092 ** Beichte ** Mi. 1.1.2020

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Als ich zu Hause ankomme, ist von der Party bei Papa nichts mehr zu sehen. Auch alle Gäste sind weg, und das ist mir ganz recht so, denn so muss ich keine Fragen beantworten. Nur Moritz hat nach dem Frühstück und der Aufräumorgie bei Lasse ausgeharrt.
„Au Mann. Wie geht's dir? Und wird sie wieder?"
Bei mir lässt erst jetzt die ganze Anspannung nach, und so kippe ich Moritz einfach weinend in die Arme. Ich brauche eine Weile, bis ich vernünftig antworten kann.
„Lasst mich erst zur Ruhe kommen, Jungs. Mir ist inzwischen klar geworden, dass ich ihr so mal eben das Leben gerettet habe. Sie wird wieder, aber es war verdammt knapp."

Wir trollen uns in mein Zimmer, quatschen, daddeln und hören Musik. Diese Nacht muss bei mir erstmal sacken. Mir fällt auch jetzt erst auf, dass ich immernoch nicht weiß, was Anni mir am Freitag sagen wollte.
Gut, heute war auch nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Aber Donnerstag ungestört fällt dann ja wohl flach, und ich will nicht länger warten.
Am Wochenende kommen die Tage der offenen Tür an den Hochschulen. Und dann geht sofort die Schule wieder los. Ich sehe auch nicht, dass Anni am nächsten Mittwoch schon wieder in der Schule antritt.
Hoffentlich glucken ihre Eltern jetzt nicht rund um die Uhr um sie drumrum!

Irgendwann muss Moritz nach Hause, weil seine Eltern sonst eine Vermisstenanzeige aufgeben würden. Und Lasse holt nebenan einfach Schlaf nach. Kurz nach dem Abendbrot klingelt mein Telefon. Als ich sehe, dass es Anni ist, mache ich sofort meine Tür zu und lasse mich aufs Bett fallen.
„Hei, Anni! Wie geht es dir inzwischen? Gibt es weiter Entwarnung?"
„Ja, danke. Ach, Max. Ich kann dir nicht sagen, wie glücklich ich bin, dass du da warst. Dass du da bist – für mich. So allmählich habe ich wieder Erinnerungen an heute Nacht. Hast du dich schon bei dem Taxifahrer gemeldet?"
„Ja klar. Er hat alle meine Kontaktdaten. Er kann sich nicht erinnern, geblitzt worden zu sein, aber bei den modernen Geräten sieht man das gar nicht mehr richtig. Und drumrum war ja sowieso Geballer und Gelichter. Wir hoffen jetzt, dass gar nichts kommt. Er hat sich jedenfalls sehr gefreut, dass es dir deutlich besser geht und dass er was dazu beitragen konnte."

Einen Moment ist es ganz still zwischen uns.
„Max? Ich liebe dich!"
Mir wird ganz warm.
„Ich dich auch. Und wie!"
„Kommst du morgen wieder?"
„Wenn ich dann nicht wieder mit deinen Eltern kollidiere ..."
„Neinnein. Sie haben es unendlich bedauert, dass sie morgen schon wieder arbeiten müssen und leider auch mit niemand tauschen können. Du hast freie Bahn."
„Gut. Denn dann komme ich gleich am Vormittag. Und ich gehe erst wieder, wenn ich weiß, was da am Freitag war."
„Du lässt nicht locker."
„Nö."

Anni seufzt.
„Ist eigentlich ganz gut so. Du hast recht."
„Aber du hast aus irgendeinem Grund Angst davor."
Ich verstehe ihre Antwort kaum, so leise ist sie.
„Ja."
Jetzt reichts mir!
„Schlaf noch nicht. Ich bin gleich da."
„Max, aber ..."
Ich lege auf, ziehe mich warm an, sage nur Lasse Bescheid und gehe raus. Ich schwinge mich auf mein Rad und sause zum Huyssenstift. Den Weg auf die Station muss mir niemand zeigen, und so komme ich unbemerkt bis vor ihre Zimmertür. Da biegt ausgerechnet Dr. Wenzel von letzter Nacht um die Ecke.
„Na, ist die Sehnsucht so groß?"
Ich weiß echt nicht, was ich sagen soll.
„Nein. Ja. Es ist bloß ..."
„Mir egal. Sie beide sind was Besonderes. Gehen Sie ruhig rein. Aber ich würde es bevorzugen, wenn Sie heute Nacht zu Hause schlafen."
„Danke! Geht in Ordnung, Chef!"
Er grinst und geht weiter.

Ich klopfe, lausche auf die Antwort und gehe rein. Anni liegt irgendwie klein und blass in dem großen Krankenhausbett und schaut mir fast ängstlich entgegen. Ich nehme sie erstmal in die Arme und gebe ihr ein kleines Küsschen. Dann setze ich mich neben sie und werde energisch.
„Weißt du, wie du mich grade angekuckt hast?"
„Nö. Wie denn?"
„Wie das Kaninchen die Schlange. Bin ich so furchtbar, dass du so Angst haben musst?"
Anni treten Tränen in die Augen.
Mist, das wollte ich doch gar nicht!
„Entschuldige, ich war zu forsch. Aber du verstehst doch, dass mich das ganze furchtbar nervös macht, oder?"
Sie nickt. Und seufzt. Und schließt die Augen. Ich hocke mich direkt zu ihr aufs Bett und nehme ihre unver-kanül-te Hand zwischen meine beiden Hände. Ich fahre ihre Finger nach und freue mich, dass die Hand so warm ist.

Anni holt tief Luft – und atmet wieder aus. Und holt nochmal tief Luft ...
„Max ..."
Und verstummt wieder.
„Bitte. Nichts kann so schlimm sein wie die Vorstellung, dass du mir letzte Nacht unter den Händen weggestorben wärst."
Sie nickt.
„Ich ... An ... dem Mittwoch in der Eifel ... da hab ich geglaubt, zusammen könnten wir Bäume ausreißen. An dem Donnerstag hab ich eine Ahnung bekommen, wie schwierig es werden würde. Und an dem Freitag ... auf ... dem Parkplatz ... da ..."
„... hab ich dich praktisch vernichtet. Und dein Vertrauen in mich und unsere L..."

„Nein! Nein, Max. Das wollte ich nicht sagen. Das ist vorbei. Ich hab an dem Abend mit Jenny geredet, weil die natürlich sofort alles kapiert hat. Und die hat mir geraten, Abstand zwischen dich und mich zu bringen. Mich ... nicht böse sein!"
Ich lausche in mich hinein und bin selbst ganz erleichtert.
„Ich bin nicht böse. Nur traurig, weil das grade so schlimm für dich ist und offensichtlich was mit mir zu tun hat."

„Sie meinte, ich solle mich für den Rest des Schuljahres an eine andere Schule versetzen lassen, damit wir beide nicht kaputt gehen. Ich hab das nicht kapiert, denn es hätte bedeutet, dass ich meine Zwölfte kurz vorm Abi im Stich lasse. Aber als ..."
Ihre Tränen laufen immer schneller, und ich kann den Schmerz in ihrer Stimme kaum ertragen.
„Als du den Reset-Knopf gedrückt hast, ... da wusste ich, dass sie recht hat. Dass wir beide das so nicht aushalten würden. Ich hab auch Sonderpädagogik studiert und tatsächlich eine Schwangerenvertretung für ein halbes Jahr an einer Sonderschule mit dem Schwerpunkt Bewegungsförderung bekommen."

Vorsichtig schielt sie mich von der Seite an, und ich habe das Gefühl, jetzt gefriert MIR das Hirn. Aber ich habe mir geschworen, dass ich – egal, was kommt – so reagiere, dass Anni das aushalten kann. Also schlucke ich meinen Schreck runter. Ich kann aber nur flüstern.
„Wann?"
„Ich ... Es hat gar nicht geklappt. Ich meine – ich habe die Stelle bekommen. Ab Januar. Aber Dr. Miegel hat darauf bestanden, dass ich die Zwölfte behalte. Ich werde also im kommenden Halbjahr an zwei Schulen voll verschlissen. Das heißt, dass ich zusammenbrechen werde unter der Arbeit und den doppelten Konferenzen und der doppelten Klassenführung und unter der täglichen Hin und Herfahrerei. Aber dafür bleibe ich dir erhalten."

Ich schließe einen Moment die Augen und atme tief durch.
Es geht hier nicht um mich. Anni tut das für uns beide, und sie leidet selbst total darunter.
„Warum? Warum tust du dir das an?"
„Du bist nicht böse, dass ich gehen wollte?"
„Ich bin erschrocken. Und ich verstehe noch nicht völlig, warum das sein musste. Aber ich höre vor allem, wie sehr es dich quält aus irgendeinem Grund. Erklär es mir. Bitte."
Anni streckt die Hände nach mir aus, und ich nehme sie schnell und ganz fest in die Arme. Sie murmelt etwas in meine Schulter.
„Du bist wundervoll, Max."
Ich lasse sie ein bisschen los und lächele sie an.
„Eigentlich bin ich vor allem verwirrt. Aber ganz bestimmt nicht sauer. Dafür ist gar kein Platz, weil ich doch spüre, wie sehr es dich innerlich zerreißt."

Wir halten uns einfach eine ganze Weile aneinander fest. Und dann kann Anni endlich in normalem Tonfall und flüssig erzählen, wie der Gedanke entstanden ist, was sie damit erreichen wollte zu unserem Schutz – und wie schließlich der Direx das ganze torpediert hat.
Leider.
Denn ich verstehe nun durchaus den Sinn dahinter. Wenn sie mir keine Prüfungen mehr abnimmt, wird niemand jemals sagen können, dass wir irgendwie gemogelt haben.
„Boah, ist DAS bescheuert gelaufen. Und jetzt hast du den ganzen Stress an den Hacken. Dann müssen wir die Nachhilfe aber noch weiter runterschrauben. Wie sollst du das denn schaffen?"
„Naja, den Freitag Vormittag kann ich dann jedenfalls nicht mehr halten."
„Wir wollten doch sowieso nur noch zwei Termine. Dann machen wir daraus eben einen Termin pro Woche und trainieren Power-Mathe."

„Kommt nicht in Frage, ich möchte kein Risiko eingehen. Wir versuchen es mit den zwei Terminen. Außerdem ..."
„Außerdem?"
Ihr tritt der Schalk in die Augen, und sie kann ein Lächeln nicht verstecken. Ich muss auch lächeln, denn es macht mich überirdisch glücklich, was jetzt wahrscheinlich kommen wird.
„Außerdem ... will ich dich nicht nur einmal pro Woche in Ruhe sehen. Wir schaffen das."
Ich strahle wahrscheinlich wie ein Stadion-Flutlicht.
„Da hast du allerdings recht. Nur einmal reicht NIEMALS!"

Nach einem Moment Stille schaue ich sie direkt an.
„Geht es dir jetzt besser damit?"
Anni seufzt zufrieden.
„Ja. Vieeeeeel besser."
„Na, siehst du. Dann kann ich jetzt auch beruhigt nach Hause fahren und ins Bett gehen. Ich habe da nämlich einen gewissen ... Nachholbedarf ..."
Anni kichert.
„Und wir sehen uns morgen Vormittag ja schon wieder."

Auf einmal weiß ich nicht, wie ich jetzt gehen soll, und eine Frage schießt mir durchs Hirn.
„Anni?"
„Ja?"
„Was ... sind wir jetzt eigentlich?"
Stumm schauen wir uns an. Und diesmal provoziere ich es – dass sich unsere Augen finden und verhaken und nicht mehr loslassen wollen.
„Komm her!"
Anni zieht mich am Ärmel wieder zu sich ran, und das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Anni küsst mich – ganz sanft. Und dabei leuchten ihre grünen Augen glücklich auf.
„Alles andere wäre doch gelogen, Max. Ich will nicht ohne dich."
Ich antworte gar nicht. Ich schließe die Augen und lasse mich fallen in ihre Arme und in ihren Duft und ihre zauberhaften, niemals drängenden, alles verschenkenden Küsse.

„Bis morgen Vormittag, meine Süße. Schlaf dich gesund. Hoffentlich kannst du bald wieder laufen. Auch wenn ich nicht daran glaube, dass du nächsten Mittwoch schon in irgendeiner Schule stehst. Und mit dem Auto hin und her fahren kannst du so auch nicht. Werd bitte erst richtig gesund."
„Das mach ich. ... Danke, Max. ... Für alles."

Ich lösche einfach alle Lichter im Zimmer bis auf die Notbeleuchtung, Anni legt sich bequem hin und schließt die Augen.
„Gute Nacht, Liebes."
Ihr zurückgemurmeltes „Gute Nacht!" klingt schon etwas undeutlich, und dann ist sie in Windeseile eingeschlafen, weil sie sich nun die letzte Last auch noch von der Seele reden konnte. Ich warte, bis ihr Atem ganz gleichmäßig geht, und löse mich dann ganz vorsichtig von ihr, um sie nicht zu wecken. Sie so entspannt zu sehen, ist wirklich ein viel schönerer Anblick als ihr Schmerz im September oder ihre Angst in der letzten Nacht. Mit diesem glücklichen Bild vor meinem inneren Auge schleiche ich mich durch die leeren Flure des Krankenhauses nach draußen zu meinem Fahrrad.

KLICK.

Ich radele nach Hause und falle dort selbst in mein Bett.

Schlaf! Einfach nur noch Schlaf!

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16.12.2020

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