinde an. Ein paar ältere Leute aus der Gemeinde bauen dafür immer eine ganze Landschaft auf und platzieren die Figuren jedes Jahr anders. Die Figuren machen sie auch selbst. Schon seit vielen Jahren kommt jedesmal eine Figur dazu. Und wir versuchen dann natürlich rauszufinden, welche es ist. Ich hab mir irgendwann angewöhnt, die Engel, Hirten und Schafe zu zählen. Dann weiß ich nämlich, wovon eins mehr da ist. Dieses Jahr ist ein kleines Lämmchen, das neugierig in die Krippe lunzt.

Anschließend sammeln wir unsere „Maria" ein, helfen ihr dabei, die Verkleidung auszuziehen, all ihre Sachen zusammenzusuchen und sich von den geliebten Kindergottesdienstmitarbeiterinnen zu verabschieden. Dann schieben wir uns durch den Trubel aus der Kirche. Wir gehen immer zu Fuß zur Kirche und hinterher mit den brennenden Kerzen nach Hause. In der Zwischenzeit ist aber ein leichter Wind aufgekommen, und so ist es witzigerweise ausgerechnet Antoine, der als einziger seine Kerze brennend bis nach Hause bringen kann.

Erst lassen wir Lotta ein bisschen erzählen, wie es für sie war, als Maria da vorne von allen angesehen zu werden und ja nicht den Text zu vergessen und ja nicht bei der Kissengeburt das Jesuskind fallen zu lassen und ...
Dann gibt es einen großen Keksteller für alle und noch ein paar Lieder. Aber unsere beiden Zwerge drehen immer mehr ab, also werden sie bald erlöst.

Endlich dürfen die Geschenkeberge geplündert werden. Damit die Kleineren nicht alles einfach aufreißen und ein riesiges Durcheinander veranstalten, ist es hier üblich, dass immer einer zum Baum geht und jemand anderem ein Geschenk aussucht. Dann schauen auch alle zu, wie es ausgepackt wird. So wird wirklich alles richtig wahrgenommen und gebührend gewürdigt. Und es ist leichter, alle dazu zu bringen, dass sie Papier und Schleifen sofort in den bereitgestellten Korb tun, damit im Wohnzimmer nicht das heillose Chaos ausbricht.

Die Reihenfolge, wer - immer im Kreis rum - wem ein Geschenk gibt, ist schnell festgelegt, natürlich bekommen als erstes Ole und Lotta etwas ausgesucht. Lotta sucht dann ein Geschenk für Antoine aus. Und so, wie Kinder üblicherweise denken, nimmt sie mein Geschenk, weil es die größte Schachtel auf dem Haufen ist. Antoine öffnet die Schleife und das Papier und liest laut vor, was ich auf die Kiste geschrieben habe.
„Deutsche Weihnachten – Survival-Kit".
Er grinst von einem Ohr bis zum anderen. Alle recken die Hälse, um zu sehen, was in der Kiste drin ist. Nach und nach holt er den ganzen typischen Weihnachtsschnickschnack heraus. Mit den Noten von „Oh, du fröhliche" in der Hand hält er einen Moment inne. Endgültig beeindruckt sind dann alle, als Antoine die Streichholzschachtel öffnet und die winzige Krippenszene entdeckt.

Antoine strahlt. Und dann erzählt er uns, dass die Tradition der Krippen in der Provence schon seit dem 13. Jahrhundert bekannt ist. Und dass die Krippen dort noch viel größer sind als bei uns. Denn sie bauen dort immer ein ganzes Dorf auf um den Stall. Bei den ungefähr fünfzig Figuren sind alle Berufe des jeweiliges Dorfes vertreten. Dass der eigentliche Stall dabei manchmal fast untergeht, ist in der französischen Revolution entstanden, als man seine Weltanschauung lieber etwas unauffälliger platzierte.

Da wir heute so viele Personen sind, die mit feiern, sind entsprechend viele Geschenke zu öffnen und zu bewundern. Interessanterweise greift Tanja bei mir alles Mögliche raus. Aber die kleine Schachtel von Anni bleibt bis zum Schluss liegen. Dabei sitze ich doch wie auf glühenden Kohlen und will endlich wissen, was da drin ist! Ich muss echt aufpassen, dass ich nicht anfange zu hibbeln wie Ole und Lotta.

Nach dem Abendbrot werden die Kinder ins Bett gescheucht. Sie dürfen jeder ein wichtiges Geschenk mit ins Zimmer nehmen. Dann machen wir Großen weiter mit der Auspackerei. Antoine freut sich riesig über das Buch mit den Kanu-Wander-Routen.
„Das ist ja toll! Dann weiß ich auch schon, was ich in den Sommerferien mache, wenn mir vor lauter Lernen die Decke auf den Kopf fällt! Danke, Jana. Das ist wirklich super!"

Irgendwann geht Tanja müde ins Bett, Lasse versinkt in den Einstellungen seines neuen Handys, Tante Jana und Antoine lesen sich in Büchern fest. Und Onkel Thorsten nickt ein. Und jetzt, wo ich einfach die Schachtel aufmachen könnte, stehe ich davor und zögere doch.
Los, gib dir einen Ruck! Dir wird schon keine Giftschlange entgegenkriechen.
Ich greife nach der Schachtel und wiege sie in der Hand.
Ganz schön schwer für die Größe!

Ich weiß nicht warum, aber auf einmal möchte ich allein sein. Ich flitze in mein Zimmer, hocke mich im Schneidersitz auf mein Bett und zupfe die blaue Schleife auf. Irgendwas Schweres verbirgt sich unter den Lagen von knisterndem Seidenpapier. Ich ziehe das Papier raus – und erstarre. In der Schachtel ist eine Figur aus Glas. DIE Figur aus Glas. Meine beiden zierlichen Tänzer vom Kunsthandwerkermarkt.
Anni. Liebe Anni! Woher hast du DAS denn gewusst?
Mein erster Impuls ist, sie sofort anzupiepen und nachzufragen.

Aber wer weiß, wo sie grade ist und was sie macht. Bei ihren Eltern sollte ich sie nicht stören.
Ich werde mich wohl gedulden müssen. Ganz fasziniert drehe ich die beiden Tänzer im Schein meiner Nachttischlampe. Sie wirken so leicht, so fließend, so elegant und so versunken in ihren Bewegungen. Ich möchte am liebsten sofort selbst anfangen zu tanzen!

Da entdecke ich noch einen kleinen Zettel am Boden der Schachtel. Ein kurzer Brief von Anni.

„Lieber Max!
Ich habe Dich tanzen sehen. Hör nie auf zu tanzen,
dann bist Du der glücklichste Mensch auf der Welt.
Ich wünsche Dir frohe Weihnachten mit Antoine und Deiner Familie.
Ich bin froh zu wissen, dass Du heute nicht alleine bist.

Hast Du Lust drauf, dass wir zwischen den Jahren einen Ausflug nach Grefrath machen? Kurz vor Venlo wird uns keiner kennen. Und da gibt es eine tolle Eissporthalle – falls Du Schlittschuhlaufen magst ...
Ich freu mich auf Dich, Anni"

Ich verkneife mir einen Jubelschrei. Und ich schüttele ein bisschen den Kopf über uns. Tagelang sind wir zu feige, unsere Geschenke zu übergeben. Und dann dieser nette Brief. Und meiner ja auch. Das hier ist viel eher unsere normale Ebene – locker flockig und unverkrampft. Und wie ich Lust habe! Ich war in dieser Saison noch kein einziges Mal auf dem Eis aus Zeitmangel.

Sind meine Füße in diesem Jahr gewachsen? Hoffentlich passen mir die Schlittschuhe vom letzten Winter noch ... Naja, man kann ja Schuhe leihen. Ist vielleicht sowieso besser, weil ich ohne Schlittschuhe unauffälliger bin. Wir müssen uns dafür ja irgendwo treffen ... Hach, ich bin happy! Das wird bestimmt lustig. Und wir können uns ziemlich sicher sein, dass wir unsere Ruhe haben dort.

Ich stecke die Figur vorsichtig zurück in die Schachtel, nehme sie mit und gehe wieder runter zu den anderen. Onkel Thorsten ist wohl inzwischen auch ins Bett verschwunden. Antoine ist noch immer in das Paddelbuch vertieft. Und Tante Jana und Lasse stehen vor dem Weihnachtsbaum.
„Komm schnell, Max. Die gehen bald aus. Noch kannst du mit wetten!"
Ich mache Antoine auf uns aufmerksam und winke ihn auch zu uns rüber.
„Pass auf. In unserer Familie ist es Brauch, dass sich jeder eine Kerze aussucht, von der er glaubt, dass sie als allerletzte ausgehen wird. Wir wetten um nichts, es ist einfach unser Spiel. Welche sind denn schon vergeben?"

Lasse zeigt auf zwei Kerzen.
„Die da oben ist Mamas. Und die hier an der Seite ist meine."
Aufmerksam betrachten Antoine und ich, welche Kerze schon wie weit runtergebrannt ist und wieviel flüssiges Wachs noch im Kerzenteller steht. Dann geben auch wir unseren Tipp ab. Geduldig warten wir einige Minuten, dass die Kerzen ausgehen, und freuen uns in der Zeit am Schimmern der klaren Glaskugeln oben und an den bunten Basteleien der Kinder an den unteren Ästen. Eine nach der anderen verglimmen die Dochte der Kerzen, mancher Docht schwimmt nur noch im flüssigen Wachs, aber einige halten sich hartnäckig. Und am Ende ist es die Kerze von Tante Jana, die am längsten durchhält.

Auf einmal muss ich herzhaft gähnen.
„Ich glaube, wenn wir morgen rechtzeitig aufstehen wollen, um das Brunch vorzubereiten, dann sollten wir jetzt auch langsam schlafen."
Muss ja keiner wissen, dass ich heute schon um 5.00 Uhr senkrecht im Bett gestanden und daraufhin einen kleinen Ausflug gemacht habe. Die nötige Bettschwere habe ich so jedenfalls ...

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9.12.2020

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